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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Paradox der Religionen


Knut Hacker
08.08.10, 17:44
Oh je, oh jemine, och amàn! Wie konnte ich nur eines der wichtigsten Paradoxa vergessen! Ich habe im Eingangsbeitrag zwar das Gottesparadoxon behandelt,aber das Religionsparadoxon daran nicht angeschlossen.

Paradox der Religionen

Religionen sind der selbstwidersprüchliche Versuch, Bewusstseinsinhalte über das Bewusstsein hinaus auszuweiten.Das beginnt beim Denken in Gegensätzen (sein/nicht sein; irdisch/über irdisch; gut/böse usw.), schreckt nicht davor zurück, Gott in Raum und Zeit zu pressen (Schöpfung;Sinn; Erlösung usw.) und endet im Wunschdenken (individuelles Weiterleben nach dem Tode usw.).

Im markantesten Selbstwiderspruch gipfeln die christlichen Religionen:Gott habe mit der Auferstehung Christi den Menschen eine Heilsbotschaft zukommen lassen;er hat sie aber so wenig historisch abgesichert, dass sich sogar die Evangelien in eine Fülle von Widersprüchen verstricken. Die für die Menschheit gedachte Botschaft ist daher nur wenigen angeblichen Augenzeugen zugänglich gewesen. Der Rest der Menschheit ist auf den Glauben angewiesen.Das war sie schon vorher!

Ihr könntet nun einwenden, dass Glaubensfragen in einem wissenschaftlichen Diskussionsforum keinen Platz hätten. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass sogar der heutige Papst in seinem Buch: „Einführung in das Christentum“ die Quantenphysik als wertvolle theologische Argumentationshilfe bezeichnet hat.Im Gegensatz zur Esoterik, die die Quantenphysik missbraucht,erweist sich der Papst als profunder Kenner der modernen Naturwissenschaften,der klar zu trennen weiß zwischen Glaube und Wissen.

Timm
09.08.10, 10:49
Ihr könntet nun einwenden, dass Glaubensfragen in einem wissenschaftlichen Diskussionsforum keinen Platz hätten.


Über die Entstehung der Religionen wird ernsthaft nachgedacht, Knut, wie der Artikel "Homo religiosus" im Spektrum der Wissenschaften zeigt.

http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/982255

Und - es wäre schon sonderbar, wenn Widersprüchlichkeiten nicht ständiger Begleiter der Geschichte der Menschheit wären.

Gruß, Timm

Bauhof
09.08.10, 11:18
Oh je, oh jemine, och amàn! Wie konnte ich nur eines der wichtigsten Paradoxa vergessen! Ich habe im Eingangsbeitrag zwar das Gottesparadoxon behandelt, aber das Religionsparadoxon daran nicht angeschlossen.
Hallo Knut Hacker,

erfahrungsgemäß gibt es bei religiösen Themen immer ein "Hauen und Stechen" unter den Diskutanten. Deshalb habe ich deinen Beitrag und den Folgebeitrag von Timm vorsichtshalber hierher verschoben.

An religösen Themen habe ich eigentlich nicht gedacht, als ich anregte, das Unterforum "Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik" einzurichten. Hier in in der "Plauderecke" kann man natürlich (fast) alles diskutieren.

M.f.G. Eugen Bauhof

Knut Hacker
10.08.10, 15:10
Hallo Bauhof,

ich glaube doch, dass das bekannte Religionen-Paradoxon in den Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Diskussion über Paradoxien gehört.
Dieses Paradoxon stammt – gestützt auf Johannes Climacus- von dem tiefgründigen christlichen Denker Sören Kierkegaard, nachzulesen in „Tagebücher“ I, S.106,254. Es gipfelt in der Feststellung: „Die Idee....des Christentums ist das Paradox.“ Wie ich ausgeführt habe, hat der heutige Papst in seiner: „Einführung in das Christentum“ (1. Kapitel, 5. Abschnitt ) darauf zurückgegriffen.Er verweist in diesem Zusammenhang auf Jes.7.9 in der Fassung der Septuaginta: „καὶ ἐὰν μὴ πιστεύσητε, οὐδὲ μὴ συνῆτε – wenn ihr nicht glaubt, dann versteht ihr auch nicht.“ Bereits Tertullian hatte den Ausspruch geprägt: „credo, quia absurdum est – ich glaube, weil es absurd (widersinnig) ist.“

