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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode


Bauhof
08.04.15, 13:50
Hallo zusammen,

im Artikel Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode (http://www.spektrum.de/news/frontalangriff-auf-die-wissenschaftliche-methode/1340690?etcc_cmp=SDW&etcc_med=Newsletter&fb=Heute&etcc_tar=Brand&utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-daily&utm_content=heute)befürchten die Autoren George Ellis und Joe Silk, dass die wissenschaftliche Methode auf dem Spiel steht. Die Autoren schlagen vor, bestimmte Theorien nicht mehr als wissenschaftlich zu bezeichnen und zitieren dabei Karl Popper. Zum Beispiel sehen sie diese Theorien als unwissenschaftlich an:

String-Theorie, inflationäres Universum, Multiversumtheorie, Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik...

Die Autoren schreiben dazu:
Aus unserer Sicht lässt sich das Problem auf die Klärung einer Frage reduzieren: Welche möglichen Indizien ließen sich anhand von Beobachtungen oder Experimenten auffinden und würden einen davon überzeugen, dass eine Theorie falsch ist und man sie aufgeben muss? Wenn es keine gibt, handelt es sich um keine wissenschaftliche Theorie.
[...]
Bis dahin könnten die Herausgeber und Verleger von Zeitschriften spekulative Forschungsarbeiten unter anderen Kategorien einsortieren – etwa unter mathematischer anstatt physikalischer Kosmologie, abhängig von der möglichen Überprüfbarkeit. Auch die Vorherrschaft solcher Aktivitäten an manchen physikalischen Fakultäten und Instituten könnte überdacht werden. Mit dem Titel "wissenschaftlich" darf sich eine Theorie nur dann schmücken, wenn sie überprüfbar ist. Nur so können wir die Wissenschaft vor Angriffen schützen.

Ich denke das macht Sinn. Was meint Ihr dazu?

M.f.G Eugen Bauhof

Hawkwind
08.04.15, 14:40
Hallo zusammen,

im Artikel Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode (http://www.spektrum.de/news/frontalangriff-auf-die-wissenschaftliche-methode/1340690?etcc_cmp=SDW&etcc_med=Newsletter&fb=Heute&etcc_tar=Brand&utm_medium=newsletter&utm_source=sdw-nl&utm_campaign=sdw-nl-daily&utm_content=heute)befürchten die Autoren George Ellis und Joe Silk, dass die wissenschaftliche Methode auf dem Spiel steht. Die Autoren schlagen vor, bestimmte Theorien nicht mehr als wissenschaftlich zu bezeichnen und zitieren dabei Karl Popper. Zum Beispiel sehen sie diese Theorien als unwissenschaftlich an:

String-Theorie, inflationäres Universum, Multiversumtheorie, Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik...

Die Autoren schreiben dazu:


Ich denke das macht Sinn. Was meint Ihr dazu?

M.f.G Eugen Bauhof

Eine Theorie sollte aus testbaren Hypothesen bestehen; das ist sicher richtig. Was die erwähnten Theorien angeht, ist das aber nicht so einfach, fürchte ich. Teils scheitert die Überprüfbarkeit derzeit an technischen Problemen: hohe Energien, die (noch) nicht zulänglich etc.. Teils haben die Theorien schon prinzipiell überprüfbare, numerische Vorhersagen, sind aber aufgrund einer hohen Anzahl freier Parameter sehr flexibel und anpassungsfähig. Das ist m.E. eh nicht das, was man von einer fundamentalen Theorie wirklich erwartet, aber das macht sie nicht unwissenschaftlich!?

Aber ich weiss nicht, wo man da eine Grenze ziehen will: wann ist eine Theorie "zu flexibel"?

Ob die Vielen-Welten da mit reingehören? Ist ja eher eine "Interpretation" als eine "Theorie"; die Theorie dazu mit ihren numerischen Vorhersagen wäre die Quantenmechanik.

TomS
09.04.15, 07:43
Aber ich weiss nicht, wo man da eine Grenze ziehen will: wann ist eine Theorie "zu flexibel"?

Ob die Vielen-Welten da mit reingehören? Ist ja eher eine "Interpretation" als eine "Theorie"; die Theorie dazu mit ihren numerischen Vorhersagen wäre die Quantenmechanik.
Ich halte die grundsätzliche Kritik für berechtigt.

Tatsächlich ist es doch so, dass mangels Alternativen oder Experimenten Theorien inzwischen nicht mehr bestätigt oder widerlegt sondern "geglaubt" oder "nicht geglaubt" werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der für eine gewisse Zeit - als Hypothese - seine Berechtigung hat, nicht jedoch das Ziel sein darf.

Allerdings halte ich die Zusammenfasung der verschiedenen theoretischen Ansätze für wenig differenziert. Am einen Ende steht für mich die Stringtheorie, die noch nicht mal eine einheitliche, geschweige denn elegante Theorie darstellt, sondern eine Ansammlung von Wissen, Vermutungen, Beziehungen, Varianten, "anything goes", ... ohne durchgängige mathematische Fundierung. Am anderen Ende steht für mich die Everettsche Interpretation, die sich von der orthodoxen Interpretation ausschließlich durch ein einziges Axiom unterscheidet, nämlich durch den Verzicht auf das Projektionspostulat (Bornsche Regel), und die ansonsten ausschließlich auf der Interpretationsebene abweicht.

Am einfachsten versteht man die Unterschiede, wenn man die jeweils involvierten Physiker befragt, was denn zur Vervollständigung der Theorie noch fehlt. Im Falle der Stringtheorie wird man Hunderte verschiedener Antworten erhalten. Im Falle der Everettschen Interpretation vermutlich gerade mal end Handvoll.

D.h. wir haben es mit unterschiedlichen "Reifegraden" zu tun. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass eine Hypothese solange eine Hypothese bleibt, bis sie experimentell geprüft ist. Daran sollte niemand rütteln.

(ich halte es für ein starkes Stück, zu welchen Verzeiflungsakten man fähig ist, um Fehler nicht zugeben zu müssen; als Physiker bin ich teilweise über die Argumente entsetzt; als Mensch bin ich froh, dass diese Kollegen nur physikalische Forschungsprogramme verantworten ...)

Joachim
16.04.15, 16:35
Ich kann irgendwie nicht ganz nachvollziehen, was an dieser Debatte neu und spannend sein soll. Dass die Viele-Welten-Interpretation keine eigenständige Theorie ist, dass String-Theorien und Quantengravitation zum Teil in experimentell unzugänglichen Energiebereichen spielen, dass Multiversen nicht beobachtbar sind, ist doch alles hinreichend bekannt. Auch den Wissenschaftlern, die sich mit diesen Interpretationen, Theorien und Hypothesen beschäftigen.

Klar kann man fordern, dieses Gebiet nicht mehr zur Physik zu zählen. Aber wozu dann? Präphysik, weil sich daraus vielleicht einmal physikalische Theorien entwickeln werden?

Solange es Freiheit von Forschung und Lehre gibt und sich Professor/innen finden, die sich für diese Gebiete interessieren, wird auch auf ihnen gearbeitet werden.

Gruß,
Joachim

Bauhof
16.04.15, 17:48
Ich kann irgendwie nicht ganz nachvollziehen, was an dieser Debatte neu und spannend sein soll. Dass die Viele-Welten-Interpretation keine eigenständige Theorie ist, dass String-Theorien und Quantengravitation zum Teil in experimentell unzugänglichen Energiebereichen spielen, dass Multiversen nicht beobachtbar sind, ist doch alles hinreichend bekannt. Auch den Wissenschaftlern, die sich mit diesen Interpretationen, Theorien und Hypothesen beschäftigen.

Klar kann man fordern, dieses Gebiet nicht mehr zur Physik zu zählen. Aber wozu dann? Präphysik, weil sich daraus vielleicht einmal physikalische Theorien entwickeln werden?

Solange es Freiheit von Forschung und Lehre gibt und sich Professor/innen finden, die sich für diese Gebiete interessieren, wird auch auf ihnen gearbeitet werden.

Gruß,
Joachim

Hallo Joachim,

für Deutschland magst du mit deiner Einlassung recht haben. Aber für die USA ist das anders. Dort betrachtet die Mehrheit die Naturwissenschaft nur als eine weitere Form des Glaubens. Es gibt in den USA sogar eine Anti-Wissenschaftsbewegung. Daher ist es wichtig, dass die Naturwissenschaft unangreifbar bleibt. Das scheint mir die Motivation der Autoren George Ellis und Joe Silk gewesen zu sein.

Zu dieser Anti-Wissenschaftsbewegung in den USA schreibt Prof. Gerald Holton, Harvard University Cambridge, USA auf Seite 172 seines Buches [1] folgendes:

Ebenso unklar sind die Ursachen einer der Voraussetzungen für das Entstehen dieser falschen Ideen (der Anti-Wissenschaftsbewegung), nämlich des wissenschaftlichen Analphabetismus, der in den Vereinigten Staaten grassiert. Zu diesem Thema jedoch existiert umfangreiche Literatur, wir müssen hier nur auf einen Bericht des wissenschaftlichen Beraters des Präsidenten an den Kongress verweisen. Die wissenschaftliche Bildung der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten hat heute ein Niveau erreicht, bei dem in einer Umfrage die Hälfte der befragten Erwachsenen nicht wusste, dass die Erde ein Jahr benötigt, um die Sonne zu umkreisen.

Wie wir aus anderen Untersuchungen wissen, können weniger als 7 Prozent der Erwachsenen in den USA nach einer äußerst großzügigen Definition als wissenschaftlich gebildet betrachtet werden, nur 13 Prozent verfügen zumindest über ein Minimum an Verständnis für wissenschaftliche Vorgänge, und 40 Prozent stimmen NICHT mit der Aussage überein "die Astrologie ist ganz und gar nicht wissenschaftlich".

Vor allem ist der Lehrberuf ein Beruf in der Krise. Für jeden neuen Lehrer in Mathematik und Naturwissenschaften verlieren wir heute dreizehn. Die Mindeststandards, die für die Kursvorbereitungen in den High Schools festgelegt wurden, können nur von einem Prozentsatz der Lehrer eingehalten werden: von 29 Prozent in Biologie, 31 Prozent in Chemie, 12 Prozent in Physik.

Bezeichnenderweise werden in nahezu 30 Prozent der High Schools in den USA Physikkurse nicht einmal angeboten, und nur 20 Prozent der Highschoolabsolventen haben irgendwelche Physikkurse besucht. In den jüngsten internationalen Wettbewerben in wissenschaftlichen Fächern im Vergleich mit Studenten 12 anderer Länder, haben die amerikanischen Highschoolstudenten den 9. Platz in Physik, den 11. Platz in Chemie und den letzten Platz in Biologie erreicht.

In Mathematik waren die besten 13 Prozent im Vergleich so gut wie die schlechtesten 25 Prozent der anderen Länder.

[...]

Etwa ein Drittel der amerikanischen Erwachsenen, ein großer Teil unter ihnen gehört evangelischen Sekten an, gibt heute an, ein "wiedergeborener" Gläubiger zu sein; Mehr als die Hälfte glaubt an die Möglichkeit, daß durch Gebet täglich Wunder geschehen können; 60 Prozent sagen, daß sie an die Existenz der Hölle für die ewig Verdammten glauben. Und die finanzielle Unterstützung, die jährlich in Form von privaten Spenden an religiöse Organisationen geleistet wird, beläuft sich derzeit auf weit über 75 Milliarden US-Dollar.

M.f.G. Eugen Bauhof

[1] Holton, Gerald
Wissenschaft und Anti-Wissenschaft.
Wien 2000, ISBN=3-211-83245-9

Originalausgabe:
"Science and Anti-Science"
Published by Harvard University Press 1993

TomS
16.04.15, 22:29
Ich kann irgendwie nicht ganz nachvollziehen, was an dieser Debatte neu und spannend sein soll.
Neu an der Diskussion ist nicht, dass gewisse Theorien bzgl. der experimentellen Überprüfbarkeit problematisch sind; neu ist, dass stattdessen die Standards bzgl. der Überprüfbarkeit "modifiziert" werden sollen.

Wenn unsere Lebensmittel nicht mehr pestizidfrei sind, dann ändern wir die Verbraucherschutzgesetze, oder wie?

Dass die Viele-Welten-Interpretation keine eigenständige Theorie ist,
Die VWI ist bzgl. bestimmter Aspekte durchaus nicht vollständig äquivalent (aber das ist ein anderes Thema)

... dass String-Theorien und Quantengravitation zum Teil in experimentell unzugänglichen Energiebereichen spielen, ...
Das Problem ist weniger die praktische als die prinzipielle Nicht-Überprüfbarkeit einer Theorie.

Auch den Wissenschaftlern, die sich mit diesen Interpretationen, Theorien und Hypothesen beschäftigen
Durchaus nicht allen - siehe den Beitrag von Bauhof.

Präphysik, weil sich daraus vielleicht einmal physikalische Theorien entwickeln werden?
Das Problem ist, dass der Begriff Theorie unsauber verendet wird. Eine physikalische Theorie kann z.B. eine präzise formulierte, etablierte, 'zig-fach überprüfte Theorie ein, Bsp. Quantenmechanik. Oder eben das krasse Gegenteil, Bsp. Stringtheorie. Letzteres sollte "Hypothese" genannt werden.

Solange es Freiheit von Forschung und Lehre gibt und sich Professor/innen finden, die sich für diese Gebiete interessieren, wird auch auf ihnen gearbeitet werden.
Es geht nicht darum, nicht mehr daran zu arbeiten. Es geht um eine ehrliche Bestandsaufnahme. Wenn eine wissenschaftliche Community die Fähigkeit zur Selbstkritik verliert, hört sie auf, wissenschaftlich zu arbeiten.

Joachim
17.04.15, 13:25
Wenn unsere Lebensmittel nicht mehr pestizidfrei sind, dann ändern wir die Verbraucherschutzgesetze, oder wie?


Jetzt habe ich gleich am Anfang den Faden verloren. Worum geht es?

TomS
17.04.15, 20:08
Es geht darum, dass es unlauter ist, die Standards zu ändern, wenn man sie nicht erfüllen kann.

TheoC
18.04.15, 14:04
Hi

ich denke das es klare begriffliche Abgrenzung geben muss, und hier keine ausreichende wissenschaftstheoretische Klarheit hergestellt ist.

Eventuell greift aber die Unterscheidung zwischen Hypothese und Theorie zu "kurz".

Es gibt aus meiner Sicht Theorien die mit aktuellen Experimenten "bewiesen" sind, zumindest bis keiner kommt und einen Gegenbeweis antritt. Das sind die aktuellen, anerkannten Theorien wie ART und das Standardmodell.
= PHYSIKALISCHE THEORIE


Es gibt Hypothesen die ein Erklärungsmodell liefern, aber grundsätzlich nicht beweisbar sind. Dazu gehört aus meiner Sicht VWI, Multiversum und ähnliche Modelle. Die sind so zusagen "Erklärungsmodelle" ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Die Frage ist, ob das denn überhaupt physikalische Hypothesen sind, oder nicht einfach philosophische Modelle die mit der Physik gedanklich nicht im Widerspruch stehen. Imho sind das keine Aufgaben der Disziplin Physik. Nicht Beweisbar, keine zusätzlichen Erkenntnisse ist zu wenig. Nur die Aussage "nicht im Widerspruch" mit einem mathematischen Modell reicht wohl noch nicht aus für den Titel "Theorie oder Hyphotese".
= PHILOSOPHISCHE PHYSIKALISCHE ERKLÄRUNG


Eine physikalische Hypothesen muss imho grundsätzlich verifiziert oder falsifiziert werden können, wenn auch noch nicht jetzt. War sozusagen die ART oder die QED vor dem ersten Beweis.
= PHYSIKALISCHE HYPOTHESE

Und dann gibt es so was wie die Stringtheorie, die imho noch eine andere Kategorie darstellt.

Nachdem es meines Wissens theoretisch möglich wäre, dass aus der Stringtheorie (wenn wer "wüsste" man die 11 Dimensionen richtig reduziert) Eigenschaften abgeleitet werden können (zB Basiseigenschaften von Elementarteilchen) die aus den momentanen Theorien NICHT abgeleitet werden können (sondern gemessen werden müssen) ist das eine Ding zwischen physikalischer Theorie und physikalischer Hypothese.
= HIER FEHLT DER KORREKTE BEGRIFF

Somit fehlt hier ein zusätzlicher Begriff für eine phsyikalische Theorie-Hypothese die zwar nie direkt beweisbar ist, aber neue Erkenntnisse liefern kann.

Wenn die "Stringtheorie" ein solches Potenzial hat (was ich nicht beurteilen kann, aber von diversen Stringtheoretikern behauptet wird) dann wäre diese eine dritte "wissenschaftliche physikalische" Sache zwischen einer Theorie und einer Hypothese. Etwas was zu neuer Erkenntnis führt, und trotzdem nicht direkt bewisen werden kann.

Ob die Berechnung (entspricht ja auch einer Vorhersage) von solchen Eigenschaften theoretisch möglich ist, wäre aus meiner Sicht ein Möglichkeit zu Beurteilen ob das der Disziplin Physik, oder Philosophie zuzuordnen ist. (und somit wohl auch aus dieser Ecke zu finanzieren wäre).

Ich wage allerdings zu bezweifeln ob die Phiosophen die Stringtheoretiker aufnehmen, wenn die Physiker sie verstossen :) .

Frage: Gibt es plausible Gründe annehmen zu können, das mit einer Stringtheorie solche zusätzlichen Erkenntnisse möglich sind?


lg
Theo

Bauhof
18.04.15, 16:03
Hi
Eventuell greift aber die Unterscheidung zwischen Hypothese und Theorie zu "kurz".

Hallo TheoC,

das denke ich nicht. Ganz einfach ausgedrückt: Unwissenschaftlich ist eine Theorie, die durch kein denkbares Ereignis widerlegt werden kann. Ich meine, es genügt, wenn sich die Naturwissenschaftler an die Maxime halten, die Karl Popper vor langer Zeit aufgestellt hat. Er schreibt auf Seite 51 seines Buches [1] folgendes:

(1) Für fast jede Theorie kann man leicht Bestätigungen oder Verifikationen finden; nämlich dann, wenn man nach Bestätigungen sucht.

(2) Deshalb sollten Bestätigungen nur dann ernst genommen werden, wenn sie das Resultat riskanter Vorhersagen sind, das heißt dann, wenn wir ohne Kenntnis der betreffenden Theorie ein Ereignis erwartet hätten, das mit der Theorie unvereinbar ist: ein Ereignis also, dessen Eintreffen die Theorie widerlegen würde.

(3) Jede gute wissenschaftliche Theorie ist ein Verbot; sie verbietet das Eintreten gewisser Ereignisse. Je mehr eine Theorie verbietet, desto besser ist sie.

(4) Eine Theorie, die durch kein denkbares Ereignis widerlegt werden kann, ist unwissenschaftlich. Unwiderlegbarkeit ist nicht, wie oft angenommen wird, eine Stärke einer Theorie, sondern eine Schwäche.

(5) Jede echte Überprüfung einer Theorie ist ein Versuch, sie zu falsifizieren, zu widerlegen. Prüfbarkeit ist Falsifizierbarkeit, aber es gibt Grade der Prüfbarkeit: Manche Theorien sind prüfbarer, mehr der Widerlegung ausgesetzt, als andere; sie laufen sozusagen ein höheres Risiko.

(6) Bestätigende Beobachtungen sollten nur dann zählen, wenn sie das Resultat echter Überprüfungen der Theorie sind; das heißt, wenn man sie als ernstgemeinte, aber missglückte Widerlegungsversuche ansehen kann. (In solchen Fällen spreche ich von Bewährung, bewährenden Beobachtungen oder bewährenden Fällen.)

[...]

Denn nur durch die Suche nach Widerlegungen kann die Wissenschaft hoffen, zu lernen und Fortschritte zu machen. Nur indem sie in Betracht zieht, wie ihre verschiedenen Theorien Prüfungen bestehen, kann sie zwischen besseren und schlechteren Theorien unterscheiden und auf diese Weise ein Kriterium des Fortschritts finden.

M.f.G. Eugen Bauhof

[1] Popper, Karl R.
Vermutungen und Widerlegungen.
Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis.
Teilband I: Vermutungen.
Tübingen 1994. ISBN=3-16-944809-9

TomS
18.04.15, 16:44
Dummerweise führen wir diese (sehr interessante) Diskussion jetzt in zwei Threads parallel.

Zu TheoC weitgehende - aber nicht vollständige - Zustimmung.

Die Stringtheorie ist heute noch nicht mathematisch fundiert. Im Gegensatz zu anderen Hypothesen (z.B. Supersymmetrie, Schleifenquantengravitation) existiert kein fundamentaler Satz von Axiomen, Definitionen oder Gleichungen, von denen man behaupten könne, das diese die Stringtheorie definieren. Die Stringtheorie ist außerdem eher eine Metatheorie oder ein Konstruktionsprinzip für Theorien, wie z.B. "die Eichtheorie".

Das Multiversum und die Viele-Welten-Intepretation der QM haben gemein, dass sie prinzipiell nicht-beobachtbare Entitäten enthalten. Ansonsten haben sie letztlich nichts gemeinsam!

Das Multiversum ist eine Kosnequenz aus der Hypothese der "ewigen Inflation".

Die Viele-Welten-Interpretation ist dagegen keine Interpretation der QM im eigentlichen Sinn, sondern eine mathematische inäquivalente Variante der QM, also letztlich eine eigenständige Theorie! Die VWI verzichtet auf ein Axiom der orthodoxen QM (Projektionspostulat, Bornsche Regel); und sie ist damit physikalisch inäquivalent, denn sie postuliert dass die unitäre Zeitentwicklung immer gilt, während die orthodoxe QM behauptet, diese gelte nicht für Messprozesse.

TomS
18.04.15, 16:54
Die wesentliche Erkenntnis der Stringtheorie ist, dass sie (möglicherweise!) auf Prinzipien oder Axiomen beruht (die man heute noch nicht kennt), aus denen eine Konstruktionsvorschrift supersymmetrischer Eichtheorien einschließlich der Gravitation folgt, wobei diese nicht wie im Standatdmodell unverbunden nebeneinander stehen, sondern sozusagen aus den Lösungen der Theorie selbst folgen.

In etwa wäre das vergleichbar mit dem Standardmodell, aus dem die Existenz verschiedener Materieformen folgt (Wasser, Eisen, Plasma, ein Neutronenster, Schweinebraten, ...). Die Stringtheorie ist jedoch noch nicht weit genug entwickelt, um diese Schlussfolgerung beweisen zu können.

RoKo
18.04.15, 18:41
Hallo TomS,

..
Die Viele-Welten-Interpretation ist dagegen keine Interpretation der QM im eigentlichen Sinn, sondern eine mathematische inäquivalente Variante der QM, also letztlich eine eigenständige Theorie! Die VWI verzichtet auf ein Axiom der orthodoxen QM (Projektionspostulat, Bornsche Regel); und sie ist damit physikalisch inäquivalent, denn sie postuliert dass die unitäre Zeitentwicklung immer gilt, während die orthodoxe QM behauptet, diese gelte nicht für Messprozesse.

Durch den Verzicht auf die Bornsche Regel vezichtet man jedoch zugleich auf den empirischen Erfolg der QM. Solange sich die Bornsche Regel nicht als Theorem aus den verbliebenen Axiomen ergibt, steht die VWI wissenschaftstheoretisch auf tönernen Füssen.

M.E. könnte man es mal mit einem weniger strittigen 4.Axiom:
"Es gelten die Erhaltungssätze für Energie und Ladung" versuchen.

Bauhof
18.04.15, 20:12
Dummerweise führen wir diese (sehr interessante) Diskussion jetzt in zwei Threads parallel.

Hallo TomS,

ich kann die Moderatoren bitten, beide Threads zusammenzuführen. Mein Vorschlag:

Den Thread "Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode" zum Unterforum "Wissenschaftstheorie" verschieben und dann danach alle Beiträge des Threads "Theorien und der Umgang mit fehlender experimenteller Bestätigung" in den Thread "Frontalangriff..." kopieren.

Einverstanden?

M.f.G. Eugen Bauhof

Joachim
19.04.15, 08:05
Ich sehe es genau anders herum. Dashalb hatte ich den neuen Thread begonnen. Das hier angesprochene Thema hat viele Aspekte, die unabhängige Aufmerksamkeit verdienen:

Die sprachliche Frage, wie die Begriffe Theorie, Hpothese, Vermutung abzugrenzen sind. Und ob es überhaupt nötig ist, klare Grenzen festzulegen.
Der Forschungspolitische Aspekt: Um Finanzierung zu bekommen, müssen Forscher ihr Fachgebiet motivieren. Dazu gehört es auch, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und mögliche Nutzen in der Zukunft zu schildern. Haben die Vertreter der Stringtheorien hier zu viel versprochen?
Die Inhaltlichen Aspekte: Über jede einzelne der hier kurz erwähnten Hypothesen, Interpretationen und Theorien ließe sich einiges Sagen.
Die Erkenntnistheorie: Wie kommt man auf physikalische Theorien und ist der Aspekt der mathematischen Eleganz eine vernünftige Forderung?


Es tut mir Leid, wenn mein neues Thema verwirrt hat. Aber es reicht doch, es einfach einschlafen zu lassen, wenn wir zur Erkenntnistheorie nichts zu diskutieren haben.

Gruß,
Joachim

TomS
19.04.15, 08:33
ok, folgen wir Joachim

TomS
19.04.15, 08:39
Durch den Verzicht auf die Bornsche Regel vezichtet man jedoch zugleich auf den empirischen Erfolg der QM. Solange sich die Bornsche Regel nicht als Theorem aus den verbliebenen Axiomen ergibt, steht die VWI wissenschaftstheoretisch auf tönernen Füssen.
Nein, das tut sie nicht, jedenfalls nicht mehr, als die orthodoxe QM.

Zunächst mal ist sie VWI solange völlig äquivalent, solange kein Kollaps erfolgt bzw. keine "Verzweigung" eintritt. Im Zuge einer Messung muss die orthodoxe QM zwei Dinge tun: sie muss "Messung" definieren, und zwar in Abgrenzung zur "normalen Wechselwirkung gemäß den Regeln der QM" - was sie nicht kann! und sie muss da hoc ein neues Postulat einführen. Die VWI muss die Bornsche Regel als Theorem ableiten.

Ich denke nicht, dass die VWI offensichtlich schlechter da steht. Es gibt einige Hinweise, dass diese Ableitung als Theorem gelingen könnte. Zunächst mal ist da Gleason's Theorem, das besagt, dass auf einem Hilbertraum genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß existieren kann, und zwar genau die Bornsche Regel. Dann gibt es einige Behauptungen, die Bornsche Regel bewiesen zu haben, die jedoch nicht unstrittig sind.

M.E. könnte man es mal mit einem weniger strittigen 4.Axiom:
"Es gelten die Erhaltungssätze für Energie und Ladung" versuchen.
Ich kenne das nicht als Axiom. Erhaltungssätze folgen aus dem Noether-Theorem.

TomS
19.04.15, 08:50
Ich sehe es genau anders herum. Dashalb hatte ich den neuen Thread begonnen. Das hier angesprochene Thema hat viele Aspekte, die unabhängige Aufmerksamkeit verdienen:

Die sprachliche Frage, wie die Begriffe Theorie, Hpothese, Vermutung abzugrenzen sind. Und ob es überhaupt nötig ist, klare Grenzen festzulegen.
Der Forschungspolitische Aspekt: Um Finanzierung zu bekommen, müssen Forscher ihr Fachgebiet motivieren. Dazu gehört es auch, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und mögliche Nutzen in der Zukunft zu schildern. Haben die Vertreter der Stringtheorien hier zu viel versprochen?
Die Inhaltlichen Aspekte: Über jede einzelne der hier kurz erwähnten Hypothesen, Interpretationen und Theorien ließe sich einiges Sagen.
Die Erkenntnistheorie: Wie kommt man auf physikalische Theorien und ist der Aspekt der mathematischen Eleganz eine vernünftige Forderung?

Ganz unwichtig ist der erste Punkt nicht. Es sollte schon klar sein, dass "Theorie" im Kontext Quantentheorie und im Kontext Stringtheorie etwas anderes bedeutet. Es gibt wohl keine exakt definierbaren Grenzen.

Der letzte Punkt ist interesant. Wege zu Theorien sind vielfältig, und mathematische Eleganz ist sicher nur eine Leitlinie. Zunächst glaubt die Physik an eine mathematische Naturbeschreibung. Ob jetzt elegant oder nicht ist nur noch ein untergeordneter Aspekt. Der Punkt ist: für die Stringtheorie existiert noch gar keine Formulierung, die die Theorie präzise definiert. Und das, was ich sehe, ist keineswegs elegant. Die Stringtheorie wird damit ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht.

Joachim
19.04.15, 11:41
Ja, keine Frage: Was alles in der Physik als Theorie durchgeht ist ein weites Feld. Und die Bezeichnungen sind immer auch historisch gewachsen. Es gibt ja einfach kein Gremium, das die Bezeichnungen festlegt. Die Stringtheorie heißt so, weil Anfangs die Hoffnung bestand, aus diesem Ansatz schnell eine Brauchbare Grand Unified Theory zu bekommen. Diese Hoffnung wurde enttäuscht, da sind wir uns wohl alle einig.

Wir haben es ja auch in anderen Bereichen mit unpassenden Bezeichnungen zu tun: Das Zwillingsparadoxon ist kein Paradoxon. Das Ohmsche Gesetz ist kein Gesetz. Radioaktive Strahlung ist nicht radioaktiv. Natürlich kann man versucht, hier gegenzulenken, indem man konsequent andere Bezeichnungen verwendet. Dazu braucht es Geduld und einflussreiche Kanäle. Letztlich entscheide ich mich meist, gebräuchliche Bezeichnungen zu benutzen auch wenn sie nicht korrekt sind. Einfach weil ich dann sofort verstanden werde.

Mir macht der Vorschlag, Stringhypothese statt Stringtheorie zu sagen, vor allem deshalb Bauchschmerzen, weil ich unter Stringhypothese etwas anderes verstehen würde. Nämlich die Hypothese, dass Elementarteilchen durch eindimensionale, vibrierende Strings darstellbar sind. Die Stringtheoretiker arbeiten aber an etwas anderes, nämlich an einer mathematisch formulierten Theorie, die auf (unter anderem) dieser Hypothese aufbaut.

Marco Polo
19.04.15, 11:57
Das Zwillingsparadoxon ist kein Paradoxon

Genau. Es ist lediglich eine Paradoxie. Weil aber viele nicht zwischen Paradoxon und Paradoxie unterscheiden können und sich in diesam Zusammenhang der Begriff "Paradoxon" quasi eingebürgert hat, ist es dann vielleicht sogar wirklich besser, von "Paradoxon" zu sprechen.

Du schriebst ja:

Letztlich entscheide ich mich meist, gebräuchliche Bezeichnungen zu benutzen auch wenn sie nicht korrekt sind. Einfach weil ich dann sofort verstanden werde.

TomS
19.04.15, 12:19
Joachim, weitgehende Zustimmung, auch zur Stringhypothese.

TomS
19.04.15, 12:56
Hier zwei interessante Quellen von absoluten Experten.

******

Ich verfolge seit Jahren die jährlichen String-Konferenzen. 2009 hat David Gross, einer der maßgeblichen Forscher auf dem Gebiet der Stringtheorie, einen Plenarvortrag zu Status und offenen Punkten gehalten. Der Vortrag ist einigermaßen kritisch bzgl. des Forschungsgebietes und für mich ein Meilenstein.

http://strings2009.roma2.infn.it/talks/Gross_Strings09.pdf
http://www.ift.uam.es/strings07/040_scientific07_contents/transparences/gross.pdf

Die wesentlichen Punkte:

WHAT IS STRING THEORY?
This is a strange question since we clearly know what string theory is to the extent that we can construct the theory and calculate some of its properties. However our construction of the theory has proceeded in an ad hoc fashion, often producing, for apparently mysterious reasons, structures that appear miraculous. It is evident that we are far from fully understanding the deep symmetries and physical principles that must underlie these theories. It is hoped that the recent efforts to construct covariant second quantized string field theories will shed light on this crucial question.

We still do not understand what string theory is.
We do not have a formulation of the dynamical principle behind ST. All we have is a vast array of dual formulations, most of which are defined by methods for constructing consistent semiclassical (perturbative) expansions about a given background (classical solution).

What is the fundamental formulation of string theory?

WHAT IS MISSING ?
Perhaps “String theory” is like quantum field theory - a framework and not a definitive theory.
Perhaps we are missing a fundamentally new principle of symmetry, of dynamics, of consistency, .... that leads to a unique solution --- not a “vacuum” but a space-time, a cosmology.


******

Dann gibt es eine sehr empfehlenswerte Webseite von Urs Schreiber, auf der auch kritische Aussagen zum ggw. Status zu finden sind.

http://ncatlab.org/nlab/show/string+theory+FAQ#HowDoesStringTheoryMakePredictio ns

Die wesentlichen Kritikpunkte:

While the string perturbation series is a well-defined expression analogous to the Feynman perturbation series, by itself it lacks a conceptual property of the latter: the Feynman perturbation series is known, in principle, to be the approximation to "something", namely to the corresponding complete hence non-perturbative quantum field theory. The idea is that the string perturbation series is similarly the approximation to something, to something which would then be called non-perturbative string theory, but that something has not been identified.

...

Therefore if the qualification “perturbative”/“non-perturbative” is suppressed, then the term “string theory” is quite ambiguous and has frequently led to misunderstanding. Perturbative string theory is a well defined and formally suggestive variant of established perturbation theory in QFT. Non-Perturbative string theory on the other hand is a hypothetical refinement of this perturbative theory of which there are maybe some hints, but which by and large remains mysterious, if it exists at all.

...

There are various hints ... that all perturbative superstring theories ... have a joint strong coupling non-perturbative limit whose low energy effective field theory description is 11-dimensional supergravity and which reduces to the various string theories by Kaluza-Klein compactification on an orientifold torus bundle, followed by various string dualities. Since the string itself is thought to arise from a membrane/M2-brane in 11-dimensions after double dimensional reduction this hypothetical theory has been called “M-theory” short for “membrane theory”; e.g. in Hořava-Witten 95:

"As it has been proposed that the eleven-dimensional theory is a supermembrane theory but there are some reasons to doubt that interpretation, we will non-committally call it the M-theory, leaving to the future the relation of M to membranes."

The “reasons to doubt” that interpretation is that the M2-brane certainly does not support a perturbation theory the way that the superstring does. This is part of the reason why the actual nature of “M-theory” remains mysterious.

...

As mentioned before, there is the idea that perturbative string theory is indeed the perturbative approximation to an as-yet unknown non-perturbative string theory. To the extent that this is true, the dependence of the string perturbation series on the choice of “background” should be of the same superficial nature as it is for traditional perturbative QFT. But this remains a conjecture.

(Hervorhebungen von mir)

******

Im Folgenden einige Stichpunkte zu meinem ggw. Verständnis der Theorie

Kritik:
- hintergrundabhängig (*)
- nicht für beliebige (insbs. dynamische) Raumzeiten formulierbar
- ggw. nicht fundamental und umfassend formulierbar
- fundamentale Freiheitsgrade nicht bekannt (es gibt nicht "den String")
- evtl. handelt es sich um keine fundamentale sondern eine "effektive" Theorie
(*) siehe jedoch AdS/CFT; jedoch nicht vollumfänglich, sondern nur in Spezial- / Grenzfällen; insbs. nicht für dS und andere Geometrien

Erkenntnis:
- keine einzelne Theorie, sondern ein Konstruktionsprinzip bzw. Meta-Theorie
- enthält die Gravitation
- statt eines Zoos von Theorien folgt eher ein Zoo von Lösungen (Landscape **)
(**) evtl. wie verschiedene Lösungen des Standardmodells

RoKo
19.04.15, 14:50
Hallo TomS,
M.E. könnte man es mal mit einem weniger strittigen 4.Axiom:
"Es gelten die Erhaltungssätze für Energie und Ladung" versuchen.
..Ich kenne das nicht als Axiom. Erhaltungssätze folgen aus dem Noether-Theorem. .. Richtig - Erhaltungssätze folgen aus dem Noether-Theorem. Ausserdem haben sie sich empirisch bewährt. Genau deshalb ist es gerechtfertigt, sie als 4.Axiom in die QM einzuführen. Alternativ könnte man auch sagen, dass die Erhaltungssätze aus den physikalischen Theorien folgen, die der QM vorangegangen sind und als Randbedingung erfüllt sein müssen.
..Zunächst mal ist da Gleason's Theorem, das besagt, dass auf einem Hilbertraum genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß existieren kann, und zwar genau die Bornsche Regel. ..
Man lernt immer wieder dazu. Gleason's Theorem war mir bisher nicht bekannt. In Standard-Lehrbüchern kann man auch nichts darüber lesen, obwohl (laut Wikipedia) Gleason dies schon 1957 veröffentlicht haben soll.
Die Existenz dieses Theorems stützt aber nun nicht die Viele-Welten-Theorie, sondern zeigt lediglich, dass ein Postulat der Bornschen Regel ncht benötigt wird. M.E. folgt nämlich auch aus Glaeson's Theorem, dass man die Wahrscheinlichkeitsgleichung (Gleichung der Dichtematrix) als "gewichtete" Boolsche Gleichung lesen muss. Dekohärenz erklärt, warum in dieser Glechung die Interferenztherme nicht beachtet werden müssen. Folglich, so meine Vermutung, haben wir es nicht mit der Superposition von gleichwertigen Wellen, sondern von einer effektiven Welle und vielen ineffektiven Wellen zu tun.
Am einfachsten einzusehen ist dies, wenn man das Verhalten eines Lichtquantes an einem Strahlteiler in Verbindung mit dem Elitzur-Vaidmann-Versuch betrachtet. Am Strahlteiler teilt sich die Welle zufällig in eine effektive und eine ineffektive Welle auf, ohne dass sich das betrachtete System aufteilt. Beide Wellenteile bleiben miteinander verschränkt. Jede lokale Störung ist daher stehts eine Störung des Gesamtsystems.

TomS
19.04.15, 15:54
Die Einführung der Erhaltungssätze als Axiom halte ich für verfehlt.

Die Axiome der QM besagen, dass
1) ein separabler Hilbertraum vorliegt, in dem physikalische Zustände durch eindimensionale Unterräume beschrieben werden
2) physikalische Observablen mittels selbstadjungierter Operatoren beschrieben werden
3) die Zeitentwicklung eines Systems aus U(t) = exp(-iHt) folgt; bzw. äquivalent der Schrödingergleichung folgt
(dazu käme noch das Projektionspostulat, das die orthodoxe QM von der Everettschen unterscheidet)

Erhaltungssätze folgen nur dann, wenn H eine entsprechende Symmetrie aufweist, d.h. wenn eine Observable Q existiert, so dass [H,Q] = 0 ist. Daraus folgt die Symmetrie von H unter V(s) = exp(-iQs), die Zeitunabhängigkeit bzw. Erhaltung von Q, also dQ/dt = 0, sowie die Existenz von (unter Zeitentwicklung erhaltenen) Quantenzahlen entsprechend der Darstellungen von Q.

Aber das alles gilt nur, wenn ein derartiges Q existiert. Ein Axiom für Erhaltungssätze, dass also ein spezielles Q (für ein spezielles H) existieren muss, halte ich i.A. für sinnlos.


Zu Gleason's Theorem: es zeigt lediglich, dass wenn man ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum einführen will, dies zwingend entsprechend der Bornschen Regel erfolgen muss. Es besagt nicht, dass man dies tun muss und wie man dies physikalisch interpretieren soll. Alles was ich sagen wollte, war lediglich, dass das Projektionspostulat wohl nicht fundamental ist.

Ein Problem bleibt dennoch:
i) entweder muss man ein viertes Axiom setzen, sei es nun das Projektionspostulat oder ein anderes,
ii) oder man muss die Bornsche Regel (nicht das Projektionspostulat!!) aus den ersten drei Axiomen ableiten (zumindest als Näherung für makroskopische Systeme).
Letzteres verfolgen Vertreter der VWI (wobei ich nur feststellen kann, dass die angeblichen Beweise der Bornschen Regel angeblich unvollständig oder zirkulär sind; ich habe die Argumente jedoch nicht im Detail durchgearbeitet und kann dies selbst nicht beurteilen).

Es ist natürlich nicht offensichtlich, wie aus den ersten drei Axiomen ohne jegliche Wahrscheinlichkeit folgen soll, dass unsere Wahrnehmung und unser Messergebnisse effektiv einer von Wahrscheinlichkeiten dominierten Dynamik folgen, obwohl auf fundamentaler Ebene ausschließlich deterministische Gesetze existieren. Die Einführung als Axiom erscheint mir extrem unbefriedigend zu sein.

Ein weiterer Aspekt ist der Hartle-Frequency-Operator (mittels dem man jetzt auch in Richtung einer statistischen Interpretation argumentieren könnte).

TheoC
19.04.15, 22:13
Hallo Leute,

ich bin aufgrund des aktuellen Verlauf des Threads echt beeindruckt welches Ausmass mein Nichtwissen hat. Ein aus meiner Sicht wissenschaftstheoretischer Thread zeigt mir im Detail (dem Verlauf der Diskussion) dass ich hier als Nicht- Physiker einfach nicht in der Lage bin mir eine Meinung zu bilden.

Ich kann mit Eugen Bauhofs streng formalen Ansatz nach Popper, Theorie muss Beweisbar sein, sehr gut, ob es hier zusätzlicher sprachlicher Definition bedarf ist in der Sache auch nicht wirklich relevant.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass imho ein zentraler Aspekt schon der "zusätzliche Erkenntnisgewinn" sein muss.

Und damit meine ich nicht irgend welche philosophischen Erkenntnisse, sondern einfach pragmatisch nach Popper "Vorhersagen" die "Messbar" sind, die sich aus bisherigen Theorien nicht ableiten lassen.

Ich dachte bisher das die VWI keine solche zusätzlichen Aussagen treffen kann, und die Stringtheorie, zumindest theoretisch, schon.

Die "Sonderstellung" der Stringtheorie hätte ich nur deswegen eingeräumt, weil diese nie in den Status der Hypothese kommen kann (weil die ursächlichen Behauptungen grundsätzlich ausserhalb der Messbarkeit liegen) aber sehr wohl in den Status einer Theorie, sollte es gelingen das Ding durchgängig zu formulieren.

Es muss ja nicht gleich die "Komplett- Theorie" sein, es wäre ja schon mal was, wenn damit zB grundlegende Eigenschaften von Elemtarteilchen berechnet werden können, die bisher als "gegeben" hingenommen werden müssen.

Da ich auf dem Niveau der aktuellen Diskussion nicht mitreden (mitdenken) kann, hätte ich die Bitte ob mit meine Fragen möglichst allgemein verständlich beantwortet werden können.

Frage 1: Sind aus der VWI zusätzliche Erkenntnisse ableitbar, die auf Basis des Standardmodells nicht ableitbar sind?

Frage 2: Gibt es die "berechtigte Hoffnung" das es aus der Stringtheorie solche zusätzlichen Erkenntnisse geben kann.