Die Religionen legen großen Wert darauf, dass sie verstandesmäßig nicht zu begreifen seien, weil der Glaube einer höheren Dimension des menschlichen Daseins angehöre. Das „Zerdenken“ der religiösen Botschaften führe daher zwangsläufig zu Paradoxien.Dies war auch der zentrale Gedanke der christlichen Mystik, insbesondere in den Werken von Thomas von Aquin ( „Deus non est in genere- Gott steht außerhalb jeder Art, zu sein“;S.th.I,qu.3,a.5), Meister Eckhart („Gott kommt nicht das Sein zu, noch ist er ein Seiendes, sondern er ist etwas Höheres als das Seiende.“), und Nikolaus von Kues (Theorem der coincidentia oppositorum-der Aufhebung der Gegensätze:Gott ist... und ist zugleich nicht“ und, gestützt auf Proclus u. Ps.-Dionys: „Das höchste Prinzip ist überseiend und unerkennbar, die aristotelischen Kategorien und auch die sogenannten Kategorien der intelligiblen Welt (Seiendes, Bewegung, Ruhe, Selbigkeit, Andersheit) sind auf es nicht anwendbar.“).
Am schönsten hat es Dietrich Bonhoeffer auf den Nenner gebracht: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“(„Akt und Sein“, Kap.B,Abschn.3b).Dies erinnert an das Komplementaritätsprinzip der Kopenhagener Deutung der Quantenphysik,das auch der Papst in seinem angegebenen Buch als Glaubenshilfe bezeichnet hat (erster Hauptteil, fünftes Kapitel, erster Abschnitt).Bekanntlich führen die Atheisten ja ein Scheingefecht, weil sie davon ausgehen, die Theisten glaubten an die Existenz eines Gottes. Für die Theisten ist vielmehr Gott über den Gegensatz von Sein und Nichtsein erhaben (Karl Rahner „Grundkurs des Glaubens“, Zweiter Gang , Ziff.2, 4. Abschn.).

Speziell die Paradoxien der Bibel (die Widersprüche auch der Evangelien) hat Augustinus wie folgt kommentiert:
„Deus unus sacras litteras vera et divina visuris multorum sensibus temperavit – der eine Gott (hat) die heiligen Schriften derart zweckmäßig für die Sichtweisen von so vielen eingerichtet, dass sie, wenngleich Verschiedenes, so doch Wahres darin erkennen können (Confessiones XII 42).

Ich glaube, damit genügend dargetan zu haben, dass es sich bei der Paradoxie der Religionen um eine der bekanntesten handelt und sie sich durchaus in das Erklärungsmuster einreiht, mit dem ich meinen Thread eingeleitet habe,und
dass es sich bei dieser Paradoxie um alles andere als um ein religiöses Problem handelt.Wenn ich in meinem versetzten Beitrag von "Glaubensfragen" sprach,dann doch nur im erkenntnistheoretischen Zusammenhang der Paradoxien. Diese stammen doch aus allen Lebensbereichen. Es interessiert hier nicht das Inhaltliche, sondern das Denkformale.Auch Kant hat seine Widerlegung der sogenannten Gottesbeweise auf die damit verbundenen Paradoxien gestützt(analog zu seinen Antinomien hinsichtlich Raum und Zeit).
Ich bin hier nicht an einer religiösen Diskussion interessiert - ich bin konfessionslos -, sondern an einer Diskussion im philosophischen Bereich der Erkenntnistheorie, speziell der Logik.Darüber kann man sicherlich nicht "plaudern".

Knut Hacker
10.08.10, 15:25
Hallo Bauhof,
in einem Beitrag im ursprünglichen Thread glaube ich ausreichend dargetan zu haben, dass es sich bei der bekannten Religionen-Paradoxie um alles andere als um ein religiöses Problem handelt.Wenn ich in meinem versetzten Beitrag von "Glaubensfragen" sprach,dann doch nur im erkenntnistheoretischen Zusammenhang der Paradoxien. Diese stammen doch aus allen Lebensbereichen. Es interessiert hier nicht das Inhaltliche, sondern das Denkformale.Auch Kant hat seine Widerlegung der sogenannten Gottesbeweise auf die damit verbundenen Paradoxien gestützt(analog zu seinen Antinomien hinsichtlich Raum und Zeit).
Ich bin hier nicht an einer religiösen Diskussion interessiert - ich bin konfessionslos -, sondern an einer Diskussion im philosophischen Bereich der Erkenntnistheorie, speziell der Logik.Darüber kann man sicherlich nicht "plaudern".

richy
10.08.10, 17:00
Hi Knut
"Plauderecke" sehe ich im Forum hier nicht als Abwertung.
Ich stelle dort auch meine ganzen mathematischen Spielereien rein.
@Bauhof
Im Falle der logischen Rueckkopplung waere es vielleicht sinnvoll wenn das Thema nicht ueber zwei Threads zerpflueckt wird.
Gruesse

Knut Hacker
10.08.10, 19:15
richy,
ich habe da kein Problem. Selbstverständlich respektiere ich die Intentionen des Moderators. Ich wollte halt die Diskussion über das von mir eingestellte Thema der Paradoxien wiederbeleben,da ja nur ein einziges der von mir behandelten Paradoxa aufgegriffen worden war. Hintergrund, dass ich mich wieder eingeschaltet habe, war eine Diskussion im "Philosophischen Nachtcafé" im Nürnberger Kulturladen Röthenbach.Ich machte dabei die Erfahrung,dass dem schriftlichen Wort - wie hier im Forum - die Semantik des Tons und der Gestik feht und daher die Reaktionen auf meine Beiträge hier und dort weit auseinanderklaffen.

Vielleicht ist es mir erlaubt, den Zusammenhang mit meinem Ausgangsbeitrag durch einen Link herzustellen:
http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=1598

Dieser Beitrag lässt sich in einem Satz wie folgt zusammenfassen:
Alles Denken führt letztlich immer zu Paradoxien, da es immer abstrakter wird und es daher früher oder später zu einer Rückkopplung der abstraktesten begrifflichen Vorstellungen kommt Beispiel:Es ist für uns selbstverständlich, dass wir und die Welt, in der wir leben, „sind“.Was „ist“ aber dieses Sein? Schon stecken wir in der Klemme eines unendlichen Regresses: Das Sein „ist“,aber was ist dieses Sein des Seins u.s.w.?

richy
10.08.10, 21:45
Hi Knut

Ich hatte auch schon immer eine Vorliebe fuer Paradoxien.
Buecher wie das folgende fuellen mein Buecherregal :
http://www.amazon.de/Logischen-Katastrophen-Mathematische-Sophismen-Paradoxa/dp/3446008314
Dabei zeigt sich, dass viele Paradoxien rational loesbar sind. Zum Beispiel auf Fehlern bei Grenzuebergaengen beruhen wie bei Achilles Schildkroete oder auf Unverstaendlichkeit des Unendlichkeitsbegriffes wie bei Hilberts Hotel.
Damit setzen sich vornehmlich Mathematiker auseinander.Physiker haben hierfuer meist weniger Interesse und Gespuer. Auch nicht fuer die Nichtlinearitaet, die der analytischen Loesbarkeit eine Schranke setzt.
So manche Bruecke fiel dem schon zum Opfer.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/a/a4/Tacoma_narrows_bridge_collapsed.jpg/220px-Tacoma_narrows_bridge_collapsed.jpg
Unterschiede erkennt man schon mit der Meta Namensgebung.
Waehrend die Meta Mathematik den Antrieb fuer moderne mathematische Fragen darstellt ist das Wort Meta Physik bei Physikern eher verpoent und kann daher auch keine entscheidenden Beitraege mehr liefern.Vor ein paar hundert Jahren war das wohl noch anders. Meta Physik wird sogar als Pseudowissenschaft verstanden.Herr Popper duerfte zu diesem ungluecklichen Zustand einen erheblichen Teil beigetragen haben.