Nachdem es wie bei allen Dingen auch um das "schnöde Geld" geht, und indirekt auch um "gesellschaftliche Akzeptanz" finde ich es durchaus wichtig, dass komplexe Probleme allgemein verständlich formuliert werden können.

Die Diskussion um die Wissenschaftlichkeit von bestimmten Forschungsthemen wird je letztendlich auch nicht in der Gemeinde der Physiker alleine geklärt.

lg
Theo

Herr Senf
19.04.15, 23:06
Bei "Frage 1" verstehe ich die Diskussion auch nicht, lang ist's her.
Damals hat man die minimalistische Interpretation aus der Grundgleichung w(i,A,Ψ)=|<λ_i|Ψ|² genommen.
Man nimmt halt nur das, was im Experiment auch brauchbar ist, und bisher sind alle experimentellen Daten erklärbar.
Warum versucht man Überinterpretationen, die zwar schön und klug klingen, aber keinen Mehrwert bringen.
War doch immer ein Fall für Ockham, löst bei Laien die wundersamsten Vorstellungen von der Welt aus.
Das sind nur ausgedachte Vorstellungen (so schreibt man Opern) und keine empirischen Fakten aus der echten Welt.

Grüße

JoAx
20.04.15, 01:31
... welches Ausmass mein Nichtwissen hat.


So etwas muss man loben. Passiert echt selten, dass Leute zu sich selbst, und nicht nur zu den "anderen" kritisch sind. :)

Bei mir ist es auch so. Im Moment erkenne ich erkenne mein "Leientum" immer mehr.

Alles IMHO ->


Frage 1: Sind aus der VWI zusätzliche Erkenntnisse ableitbar, die auf Basis des Standardmodells nicht ableitbar sind?


So, wie ich das sehe, besteht der Vorteil der VWI darin, dass sie die Frage danach, was eine "Messung" ist, was dabei passiert/abläuft nicht "postulativ" schliesst, so, wie es bsw. die "Kopenhagener" tut. Und damit ergibt sich ein Forschungsprogramm, mit dem sich die Dekohärenz beschäftigt.


Frage 2: Gibt es die "berechtigte Hoffnung" das es aus der Stringtheorie solche zusätzlichen Erkenntnisse geben kann.


Das ist so eine Frage ...
Schau mal in meine Signatur. Ich schätze, man müsste schon fast an Ende sein, um so eine Frage beantworten zu können. Wenn ein Bereich der Physik gründlich erforscht ist, dann sieht es logisch und einfach aus, aber auf der vordersten Front tappt man halt meistens im Dunkeln, und weiss im besten Fall, welche Richtung definitiv falsch wäre.

Wass Popper & Co. angeht, so denke ich, dass sie sich auch den Tatsachen stellen müssen, sich an der Realität messen. Und da könnte man sich schon fragen, ob ihre Formulierungen nicht auch einen begrenzten Gültigkeitsbereich haben, so wie z.B. die physikalischen Theorien.

JoAx
20.04.15, 02:11
Servus und willkommen!


Warum versucht man Überinterpretationen, die zwar schön und klug klingen, aber keinen Mehrwert bringen.


Weil der Übergang von mikro zu makro immer noch nicht gelingen will. (?)


War doch immer ein Fall für Ockham,


Ich habe das "Gefühl", dass Ockham oft erst eingesetzt werden kann, wenn man "vorher" schon weiss, wo zu schneiden ist. :)

TomS
20.04.15, 06:55
Frage 1: Sind aus der VWI zusätzliche Erkenntnisse ableitbar, die auf Basis des Standardmodells nicht ableitbar sind?
Du vergleichst in deiner Frage Äpfel mit Birnen. Du musst die VWI mit der orthodoxen QM vergleichen. Erstere setzt ein Axiom weniger an, sie verzichtet nämlich auf das Projektionspostulat. D.h. rein wissenschaftstheoretisch, nach Ockham ist sie einfacher, d.h. der orthodoxen QM vorzuziehen, wenn sie stattdessen mathematisch in der Lage ist, zu erklären, warum die Bornsche Regel im Zuge von Messungen anwendbar ist. Der Anspruch der VWI besteht also darin, das Messproblem aus den Axiomen (1 - 3) heraus zu lösen, während die orthodoxe QM das Messproblem mit dem Axiom 4 sozusagen "wegzaubert"; wobei Axiom 4 im Widerspruch zu Axiom 3 steht, was die orthodoxe QM nicht vernünftig erklären kann.

... hat man die minimalistische Interpretation aus der Grundgleichung w(i,A,Ψ)=|<λ_i|Ψ|² genommen.
Man nimmt halt nur das, was im Experiment auch brauchbar ist, und bisher sind alle experimentellen Daten erklärbar.
Warum versucht man Überinterpretationen, die zwar schön und klug klingen, aber keinen Mehrwert bringen.
War doch immer ein Fall für Ockham, löst bei Laien die wundersamsten Vorstellungen von der Welt aus.
Diese Grundgleichung ist gerade das Projektionspostulat = Axiom 4. Die VWI hat nichts gegen das Auftreten dieser Gleichung, nur eben nicht als Axiom, sondern als Theorem.

Ockham wird hier von Herrn Senf missverstanden, denn Ockham's Razor bezieht sich nicht auf die phänomenologische Ebene (die vielen Welten) sondern auf die Annahmen, Axiome und Postulate. Und wie gesagt, da ist die VWI im Vorteil. Die vielen Welten sind sowieso ein sprachlicher Missgriff; nach der Theorie existiert genau eine Welt, von der wir aufgrund der Dekohärenz nur einen "Ausschnitt" sehen können.

So, wie ich das sehe, besteht der Vorteil der VWI darin, dass sie die Frage danach, was eine "Messung" ist, was dabei passiert/abläuft nicht "postulativ" schliesst, so, wie es bsw. die "Kopenhagener" tut. Und damit ergibt sich ein Forschungsprogramm, mit dem sich die Dekohärenz beschäftigt.
Genau richtig (wobei die Dekohärenz eine eher neue Erkenntnis ist, die in dieser quantitativen, experimentell gesicherten Form Everett noch nicht zur Verfügung stand).

Die VWI geht jedoch an einer Stelle über die Dekohärenz hinaus. Letztere folgt aus den ersten drei Axiomen, d.h. sie ist durchaus mit der orthodoxen QM verträglich. Wenn man die Dekohärenz jedoch zugrundelegt, dann ist die Einführung des Projektionspostulates eher noch seltsamer, da die Dekohärenz ja schon den Boden bereitet, ohne dieses auszukommen.

Was die Dekohärenz jedoch nicht leistet ist, zu beantworten, warum Wahrscheinlichkeiten in unserer Wahrnehmung des Quantenzustandes auftreten und wie die Bornsche Regel mathematisch aus den Axiomen (1 - 3) folgt (bzw. welche neue Zutat stattdessen erforderlich ist).

TomS
20.04.15, 08:12
Und damit meine ich nicht irgend welche philosophischen Erkenntnisse, sondern einfach pragmatisch nach Popper "Vorhersagen" die "Messbar" sind, die sich aus bisherigen Theorien nicht ableiten lassen.

Ich dachte bisher das die VWI keine solche zusätzlichen Aussagen treffen kann ...
Doch, das kann sie, leider jedoch wohl nur prinzipiell, nicht praktisch. Weil das so wichtig ist, erkläre ich das etwas mehr im Detail.

Entsprechend orthodoxer QM sowie Everettscher QM entwickeln sich quantenmechanische Zustände gemäß Axiom 3, d.h. die Zeitentwicklung erfolgt unitär:

"Zustand(t) = U(t) * Zustand(0)"

Dabei ist "Zustand" gemäß Axiom 1 ein eindimensionaler Vektor in einem Hilbertraum. Seine Zeitentwicklung ist letztlich eine Kurve, die der Vektorpfeil auf eine (i.A. unendlichdimensionale) Einheitskugel zeichnet. Die Zeitenwicklung wird mittels des Operators U(t) = exp(-iHt) beschrieben, wobei H dem Hamilton- bzw. Energie-Operator entspricht (gem. Axiom 2 einer speziellen Observablen). Diese Zeitentwicklung ist also stetig und deterministisch! Gemäß der Everettschen QM ist sie das immer und in jeder Situation bzw. für jedes beliebige System.

Gemäß der orthodoxen QM ist sie das nur, solange keine Messung durch geführt wird! Wird eine Messung durchgeführt, was im wesentlichen der Wechselwirkung mit einem Messgerät sowie einer Beobachtung entspricht, kollabiert der "Zustand(t)" unstetig und zufällig in einen anderen Zustand, der einem Eigenzustand der gemessenen Observablen entspricht. Die Zeitentwicklung des Zustandes im Zuge der Messung (entsprechend dem Projektionspostulat 4) steht also im Widerspruch zur Zeitentwicklung vor (und nach) der Messung.

Die orthodoxe QM hat demnach zwei Probleme:
A) Sie muss erklären, was eine "Messung", also eine Wechselwirkung mit einem Messgerät, von einer normalen Zeitentwickung unterscheidet; warum soll das Elektron, wenn es mit einem Messgerät interagiert, sich gemäß (3) verhalten, wenn ich das Messgerät ausschalte, aber gemäß (4), wenn ich es einschalte?
B) Wie kann (3) und (4) nebeneinander existieren, obwohl sie sich doch offensichtlich mathematisch widersprechen? Wie kann ein inkonsistentes, widersprüchliches Axiomensystem unserer physikalischen Erklärung zugrundeliegen?
Die Antwort auf (B) ist der wortreiche Verweise auf "Messung", d.h. auf (A). Aber (A) kann nicht beantwortet werden, außer durch eine willkürliche Entscheidung des erklärenden Physikers, dass hier dieses und dort jenes gilt, weil es so sein muss, da es andernfalls nicht funktionieren würde. Diese Situation ist seit nunmehr 90 Jahren genau so, sie ist unbefriedigend und ungelöst, und sie ist wohl in diesem Sinne auch unlösbar!

Der Ausweg der Everettschen QM ist, (4) fallenzulassen und (3) universelle Gültigkeit zu verschaffen.

Wie kann nun die VWI experimentell von der orthodoxen QM unterschieden werden? Einfach indem man eine Messung "rückwärts ablaufen lässt". Man stelle also eine Situation her, gemäß der die orthodoxe QM einen Kollaps vorhersagt. Bezeichnen wir den Kollaps mit K, so sieht die Zeitentwicklung von 0 nach t und weiter zu T wie folgt aus: zunächst U(t) von 0 nach t, dann der Kollaps K, dann weiter mit U(T-t). Ohne Kollaps, d.h. nach Everett gilt U(t), kein K, dann weiter mit U(T-t); formal ist das

U(T-t) K U(t)

sowie

U(T-t) U(t) = U(T)

Die beiden Zeitentwicklungen unterscheiden sich!

Dumm ist nur, dass ja auch Everett behauptet, dass der für uns sichtbare Zweig eines Zustandes der Bornschen Regel gehorcht, während der Rest sozusagen für uns unsichtbar wird. Dies kann man gemäß der Dekohärenz inzwischen sogar quantitativ und experimentell recht gut belegen! D.h. Bis hier her sind beide Formulierungen mathematisch inäquivalent, jedoch experimentell ununterscheidbar!

Der Trick besteht nun darin, das Experiment bis zu einer Zeit 2T exakt rückwärts ablaufen zu lassen, also alle Bewegungen, Prozesse umzukehren. Nach der Everettschen QM muss, da U unitär ist, exakt der ursprüngliche Zustand wieder entstehen. Nach der orthodoxen QM resultiert aus dem zweimaligen Kollaps sicher ein anderer bei 2T als bei 0. D.h. beide Versionen der QM unterscheiden sich experimentell und sind somit nicht äquivalent.

Nun zum Problem, über dessen Lösung der Weg nach Stockholm führt: Die Problematik steckt in dem kleinen Wörtchen "exakt". Dieses umfasst nämlich die exakte zeitliche Umkehrung aller beteiligten Prozesse, d.h. z.B. des gemessenen Elektrons, des Apparates, der Umgebung (Luft, Wärmestrahlung, ...) sowie ggf. des Beobachters. Es genügt also nicht, das Elektron bei T exakt zu reflektieren, man müsste dies für jeden beteiligten Freiheitsgrad durchführen - und das ist praktisch unmöglich!

Ist es das? Nein, natürlich nicht! Derartige Experimente werden seit Jahrzehnten durchführt, und sie bestätigen schon immer die Everettsche QM, d.h. sie widerlegen die orthodoxe QM, da der Effekt eines Kollapses noch nie gemessen wurde. Nur leider funktionieren diese Experimente immer nur, wenn das insgs. betrachtete System mikroskopisch und isoliert ist, d.h. wenn gerade kein "Messprozess" stattfindet, für den die orthodoxe QM einen Kollaps postuliert.

Das ist genau das Problem: mikroskopisch funktionieren sowohl die Everettsche QM als auch die orthodoxe, da letztere hier nicht von Messung und von Kollaps redet; und makroskopisch funktioniert sicher nur eine von beiden, wobei der Unterschied weit außerhalb unserer experimentellen Fähigkeiten liegt.

Ein wissenschaftstheoretischer Nachteil der orthodoxen QM besteht in deren Selbstimmunisierung. Immer wenn ein derartiges Experiment durchgeführt wird, mit immer größeren Quantensystemen, kann die orthodoxe QM ausweichen, indem sie für dieses Experiment den Kollaps wieder so setzt, dass alles für sie passt. Denn die Setzung des Kollapses, die Definition "bis wohin (3) und ab wann (4) gilt", ist willkürlich und liegt im Ermessen desjenigen, der das Experiment interpretiert. Diese Selbstimmunisierung gilt nicht für die Everttsche QM.

Die Everettsche QM kann also an zwei Punkten tatsächlich scheitern bzw. falsifiziert werden:
i) die Bornsche Regel ist nicht bzw. nicht vernünftig als Theorem ableitbar
ii) sie wird im o.g. Sinne experimentell falsifiziert

Insofern halte ich die Everettsche QM für die im wissenschaftstheoretischen Sinne bessere Alternative (auch wenn die Konsequenzen nach unseren Alltagsbegriffen eine Zumutung darstellen - aber das war bei der QM schon immer so ;-)

Bauhof
20.04.15, 10:38
Ich kann mit Eugen Bauhofs streng formalen Ansatz nach Popper, Theorie muss Beweisbar sein, sehr gut, ob es hier zusätzlicher sprachlicher Definition bedarf ist in der Sache auch nicht wirklich relevant.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass imho ein zentraler Aspekt schon der "zusätzliche Erkenntnisgewinn" sein muss.

Und damit meine ich nicht irgend welche philosophischen Erkenntnisse, sondern einfach pragmatisch nach Popper "Vorhersagen" die "Messbar" sind, die sich aus bisherigen Theorien nicht ableiten lassen.

Hallo TheoC,

Karl Popper ist noch strenger als du denkst.
Nach Popper muss eine Theorie widerlegbar (falsifizierbar) sein. Eine Theorie muss an der Erfahrung scheitern können. Und beweisbar ist keine Theorie, denn selbst nach 1000 experimentellen Bestätigungen kann künftig immer noch ein Experiment stattfinden, das diese Theorie ganz (oder zumindest teilweise) widerlegt.

Wenn wir z.B. die vielen anderen 'Welten' der VWI prinzipiell nicht in Erfahrung bringen können, dann ist die VWI keine Theorie, weil sie prinzipiell nicht widerlegbar ist. Jede ernstzunehmende Theorie muss an der Erfahrung scheitern können.

M.f.G. Eugen Bauhof

TomS
20.04.15, 11:05
Karl Popper ist noch strenger als du denkst.
Nach Popper muss eine Theorie widerlegbar (falsifizierbar) sein. Eine Theorie muss an der Erfahrung scheitern können. Und beweisbar ist keine Theorie, denn selbst nach 1000 experimentellen Bestätigungen kann künftig immer noch ein Experiment stattfinden, das diese Theorie ganz (oder zumindest teilweise) widerlegt.

Wenn wir z.B. die vielen anderen 'Welten' der VWI prinzipiell nicht in Erfahrung bringen können, dann ist die VWI keine Theorie, weil sie prinzipiell nicht widerlegbar ist. Jede ernstzunehmende Theorie muss an der Erfahrung scheitern können.
Damit stoßen wir natürlich an die Grenzen des Möglichen. Wir haben heute verschiedene Theorien bzw. Kandidaten, die zunächst mal praktisch nicht falsifizierbar sind (LQG, andere Ansätze zur QG, Strings sowie die VWI). Damit ist Poppers Argumentation bzgl. der praktischen Falsifizierbarkeit bei bestimmten Fragestellungen nicht mehr anwendbar!

Wir können Ihn leider nicht mehr fragen, wie er dazu steht.

Die Frage, die sich dann stellt, ist, ob die prinzipielle Falsifizierbarkeit noch einen Mehrwert hat, wenn die praktische Falsifizierbarkeit nicht gegeben ist. Ich würde sagen, "ja", diese hat einen Mehrwert, da sie der Theorie eine gewisse Strenge abverlangt. Und insofern sind alle o.g. Theorien bzw. Kandidaten auf einem grundsätzlich wissenschaftlichen Weg.

Wenn man Popper eng auslegt, dann wären alle o.g. Ansätze keine wissenchaftlichen Theorien, und werden sie auch nach abschließender mathematischer Präzisierung nie sein! D.h. Popper würde streng genommen zumindest in diesen Bereichen ein Ende der Physik einläuten. Würde er das wirklich wollen?

JoAx
20.04.15, 11:10
Und wie gesagt, da ist die VWI im Vorteil. Die vielen Welten sind sowieso ein sprachlicher Missgriff; nach der Theorie existiert genau eine Welt, von der wir aufgrund der Dekohärenz nur einen "Ausschnitt" sehen können.


Das ist, wie mit den unendlich vielen gleichberechtigten IS-en in der SRT. Die nennt man ja auch nicht "zusätzliche Entitäten". Sie sind eine zwingende Folge. Es sind bestimmte "Ausschnitte" aus der Raumzeit. Da kann man nichts dagegen tun.


Was die Dekohärenz jedoch nicht leistet ist, zu beantworten, warum Wahrscheinlichkeiten in unserer Wahrnehmung des Quantenzustandes auftreten und wie die Bornsche Regel mathematisch aus den Axiomen (1 - 3) folgt (bzw. welche neue Zutat stattdessen erforderlich ist).

Vlt. noch nicht? Vlt. kommt das am Ende des Programms, so, wie die SRT am Ende des "Äther-Programms" gekommen ist? :)

Timm
20.04.15, 11:17
Zwischenfrage:
Ist es richtig, daß die VWI die Wellenfunktion als Ding, also ontisch, sieht und am Begriff einer Teilchenbahn festhält, während bei der Interpretation der Wellenfunktion als reine Statistik sich die Frage nach Ding und Bahn gar nicht erst stellt und damit auch nicht die nach einer Modifikation der Schrödingergleichung?

TomS
20.04.15, 11:26
Das ist, wie mit den unendlich vielen gleichberechtigten IS-en in der SRT. Die nennt man ja auch nicht "zusätzliche Entitäten". Sie sind eine zwingende Folge. Es sind bestimmte "Ausschnitte" aus der Raumzeit. Da kann man nichts dagegen tun.
Der Vergleich hinkt. Die Bezugssysteme der RT verhindern nicht die wechselweise Sichtbarkeit der Phänomene. Zwei Beobachter definieren für Ereignisse in ihrem eigenen Bezugssystem jeweils Koordinaten, sie schließen jedoch nicht die Sichtbarkeit für andere Beobachter aus.

Ich denke, bei der VWI verhält es sich in etwa so wie bei einem Universum, während dessen Zeitwentwicklung Horizonte entstehen (schwarze Löcher, kosmologisch). Wir akzeptieren die Existenz dieser Horizonte und der prinzipiell unbeobachtbarer Bereiche der Raumzeit deswegen, weil die Theorie insgs. etabliert ist und wir anderen Vorhersagen vertrauen. Im Falle der VWI haben wir Einwände, weil diese Vorhersagen für uns unzumutbar erscheinen. Das sollte aber kein Kriterium sein.

Genauso würde ich übrigens dem Multiversum vertrauen, wenn es auf theoretisch gesicherten Grundlagen basiert, d.h. wenn das Inflatonfeld nachgewiesen ist, oder wenn der Mechanismus auf Basis des Higgsfeldes ohne weitere Annahme zum Potential abgeleitet werden kann, oder wenn es klare definierte und verstandene Mechanismen im Rahmen einer plausiblen, mathematisch konsistenten Theorie der QG gibt (es gibt zumindest Hinweise).

D.h. ich zweifle am Multiversum nicht, weil es eine ontologische Zumutung für meinen kleinen Geist ist, sondern weil die theoretischen Grundlagen zu vage sind.

TomS
20.04.15, 11:32
Unser Fehler ist nicht, dass wir unsere Theorien zu ernst nehmen, sondern dass wir sie nicht ernst genug nehmen.
Weinberg, 1977

TheoC
20.04.15, 21:06
Ich versuche einmal eine kurze Zusammenfassung "aus meiner Sicht" zur ursprünglichen Fragestellung.

Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen „wissenschaftlich“, was der Beurteilung eines Vorgangs entspricht, und dem Begriff „wissenschaftlicher Theorie“, was einer „wahren Aussage“ entspricht.

Die Aussage das String- Theorie, VWI und Mulitiversumstheorie keine wissenschaftliche Theorien sind scheint korrekt, weil die praktische Falsifizierbarkeit nicht gegeben sein kann (VWI) oder noch lange nicht gegeben ist (Strings). (Die klassische Interpretation (Kollaps) der Quantenphysik ist in diesem Sinne genau so wenig „wissenschaftlich“.)

Wahr ist einzig das es Methoden gibt, Prozesse zu beschreiben (berechnen) die sich der klassischen Vorstellung entziehen, aber experimentell prüfbare Vorhersagen liefern! Die „Quantenmechanik“ als solches ist wahr! Nicht ihre Interpretation(en)!

Das bedeutet aber aus meiner Sicht aber nicht, dass die Auseinandersetzung mit diesen Themen „unwissenschaftlich“ ist! Dazu muss nur die Vorgangsweise wissenschaftlich sein (Dokumentation, mathematische Konsistenz, Reproduzierbarkeit, …) - und dies entspricht wohl auch dem Forschergeist, dass nach Dingen gesucht wird, die man eben noch nicht weiß.

Physiker müssen sich aber, so wie andere Disziplinen auch, daran messen lassen, wie weit ihre Aussagen „wahr“ sind, die in den Medien als Behauptung hingestellt werden.

Und als solches sind Aussagen die keine wissenschaftlichen Theorien sind einfach „nicht wahr“, sondern nur "möglich", und müssen auch klar so kommuniziert werden!

Die Aussage „die viele Welten Interpretation ist richtig“ ist NICHT WISSENSCHAFTLICH, genau so wenig wie die Aussage „der Kollaps der Wellenfunktion ist richtig“ NICHT WISSENSCHAFTLICH ist!

Die Implikationen der Aussagen zu untersuchen ist aber sehr wohl wissenschaftlich!!


In diesem Sinne bietet die Physik eben kein vollständiges Erklärungsmodell der Welt an!

Der Versuch das anders zu verkaufen schadet aus meiner Sicht mehr als es nutzt, weil es den Anti- Wissenschafts- Fraktion zu viel „Argumentationsraum“ einräumt.

Ich denke im Sinne der ursprünglichen Fragestellung das es notwendig wäre klar zu unterscheiden was „Wissen“ ist (=physikalische Theorie) und was „Forschungsansatz“ ist, aber eben nicht mehr.

Wer die VWI (oder die Stringtheorie) als „Wahrheit“ verkauft, läuft Gefahr als „unwissenschaftlich“ verunglimpft zu werden, obwohl die Arbeitsweise und Methodik streng wissenschaftlich ist.

Ob eine Interpretation einer anderen vorzuziehen ist soll (und muss scheinbar auch) innerhalb der Physiker- Gemeinschaft ernsthaft diskutiert werden – daraus die eine oder andere Wahrheit zu machen ist nicht Wissenschaftlich!

In diesem Sinne muss die Physikergemeinde wohl noch eine Weile damit leben, ein mächtiges Werkzeug zu haben, aber keine Erklärung der Welt.

Lg + vielen Dank für die wunderbaren Erklärungen :)

PS: Die VWI ist in diesem Sinne gleich wie die anderen Interpretationen zu sehen, und nur desegen expizit angeführt, weil schon im Titel des Threads


Theo

TomS
20.04.15, 22:29
Im Wesentlichen Zustimmung - nur zwei kleine Anmerkungen.

Ich würde in keinem Fall von "wahr" oder "richtig" sprechen, denn das ist logisch bzw. mathematisch vorbelastet. Natürlich sind auch Wortungetüme wird "noch nicht falsifiziert" unschön, wenn auch treffender.

Wie ich versucht habe auszuführen unterscheidet sich die Everettsche QM von anderen, insbs. der orthodoxen Variante nicht nur auf der Interpretationsebene, sondern sie ist tatsächlich mathematisch (und möglicherweise auch physikalisch) nicht äquivalent.

**********

Eine Anmerkung: die o.g. Probleme treten im Wesentlichen dann auf, wenn man eine ontologische Interpretation, einen gewissen Realismus zugrundelegt. Bleibt man ausschließlich auf der positivistischen Ebene, verzichtet also vollständig auf irgendeine Entsprechung zwischen Realität und Modell, sondern beschränkt sich darauf, dass ein Modell ein Rezept zur Vorhersage liefert (und mehr nicht), dann verschwinden diese Probleme vollständig. Verzichtet man z.B. auf den Anspruch, dass der Zustandsvektor der QM in irgendeiner Weise die Realität kodiert, sondern beschränkt sich darauf, dass er eine Methode zur Vorhersage liefert, dann verliert der Kollaps seinen Schrecken, denn er behauptet lediglich, dass nach einer Messung unsere Buchhaltung an das Messergebnis angepasst werden muss. Dieser Agnostizismus ist philosophisch möglich, erscheint mir jedoch eine Kapitulation vor der Frage zu sein, warum der Zustandsvektor dies leistet. Nun weiß ich auch, dass warum-Fragen in der Physik streng genommen nicht beantwortbar sind. Aber es sind doch gerade diese Fragen, die die Physik weiterbringen, die sozusagen den Antrieb für die physikalische Forschung darstellen. Rein positivistisch besteht überhaupt keine Notwendigkeit, Quantengravitation, Strings und Veteinheitlichung, Viele Welten, Multiversen usw. zu untersuchen, dann alle diese Entitäten entziehen sich der Beobachtung und sind daher vom positivistischen Standpunkt aus betrachtet ohne Relevanz. Wie unbefriedigend dieser positivistische Standpunkt ist, erkennt man daran, dass S. Hawking als bekennender Positivist tatsächlich Bücher über diese Thenen schreibt ;-)

Noch eine Anmerkung: wir sollten uns hier nicht auf Popper versteifen, der doch offensichtlich einen zu strengen Rahmen fordert. Wir müssen uns stattdessen eben erweiterten Rahmen erarbeiten, der dennoch ein klares Regelwerk definiert, um uns in diesem erweiterten Rahmen ohne Scharlatanerie bewegen zu können.

TomS
20.04.15, 22:37
Jedenfalls sind Argumente wie ... superstring theory is too beautiful not to be true ... inakzeptabel

TomS
21.04.15, 01:08
Ist es richtig, daß die VWI die Wellenfunktion als Ding, also ontisch, sieht ...
Ja

... und am Begriff einer Teilchenbahn festhält ...
Nein, wie kommst du darauf?

... während bei der Interpretation der Wellenfunktion als reine Statistik sich die Frage nach Ding ... gar nicht erst stellt ...
Ja

... und damit auch nicht die nach einer Modifikation der Schrödingergleichung?
Ja, aber auch die VWI modifiziert die Schrödingergleichung nicht.

Ja, natürlich kann man sich auf eine rein statistische Interpretation zurückziehen, aber diese mogelt sich immer um die Tatsache herum, dass wir einzelne Teilchen präparieren und detektieren. Sie erklärt nach meinem Geschmack einfach zu wenig.

Herr Senf
21.04.15, 01:28
Was zwischen Philosophie und Wissenschaft schief läuft, heißt Tropenontologie.
Wissenschaft ist heute das, was vom Balast der Philosophie befreit ist.

Joachim
21.04.15, 08:18
Wissenschaft ist heute das, was vom Balast der Philosophie befreit ist.

Ich würde eher sagen: Physik ohne Philosophie ist Ingenierwissenschaft.

In diesem Thread haben wir um großen Teil über Wissenschafts- und Erkenntnistheorie gesprochen. TheoC spricht, wenn er von Wahrheit schreibt, sogar die Ontologie an (was ich im physikalischen zusammenhang nie wagen würde :) ). Das sind alles Teilgebiete der Philosophie.

Sicher gibt es bereiche der Physik, die auf Philosophische Betrachtungen ganz verzichten können. Aber dann dürfen wir über Interpretationen der Quantentheorie und über Stringtheorie nicht reden.

Gruß,
Joachim

TomS
21.04.15, 09:51
Was zwischen Philosophie und Wissenschaft schief läuft, heißt Tropenontologie.
Wissenschaft ist heute das, was vom Balast der Philosophie befreit ist.
Ich habe mal einen Beitrag über diese Tropenontologie gelesen; ich kann mich nicht mehr recht erinnern, aber das erschien mir nicht besonders hilfreich. Es gibt jedoch sicher noch andere Erklärungs- und Interpretationsansätze.

Timm
21.04.15, 10:14
Zitat von Timm
... und am Begriff einer Teilchenbahn festhält ...
Nein, wie kommst du darauf?

Zeh schreibt in "Wozu braucht man "Viele Welten" in der Quantentheorie?" Seite 3:
"Diese empirische Situation führte Max Born zu seiner statistischen Interpretation ... . Der Begriff einer Bahn des Teilchens wäre demnach aufzugeben.
Eine solche Vorstellung ist sicher unvereinbar mit der Annahme objektiv existierender Teilchen. ... "

Vielleicht habe ich den letzten Satz überinterpretiert dahingehend, daß die VWI an der Annahme "objektiv existierender Teilchen" verbunden mit dem "Begriff einer Bahn" festhält.

Nun zum Verständnis: eine Quelle emittiert ein Teilchen, deren Wahrscheinlichkeitswelle sich kugelförmig ausbreitet. Ringsum befinden sich Detektoren.

Nach der VWI würde ein Konfigurationsraum-Beobachter feststellen, daß das Teilchen von allen Detektoren registriert wird, jedoch verteilt auf unterschiedliche Orte in diesem Raum. Über eine Wahrscheinlichkeit des wo/wann Auffindens kann er bei nur einem emittierten Teilchen keine Aussage machen. Soweit richtig? Demnach entfällt das mysteriöse "Zusammenziehen " instantan auf einen Ort a la Max Born. Wenn das so ist, was spricht dann im Rahmen der VWI gegen die Annahme einer von der Quelle zum Detektor definierten Teilchenbahn?

Timm
21.04.15, 10:26
Rein positivistisch besteht überhaupt keine Notwendigkeit, Quantengravitation, Strings und Veteinheitlichung, Viele Welten, Multiversen usw. zu untersuchen, dann alle diese Entitäten entziehen sich der Beobachtung ...
Die LQG würde ich ausnehmen, denn hier könnte es womöglich gelingen, die Quantisierung des Raums mittels höchst energiereicher Gammastrahlen Blitze nachzuweisen. Bisher war dem allerdings kein Erfolg beschieden.

JoAx
21.04.15, 11:47
Der Vergleich hinkt. ...

Ich habe auch etwas falsches geschrieben. Man muss nicht das IS, sondern die Gleichzeitigkeit nehmen. Dann sagt einer, dass die vielen Gleichzeitigkeiten der SRT unnötige Entitätenvermehung ist.
Diesen Punkt wollte ich ansprechen.

TomS
21.04.15, 13:53
Zeh schreibt in "Wozu braucht man "Viele Welten" in der Quantentheorie?" Seite 3:
"Diese empirische Situation führte Max Born zu seiner statistischen Interpretation ... . Der Begriff einer Bahn des Teilchens wäre demnach aufzugeben.
Eine solche Vorstellung ist sicher unvereinbar mit der Annahme objektiv existierender Teilchen. ... "
Ja, das passt so.

Vielleicht habe ich den letzten Satz überinterpretiert dahingehend, daß die VWI an der Annahme "objektiv existierender Teilchen" verbunden mit dem "Begriff einer Bahn" festhält.
Die VWI geht von einem "objektiv gegebenen, existierenden Zustand" aus, nicht von einer Wellenfunktion.

Nun zum Verständnis: eine Quelle emittiert ein Teilchen, deren Wahrscheinlichkeitswelle sich kugelförmig ausbreitet. Ringsum befinden sich Detektoren.

Nach der VWI würde ein Konfigurationsraum-Beobachter feststellen, daß das Teilchen von allen Detektoren registriert wird, jedoch verteilt auf unterschiedliche Orte in diesem Raum.
Nein. Nach der VWI würde sich der Gesamtzustandsraum Teilchen+Detektoren +Beobachter "auffächern", und jede "Auffächerung des Beobachters" würde eine Auffächerung" des Teilchens als lokalisiert wahrnehmen.

Über eine Wahrscheinlichkeit des wo/wann Auffindens kann er bei nur einem emittierten Teilchen keine Aussage machen.
Warum nun tatsächlich aus der Froschperspektive einer einzelnen Auffächerung eine Wahrscheinlichkeit auftritt, ist gem. der Kritiker ein zentrales Problem der VWI.

Demnach entfällt das mysteriöse "Zusammenziehen " instantan auf einen Ort a la Max Born.
Ja, die Wellenfunktion = der Zustand bleibt ohen Kollaps erhalten.

Wenn das so ist, was spricht dann im Rahmen der VWI gegen die Annahme einer von der Quelle zum Detektor definierten Teilchenbahn?
Dass es eben eine Wellenfunktion und keine Teilchenbahn ist, und dass mit Teilchenbahn diverse Interferenzen nicht erklärt werden können. Der Ort eines Teilchens "erscheint" als Ergebnis der Auffächerung.

TheoC
21.04.15, 16:18
Zitat TomS
Ich würde in keinem Fall von "wahr" oder "richtig" sprechen, denn das ist logisch bzw. mathematisch vorbelastet. Natürlich sind auch Wortungetüme wird "noch nicht falsifiziert" unschön, wenn auch treffender.

Stimme ich dir zu, wenn es aber im Sinne des Threads um allgemeine/öffentliche Aussagen geht zur Physik wird uns leider kaum wer verstehen ;)

Zitat TomS
Wie ich versucht habe auszuführen unterscheidet sich die Everettsche QM von anderen, insbs. der orthodoxen Variante nicht nur auf der Interpretationsebene, sondern sie ist tatsächlich mathematisch (und möglicherweise auch physikalisch) nicht äquivalent.


Für diese Erklärung bin ich dir sehr dankbar, war mir so nicht klar. Ist aber eben genau das Thema des Threads wie weit Konzepte die "logisch stimmiger" sind, deswegen als physikalische Theorie herangezogen werden können.

Und weil es zu viele Anti- Wissenschaftler gibt, muss man hier eben völlig exakt bleiben, deswegen habe ich die eine wie die andere Version mit "keine wissenschaftliche Theorie" bezeichnet.

Konkrete Frage zu deiner Erklärung (gehört aber eigentlich nicht in diesen Thread)
Ich denke ich hab hier schon mal von einem Versuch gelesen, die Beta Zerfallsrate zu ändern, indem man ein Teilchen ständig beobachtet (um damit zu prüfen ob die Wellenfunktion ständig kollabiert) habe aber leider vergessen wo das war. Oder habe ich da einen Denkfehler?

Zitat TomS
Eine Anmerkung: die o.g. Probleme treten im Wesentlichen dann auf, wenn man eine ontologische Interpretation, einen gewissen Realismus zugrundelegt

Das fiese am Universum ist es wie es scheint, dass es sich nicht so leicht in die Karten schauen lässt ;)

Natürlich sind wir (ich zumindest) auf der Suche nach einen gewissen Realismus, und wollen verstehen wie die Welt "tatsächlich" ist; nur muss man da eben im Sinne des Threads sehr aufpassen.

Ich persönlich verwende hier eben den Begriff "Konzepte/Hypothesen welche im Einklang mit der Physik stehen"; damit wird eine Unterscheidung zu esoterischen Ansätzen klar, aber auch ausgedrückt dass es sich hier nicht um eine wissenschaftliche Theorie handelt.

Im Sinne des Threads geht es ja genau um den philosophischen Aspekt der Physik. Würden Physiker einzig immer nur darauf verweisen dass sie Wirkungen voraus berechnen können, und keine Ahnung haben was das "dahinter" bedeutet, gäbe es die Diskussion nicht.

Nachdem speziell die Quantenmechanik einen unglaublich "praktischen" Nutzen hat, und gleichzeitig "Nichtlokal und Nichtrealistisch" ist, (damit sind unsere alltägliche Vorstellung einer Wirklichkeit völlig überfordert), haben die Physiker natürlich auch eine starke "Deutungsmacht" bei den philosophischen Implikationen.

Wenn jetzt die VWI (als ein Beispiel) mit der gleichen Überzeugung als "richtig" hingestellt wird wie die QED, dann kommt es eben zu "Gegenreaktionen".

Zitat TomS
Noch eine Anmerkung: wir sollten uns hier nicht auf Popper versteifen, der doch offensichtlich einen zu strengen Rahmen fordert. Wir müssen uns stattdessen eben erweiterten Rahmen erarbeiten, der dennoch ein klares Regelwerk definiert, um uns in diesem erweiterten Rahmen ohne Scharlatanerie bewegen zu können.

Mathematiker machen (wichtige) Wissenschaft ohne deswegen den Anspruch "die Welt zu erklären" zu haben, das wird wohl auch in der Physik noch eine Weile so bleiben. Als Elektrotechniker und Informatiker lebe ich von mathematischen Erkenntnissen die 150 Jahre vor einer Anwendbarkeit gemacht worden sind.

Eventuell müssen wir uns auch einfach damit abfinden, nicht alles letztgültig verstehen zu können.

Nachdem die Quantenphysik mit unseren Alltagswahrnehmungen so und so nicht kompatibel ist ("kollabierende Wahrscheinlichkeitswellen" erleben wir genau so wenig wie "viele Universen" und "Wellenteilchendinge") - ist der Versuch die Quantenwelt für uns als Menschen "verständlich" zu beschreiben eventuell unmöglich :D

lg
Theo

TomS
21.04.15, 17:07
Wenn jetzt die VWI (als ein Beispiel) mit der gleichen Überzeugung als "richtig" hingestellt wird wie die QED, dann kommt es eben zu "Gegenreaktionen".
Das liegt m.E. im Wesentlichen daran, dass die VWI irreführend bis falsch dargestellt wird. Siehe die Diskussion hier: es ist schwer bis unmöglich, bis zum wahren Kern vorzudringen.

TheoC
22.04.15, 00:03
Zitat TomS
Das liegt m.E. im Wesentlichen daran, dass die VWI irreführend bis falsch dargestellt wird. Siehe die Diskussion hier: es ist schwer bis unmöglich, bis zum wahren Kern vorzudringen.

Die Grenze zwischen Physik und Philosophie ist hier "etwas schwammig" bei der Sache. Nachdem es keinen unmittelbaren Beweis für die eine oder andere Interpretation gibt (VWI versus KI) (du sagst es ist "praktisch" nicht möglich zu falsifizieren) kann man wohl "Occams Messer" ansetzen; dann steht es 1:0 für die VWI.

Imoh trifft das die Sache aber nur zum Teil. Die VWI hat eben auch andere philosophische Konsequenzen als die KI.

Pragmatisch könnte man ja behaupten die VWI beschreibt nicht "viele Welten" sondern hat einen anderen mathematischen Ansatz konkrete Prozesse zu berechnen (der derzeit zumindest aber zu den selben Ergebnissen kommt).

Ob eine "nicht kollabierende Wahrscheinlichkeitswelle" deswegen auch "ander Welten" produziert können wir nicht sagen, weil es kein gesichertes Wissen gibt, was eine Wahrscheinlichkeitswelle überhaupt ist, und schon gar nicht, ob ein "Nicht- Kollabieren" bedeutet, das es konkrete andere Welten gibt.

Wenn man aber eine "realistische Interpretation" macht, muss man sich zwangsläufig mit den philosophischen Konsequenzen auseinder setzen!

(und jetzt bin ich Sicher das ich im falschen Foren- Raum bin (sorry....), und zudem wird den ursprünglichen Thread thematisch völlig verlassen)

Die Philosophie beschäftigt sich (uA) mit der Frage "warum erlebe ich die Welt genau so wie sie ist."

Die KI beantwortet imho die Frage bei weitem nicht so klar, wie vielfach angenommen.

Die Welt ist nach der KI jedoch eindeutig, und wir nehmen sie so war wie sie ist, weil es einen kontinuierlichen Prozess an Wechselwirkungen gibt, der genau diese eine Welt produziert, die wir sehen.

Nach der VWI macht das Universum keine eindeutige Welt für uns!

Damit wird aus philosophischer Sicht die Frage "wer verursacht den Kollaps " zu einer Frage "warum nimmt mein Bewusstsein genau den Weg durch die Welten".

Beides sind aus meiner Sicht gleich problematische Fragen.

Warum die Philosophen der VWI skeptischer gegenüber stehen wie der KI ist für mich nicht so ganz klar.

Aber so lange die Physik nicht erklären kann warum sich die Welt so darstellt wie sie ist, solange die Physik den realen Bewusstseinsprozess nicht einbinden kann, MUSS das Kriterium in der Beurteilung einer Theorie welche eine "Realität" beschreiben will, die wissenschaftstheoretische (Falsifikation) bleiben.



lg
Theo

PS: Ich hab eigentlich weniger Problem mir vorzustellen dass ich mit meinem Bewusstsein eine konkreten 4D Pfad durch eine VW pflüge, als mit der Vorstellung, das unsere Welt durch meine Beobachtung so wird wie sie ist, oder sich seit anbeginn "selbst beobachtet". ;)

TomS
22.04.15, 00:56
Die Grenze zwischen Physik und Philosophie ist hier "etwas schwammig" bei der Sache. Nachdem es keinen unmittelbaren Beweis für die eine oder andere Interpretation gibt (VWI versus KI) (du sagst es ist "praktisch" nicht möglich zu falsifizieren) kann man wohl "Occams Messer" ansetzen; dann steht es 1:0 für die VWI.
Ja, könnte man so sagen. Aber wenn man Popper folgt, wäre dies für ihn wohl wenig relevant, da nicht überprüfbar.

Pragmatisch könnte man ja behaupten die VWI beschreibt nicht "viele Welten" sondern hat einen anderen mathematischen Ansatz konkrete Prozesse zu berechnen (der derzeit zumindest aber zu den selben Ergebnissen kommt).
Pragmatisch würde evtl. auch bedeuten, auf eine realistische Interpretation zu verzichten. Der Ansatz ist m.E. nicht anders. Die VWI verwendet natürlich für praktische Rechnungen ebenso die Bornsche Regel, sie setzt diese jedoch nicht als Axiom voraus, sondern als zu beweisendes Theorem (*)

Auf jeden Fall würde ich eher behaupten, dass letztlich nicht vielen Welten, existieren, sondern dass eine "aufgefächerte Welt" existiert, den Beobachter eingeschlossen, und dass dieser nur "seinen" Ausschnitt beobachten kann.