Man bedient sich in der Physik wenigstens den Erkenntnissen der Meta Mathematik (Nichtlineare Systemdynamik), aber niemals wird man die Meta Methode offiziell auf die Physik selbst anwenden.So weit ist die Physik im Gegensatz zur Mathematik noch nicht.
Oder nicht mehr.
Die Physker muessen sich daher an gewisse Konventionen halten.
Lediglich die KD ist hiervon scheinbar ausgenommen. Aber selbst Herr Zeilinger ist sehr vorsichtig im Umgang mit dem Begriff der abstrakten Information. Also der Verbindung zwischen unwaegbarer geistiger Welt und der waegbaren Welt auf Quantenebene.
Es ist schon tragigkomisch. Man beharrt hier auf einer voellig esoterischen Interpretation im Geiste der 20 er oder 30 er Jahre. Wobei man den esoterischen Charakter aufgrund der konstruierten prinzipiell nicht moeglichen Falksifizierbarkeit (hier wuerde Popper greifen) beliebig "verschleiern" kann. Vor der Messung ist der Papst zustaendig :D

da ja nur ein einziges der von mir behandelten Paradoxa aufgegriffen worden war.
Ich hatte schon erwaehnt, dass ich meine, dass es nur wenige Klassen von echten Paradoxa gibt. Loesbare Paradoxa wie das Ziegenspiel halte ich eher fuer eine Unterhaltung oder ein Beispiel um zu zeigen mit welchen Begriffen wir, in dem Fall die Wahrscheinlichkeit, evolutionsbedingt gewisse Schwirigkeiten haben.
Ich machte dabei die Erfahrung,dass dem schriftlichen Wort - wie hier im Forum - die Semantik des Tons und der Gestik fehlt ...

Die fehlt auch in jeder naturwissenschaftlichen universitaeren Arbeit :-)
Das ist in dem Bereich leider einfach nicht gefragt.
Es ist für uns selbstverständlich, dass wir und die Welt, in der wir leben, „sind“.Was „ist“ aber dieses Sein?
Das waere ein Beispiel, dass auch ich als echtes Paradoxon betrachten wuerde und daher bin ich speziell auf dieses eingegangen.
Dabei hat sich gezeigt, dass dieses Paradoxon durch Russel bereits beschieben wurde. Und die moderne Mathematik sogar Loesungsstrategien dafuer erarbeitet hat. Letzendlich war dieses Paradoxon auch der Antrieb fuer Goedel um seinen beruehmten Satz zu beweisen, dem das Hilbert Programm zum Teil zum Ofer viel.
Es laesst sich das Paradoxon somit nicht wirklich loesen, sondern ueber den Goedelschen Unvollstaendigkeitssatz allgemeiner formulieren.
Dieser Teil deines Beitrages war fuer mich zum Beispiel der Ausloeser mir die Herleitung des Goedelschen Unvollstaendigkeitssatzes ueber die Goedel Nummerierung mal wieder anzuschauen.
Die Beweisfuehrung ist recht kurz und ich verstehe sie ehrich gesagt bis heute nicht so ganz :-) Und Goedel Escher Bach will ich mir nicht schon wieder antun :-)

Meine momentane Zusammenfassung :
A)
Deine historischen Beispiele sind natuerlich im Rahmen einer Veranstaltung
im "Philosophischen Nachtcafé" im Nürnberger Kulturladen geeignet.
Um Anfaengern zum Beispiel die Augen fuer die Problematik z.b. der Selbstbezueglichkeit zu oeffnen. Ich gehe im Grunde davon aus, dass allen Teilnehmern hier die tieferen Problematiken der nichtlinearen Systemdynamik bekannt sind. Wobei die Bluetezeit der "Chaostheorie", die 80er, Anfang 90 er schon wieder eine Weile her ist. Ich meine das merkt man schon etwas. Hmm .... vielleicht auch voellig untertrieben.
Selbst ein Minimalrespekt vor bedeutenden Wissenschaftlern aus dieser Zeit scheint voellig vergessen. Ich denke hier an Otto Roessler.

B)
Ein Unterschied zwischen Philosophen und Mathematikern duerfte der sein, dass letztere bestrebt sind verschiedene Problematiken einheitlich zu formulieren. Daher sehe ich auch wenig Sinn, dass du so viele historische Beispiele nennst. Ein einziges und dafuer praegnantes kann hier sehr viel wertvoller sein.
Und das waere fuer mich die Russelsche Antinomie sowie der Kreter der meint dass alle Kreter luegen. "Ce n'est pas une pipe" ist auch nett.
C)
Die Mathematiker schlafen nicht und haben daher aufgrund der Russelschen Antinomie eine nichttriviale moderne Mengenlehre hergeleitet.Dennoch ist eine Aussagenlogik nicht vollstaendig. Als moderner Philosoph sollte man die alten loesbaren Geschichten somit zunaechst einmal Ruhen lassen und sich mit der Frage beschaeftigen : Auf welche Weise gelangte Goedel denn zu seinem Unvollstaendigkeitssatz ? Man muss die Goedelsche Nummerierung, seinen Beweis nachvollziehen. Dann kann man Aussagen treffen wie sich diese fundamentale Paradoxie dann auf die physikalische Welt bezieht.
Das waere meine Meinung, Vorschlag.

Gruesse

richy
10.08.10, 22:05
BTW:
Eine persoenliche Frage.
Ich habe Elektrotechnik studiert.
Allerdings beschaeftige ich mich nur noch hobbymaessig mit der Rechnerei :-)
Welches Studium hast du gewaehlt ? Es wuerde mich einfach so interessieren.

Zu Paradoxien und Religionen.
Hast du dir mal Goedels Versuch eines Gottesbeweises angeschaut ?
Der ist unsagbar schlecht. Wie sollte einem Normal Sterblichen dann etwas besseres einfallen ?

Ich bin uebrigends nicht glaubenslos. Meine Vorfahren waren sogar sehr streng glaeubig.
Sie verfolgten das Prinzip der materiellen Armut.
Dieses Thema versuche ich aber so gut wie moeglich auszublenden.

Du kannst uebrigends mit Sicherheit davon ausgehen, dass jede Religion, insbesonders die christliche, geeignete Spezialisten in ihren Reihen kennt die auch moderne physikalische und mathematische Entwicklungen praezise mitverfolgen. Da lebt niemand hinter dem Mond.
Wie dies dem Fussvolk verkauft wird ist natuerlich eine andere Angelegenheit.
Gruesse

Knut Hacker
11.08.10, 13:47
Hallo richy,
vielen Dank für deine ausführliche und kompetente Antwort. Wegen eines Trauerfalles kann ich leider im Moment nicht näher darauf eingehen.
Das Grundproblem der heutigen Physikergeneration ist wohl ein revival der "reinen Vernunft", welche die Aufklärung doch "überwunden" hatte (Kant).Die frühe Generation der Quantenphysiker (vor allem Bohr, Heisenberg,Dirac, de Brooglie, Weizsäcker usw) hatten da noch vernunftkritisch gedacht.Auch Gödel kann ja dahin verallgemeinert werden, dass den von der Evolution geprägten Denkvorstellungen die Metaebene fehlt und auch eine solche zu einem unendlichen Progress führen würde (das berühmte Münchhausensyndrom, das ich im Zusammenhang mit meiner Auflistung der verschiedenen Paradoxien behandelt habe).
Zu deiner persönlichen Frage:ich entstamme einer traditionellen Pfarrersfamilie, deren Vorfahren bis auf einen Helfer Martin Luthers bei der Bibelübersetzung zurückverfolgt werden kann. Ich bin aber vor Jahren aus der Kirche ausgetreten aus Gründen, die hier ja nicht interessieren).Näheres in meinem " Profil".

fossilium
18.09.10, 01:46
Hi, Knut,

Du schreibst:


Wenn ich in meinem versetzten Beitrag von "Glaubensfragen" sprach,dann doch nur im erkenntnistheoretischen Zusammenhang der Paradoxien.

Paradoxien stellen für Physiker kein Problem dar. Physiker bauen Modelle der Wirklichkeit. Die sind prall gefüllt mit Paradoxien jeder Art - und noch schlimmer: diese Modelle enthalten vollkommen unverständliches und widersprüchliches Zeug. Kein normaler Mensch würde den darin enthaltenen Unfug ernst nehmen. Das macht aber nichts, solange die mathematische Beschreibung fehlerfrei ist und die Vorhersagen stimmen. Nur darauf kommt es an. Es ist zwar wünschenswert, die mathematische Sprache in die natürliche Sprache zu übersetzen, die Modelle anschaulich und sie auch einem Dritten plausibel zu machen. Notwendig für Vorhersagen ist es nicht. Stimmen die Vorhersagen, ist das Modell das der Wahl, egal was für ein Quatsch da drin steht. Einstein hat Wellen einen Teilchencharakter zugesprochen und für ein solches unverständliches Zeug den Nobelpreis gekriegt.