Ob eine "nicht kollabierende Wahrscheinlichkeitswelle" deswegen auch "ander Welten" produziert können wir nicht sagen, weil es kein gesichertes Wissen gibt, was eine Wahrscheinlichkeitswelle überhaupt ist, und schon gar nicht, ob ein "Nicht- Kollabieren" bedeutet, das es konkrete andere Welten gibt.
Stimmt. Im Sinne der VWI handelt es sich nicht um eine Wahrscheinlichkeitswelle im fundamentalen Sinn, sondern um einen deterministischen Prozess, der "je Auffächerung stochastisch erscheint" (**)

Wenn man aber eine "realistische Interpretation" macht, muss man sich zwangsläufig mit den philosophischen Konsequenzen auseinder setzen!
Stimmt. Das Problem bzw. die Glaubenssachen sind nicht die vielen Welten, sondern die realistische Interpretation an sich. Setzt man diese voraus, ist ein Ausweg nicht mehr konsequent möglich (denn den Kollaps als real zu betrachten halte ich für völlig verfehlt).

Die Philosophie beschäftigt sich (uA) mit der Frage "warum erlebe ich die Welt genau so wie sie ist."

Die KI beantwortet imho die Frage bei weitem nicht so klar, wie vielfach angenommen.

Die Welt ist nach der KI jedoch eindeutig, und wir nehmen sie so war wie sie ist, weil es einen kontinuierlichen Prozess an Wechselwirkungen gibt, der genau diese eine Welt produziert, die wir sehen.
Die KI beantwortet praktisch nichts; das ist auch nicht ihr Anspruch. Sie liefert ein funktionierendes Rezept, mehr nicht.

Nicht kontinuierlich. Die "eine Welt" der KI entsteht durch einen fortwährenden Kollaps

Nach der VWI macht das Universum keine eindeutige Welt für uns!
Aufgrund der Auffächerung nicht "für uns", jedoch insgs. schon. Es gibt nur "eine Welt" sowie deren "Auffächerung" oder "Zweige".

Warum die Philosophen der VWI skeptischer gegenüber stehen wie der KI ist für mich nicht so ganz klar.
Tun sie das? Haben sie sie korrekt verstanden?

Ich denke, (*) und (**) sind die zwei wesentlichen Probleme der Everettschen QM: generell das Auftreten einer stochastisch erscheinenden Wahrnehmung in einer zunächst rein deterministischen Theorie, sowie die entsprechenden Beweise, insbs. zur Ableitung der Bornschen Regel.

RoKo
22.04.15, 07:40
..
Auf jeden Fall würde ich eher behaupten, dass letztlich nicht vielen Welten, existieren, sondern dass eine "aufgefächerte Welt" existiert, den Beobachter eingeschlossen, und dass dieser nur "seinen" Ausschnitt beobachten kann.

Diese Aussage wirft Fragen auf.
a) Wie kann sich eine unteilbare Energieportion (E=h*v) oder eine elektrische Elementarteilung oder ein Silberatom oder ein Fullerenmolekül oder sogar ein komplexs System wie ein Mensch aufgefächert haben, wenn sie zugleich an einem bestimmten Ort registriert wurden?
b) Wie ergibt sich diese Auffächerung aus den zugehörigen Gleichungen?

TomS
22.04.15, 08:21
a) Wie kann sich eine unteilbare Energieportion (E=h*v) oder eine elektrische Elementarteilung oder ein Silberatom oder ein Fullerenmolekül oder sogar ein komplexs System wie ein Mensch aufgefächert haben, wenn sie zugleich an einem bestimmten Ort registriert wurden?
b) Wie ergibt sich diese Auffächerung aus den zugehörigen Gleichungen?
Die Frage a) ist berechtigt.

Ich denke, die Auffächerung des Quantenzustandes wird durch die Dekohärenz genügend gut beschrieben. Zunächst haben wir ein System (|a> + |b>) * |0>, wobei a,b für orthogonale Zustände eines mikroskopischen Systems stehen, also ein verschränkter Zustand des Quantensystems vorliegt, sowie ein initialer makroskopische Zustand |0>, der z.B. Messgerät und Umgebung umfasst. Nach erfolgter Messung liegt ein Zustand vor, der bzgl. einer gemessenen Observablen näherungsweise von der Form |a,A> + |b,B> ist, wobei weitere, nicht-diagonale Terme unterdrückt sind. Dieser Zustand inkl. Messgerät und Umgebung ist also "in zwei Unterräumen im Hilbertraum lokalisiert".

Wenn nun gerade Lokalisierung im Ortsraum vorliegt, und Messgeräte etc. "mit auffächern", dann existiert keine Möglichkeit, Interferenz zwischen den Zweigen (inkl. der aufgefächerten Beibachter) festzustellen, da jeder Zweig eines Beobachters immer nur Zugriff auf Zweige "seines" Messgerätes, "seines" Labors usw. hat. Das ist eine Art Superauswahlregel.

Ich denke, bis hierher ist das letztlich eine Konsequenz der Dekohärenz und recht gut mathematisch abgesichert.

Ich weiß nicht genau, was du mit b) meinst. Aber ich verstehe dich so, dass du ein Problem damit hast, dass jeder Zweig (aus Sicht des Beobachters je Zweig) bestimmte Objekte und Eigenschaften immer vollständig wahrnimmt, inkl. der Erhaltungsgrößen wie Energie, Ladung etc.

Dazu folgendes: nehmen wir an, a und b aus dem o.g. Beispiel entsprächen zwei Energien Ea und Eb des Quantensystems. Dann liegt nach der Messung ein Zustand |Ea, EA> + |Eb, EB> vor. EA bedeutet z.B., dass das Messgerät Ea anzeigt. Je Zweig befindet sich das System in einem Eigenzustand, und jeder Beobachter (je Zweig) nimmt nur diesen Zweig wahr. Demnach erscheint je Beobachter ein Kollaps vorzuliegen - was nicht stimmt, der jeweils andere Zweig ist lediglich unsichtbar geworden.

Zusammenfassend: diese Sichtweise, die sich aus der Dekohärenz ergibt, ist verträglich mit der Beobachtung, dass je Beobachter immer genau die Eigenzustände beobachtet werden, die zu den gemessenen Observablen korrespondieren.

Es gibt jedoch noch ein Problem, das ich (***) nennen würde, und das ich selbst noch nicht verstehe (obwohl mir Zeh u.a. versichern, es sei ein Scheinproblem). Nehmen wir an, wir messen die Energie in "unserem" Zweig; wir beobachten also einen Zeiger EA mit Anzeige Ea. Der Erwartungswert dieser Messung ergibt sich aus den üblichen Regeln der QM für den vollständigen Zustand, nicht nur für einen Zweig! Und in diese Berechnung geht die Norm jedes Zweiges ein. Diese Norm je Zweig entspricht der Wsk., sich in diesem Zweig wiederzufinden. Warum??? (Das ist die Problematik *) In die tatsächlichen Messergebnisse gehen aber nur die Eigenwerte Ea ein, und nicht die Norm. Warum??? (Das ist deine Problematik, warum je Zweig immer Energieeigenwerte beobachtet werden und sich die Energie nicht "auf die Zweige verteilt" ***).

Ich
22.04.15, 09:26
Der Erwartungswert dieser Messung ergibt sich aus den üblichen Regeln der QM für den vollständigen Zustand, nicht nur für einen Zweig! Und in diese Berechnung geht die Norm jedes Zweiges ein.Ich verstehe das Problem nicht. Der Erwartungswert für den vollständigen Zustand ergibt sich, indem du den Eigenwert jedes Zweiges mit der Wahrscheinlichkeit des Zweiges gewichtest, logisch. Wieso sollten diese Eigenwerte nochmal mit einer Zahl <1 multipliziert werden?

TomS
22.04.15, 10:31
Es verhält sich doch so:

Vor der Messung liegt ein Quantenzustand

|z> * |0> = (na|a> + nb|b>) * |0>

vor. |a>, |b> sind Eigenzustände der zu messenden Observablen.

Nach der Messung liegt der Zustand

|z', Z'> = n'a|a,A> + n'b|b,B>

vor. "A" umfasst dabei einen Zweig eines aufgefächerten Beobachters nach Beobachtung von "a".

Frage (*) warum entspricht |na|² der Wahrscheinlichkeit, dass "a" beobachtet werden wird?


Bzgl. (***) muss ich nochmal überlegen, wie ich meine diesbzgl. Einwände früher mal formuliert hatte. Ich kann euch das jetzt nicht präzise darlegen und schweige daher lieber bis auf Weiteres.

Ich
22.04.15, 10:51
Frage (*) warum entspricht |na|² der Wahrscheinlichkeit, dass "a" beobachtet werden wird?
Ich verstehe die Frage nicht. Nach Kopenhagen ist es per definitionem so, und nach VWI ist es die Wahrscheinlichkeit, dass du dich im Zweig A wiederfindest.

Hawkwind
22.04.15, 15:05
Ich verstehe die Frage nicht. Nach Kopenhagen ist es per definitionem so, und nach VWI ist es die Wahrscheinlichkeit, dass du dich im Zweig A wiederfindest.

Ist das nicht eines der Postulate der Quantenmechanik?

JoAx
22.04.15, 18:09
Postulat ist immer gut. :)

Falls die Frage Sinn macht, und falls es die selbe Frage ist (nur anders formuliert), wie die von TomS:

- Welchen physikalischen Sinn hat Sqrt(Wahrscheinlichkeit)?

Bei Sqrt(Fläche) ist der Sinn klar, so, als Bspl.

TomS
22.04.15, 21:45
Ich verstehe die Frage nicht. Nach Kopenhagen ist es per definitionem so, und nach VWI ist es die Wahrscheinlichkeit, dass du dich im Zweig A wiederfindest.
Nach Kopenhagen ist das klar. Nach der VWI ist keineswegs klar, dass überhaupt eine Wahrscheinlichkeit auftritt; die Theorie ist deterministisch.

Betrachte ein Experiment, in dem sukzessive eine Reihe von Spins |s1, s2, ... > bzgl. ihrer Orientierung gemessen werden. Jeder Spin sei in einem Zustand a|+> + b|->. Bei jeder Einzelmessung erfolgt eine Verzweigung, bei n Messungen resultieren sozusagen 2^n Zweige. (Achtung: es gibt keine exakte Definition dieser Zählung, das ist nur Interpretation!) Die Wsk. für ein Ergebnis +--++-..., also P(+-++-...) ist das Produkt |abaab...|^2..., also letztlich |a|^2N(+) * |b|^2N(-).

Nun ist es aber so, dass jede Messung an einem Spin nur genau einmal durchgeführt wird. In jedem Einzelfall existieren genau zwei Möglichkeiten. Würde man die gesamte Reihe unabhängiger Messungen betrachten, so wäre nachvollziehbar, dass im Sinne einer statistischen Interpretation die o.g. Wsk. folgt. Sie folgt gemäß der VWI aber in jedem Einzelfall.

Betrachten wir den makroskopischen Zustand a|+, ...> + b|-, ...>. Der innerhalb eines Zweiges beobachtende Beobachter nimmt "seinen" Zweig als vollkommen Real vor, unabhängig vom Vorfaktor.

Die Vorfaktoren a, b der Zustände |+>, |-> sind soetwas wie eine Beschriftung der beiden Seiten einer Münze. Die Wahrscheinlichkeit beim Münzwurf hängt aber nicht von der Bedchriftung ab.

TomS
22.04.15, 21:46
Ist das nicht eines der Postulate der Quantenmechanik?
Ein Postulat (Axiom) der orthodoxen QM, nicht der Everettschen QM.

RoKo
22.04.15, 21:46
Hallo TomS

zunächst mal Danke für deine Mühe.

Ich möchte meine Frage b) nochmals an Hand deiner Antwort präzisieren.



Ich weiß nicht genau, was du mit b) meinst. Aber ich verstehe dich so, dass du ein Problem damit hast, dass jeder Zweig (aus Sicht des Beobachters je Zweig) bestimmte Objekte und Eigenschaften immer vollständig wahrnimmt, inkl. der Erhaltungsgrößen wie Energie, Ladung etc.
Genau so hatte ich es gemeint.

Du antwortest nun darauf:
Dazu folgendes: nehmen wir an, a und b aus dem o.g. Beispiel entsprächen zwei Energien Ea und Eb des Quantensystems. Dann liegt nach der Messung ein Zustand |Ea, EA> + |Eb, EB> vor. EA bedeutet z.B., dass das Messgerät Ea anzeigt. Je Zweig befindet sich das System in einem Eigenzustand, und jeder Beobachter (je Zweig) nimmt nur diesen Zweig wahr. Demnach erscheint je Beobachter ein Kollaps vorzuliegen - was nicht stimmt, der jeweils andere Zweig ist lediglich unsichtbar geworden.Dies ist nun aber keine Antwort auf meine Frage. Deshalb etwas präziser an Hand eines Beispieles gefragt - Ein Lichtquant wird durch einen Strahlteiler geschickt. Wo ergibt sich aus aus den Gleichungen die Berechtigung für die Annahme, dass sich das eine Lichtquant, dass wir vor dem Strahlteiler hatten, hinter dem Strahlteiler nun in zwei Lichtquanten verdoppelt hat, auch wenn diese sich jeweils in anderen Weltzweigen befinden?

Oder anders gefragt - warum gelten in der "Froschperspektive" Ehaltungssätze, und in der Vogelperspektive nicht?

Oder noch anders gefragt - warum wird die Quantisierungsannahme der QED, ein Lichtquant sei nicht weiter teilbar, übersehen?

TomS
22.04.15, 21:59
Das Lichtquant wird nicht verdoppelt.

Ein Lichtquant ist ein spezieller, eindimensionaler Zustand im Hilbertraum. Auch die Zustände |Quant hier und Quant dort> sowie |Quant hier gemessen hier und Quant dort gemessen dort"> sind eindimensionale Zustände. Da verdoppelt sich nichts.

Es gilt Energieerhaltung in dem selben Maße wie in der orthodoxen QM.

Zunächst mal ist [H,H] = 0, d.h. der Erhaltungsatz für H gilt, so wie für eine Ladung Q, auf Operatorebene, unabhängig vom Zustand.

Liegt ein Eigenzustand |E> vor und wird E gemessen, so findet nach der orthodoxen QM kein Kollaps, nach der Everettschen keine Verzeigung statt, da exp(-iHt) |E> = exp(-iHt) |E>.

Liegt ein Überlagerungszustand |Ea> + |Eb> vor, so findet nach der orthodoxen QM ein Kollaps, nach der Everettschen eine Verzweigung statt. In beiden Fällen manifestiert sich ein reales Ea (oder Eb), das vorher so nicht gegeben war., da kein Energie-Eigenzustand. Insofern gilt in der Froschperspektive in beiden Fällen gerade keine Energieerhaltung auf Ebene der Eigenwerte.

Wahrscheinlich muss man die Argumentation aber nochmal sehr sauber durchführen und bei H sowie E unterscheiden, ob das einzelne Quantensystem oder das Gesamtsystem betrachtet wird.

TomS
23.04.15, 00:15
Ich denke, ich sehe so langsam wieder mein und damit auch dein Problem:

Du wunderst dich, dass du in deinem Zweig jeweils nur bestimmte Zweig-lokale Eigenschaften siehst, z.B. immer nur die gemessene Spinkomponente (während die andere unsichtbar wird), jedoch immer die vollständigen Eigenschaften wie z.B. die Elementarladung eines Elektrons.

Die Messung des Spins ist sozusagen Zweig-lokal, die von Ladung jedoch global. Ist das deine Frage?

Ich denke, die Antwort liegt darin, dass entweder, wie in meinem obigen Beispiel keine Eigenzustände vorliegen, oder dass wenn tatsächlich Eigenzustände vorliegen, das Problem keines mehr ist.

Bzgl. der Ladung fällt mir noch ein, dass wenn für diese eine Superauswahlregel gilt, überhaupt keine Nicht-Eigenzustände existieren bzw. präpariert werden können.

RoKo
23.04.15, 21:34
Hallo TomS,

ich verstehe deine Antworten leider nicht.

Das Lichtquant wird nicht verdoppelt.

Ein Lichtquant ist ein spezieller, eindimensionaler Zustand im Hilbertraum. Auch die Zustände |Quant hier und Quant dort> sowie |Quant hier gemessen hier und Quant dort gemessen dort"> sind eindimensionale Zustände. Da verdoppelt sich nichts.Wir sprechen über ein Lichtquant hinter einem Strahlteiler. Das Gesamtsystem befindet sich zwar in einem Überlagerungszustand, aber eben nicht "|Quant hier und Quant dort>" , sondern nur 0,5*|hier> + 0,5* |dort>. Den Zustand "|Quant hier gemessen hier und Quant dort gemessen dort">" kann es nicht geben ohne das eine Lichtquantum zu verdoppeln. Was denn nun?

TomS
23.04.15, 23:14
Wir sprechen über ein Lichtquant hinter einem Strahlteiler. Das Gesamtsystem befindet sich zwar in einem Überlagerungszustand, aber eben nicht "|Quant hier und Quant dort>" , sondern nur 0,5*|hier> + 0,5* |dort>.
Die Schreibweisen meinen exakt das selbe. Die "0.5" ist ist irrelevant. Ein Quant wird beschrieben durch einen eindimensionalen Unterraum im Hilbertraum; der Vorfaktor dient der Normierung, nicht der Zählung.

Du kannst für einen beliebigen Zustand "a*|hier> + b*|da> + c*|dort> + ..." immer eine Basistransformation durchführen, so dass in der neuen Basis dieser Zustand selbst zu einem Basisvektor |...> wird.

Den Zustand "|Quant hier gemessen hier und Quant dort gemessen dort">" kann es nicht geben ohne das eine Lichtquantum zu verdoppeln.
Doch, genau dieser Zustand, oder in deiner Schreibweise

|Quant hier gemessen hier> + |Quant dort gemessen dort>

resultiert aus der Dekohärenz, und dabei findet keine Verdoppelung statt.

(Streng genommen ist dies bei Lichtquanten nicht ganz korrekt, da das Lichtquant üblicherweise durch die Messung zerstört wird; also nehmen wir stattdessen ein Stern-Gerlach-Experiment, in dem der Spin z.B. in der xy-Ebene präpariert und bzgl. der z-Richtung gemessen wird. Das ist aber für die Argumentation nicht relevant)

Der resultierende Quantenzustand lautet dann in sehr guter Näherung.

|+, + gemessen und angezeigt, ...> + |-, - gemessen und angezeigt, ...>

wobei ich den Zustand des Spins, den des Messgerätes sowie mit ... den der Umgebung andeute.

Dabei handelt es sich wieder um einen eindimensionalen Zustandsvektor, der Spin und Messgerät kodiert. Da verdoppelt sich nichts. Es handelt sich um exakt denselben Formalismus wie beim ursprünglichen Überlagerungszustand

|+> + |->,

da würdest du auch nicht von einer Verdoppelung sprechen.

Die orthodoxe QM behauptet, dass einer der beiden Terme verschwindet; sie kann nicht erklären welcher, und auch nicht warum.
Die Everettsche QM behauptet, dass der Gesamtzustand entsprechend der unitären Zeitentwicklung (der Schrödungergleichung) weiterexistiert.

Das ist wohl ein zentrales Missverständnis bzgl. der Everettschen Interpretation: diese sagt keine Verdoppelung des Quantenzstandes voraus; diese sogenannte "Verzweigung" ist die eigtl. Interpretation und resultiert dann, wenn der Zustand in einer bestimmten Darstellung bzw. in einer bestimmten Basis analysiert wird, bzgl. der er als Summe verschiedener Terme dargestellt wird. Aber dies ist nicht primär. Primär ist der eindimensionale Quantenzstand.

TheoC
24.04.15, 11:59
Hi Tom

wenn ich es recht verstanden habe verzweigt das Universum gemäß VWI in alle möglichen Richtungen, inklusive Bezugssystem und Beobachter.

Nachdem ich, (ausgenommen nach übermässigen Alkoholgenss :D) keine Auffächerung wahrnehme, versuch ich dir mein Denkproblem mitzuteilen.

Mt der Dekohärenz wird beschrieben, dass sich überlagerte Quantenzustände kurzfristig durch (meist für Physiker unerwünschte) Wechselwirkungen aufheben. Das ist aber imho nur relevant, wenn ich genau einen Überlagerungszustand über eine bestimmte Zeit erhalten will. Licht existiert entweder als punktförmige Wirkung an eine Elektron gebunden (ist vermutlich physikalisch völlig falsch definiert), oder überlagert.

Wenn ein Photon eine Wechselwirkung eingeht, war es davor verschränkt, egal wie lange. Wenn es absorbiert wird und wieder abgegeben, ist es danach auch wieder verschränkt. Jede Wechselwirkung führt aber zu einer Auffächerung. :confused:

An sich sind Photonen immer verschränkt, wenn sie nicht gerade als Wirkung an eine Elektron übertragen sind. Durch die Dekohärenz kommt es nur zu wesentlich mehr Auffächerungen.:confused:

Da müssten doch auch eine Menge an Auffächerungen zustande kommen, die auch unwahrscheinliche Vorgänge beschreiben.

Mir ist nicht klar, warum der Bewusstseinstrang an den ich mich erinnern kann, immer in einem extrem wahrscheinlichen Universum ist. Ich könnte (und sollte doch auch) wenn mein Bewusstsein nicht in der Lage ist immer alle Wahrscheinlichkeiten des Universums durchzurechnen, auch zumindest teilweise, extem unwahrscheinliche Welten erleben.