Mit dieser Methode sind wir also sehr erfolgreich.

Mit unseren Modellen sagen wir nichts, aber auch garnichts aus über die Wirklichkeit. Wir können immer nur sagen: die Wirklichkeit erscheint uns so oder so in unseren Experimenten. In unseren Experimenten fragen wir die Natur: wie bist Du ? Dann gibt sie uns eine Antwort: ich bin einmal so, einmal so, immer anders, Dein Modell stimmt, oder stimmt nicht, und ganz häufig führt sie uns ziemlich übel an der Nase herum und spielt Katz und Maus mit uns. Aber daran haben wir uns gewöhnt: wir haben viel Geduld mit ihr, bauen riesige Maschinen, mit denen wir sie immer weiter weiterbefragen, und mit denen wir unsere Modelle - wie unverständlich sie auch sind - immer weiter verfeinern, auch wenn wir die Antworten der Natur immer weniger verstehen, auch wenn mit denen jede Vernunft auf den Kopf gestellt wird - ja, und wenn mit einem besonders hirnrissigen Modell richtige Vorhersagen gemacht werden, dann ist der Teufel los, und dann wird es für uns besonders interessant. Und wenn wir wieder mal eine Verfeinerungsphase hinter uns haben, prüfen wir die Ergänzungen an Hand der Vorhersagen. Und wenn die Vorhersagen stimmen, dann können wir nur sagen: unser Modell ist gut, es spiegelt die Wirklichkeit im Rahmen gewisser Grenzen einigermaßen oder schon ganz gut, manchmal sogar auf 13 Stellen hinter dem Komma genau wieder. Das ist für Vorhersagen schon echte Sahne. Das muß auch ein Skeptiker zugeben.

Aber selbst wenn wir 13-stellige Genauigkeit haben, können wir nicht sagen: so ist die Wirklichkeit. Da halten wir uns schön raus. Das sollen die Philosophen machen.

Wie die Wirklichkeit wirklich ist, finden wir mit unseren Methoden nicht heraus und das wollen wir auch nicht. Wir wollen nur ein guter Wahrsager sein, der immer richtig liegt. Und dazu arbeiten wir an unseren Modellen.

Also: Paradoxien in unseren Modellen sind kein Problem für uns, es sind unsere liebsten Kinder, mit denen wir herumspielen und von denen wir ständig neue erfinden.

Ist das alles erkenntnistheoretisch Stand des Wissens ?

Gruß
Fossilium

Marco Polo
18.09.10, 02:23
Also: Paradoxien in unseren Modellen sind kein Problem für uns, es sind unsere liebsten Kinder, mit denen wir herumspielen und von denen wir ständig neue erfinden.

Also mit Verlaub, fossilium. Wie kommst du auf die aberwitzige Vorstellung, dass wir (also sagen wir von mir aus mal die Physiker) ständig neue Paradoxien erfinden?

Das ist ja lächerlich. Man sollte auch strikt zwischen einem Paradoxon und einer Paradoxie unterscheiden. Ein Paradoxon ist eine scheinbar zugleich wahre als auch falsche Aussage.

Eine Paradoxie ist die abgeschwächte Form eines Paradoxons, die lediglich dem Erwarteten sozusagen zuwiderläuft.

Mit einem hast du allerdings Recht. Paradoxien sind kein Problem für uns. Sonst wären sie ja auch keine Paradoxie.

Gruss, Marco Polo

Knut Hacker
18.09.10, 19:07
fossilium,
wem sagst du das alles? Mathematik und Physik beschreiben, aber erklären nicht.
Dass etwas ist oder nicht ist oder so ist und nicht anders ist, ist unerklärlich. Und selbst wenn es erklärlich wäre, wäre immer noch unerklärlich, dass es erklärlich ist und dass es so und nicht anders erklärlich ist.Jeder Grund setzt als etwas Seiendes das Sein bereits voraus und kann daher für dieses Sein selbst nicht gelten.


Marco Polo,
sind denn die Ergebnisse der Quantenphysik nicht paradox (insbesondere das Doppelspaltexperiment und die Quantenverschränkung)?Immer noch ist die Kopenhagener Deutung herrschend.Und diese geht von Widersprüchen aus und überbrückt sie durch die komplementäre Betrachtungsweise.

EMI
19.09.10, 02:43
Vorhersagen, ist das Modell das der Wahl, egal was für ein Quatsch da drin steht. Einstein hat Wellen einen Teilchencharakter zugesprochen und für ein solches unverständliches Zeug den Nobelpreis gekriegt.

...die Wirklichkeit erscheint uns so oder so...

Was erdreistest Du dich hier fossilium?:mad:

Wenn für dich die Physik unverständliches Zeug ist, kannst Du diese nicht als Quatsch verunglimpfen!
Unterlass das gefälligst!
Vor allen unterlass es, EINSTEIN damit reinzuziehen, zu besudeln!:mad:

Sei versichert, falls Du das zukünftig wiederholen solltest, erscheint dir die Wirklichkeit!

:mad:EMI:mad:

Auch wenn ich z.Zt. weit weg bin, so eine Frechheit geht mir nicht durch!
So oder so nicht, nicht mal in der Plauderecke.

fossilium
19.09.10, 16:15
Hi Marco Polo, Hi Knut, Hi EMI,

Hi Marco Polo,

zu schreibst:
.... also mit Verlaub, fossilium. Wie kommst du auf die aberwitzige Vorstellung, dass wir (also sagen wir von mir aus mal die Physiker) ständig neue Paradoxien erfinden?

Ich komme deswegen darauf, weil unsere Modelle eben voll sind davon. Nimm mal mal das Atommodell. Was ist da in der Hülle ? Elektronen ? Nach unserer Modellvorstellung sind das Teilchen ohne Ausdehung, "punktförmige" Teilchen. Das ist ein Widerspruch in sich. Was eine "Ladung" ist (als Wesenzug), weiß niemand. Für Chemiker kreisen diese seltsamen Gebilde auf "Schalen" (pds-Schalen), für andere wabert eine Elektronenwolke. Die Ladung "vermittelt" sich durch "Austauschteilchen". Du wirst mir zustimmen, daß ein "normaler" Mensch, der ohne Vorwissen und ohne Kenntnis der Arbeitsweise der Physiker das alles zu Recht als "Stuß" bezeichnen muß.. Asterix hätte gesagt, "die spinnen, die Physiker".

Mit meinem Beitrag habe ich dafür geworben, für Leute, die wie Asterix reden, Verständnis aufzubringen.

Ein bißchen überspritzt ausgesagt, hindert Nicht-Physiker nur der Respekt vor unseren Vorhersagen daran, die Dinge so zu nennen, wie ich das getan habe.
Ich habe sozusagen in meinem Beitrag die Sichtweise dieser Leute eingenommen.

Für uns sind widersprüchliche Begriffe kein Problem, weil wir eine spezielle Denk- und Arbeitsweise haben, und weil wir keine besseren Begriffe finden. Das Wörterbuch, mit dem man die Sprache der Mathematik in normales Deutsch übersetzen kann, hat riesige Lücken. Im mathematischen Formalismus all unserer Modelle zum Beispiel ist Energie eine klare helleuchtende Größe (siehe Feynman-Zitat), und sieh mal in unser letztes Thema, wie schwer es ist, diese ins Deutsch zu übersetzen.

Wir spinnen natürlich überhaupt nicht.

Hi Knut,

Di schreibst:
Mathematik und Physik beschreiben, aber erklären nicht.

Wenn ein Physiker etwas beschreibt, dann sagt er - im laxen Sprachgebrauch - was ist. Das ist normal, aber unüberlegt.

Damit nun kein Philosoph kommen kann, und sagt: "du kannst über die Wirklichkeit, wie sie ist, garnichts aussagen", sage ich: bitte liebe Physiker, stellt klar, daß ihr nur über Eure Modelle redet.

Ich denke mal, daß Dein Beitrag in diesem Forum im Kern u.a. darauf hinweist, daß wir mit unserem Denken unfähig sind, die Wirklichkeit zu erkennen. Mein Beitrag sollt darauf hinweisen, daß wir als Physiker dieses Problem nicht haben. Die Modelle der Physiker sind gigantische Geistegebilde ohne erkennbare Grenzender Logik . Und wie gut wir daran tun, uns keine Grenzen aufzuerlegen, zeigen die Vorhersagen. Oder auf Deutsch: wir dürfen und müssen spinnen, und alle können froh sein, das wir das machen.