Ich gebe aber zu dass ich den Begriff Dekohärenz in seiner mathematischen Konsequenz für die VWI null verstanden habe.

lg
Theo

Hawkwind
24.04.15, 14:09
Durch die Dekohärenz kommt es nur zu wesentlich mehr Auffächerungen.


Nach meinem begrenzten Verständnis sollen die Interpretationen der Quantenmechanik - so auch die Viele-Welten-Interpretation (VWI) - das Messproblem der Quantenmechanik auflösen, d.h. die Frage, welcher Mechanismus abseits der Schrödingergleichung dafür sorgt, dass sich bei einer jeden Messung spontan ein Eigenzustand zum Messwert einstellt.

Die Dekohärenz beruht m.E. auf Wechselwirkungen, die sich komplett und befriedigend mit den Methoden der Quantenmechanik beschreiben und berechnen lassen. Dafür brauchst du keine Interpretation wie VWI hinzuzuziehen.



Mir ist nicht klar, warum der Bewusstseinstrang an den ich mich erinnern kann, immer in einem extrem wahrscheinlichen Universum ist.


Woher willst du das wissen, dass deine Erinnerungen auf ein "extrem wahrscheinliches Universum" hinweisen?

Gruß,
Uli

TheoC
24.04.15, 15:59
Zitat Hawkwind
Woher willst du das wissen, dass deine Erinnerungen auf ein "extrem wahrscheinliches Universum" hinweisen?
:)
Zumindest erscheint es berechenbar zu sein, der Sternenhimmel schaut jeden Abend gleich aus, es fallen keine Steine nach oben, ....

Aber du hast natürlich Recht. Kann ich gar nicht wissen...

lg
Theo

TomS
24.04.15, 19:21
... wenn ich es recht verstanden habe verzweigt das Universum gemäß VWI in alle möglichen Richtungen, inklusive Bezugssystem und Beobachter.
Nicht "Richtungen", sonst OK.

Mit der Dekohärenz wird beschrieben, dass sich überlagerte Quantenzustände kurzfristig durch Wechselwirkungen aufheben.
Dass verschiedene Komponenten der Quantenzustände mehr oder weniger schnell ihre Interferenzfähigkeit verlieren.

Licht existiert entweder als punktförmige Wirkung an eine Elektron gebunden (ist vermutlich physikalisch völlig falsch definiert), oder überlagert.
Verstehe ich nicht. Im Sinne der QM "existiert" Licht als Zustandsvektor. Ob lokalisiert oder nicht kommt auf die Bedingungen bzw. die Präparation an.

Wenn ein Photon eine Wechselwirkung eingeht, war es davor verschränkt, egal wie lange. Wenn es absorbiert wird und wieder abgegeben, ist es danach auch wieder verschränkt.
Nicht verschränkt. Verschränkung ist eine spezielle Eigenschaft von Mehrteilchensystemen.

Jede Wechselwirkung führt aber zu einer Auffächerung ... Durch die Dekohärenz kommt es nur zu wesentlich mehr Auffächerungen.
Ich denke nicht, dass man das wirklich quantifizieren kann.

Da müssten doch auch eine Menge an Auffächerungen zustande kommen, die auch unwahrscheinliche Vorgänge beschreiben.

Mir ist nicht klar, warum der Bewusstseinstrang an den ich mich erinnern kann, immer in einem extrem wahrscheinlichen Universum ist.
Na ja, weil es einfach so wahrscheinlich ist.

Kannst du dich daran erinnern, wie gestern die Scherben hochgehüpft sind und zu einen Glas wurden?

Zunächst mal ist die Dekohärenz nichts anderes als die Wechselwirkung eines zunächst isolierten Quantensystems mit einem makroskopischen System. Formal unterscheidet sich das in nichts von der bekannten QM. Lediglich die Konsequenzen sind andere, da das Quantensytem mit dem gesamten System verschränkt wird, nicht nur mit einem anderen Quantensystem. Wenn du ein Elektron mit einem zweiten verschränkst, bleibt die wechselweise Sichtbarkeit der Komponenten des Zustandes erhalten. Wenn du dagegen ein Elektron mit einem Messgerät + Umgebung verschränkst und dabei den Spin misst, werden die Komponenten (Zweige, Welten, Bratwürste, ...) wechselweise unsichtbar.

TomS
24.04.15, 19:30
Die Dekohärenz beruht m.E. auf Wechselwirkungen, die sich komplett und befriedigend mit den Methoden der Quantenmechanik beschreiben und berechnen lassen. Dafür brauchst du keine Interpretation wie VWI hinzuzuziehen.
Richtig.

Die Dekohärenz erklärt mathematisch, wie und warum im Falle makroskopischer Systeme die eine quantenmechanischen Welt als inkohärente Ansammlung wechselweise unsichtbarer "Teil-Welten" (Zweige, ...) erscheint.

Die orthodoxe Interpretation behauptet, dass alle bis auf eine "Teil-Welt" im Zuge des sog. Kollapses verschwinden, und dass diese eine "Teil-Welt" dann als die eine, neue quantenmechanische Welt weiterexistiert. Wann genau das geschieht und wann nicht, kann diese Interpretation nicht erklären. Es geschieht im Zuge einer "Messung", aber der Unterschied zwischen Messung und normaler Wechselwirkung bleibt unklar.

Die Everettsche Interpretation behauptet, dass die eine quantenmechanische Welt mit allen "Teil-Welten" erhalten bleibt.

TomS
24.04.15, 19:38
Nochmal zum eigentlichen und m.E. einzigen Rätsel der Everettschen Quantenmechanik:

1a) Wir nehmen eine Münze und werfen sie. Die Wsk. für "Kopf" ist 50%.
1b) Wir schreiben auf eine Seite der Münze 64%, auf die andere 36%. Wir werfen die Münze. Die Wsk. für "Kopf" bleibt 50%.

2) Wir nehmen einen Quantenzstand mit zwei Komponenten |a> und |b>. Wir schreiben vor die Komponente |a> die Zahl 0.8, vor |b> die Zahl 0.6. Die beobachtete Wsk. für |a> ist dann 64%.

Warum?

Ich
24.04.15, 22:08
Warum?Postulat.

Ich denke, dass du die VWI etwas überstrapazierst von wegen "natürlich" und "ohne komische Postulate". Oder dass sie eventuell unterscheidbar von der Kopenhagener Deutung sei.
Meines Erachtens braucht die VWI ein Postulat, dass man sich als Beobachter mit einer Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Zweig wiederfindet, die dessen Amplitudenquadrat proportional ist. Anders geht es nicht.

Da ist der Unterschied zu Kopenhagen auch nicht gar so groß. In Dänemark verzichtet man auf die vielen Zweige und nimmt die Wellenfunktion als Aussage zu unserer Kenntnis der Wahrscheinlichkeiten. Wenn sie kollabiert, ist das kein physikalischer instataner Vorgang, sondern nur eine Neubewertung unseres Wissens. Das mag jetzt den eher mathematisch angehauchten Geistern wie dir arg unbefriedigend vorkommen (ich teile dein Unbehagen da auch etwas), aber man kann sich um die üblen philosophischen Schlussfolgerungen drücken, die mit der VWI daherkommen. Ist halt sehr pragmatisch, der Ansatz.

TomS
24.04.15, 22:39
Postulat.
Nein, das ist im Rahmen der VWI kein Postulat; es gibt diverse Argumente und Arbeiten (seit Everett), das Projektionspostulat / die Bornsche Regel als Theorem abzuleiten; ich suche dir Veröffentlichungen heraus.

Ich denke, dass du die VWI etwas überstrapazierst von wegen "natürlich" und "ohne komische Postulate".
Das ist der wesentliche Vorteil.

Meines Erachtens braucht die VWI ein Postulat, dass man sich als Beobachter mit einer Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Zweig wiederfindet, die dessen Amplitudenquadrat proportional ist. Anders geht es nicht.
Warum?

Da ist der Unterschied zu Kopenhagen auch nicht gar so groß. In Dänemark verzichtet man auf die vielen Zweige und nimmt die Wellenfunktion als Aussage zu unserer Kenntnis der Wahrscheinlichkeiten. Wenn sie kollabiert, ist das kein physikalischer instataner Vorgang, sondern nur eine Neubewertung unseres Wissens. Das mag jetzt den eher mathematisch angehauchten Geistern wie dir arg unbefriedigend vorkommen ...
Das hat wenig mit Mathematik zu tun, sondern mehr mit Philosophie. Betrachtest du den Quantenzustand als Repräsentant einer Realtität? Oder als Kodierung von Wissen? Oder als Basis für Rechenregel im Sinne von "shut up and calculate"?

RoKo
24.04.15, 22:46
Hallo TomS,

..
Die Everettsche Interpretation behauptet, dass die eine quantenmechanische Welt mit allen "Teil-Welten" erhalten bleibt. ..

Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden.

Aber Du (und andere VWI-Anhänger) behaupten mehr; nämlich dass die entstandenen "Teil-Welten" real existieren und Energie, Ladungen, Masse und andere messbare Eigenschaften haben. Das gibt der mathematische Formalismus jedoch nicht her. Deshalb bezweifele ich diese Behauptungen. Darüber hinaus scheinst du nicht zu begreifen, dass man etwas Unteilbares verdoppeln muß, wenn man es in zwei "Teil-Welten" messen kann.
Das ist wohl ein zentrales Missverständnis bzgl. der Everettschen Interpretation: diese sagt keine Verdoppelung des Quantenzstandes voraus; Das zentrale Missverständis zwischen uns beiden scheint zu sein, dass du interpretierst, ich rede von einer Verdoppelung des Quantenzustandes; während ich die Verdoppelung der Energie gemeint habe. Ferner ist es wohl das zentrale Missverständnis der VWI-Anhänger, dass sie den Zustand eines Systems mit dem System selbst verwechseln.
Du musst daher jetzt in Kauf nehmen, dass ich ausführlicher antworte. Dabei bleibe ich bei meinem Beispiel "Lichtquant am Strahlteiler" und gehe dann noch auf den "Elitzur-Vaidmann-Versuch" ein.

(1) Wenn man ein Lichtquant durch einen Strahlteiler schickt, dann schickt man ein elektromagnetisches Wellenpaket durch einen Strahlteiler, dass eine unteilbare Energieportion E=h*v enthält.
(2) Hinter dem Strahlteiler haben wir nun zwei Teilwellen auf den Wegen "hier" und "dort".
(3) In der Dirac-Schreibweise lässt sich dies darstellen als
0,5*|hier> + 0,5* |dort>
(4) Richtig; die Vorfaktoren dienen der Normierung. D.h. h*v=1.
(5) Eine simple Überlegung für eine Energiebilanz zeigt, dass die beiden Teilwellen nach dem Strahlteiler gemeinsam weiterhin nur eine Energieportion transportieren, da wir nichts hinzugefügt oder weggenommen haben.
(6) Aus (5) folgt, dass nur eine der Teilwellen diese unteilbare Energieportion transportieren kann. Wir wissen nur nicht, welche.
(7) Die andere Teilwelle muss dann logischerweise ineffektiv oder "blind" sein.
(8) Aussage (6) lässt sich empirisch nachweisen, indem man die Energieportion auf einen Detektor wirken lässt. Bislang wurde immer bestätigt, dass entweder der Detektor "hier" oder der Detektor "dort" anspricht.
(9) Dies lässt sich durch den logischen Term "Lichtquant hier xor Lichtquant dort" ausdrücken. (Der Opertor xor meint "exclusiv oder").
(10) Wie der "Elitzur-Vaidmann-Versuch" (u.a.) zeigt, darf die in Aussage (7) angesprochene ineffektive Teilwelle solange nicht vernachlässigt werden, wie das Gesamtsystem kohärent existiert.
(11) Der mathematische Formalismus der Quantenphysik beschreibt wesentlich, welche energetischen Möglichkeiten ein System hat. Er ist nur in Verbindung mit der Born-Regel richtig.
(12) Wenn die Born-Regel gilt, dann auch Glaeson's Theorem.
(13) Aus (12) folgt, dass man den Term "0,5*|hier> + 0,5* |dort>" als Boolschen Therm lesen muss: 0,5*|hier> xor 0,5* |dort>. Die Vorfaktoren werden dann unter Beachtung von Borns Fussnote zur Wahrscheinlichkeit.
(14) Wenn man (13) beachtet, dann wird auch verständlich, warum Everett von relativen Zuständen und nicht von "vielen Welten" gesprochen hat.
(15) Richtig ist nämlich, dass ein "Kollaps der Wellenfunktion" nicht stattfindet und auch nicht gebraucht wird.
(16) Wenn wir nämlich durch einen Energieumwandlungsprozess irreversibel feststellen, in welchem Zweig sich die zuvor transorpierte Energie befunden haben muss, dann stellen wir zugleich fest, dass alle übrigen Zweige ineffektiv sein müssen. Das ist die Logik des xor. (siehe 13).
(17) In unserem Kopf (vergl. Zeilinger) dürfen wir den Kollaps jedoch stattfinden lassen. Die ineffektiven Teilwellen existieren zwar weiterhin, aber sie können mit der umgewandelten effektiven Teilwelle niemals mehr interferieren. Und mangels Energie können sie auch nichts anderes bewirken.

TomS
25.04.15, 07:45
Postulat.

Ich denke, dass du die VWI etwas überstrapazierst von wegen "natürlich" und "ohne komische Postulate". Oder dass sie eventuell unterscheidbar von der Kopenhagener Deutung sei.
Meines Erachtens braucht die VWI ein Postulat, dass man sich als Beobachter mit einer Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Zweig wiederfindet, die dessen Amplitudenquadrat proportional ist. Anders geht es nicht.
Wie gesagt, nein, die VWI behauptet, dieses Postulat gerade nicht zu benötigen. Anbei einige Referenzen:

David Wallace

http://arxiv.org/pdf/quant-ph/0211104v1.pdf
http://arxiv.org/pdf/0906.2718v1.pdf
http://users.ox.ac.uk/~mert0130/papers-prob.shtml


Sean Carroll

http://arxiv.org/pdf/1405.7907.pdf
http://www.preposterousuniverse.com/blog/2014/06/30/why-the-many-worlds-formulation-of-quantum-mechanics-is-probably-correct/

TomS
25.04.15, 07:55
Aber Du (und andere VWI-Anhänger) behaupten mehr; nämlich dass die entstandenen "Teil-Welten" real existieren und Energie, Ladungen, Masse und andere messbare Eigenschaften haben. Das gibt der mathematische Formalismus jedoch nicht her.

Deshalb bezweifele ich diese Behauptungen. Darüber hinaus scheinst du nicht zu begreifen, dass man etwas Unteilbares verdoppeln muß, wenn man es in zwei "Teil-Welten" messen kann.
Genau, das gibt der Formalismus nicht her, und deswegen behauptet das auch niemand!

Schau dir mal einen Zustand eines einziges isolierten Elektrons an, der an zwei Stellen im Ortsraum gepeaked ist:

|Elektron hier> + |Elektron dort>

Wir haben ein Elektron!

Jetzt schauen wir uns einen Zustand an, der gemäß unitärer Zeitentwicklung und Dekohärenz gemäß der Standard-QM aus Messung und Verschränkung mit der Umgebung folgt:

|Elektron hier, detektiert hier, ...> + |Elektron dort, registriert dort, ...>

Wieder haben wir nur ein Elektron! Und das hat nichts mit der VWI zu tun, das ist Standard-QM!

Das zentrale Missverständis zwischen uns beiden scheint zu sein, dass du interpretierst, ich rede von einer Verdoppelung des Quantenzustandes; während ich die Verdoppelung der Energie gemeint habe.
Dann zeige dich bitte mal, an welcher Stelle aus dem Formalismus folgt, dass sich die Energie verdoppelt.

Ferner ist es wohl das zentrale Missverständnis der VWI-Anhänger, dass sie den Zustand eines Systems mit dem System selbst verwechseln.
Nein, sie verwechseln das durchaus nicht. Sie behaupten lediglich, dass der Zustand die Realität beschreibt. Das ist eine zulässige philosophische Position, genannt Realismus (ich denke, ursprünglich Platonismus).

Es ist korrekt, dass man andere Positionen einnehmen kann, und dass das Messproblem dann letztlich dadurch verschwindet, dass man es ignoriert (der Formalismus funktioniert praktisch; warum das so ist und welchen Bezug er zur Realität hat, ist irrelevant). Diese Haltung ist natürlich philosophisch ebenfalls möglich, jedoch (für mich) unbefriedigend. Wenn man also eine realistische Haltung einnehmen möchte und dem Quantenzustand zuspricht, dass er "die Realität repräsentiert", dann gibt es nur die Möglichkeit, die Everettsche Interpretation zu akzeptieren.

Du musst daher jetzt in Kauf nehmen, dass ich ausführlicher antworte. Dabei bleibe ich bei meinem Beispiel "Lichtquant am Strahlteiler" und gehe dann noch auf den "Elitzur-Vaidmann-Versuch" ein.

(1) Wenn man ein Lichtquant durch einen Strahlteiler schickt, dann schickt man ein elektromagnetisches Wellenpaket durch einen Strahlteiler, dass eine unteilbare Energieportion E=h*v enthält.
(2) Hinter dem Strahlteiler haben wir nun zwei Teilwellen auf den Wegen "hier" und "dort".
(3) In der Dirac-Schreibweise lässt sich dies darstellen als
0,5*|hier> + 0,5* |dort>
(4) Richtig; die Vorfaktoren dienen der Normierung. D.h. h*v=1.
(5) Eine simple Überlegung für eine Energiebilanz zeigt, dass die beiden Teilwellen nach dem Strahlteiler gemeinsam weiterhin nur eine Energieportion transportieren, da wir nichts hinzugefügt oder weggenommen haben.
(6) Aus (5) folgt, dass nur eine der Teilwellen diese unteilbare Energieportion transportieren kann. Wir wissen nur nicht, welche.
(7) Die andere Teilwelle muss dann logischerweise ineffektiv oder "blind" sein.
(8) Aussage (6) lässt sich empirisch nachweisen, indem man die Energieportion auf einen Detektor wirken lässt. Bislang wurde immer bestätigt, dass entweder der Detektor "hier" oder der Detektor "dort" anspricht.
(9) Dies lässt sich durch den logischen Term "Lichtquant hier xor Lichtquant dort" ausdrücken. (Der Opertor xor meint "exclusiv oder").
(10) Wie der "Elitzur-Vaidmann-Versuch" (u.a.) zeigt, darf die in Aussage (7) angesprochene ineffektive Teilwelle solange nicht vernachlässigt werden, wie das Gesamtsystem kohärent existiert.
(11) Der mathematische Formalismus der Quantenphysik beschreibt wesentlich, welche energetischen Möglichkeiten ein System hat. Er ist nur in Verbindung mit der Born-Regel richtig.
(12) Wenn die Born-Regel gilt, dann auch Glaeson's Theorem.
(13) Aus (12) folgt, dass man den Term "0,5*|hier> + 0,5* |dort>" als Boolschen Therm lesen muss: 0,5*|hier> xor 0,5* |dort>. Die Vorfaktoren werden dann unter Beachtung von Borns Fussnote zur Wahrscheinlichkeit.
(14) Wenn man (13) beachtet, dann wird auch verständlich, warum Everett von relativen Zuständen und nicht von "vielen Welten" gesprochen hat.
(15) Richtig ist nämlich, dass ein "Kollaps der Wellenfunktion" nicht stattfindet und auch nicht gebraucht wird.
(16) Wenn wir nämlich durch einen Energieumwandlungsprozess irreversibel feststellen, in welchem Zweig sich die zuvor transorpierte Energie befunden haben muss, dann stellen wir zugleich fest, dass alle übrigen Zweige ineffektiv sein müssen. Das ist die Logik des xor. (siehe 13).
(17) In unserem Kopf (vergl. Zeilinger) dürfen wir den Kollaps jedoch stattfinden lassen. Die ineffektiven Teilwellen existieren zwar weiterhin, aber sie können mit der umgewandelten effektiven Teilwelle niemals mehr interferieren. Und mangels Energie können sie auch nichts anderes bewirken.
Muss ich mir genauer anschauen.

Hawkwind
25.04.15, 08:38
...
Die Everettsche Interpretation behauptet, dass die eine quantenmechanische Welt mit allen "Teil-Welten" erhalten bleibt.

Diese (Standard-) Interpretationen sind eben Metaphysik, da per Beobachtung nicht voneineinander zu unterscheiden. So habe ich das zumindest noch gelernt.

Gelegentlich findet man aber doch Autoren, die Experimente vorschlagen, um angebliche "Interferenzen" zwischen den Welten o.ä. nachzuweisen. Weisst du was darüber?

Gruß,
Uli

TomS
25.04.15, 10:30
@RoKo: zur Frage der Energieerhaltung habe ich folgende Erläuterung von Wilczek gefunden.

http://frankwilczek.com/2013/multiverseEnergy01.pdf

Ich denke, das zeigt schlüssig, dass kein Problem mit der Energieerhaltung existiert.

Es gibt leider viele verwirrende Aussagen dazu, aber diese halte ich für überzeugend.

TomS
25.04.15, 10:33
Gelegentlich findet man aber doch Autoren, die Experimente vorschlagen, um angebliche "Interferenzen" zwischen den Welten o.ä. nachzuweisen. Weisst du was darüber?
Nur Pauschalaussagen, dass prinzipiell Experimente möglich sind; hatte ich hier auch kurz erwähnt. Nichts praktisch verwertbares. Müssen wir googeln.