Hi EMI,

Du schreibst:
Was erdreistest Du dich hier fossilium?:mad:

Ja, ich liebe es nun mal, mich drastisch, unverblümt und manchmal metaphorisch überspitzt auszudrücken, und halte mich schon sehr zurück. Nimm es einfach als Marotte.


Wenn für dich die Physik unverständliches Zeug ist, kannst Du diese nicht als Quatsch verunglimpfen!

Bitte glaube mir, daß für sehr sehr viele Leute, ja für die allermeisten, das wovon die Physiker reden, unverständliches Zeug ist. Nicht mal so ein simpler Begrif wie Energie wird verstanden, und daher gibt es in den Buchläden mehr Literatur über Esoterik als über Physik. Gefällt Dir das ? Bestimmt nicht.
Leute, die keine vorbegriffliche Erfahrung über unsere Wissensinhalte haben, sehen in uns den Spinner. Neulich wies mich jemand auf den Widerspruch hin, warum ein Lichtteilchen, das keine Masse hat, im Schwerfeld abgelenkt wird. Ich habs versucht ihm zu erklären. Er hat mich nur deswegen nicht als Spinner abgetan, weil ich ihm klarmachen konnte, das es GPS ohne Einsteins Theorie nicht gäbe. So konnte ich ihn überzeugen, daß an meiner Theorie etwas dran sein mußte - und das war das Maximum was ich erreichen konnte.


Vor allen unterlass es, EINSTEIN damit reinzuziehen, zu besudeln!:mad:

Einstein hat erkannt, daß die Energie elektromagnetischer Wellen gequantelt ist. Der innere Widerspruch dieser Entdeckung war ihm bestimmt bewußt. Er hätte gesagt: es ist jedem erlaubt, das unveständlichen Quatsch zu nennen, ich hab Recht, weil meine Vorhersagen stimmen. Die Entdeckung war natürlich eine riesige Geistesleistung und er gehört zu Recht in den Olymp der Physik.

Ich erlaube mir aber, Einstein jederzeit in den Konflikt zwischen der Unerklärlichkeit des Welle Teilchen Dualismus als Naturphänomen und dem problemlosen Behandlung im Rahmen der gängigen Modelle hineinzuziehen udn er hätte nichts dagegen gehabt. Er hat auch noch in anderen Konflikten, zum Beispiel der Interpretation der Quantenmechanik kräftig mitgemischt, sich in diesem Diskurs aber meistens geirrt.

Wir irren leider alle. Knut würde jetzt sagen, das ist wieder mal ein Widerspruch in sich, womit ich mich auch darin wieder geirrt hätte.

Sei versichert, falls Du das zukünftig wiederholen solltest, erscheint dir die Wirklichkeit!

Die Wirklichkeit erscheint mir jeden Tag.

:mad:EMI:mad:

Auch wenn ich z.Zt. weit weg bin, so eine Frechheit geht mir nicht durch!
So oder so nicht, nicht mal in der Plauderecke.

Es liegt mit fern, Dich in irgendeiner Weise anzugreifen. Hab ich auch nnicht getan. Oder auch nur den Berufsstand des Physikers in Frage zu stellen (siehe oben). Knut hat in seinem Beitrag gezeigt, daß unser Denken beschränkt ist. Das hat er viel netter gemacht, als ich das mit meinen drastischen Worten könnte. Ich wollte zeigen, wie Recht er hat, wenn man sich unsere Welterklärung von außen - mit normalem Verstand - ansieht. Aber eben nicht, wenn man sich unsere Modelle ansieht. Darin ist alles erlaubt, und gut so.

Ich hoffe Du kannst mich auch weiterhin ertragen.

Grüße
Fosslium

Knut Hacker
19.09.10, 16:26
Ich bin in meinem letzten Beitrag auf Schrödingers Katze zu sprechen gekommen.
Hier die Sensation: Die Doppelnatur von Schrödingers Katze ist nunmehr gelöst!
http://www.youtube.com/watch?v=E1nitToppnU&feature=related