Timm
25.04.15, 18:04
zur Frage der Energieerhaltung habe ich folgende Erläuterung von Wilczek gefunden.

http://frankwilczek.com/2013/multiverseEnergy01.pdf

Ich denke, das zeigt schlüssig, dass kein Problem mit der Energieerhaltung existiert.

Wie der Artikel zeigt, hadern mit der Energieerhaltung selbst Nobelpreisträger.
Mir hilft der Artikel leider nichts, weil zu technisch.

Vielleicht sollte man mal im PhysicsForum recherchieren. Da gibt's manche Experten mit der besonderen Begabung, komplexe Sachverhalte noch halbwegs allgemeinverständlich auszudrücken.

Ich hatte den Hintergrund dieser nur scheinbar wundersamen Energievermehrung darin vermutet, daß die relativen Zustände im Konfigurationsraum orthogonal zueinander stehen. Vielleicht ist dieser Raum in dem Sinne kein isoliertes System mit Energieerhaltung, als man vermutlich (?) die Energie der auf die verschiedenen Zweige verteilten Teilchen (wegen der Orthogonalität) nicht einfach aufsummieren kann. Aber vielleicht ist das auch nur ein Scheinargument.

RoKo
25.04.15, 22:59
..

Schau dir mal einen Zustand eines einziges isolierten Elektrons an, der an zwei Stellen im Ortsraum gepeaked ist:

|Elektron hier> + |Elektron dort>

Wir haben ein Elektron!
Genau genommen haben wir ein Elektron, dessen Zustand eine Superposition der Teilzustände |hier> + |dort> ist. Korrekter wäre es deshalb zu schreiben: |Psi (Elektron)> =|hier> + |dort>Jetzt schauen wir uns einen Zustand an, der gemäß unitärer Zeitentwicklung und Dekohärenz gemäß der Standard-QM aus Messung und Verschränkung mit der Umgebung folgt:

|Elektron hier, detektiert hier, ...> + |Elektron dort, registriert dort, ...>
Spätestens hier hätten wir bereits zwei Elektronen, wenn sie den gleichzeitig hier und dort registriert würden. Eine solche Elektronen-Verdoppelung hat jedoch noch nie jemand beobachtet.
Dann zeige dich bitte mal, an welcher Stelle aus dem Formalismus folgt, dass sich die Energie verdoppelt.Wenn man den Formalismus ohne Berücksichtigung der Bornregel so anwendet wie Du, dann verdoppelt man das Elektron - und damit auch dessen Ladung, Masse und Energie. Denn du behauptest ja, dass beide "Zweige" gleichermaßen real sind; auch wenn diese Zweige sich nicht mehr gegenseitig beeinflussen können.
Wendet an hingegen zusätzlich die Born-Regel an (was normale Physiker tun), dann ergibt sich automatisch, dass der Term "|Elektron hier, detektiert hier, ...> + |Elektron dort, registriert dort, ...>" schlicht falsch ist. Richtig ist vielmehr
|Psi(Elektron)*Psi(Messgerät)> = |hier, gemessen hier> + |dort, nicht gemessen dort>Nein, sie verwechseln das durchaus nicht. Sie behaupten lediglich, dass der Zustand die Realität beschreibt. Das ist eine zulässige philosophische Position, genannt Realismus (ich denke, ursprünglich Platonismus). Wenn man Philosophie betreiben will, dann muß man sich zunächst um Begriffe kümmern und diese konsequent und konsistent anwenden. Im obigen Beispiel ist das Elektron das Element der Realität und Psi ist der variable Zustand dieses Elektrons, also eine Eigenschaft des Elektrons. Über diesen variablen Zustand hinaus hat das Elektron noch weitere, konstante Eigenschaften wie Ladung und Masse. Die Energie des Elektrons (ebenfalls eine Eigenschaft) steckt in dessen variablen Zustand. Die von mir bevorzugte Schreibweise " |Psi (Elektron)> =|hier> + |dort>" meint deshalb in Worten:
Der variable Zustand (=Psi) des Elektrons befindet sich bezüglich möglicher Wechselwirkungsorte in einer Überlagerung von "hier" und "dort". Man beachte bitte, das "Ort" (im Sinne eines definierten Punktes) keine Eigenschaft des Elektrons ist.
Am Rande: Die Eigenschaft "Ort" ist eine emergente Eigenschaft, die näherungsweise erst Atomen zukommt. Das liegt daran, dass sich ein atomgebunenes Elektron und ein atomgebundenes Proton gegenseitig variable Zustände aufzwingen, die man grob als kugelsymmetrisch mit einenem gemeinsamen Mittelpunkt bezeichen könnte. Richtig manifest wird die Eigenschaft Ort jedoch erst mit Festkörpern, wo sich die Atome untereinander auch noch näherungsweise fixe Abstände aufzingen.

Es ist korrekt, dass man andere Positionen einnehmen kann, und dass das Messproblem dann letztlich dadurch verschwindet, dass man es ignoriert (der Formalismus funktioniert praktisch; warum das so ist und welchen Bezug er zur Realität hat, ist irrelevant). Diese Haltung ist natürlich philosophisch ebenfalls möglich, jedoch (für mich) unbefriedigend. Dem stimme ich voll zu.. Wenn man also eine realistische Haltung einnehmen möchte und dem Quantenzustand zuspricht, dass er "die Realität repräsentiert", dann gibt es nur die Möglichkeit, die Everettsche Interpretation zu akzeptieren...aber wie bereits von de Broglie und Bohm gezeigt, gibt es auch andere realistische Möglichkeiten, welche die Zumutungen der VWI vermeiden.

RoKo
25.04.15, 23:31
.. zu

http://frankwilczek.com/2013/multiverseEnergy01.pdf

Was sagt uns E=E1=E2? (Siehe Seite 3, drei Zeilen unterhalb Gleichung (9))
Mir sagt es, dass die Erwartungswerte für die Energie des Gesamtsystems gleich den Erwartungswerten in "Zweig 1" und in "Zweig 2" sind. Also können wir nur Erwarten, sie in Zweig 1 oder in Zweig 2 zu finden.

Timm
26.04.15, 10:15
Was sagt uns E=E1=E2? (Siehe Seite 3, drei Zeilen unterhalb Gleichung (9))
Mir sagt es, dass die Erwartungswerte für die Energie des Gesamtsystems gleich den Erwartungswerten in "Zweig 1" und in "Zweig 2" sind. Also können wir nur Erwarten, sie in Zweig 1 oder in Zweig 2 zu finden.
Direkt darunter steht:

"Informally, we may say that if the other universes are inaccessible, they cannot be sources or sinks of energy".

Das scheint mir das entscheidende Argument zu sein, das der Energievermehrung entgegen gehalten wird. Wobei mir nicht klar ist, weshalb man die Summe der Erwartungswerte bemüht. Geht es denn nicht eigentlich um die Energieeigenwerte?

TomS
26.04.15, 10:59
Genau genommen haben wir ein Elektron, dessen Zustand eine Superposition der Teilzustände |hier> + |dort> ist. Korrekter wäre es deshalb zu schreiben: |Psi (Elektron)> =|hier> + |dort>
Ja, deine Notation ist exakter.

Spätestens hier hätten wir bereits zwei Elektronen, wenn sie den gleichzeitig hier und dort registriert würden. Eine solche Elektronen-Verdoppelung hat jedoch noch nie jemand beobachtet.
Messung und Beobachtung finden in zwei durch Dekohärenz "wechselweise unsichtbaren Zweigen" statt.

Wenn man den Formalismus ohne Berücksichtigung der Bornregel so anwendet wie Du, dann verdoppelt man das Elektron - und damit auch dessen Ladung, Masse und Energie. Denn du behauptest ja, dass beide "Zweige" gleichermaßen real sind; auch wenn diese Zweige sich nicht mehr gegenseitig beeinflussen können.
Ich hatte dich schon mal gebeten, aus dem Formalismus abzuleiten, wir du zu dieser Behauptung kommst.

Der Gesamtzustand entwickelt sich formal gemäß der unitären Zeitentwicklung

|psi,t> = exp(-iHt) |psi,0>

Wenn [H,Q] = 0, dann ist jede Ladung Q erhalten. Trivialerweise ist wegen [H,H] = 0 auch die Energie erhalten. Wenn |psi> ein Eigenzustand zu H und/oder Q ist, bleibt auch diese Eigenschaft erhalten. Demnach ist die Erhaltung der Gesamtenergie und -Ladung formal über alle Zweige hinweg trivial. Da die VWI nichts anderes behauptet, als dass die unitäre Zeitentwicklung universell gilt, kann aus dem Formalismus selbst keine Verletzung der Energieerhaltung folgen. Stimmst du mir bis hierher zu?

Der makroskopische Zustand des Gesamtsystems entwickelt sich unter exp(-iHt) von

|psi,0> = (|a> + |b>) * |0, ...>

nach

|psi,t> = |a,A,...> + |b,B,...>

"a" steht für eine mikroskopische Eigenschaft des Quantensystems, z.B. "Spin up" in einem Stern-Gerlach-Experiment (in dem auch eine Lokalisierung resultiert), oder andere Systeme. "0" steht für den initialen Zustand des Messgerätes, in dem Quantenobjekt und Messgerät noch isoliert sind. "A" steht für die Freiheitsgrade des Messgerätes, die später diese Eigenschaft "a" anzeigen. "..." steht für die Umgebungsfreiheitsgrade. Diese Entwicklung des Gesamtsystems folgt entsprechend des Standard-Formalismus aus der Dekohärenz und ist in bestimmten Fällen auch experimentell abgesichert (Nobelpreis 2012). Stimmst du mir dabei zu?

Nun nennen wir die Komponente |a,A,...>, in der das Elektron mit Eigenschaft "a" detektiert wird, d.h. in der das Messgerät einer "Zeigerzustand" |A> einnimmt, einen "Zweig". Nur durch diese Namensgebung ändern wir jedoch nichts am Formalismus, führen also keine Inkonsistenz ein. Stimmst du mir bisher zu?

Nochmal zurück zum initialen Zustand; in diesem sind beide "Zweige" bereits angelegt:

|psi,0> = |a> * |0,...> + |b> * |0,...>

Es findet also formal keine Verzweigung im eigentlichen Sinne statt. Die mikroskopisch unterschiedlichen Eigenschaften "a" bzw. "b" werden lediglich makroskopischen "Objekten" wie Messgeräten "eingeprägt". Demnach existiert formal keine Verdoppelung von Zweigen, Objekten und deren Eigenschaften wie Energie, Ladung usw. statt. Stimmst du mir zu?

Bis hier her habe ich nichts aufgeführt, worin sich die orthodoxe QM und die Everettsche QM formal voneinander unterscheiden. Die bisherige Argumentation ist in beiden streng gültig.

1) Der wesentliche Unterschied besteht nun darin, dass die orthodoxe QM in formal nicht definierbaren Fällen = willkürlich Wechselwirkungen eines Quantensystemes mit einem makroskopischen System als "Messung" bezeichnet und einen Kollaps von

|psi,t> = |a,A,...> + |b,B,...>

nach

|psi',t> = c * |a,A,...>

postuliert. D.h. bei t wird zufällig ein Zweig ausgewählt und bestimmt fortan das Geschehen, alle anderen verschwinden. Die Wsk. für diesen gewählten Zweig folgt aus <a,A,...|a,A,...>. Der neue Zustand muss noch geeignet normiert werden, daher der Faktor c.

2) Die Everettsche QM tut nichts dergleichen. Sie führt kein neues Element oder Postulat in die Theorie ein sondern geht auch im Zuge dieser "Messung" von einer Wechselwirkung entsprechend exp(-iHt) aus. Demnach führt sie hier formal sicher keine Inkonsistenz ein. Stimmst du mir hier zu?

Wenn also formal dieses von dir genannte Problem der Verletzung der Energieerhaltung bis hierher nicht existiert, dann muss es aus einer inkonsistenten Anwendung oder Interpretation des Formalismus stammen. Wenn wir bis jetzt einig sind, können wir uns dieser weiteren Anwendung zuwenden. Ansonsten müssen wir nochmal über den Formalismus diskutieren.

Wendet an hingegen zusätzlich die Born-Regel an (was normale Physiker tun), dann ergibt sich automatisch, dass der Term "|Elektron hier, detektiert hier, ...> + |Elektron dort, registriert dort, ...>" schlicht falsch ist. Richtig ist vielmehr
|Psi(Elektron)*Psi(Messgerät)> = |hier, gemessen hier> + |dort, nicht gemessen dort>
Ja, wenn man das Kollaps-Postulat fordert, dann ist das das Ergebnis. Die VWI lehnt das Kollaps-Postulat ab.

TomS
26.04.15, 11:28
Geht es denn nicht eigentlich um die Energieeigenwerte?
Nein, um die geht es in der Everettschen Interpretation zunächst nicht.

Ich denke, ich hatte die Axiome der QM oben schon mal aufgeführt. Die Axiome der QM besagen, dass
1) ein separabler Hilbertraum vorliegt, in dem physikalische Zustände durch eindimensionale Unterräume beschrieben werden
2) physikalische Observablen mittels selbstadjungierter Operatoren beschrieben werden
3) die Zeitentwicklung eines Systems aus U(t) = exp(-iHt) folgt; bzw. äquivalent der Schrödingergleichung folgt
(dazu käme noch das Projektionspostulat, das die orthodoxe QM von der Everettschen unterscheidet)

Das Projektionspostulat der orthodoxen QM gehört also nicht zu den Axiomen der Everettschen QM. D.h. letztere fordert nicht, dass im Zuge einer Messung der Zustand in einen Eigenzustand kollabiert, und sie fordert demzufolge auch nicht, dass in diesem aus der Messung resultierenden Zustand ein Eigenwert vorliegt.

Gemäß der Dekohärenz folgt die Selektion der Eigenzzstände und Eigenwerte durch Wechselwirkung mit der Umgebung ("einselection" = environmental induces selection) *). Die Dynamik des Systems führt dazu, dass sich der Gesamtzustand näherungsweise als Summe von Eigenzständen schreiben lässt. Gemäß der Dekohärenz bleibt diese Summe erhalten. Der Eigenzustand spielt dann eine untergeordnete Rolle; es handelt sich näherungsweise um "deinen lokalen Zweig", "innerhalb dessen" nur diese eine Komponente des Zustandes "sichtbar" ist; deshalb kann ein Beobachter diesen "seinen" Zweig effektiv verwenden und damit so arbeiten wie in der orthodoxen QM. Insofern folgt die Relevanz der Eigenzustände und Eigenwerte aus der Dynamik und dem "Einnehmen der Froschperspektive".

(*) http://arxiv.org/abs/quant-ph/0105127
Decoherence is caused by the interaction with the environment. Environment monitors certain observables of the system, destroying interference between the pointer states corresponding to their eigenvalues. This leads to environment-induced superselection or einselection, a quantum process associated with selective loss of information. Einselected pointer states are stable. They can retain correlations with the rest of the Universe in spite of the environment. Einselection enforces classicality by imposing an effective ban on the vast majority of the Hilbert space, eliminating especially the flagrantly non-local "Schr\"odinger cat" states. Classical structure of phase space emerges from the quantum Hilbert space in the appropriate macroscopic limit: Combination of einselection with dynamics leads to the idealizations of a point and of a classical trajectory. In measurements, einselection replaces quantum entanglement between the apparatus and the measured system with the classical correlation

TomS
26.04.15, 11:53
Was sagt uns E=E1=E2? (Siehe Seite 3, drei Zeilen unterhalb Gleichung (9))
Mir sagt es, dass die Erwartungswerte für die Energie des Gesamtsystems gleich den Erwartungswerten in "Zweig 1" und in "Zweig 2" sind. Also können wir nur Erwarten, sie in Zweig 1 oder in Zweig 2 zu finden.
Das ist eine völlig korrekte Aussage im Kontext der orthodoxen Interpretation.

Everett et al. interpretieren diese Gleichungen (7 - 9) anders. Aus der globalen Perspektive des Gesamtzustandes liegt die Energie E vor. Aus der lokalen Perspektive eines "Zweiges i=1,2" erscheint es so, als ob diese Energie Ei = E in diesem Zweig vorläge. Der wesentliche Punkt ist der Normierungsfaktor im Nenner in Gleichung (8); deswegen sprach Everett auch von "relative States".

Die Everettsche Interpretation enthält keinen Kollaps, keine Bornsche Regel, keine Wahrscheinlichkeiten und daher auch keine Erwartungswerte auf fundamentaler, formaler Ebene. In ihrem Kontext ist es daher falsch, zu sagen "wir können erwarten ...". Damit will ich nicht sagen, dass deine o.g. Sichtweise falsch ist. Sie ist lediglich im Kontext der Everettschen Interpretation sinnlos.

RoKo
26.04.15, 17:20
Hallo TomS,

..
2) Die Everettsche QM tut nichts dergleichen. Sie führt kein neues Element oder Postulat in die Theorie ein sondern geht auch im Zuge dieser "Messung" von einer Wechselwirkung entsprechend exp(-iHt) aus.

Genau bis hier stimme ich all deinen Ausführungen mit einer Ausnahme zu.
Ich stimme auch deiner Antwort an Timm weitgehend zu. Der Text von Zurek ist mir ebenso bekannt, wie alle Texte von Zeh, die über seine Homepage verfügbar sind. Ferner habe ich auch Texte von Schlosshauer und Joos gelesen usw.

Der Streit geht um diesen Satz:
..Demnach existiert formal keine Verdoppelung von Zweigen, Objekten und deren Eigenschaften wie Energie, Ladung usw. statt. ..
Betrachten wir deshalb nochmals den Vorgang genauer.

(1) Was genau ist Psi?

Psi steht hier für den variablen Zustand eines Quantensystems. In diesem variablen Zustand ist die Energie des Systems enthalten.

(2) Was ist Energie?

Physikalisch ist Energie die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten.
Naturphilosophisch ist Energie diejenige Eigenschaft, über die jedes physikalische System verfügt - im Unterschied zu z.B. Zahlen und gedanklichen Konstrukten.

Erste Schlussfolgerung: Psi ist kein gedankliches Konstrukt. Die Kopenhagener Intepretation (Zeilinger: "Psi existiert nur in unserem Kopf") ist daher naturphilosophisch absurd.

(3) Was beschreibt |psi,t> = exp(-iHt) |psi,0>?

Diese Gleichung beschreibt die unitäre zeitliche Entwicklung des variablen Zustandes, in dem die Energie, also die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten, enthalten ist.

Diese Gleichung beschreibt daher die zeitliche Entwicklung einer Fähigkeit.

(4) Was ist |psi|²?

|psi|² beschreibt die Intensität des variablen Zustandes.

(5) Was ist ein Quantum im Sinne der Quantenphysik?

Ein Quantum ist die kleinste, unteilbare Menge von etwas; genauso, wie 1 Cent die kleinste unteilbare Menge Geld ist. Ergibt sich in einer Rechnung ein Bruchteil eines Quants, dann muss in einer Bilanz auf- und abgerundet werden.

(6) Was bedeutet "Normierung"?

Mit der Normierung wird die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten gleich 1 gesetzt.

(7) Was bedeutet |psi> = (a|a> + b|b>)?

Der variable Zustand psi befindet sich in einer Superposition der Zustände a und b mit den Vorfaktoren a und b. Diese sollte man nicht ausser acht lassen.

(8) Was bedeutet z.B. 1 Quantum =0,65 Quantum + 0,35 Quantum in einer quantenphysikalischen Rechnung?

Diese Gleichung stellt einen Widerspruch zur Quantentheorie dar, weil ein Quant eben unteilbar ist. Dieser Widerspruch kann nur aufgelöst werden, wenn man die Brüche als Wahrscheinlichkeit interpretiert, dass eine Quantum im linken oder rechten Zweig der Gleichung zu finden.

(9) Wann tritt dieser Widerspruch auf?

Solange psi die zeitliche Entwicklung einer Fähigkeit beschreibt, also bei Interaktionen mit anderen Systemen keine Arbeit verrichtet wird, tritt dieser Widerspruch nicht auf.

(10) Was bedeutet das für Dekohärenz bzw. Verschränkung ?

Solange keine Arbeit verrichtet wird, lassen sich Systeme beliebig miteinander verschränken. Trifft ein System mit |Psi> =(|a> + |b>)
auf weitere Systeme |S1>..|Sn>, dann ergibt sich lediglich
|Psi_gesamt> =(|a> + |b>)*|S1>*..*|Sn>
Für entsprechende Experimente hat man sich dann auch schonmal den Nobelpreis verdient.

(11) !!!! Im Falle einer Messung oder einer Interaktion, bei der Arbeit verrichtet wird, hat man jedoch einen anderen Fall:

|psi,0> = (|a> + |b>) * |0, ...> führt nicht zu |psi,t> = |a,A,...> + |b,B,...>

Hier wird an einem zweiten Sytem, dass sich vorher im Grundzustand |0> befand, Arbeit verrichtet. D.h aus |0> wird |A> xor |B> durch einen Energieumwandlungsprozess.

Ganz eindeutig ist dies im Falle von Lichtquanten, die durch einen Photomultiplierer detektiert werden. Wäre die VWI-Annahme richtig, dann würde |0> = |A> + |B> gelten, was aber nur mit zwei oder mehr Lichtquanten möglich ist.

Ziemlich klar ist dies auch im Falle eines Stern-Gerlach-Versuches, wenn man ihn mit einzelnen Silberatomen durchführt. In allen anderen Fällen von Meßgeräten wird man den Beschreibungen des Herstellers entnehmen können, warum es so ist.

(12) Bedeutet das nun einen "Kollaps" der Wellenfunktion?

Nein. Wenn die Interaktion beendet ist, dann haben wir lediglich
|Psi_gesamt> =(|a> + |b>)*(|A> xor |B>). Da ist nichts verschwunden oder kollabiert. Je nach dem, ob |A> oder |B> vorliegt, hat sich jedoch |a> oder |b> als Träger der Energie erwiesen und den Rest brauchen wir nicht weiter zu beachten.

TomS
26.04.15, 19:29
Sorry wenn ich das so sage, aber das ist eine Strohmann-Diskussion, die du hier führst.

Ich habe eine recht präzise Darstellung der VWI angeführt, und speziell zu deinen "Verdoppelungsargument" habe ich einen Artikel von Wilczek verlinkt. Du gehst aber weder auf meine Darstellung noch auf Wilczek ein, sondern du kritisierst eine Darstellung, die ich so nie angeführt habe. Was soll ich dir jetzt darauf antworten?

TomS
26.04.15, 19:53
Deine folgenden Ausführungen zeigen mir, dass du den Formalismus der QM nicht wirklich verstanden hast (und dass es daher schwierig ist, über dessen Interpretationen zu diskutieren)

Physikalisch ist Energie die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten.
Ist so im Kontext der QM nicht der Fall. Energie ist eine spezielle Erhaltungsgröße, die durch einen selbstadjungierten Operator H dargestellt wird, der außerdem in U(t) = exp(-iHt) die zeitliche Entwickung des Systems bestimmt. Der Begriff Arbeit wird nicht verwendet.

|psi|² beschreibt die Intensität des variablen Zustandes.
Was genau meinst du hier? Das Absolutquadrat des Zustandes? Das ist eine Konstante und bedeutungslos. Oder die Wellenfunktion? Die betrachte ich hier nicht.

Ein Quantum ist die kleinste, unteilbare Menge von etwas; genauso, wie 1 Cent die kleinste unteilbare Menge Geld ist. Ergibt sich in einer Rechnung ein Bruchteil eines Quants, dann muss in einer Bilanz auf- und abgerundet werden.
Ich verwende den Begriff Quantum nicht (und auch niemand anders, der die VWI diskutiert); ist also bedeutungslos.

Mit der Normierung wird die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten gleich 1 gesetzt.
Sorry, das ist Quatsch.

Der variable Zustand psi befindet sich in einer Superposition der Zustände a und b mit den Vorfaktoren a und b. Diese sollte man nicht ausser acht lassen.
Das tut auch niemand.

Was bedeutet z.B. 1 Quantum =0,65 Quantum + 0,35 Quantum in einer quantenphysikalischen Rechnung?

Diese Gleichung stellt einen Widerspruch zur Quantentheorie dar, weil ein Quant eben unteilbar ist.
Diese Gleichung hast du dir ausgedacht. Daher ist sie ebenfalls irrelevant.

Die nächsten Sätze muss man eigtl. nicht kommentieren.

Im Falle einer Messung oder einer Interaktion, bei der Arbeit verrichtet wird, hat man jedoch einen anderen Fall:

|psi,0> = (|a> + |b>) * |0, ...> führt nicht zu |psi,t> = |a,A,...> + |b,B,...>

Hier wird an einem zweiten Sytem, dass sich vorher im Grundzustand |0> befand, Arbeit verrichtet. D.h aus |0> wird |A> xor |B> durch einen Energieumwandlungsprozess.

Ganz eindeutig ist dies im Falle von Lichtquanten, die durch einen Photomultiplierer detektiert werden. Wäre die VWI-Annahme richtig, dann würde |0> = |A> + |B> gelten, was aber nur mit zwei oder mehr Lichtquanten möglich ist ...

Das alles zeigt, dass du die Quantenmechanik nicht verstanden hast. Diese Argumentation hat wenig mit QM und nichts mit der VWI zu tun.

Darf ich fragen, welche physikalische Ausbildung du hast?

Die VWI kann man nur verstehen (und kritisieren, ablehnen oder akzeptieren) wenn man diesen Formalismus versteht. Die VWI nimmt diesen Formalismus extrem wörtlich und weist ihm sozusagen einen ontologischen Status zu, als direkte Repräsentation der Realität. Wenn du den Formalismus nicht korrekt verstehst und anwenden kannst, dann kannst du bzgl. der Everettschen QM nie ernsthaft kritisieren, was sie sagt, sondern nur, was du denkst, dass sie sagt. Das ist aber nicht notwendigerweise das selbe.

JoAx
27.04.15, 03:10
@Rolf

Die Energieerhaltung, so, wie du sie hier anwenden möchtest, stammt aus klassischen (nicht quantenmechanischen) Theorie(en). Und hier muss man sich halt fragen, ob sie so ohne weiteres auf viele "Welten" übertragbar ist. Denn, wenn man schon die "Sprache" der VWI nutzen möchte, muss man schauen, wo und wie die klassische Energieerhaltung dort Platz findet. Man kann nicht einfach hin gehen und fordern, dass die Energie summiert über alle "Welten" erhalten bleibt. Genau so gut kann man fordern, dass die Anzahl der "Welt(en)" (also - immer nur eine) erhalten bleibt.

Wenn man also die (klassische) Energieerhaltung in der VWI fordern möchte, dann muss es innerhalb eines "Welt-Stranges" erfolgen. Alles andere ist doch trivial und brauch im Grunde gar nicht diskutiert werden.

TomS
27.04.15, 06:35
Die Energieerhaltung, so, wie du sie hier anwenden möchtest, stammt aus klassischen (nicht quantenmechanischen) Theorie(en). Und hier muss man sich halt fragen, ob sie so ohne weiteres auf viele "Welten" übertragbar ist. Denn, wenn man schon die "Sprache" der VWI nutzen möchte, muss man schauen, wo und wie die klassische Energieerhaltung dort Platz findet. Man kann nicht einfach hin gehen und fordern, dass die Energie summiert über alle "Welten" erhalten bleibt.
Zunächst mal Zustimmung; man muss die Sprache und den Formalismus der QM kennen und anwenden.

Jedoch ist es so, dass die Energie "über alle Welten" erhalten ist. Und das ist trivialerweise der Fall (wie du selbst schreibst), weil "alle Welten" letztlich nichts anderes bedeutet als "der eine quantenmechanische Zustandsvektor". Für diesen gilt die Erhaltung der Energie, weil der Hamiltonoperator H, der die Zeitentwicklung bestimmt, auch die Rolle des Energieoperators spielt.

Wenn man also die (klassische) Energieerhaltung in der VWI fordern möchte, dann muss es innerhalb eines "Welt-Stranges" erfolgen.
Das ist nun nicht wirklich offensichtlich. Diese Erhaltung folgt nicht unmittelbar aus dem Formalismus, sondern wird zunächst durch Beobachtungen gestützt. Das Argument ist etwas subtiler; siehe dazu das Paper von Wilczek.

Generell gibt es durchaus berechtigte Kritikpunkte bzw. Schwächen der Everettschen Interpretation, insbs. das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten sowie der Bornschen Regel; beides wird nicht postuliert, sondern muss bewiesen werden, was bisher nicht vollumfänglich bzw. allgemein akzeptiert gelungen ist. Die nicht-Nachweisbarkeit der "vielen Welten" ist kein echter, physikalischer Schwachpunkt, jedenfalls nicht mehr, als es der "Kollaps" sowie der Begriff "Messung" im Rahmen der orthodoxen QM sind. Die Energieerhaltung ist kein Problem für die Everettsche Interpretation.

Ich kann nur raten, sich mit den tatsächlichen Problemen zu befassen, nicht mit Scheinproblemen, die wenig mit der Theorie zu tun haben.

JoAx
27.04.15, 19:17
Jedoch ist es so, dass die Energie "über alle Welten" erhalten ist.


Das mag schon stimmen, muss aber zunächst gar nicht sein. (?) Im Falle, wenn sich die Anzahl der "Welten" verändern würde, z.B. Das ist aber wohl auch nicht der Fall, wenn ich das korrekt verstehe. Ihre Anzahl ist immer = unendlich. Insbesondere auch zu dem "Zeitpunkt", von dem Rolf anfängt zu argumentieren: ein Photon im bekannten Energiezustand in einer "Welt", so zu sagen.


Und das ist trivialerweise der Fall (wie du selbst schreibst), weil "alle Welten" letztlich nichts anderes bedeutet als "der eine quantenmechanische Zustandsvektor". Für diesen gilt die Erhaltung der Energie, weil der Hamiltonoperator H, der die Zeitentwicklung bestimmt, auch die Rolle des Energieoperators spielt.


Ok. Ich denke (ich hoffe) dass ich das korrekt verstanden habe.


Das ist nun nicht wirklich offensichtlich.


Für mich ist offensichtlich, dass man so etwas erwarten, bzw. fordern muss. Notfalls, wenn es aus dem Formalismus nicht folgt und wenn der Spielraum es zulässt, mit einem Postulat.

...

Muss los, bis später.

RoKo
27.04.15, 20:55
Hallo TomS,

es mag sein, dass ich aus deiner Sicht eine Strohmann-Diskussion führe. Für ein wisssenschaftliches Weltbild scheint es mir jedoch unabdingbar, Annahmen, die sich nicht empirisch prüfen lassen, kritisch zu hinterfragen.

Zu deiner Frage nach meiner Ausbildung: Ich habe Elektrotechnik studiert. Physik war da nur Nebenfach. Mein Wissen über QM habe ich im Selbststudium erworben.

Ich hatte deshalb auch aus gutem Grund die Debatte mit dem Lichtquant am Strahlteiler begonnen, weil ich mich hier fachlich auf sicherem Boden weiß.

Damit die Debatte nicht fruchtlos endet, fordere ich dich heraus. Ich werde einen neuen Thraed über den Elitzur-Vaidmann-Versuch aufmachen und meine Sichtweise als Elektroingenieur darlegen. Du kannst dann die Sichtweise der VWI darlegen. So kann sich jeder ein Bild machen.

(die Vorbereitung wird 2-3 Tage dauern)

TheoC
27.04.15, 22:07
Betrifft die VWI überhaupt "viele Welten"?

Konkret: Kommt das Thema "Verschränkung" in der Natur ständig vor, oder nur wenn Physiker in Laboren komplizierte Messungen durchführen?:confused:

Ist die "Entscheidung von einem Photon" (die Wahrscheinlichkeit) welches von einer Quelle gesendet wird an einen bestimmten anderen Ort eine Wechselwirkung einzugehen (oder eben an einem anderen) eine "Messung" die zu einer Auffächerung führt? In die eine Welt in die ich wahrnehme, und in unendlich viele andere, die unendlich viele abgespaltene Ichs wahrnehmen?

Und sind meiner abgespaltene Ichs dann unwahrscheinlicherer ichs?:confused:

Gibt es eventuell gar nicht viele Welten, sondern nur ganz wenige, die eine die wir sehen, und die anderen die sich im Zuge von eher seltenen Physiker- Experimenten ergeben? (Wenn sie mit seltsamen Messgeräten noch seltsamere Quanten jagen:) )

Wenn das Universum sich ständig "auffächert", fächert sich mein Bewusstsein nur mit auf, wenn ich an den Messprozess irgendwie beteiligt bin, oder auch wenn diese Auffächerung in einer anderen Galaxie stattfindet?:confused:

Dann müsste es doch auch Ichs geben, die eben in extrem unwahrscheinlichen Welten leben?

Oder kommen die unwahrscheinlichen Welten einfach weniger oft vor? Ist unwahrscheinlicher gleich "weniger oft"?

Komme glaube mit den Begriffen Verschränkung/Auffächerung und Wahrscheinlichkeit nicht so ganz klar.

Und mit der Bedeutung der quantenmechanischen Erkenntnisse in der makroskopischen Welt.

Hab die VWI so als "das Universum fächert sich zu jedem Zeitpunkt in eine (nahezu) unendliche Anzahl von Strängen auf" gesehen, wo dann eben eine ganze Menge an extrem unwahrscheinlichen Universen dabei sein müsste- was eben auch die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöhen würde das ich einmal so extrem unwahrscheinliche Dinge wie aufwärts fliegende Steine erleben würde.

Trifft die Sache aber scheinbar nicht so richtig.


lg
Theo

TomS
27.04.15, 22:28
@JoAx: alles OK, außer Für mich ist offensichtlich, dass man so etwas erwarten, bzw. fordern muss. Notfalls, wenn es aus dem Formalismus nicht folgt und wenn der Spielraum es zulässt, mit einem Postulat.
Nein, nicht mit einem Postulat! Der Wesenszug der VWI besteht darin, dem Formalismus Gehör zu verschaffen und mit Postulaten aufzuräumen. Wenn das nicht gelingt, dann ist Schluss mit der VWI.

Ja, ihr neues Auto muss häufiger zur Inspektion. Aber dafür kostet die Inspektion auch mehr ... kein gutes Verkaufsargument.

TomS
27.04.15, 22:38
@Theo: ja, natürlich existieren gem. der VWI alle, auch die unwahrscheinlichsten Welten; und ja, auch in diesen Welten gibt es Ich's, die das wahrnehmen; und nein, das hat nichts mit besonderen Experimenten zu tun, sondern ist unser alltägliches Leben (ohne dass wir es merken).

Ein wichtiger Punkt: die Wahrscheinlichkeit eines Zweiges hat nichts mit der Antahl der Zweige zu tun (die makroskopisch sowieso schlecht definierbar ist). Betrachte einen Elektronenspin in einem Überlagerungszustand aus |up> und |down>. Betrachte normierte Zustände mit

a|up> + b|down>

In unserem Sprachgebrauch würden wir von zwei "mikroskopischen Zweigen" sprechen, und im Falle einer Messung würden daraus auch zwei "makroskopische Zweige" resultieren. Dabei ist es aber völlig egal, ob a = b oder a >> b. Die Wahrscheinlichkeit eines Zweiges (hier z.B. a^2) und die "Anzahl" der Zweige haben nichts miteinander zu tun.

TomS
27.04.15, 22:47
@RoKo: Danke für die Info. Bitte keinen neuen Thread; das funktioniert doch hier sehr gut.

Zur Strohmann-Diskussion: es geht mir nur darum, dass wir von der selben Sache reden; ich versuche, darzulegen, was die VWI wirklich aussagt; das solltest du verstehen und kritisieren (ich kann dir sogar Kritikpunkte nennen!) du solltest nicht kritisieren, was sie nicht aussagt.

Zur Frage, ob man Aussagen, die sich nicht empirisch belegen lassen, kritisieren soll: ja, das kann man tun, aber das trifft dann alle Intpretationen der QM gleichermaßen (die orthodoxe Interpretation postuliert einen Kollaps im Kontext einer "Messung", ohne nach nun fast 100 Jahren sagen zu können, was eine "Messung" von einer normalen Wechselwirkung unterscheidet; das ist auch unwissenschaftlich und sollte kritisiert werden)

Aber ich lade hier zu etwas anderem ein, nämlich die Interpretation des Formalimus der Everettschen Interpretation selbst zu kritisieren. Diese Kritikpunkte gibt es, sie sind ernstzunehmend, die Verfechter streiten das auch gar nicht ab. Nur es muss wirklich sichergestellt sein, dass man genau das kritisiert, und nichts sachfremdes.

Ich
28.04.15, 09:06
auch in diesen Welten gibt es Ich's, die das wahrnehmen
Das ist ja eine richtige Plage mit denen.

TomS
28.04.15, 13:32
Eine interessante Diskussion bzgl. Ableitung der Bornschen Regeln sowie Gegenargumente zur VWI ergeben sich aus "rationale Agenten" u.ä. M.E. funktionieren die Argumente jedoch weder in die eine noch in die andere Richtung.

Ein Beispiel ist der "Quantum Suicide": Man nehme eine Quantenlotterie mit Zufallsergebnis. Das Ergebnis wird gemessen und so eine Aufspaltung in mehrere Welten erzeugt. Man gewinnt in bestimmten Welten viel Geld, in den anderen gewinnt man nichts. Nun benutze man zusätzlich eine Maschine, die die Ergebnisse detektiert und den Teilnehmer am Experiment in all den Welten sofort und schmerzlos tötet, in denen er nichts gewonnen hat. In den verbleibenden Welten sind die überlebenden sehr reich. Die Behauptung ist nun, dass jemand, der an die VWI glaubt, keinen Grund hat, dieses Experiment nicht an sich selbst durchzuführen. Da dies jedoch keiner tut, glaubt wohl letztlich doch niemand daran.

Ich halte die Idee für interessant, aber die Schlussfolgerung, man könne aus dem (als rational angenommenen) Verhalten etwas über die Quantenmechanik lernen, für abwegig.

TheoC
28.04.15, 22:23
@TomS

Es geht ja in diesen Thread um das Thema "Wissenschaftlichkeit". Nach Popper ist die VWI keine wissenschaftliche Theorie, weil nicht falsifizierbar, ich denke wir sind einer Meinung dass dies eine möglicherweise zu strenge Auslegung ist.

Ich möchte aber den Faden nicht ganz verlieren. Eine der Fragen im Zusammenhang mit der VWI ist die "Behauptbarkeit" von Aussagen die sich scheinbar aus einen bestimmten Formalismus ergeben.

Im Zusammenhang mit der VWI erscheint es mir dass es zwei grundsätzliche "Probleme" gibt.

1. Das Thema "Wahrscheinlichkeit"
2. Das Thema "Bewusstsein"

Diese beiden Dinge können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, deswegen finde ich den "Quantum Suicide" eine sensationelles Gedankenspiel, weil er die Problematik der VWI voll auf den Punkt bringt.

Ich gehe einmal davon aus das der Formalismus der VWI korrekt ist. (Kritik bitte nich an mich, sondern an TomS :) )

Was ist aber die Grundkonzeption von "Falsifizierbarkeit"? Mit persönlichen Erfahrungen wiederlegbar!
Wenn ich das abwandle, weil etwas aus technischen Gründen nicht falsifizierbar ist, dann sollte zumindest ein "meine persönliches Erfahren beschreibar" rauskommen.

Wenn die VWI stimmt muss diese, um eine "Theorie" sein zu können, auch das Konzept "Wahrscheinlichkeit" und "Bewusstsein" AUS SICH HERAUS beschreiben können.

Nachdem das die VWI derzeit nicht leisten kann, kann sie auch nicht den Anspruch stellen, eine Theorie zu sein!

Wenn etwas "schlüssig" sein will, dann doch zumindest so, dass es nicht in einen kompletten Widerspruch zu meiner Wahrnehmung steht.

Nachdem es derzeit imho kein ernsthaftes Konzept gibt Bewusstsein physikalisch zu begründen, und es auch nicht über die Statistik gelöst wird warum Steine nicht nach oben fliegen, gibt es da einfach ein "Loch".

Deswegen verstehe ich doch etwas den Ärger der Philosophen mit dem VWI Konzept.

lg
Theo

RoKo
28.04.15, 22:53
Hallo TomS,

.. Bitte keinen neuen Thread; das funktioniert doch hier sehr gut. ..
OK, dann machen wir hier weiter...Aber ich lade hier zu etwas anderem ein, nämlich die Interpretation des Formalimus der Everettschen Interpretation selbst zu kritisieren. ..Dieses Anliegen verstehe ich nicht so ganz.
Zur Erläuterung:
Es gibt bestimmte Phänomene in der Natur bzw. in physikalischen Experimenten, die wir erklären, berechnen und somit vorhersagen wollen. Dazu gibt es einen mathematischen Formalismus, der sich bewährt hat und den meines Wissens kaum ein Physiker in Frage stellt. Streit gibt es doch nur um die Interpretation des Formalismus.

Dieser Streit hat wissenschaftstheoretische, physikalische und naturphilosophische Aspekte. Zu den physikalischen Aspekten gehört die Frage nach der Kohärenz der Physik. Hierzu zählt das Problem der Erhaltungssätze, dass ich immer noch nicht hinreichend geklärt sehe.

TomS
29.04.15, 07:23
@TheoC:

Ja, das Auftreten von Wahrscheinlichkeiten im Rahmen der Everettschen QM ist noch nicht hinreichend verstanden; aber das trifft auch auf die orthodoxe QM zu; ein Postulat liefert ja kein Verständnis; generell hat die Everettsche QM hier ein weiterreichendes Ziel und ist daher zu bevorzugen.

Dass eine Theorie etwas über Bewusstsein sagen muss, kann ich nicht nachvollziehen; die ART sagt auch unbeobachtbare Phänomene voraus, und keiner fordert von ihr eine Theorie des Bewusstseins.

@RoKo:

Zustimmung - außer zum Thema Erhaltungssätze; diese sind verstanden, sowohl global als auch "Zweig-lokal"; ersteres folgt direkt aus dem Formalismus und unterscheidet sich in nichts von der orthodoxen QM; letzteres folgt mittels Wilczeks Argumentation gemäß der "Everettschen relative state interpretation"; wenn du die Energie- oder Ladungserhaltung in Zweifel ziehst, musst du im etablierten Formalismus eine Lücke finden.

Oder hast du nur ein Verständnis- oder Interpretationsproblem?

RoKo
29.04.15, 13:13
Hallo TomS,

..
@RoKo:

Zustimmung - außer zum Thema Erhaltungssätze; diese sind verstanden, sowohl global als auch "Zweig-lokal"; ersteres folgt direkt aus dem Formalismus und unterscheidet sich in nichts von der orthodoxen QM; letzteres folgt mittels Wilczeks Argumentation gemäß der "Everettschen relative state interpretation"; wenn du die Energie- oder Ladungserhaltung in Zweifel ziehst, musst du im etablierten Formalismus eine Lücke finden.

Oder hast du nur ein Verständnis- oder Interpretationsproblem?

(1) Zugegeben, Wilczeks Argumentation kann ich mangels eigener Fähigkeiten nicht nachvollziehen. Genau deshalb möchte ich das Problem der Erhaltungssätze an einem einfachen, auch für mich nachvollziehbaren Fall diskutieren.
(2) Ich ziehe ja nicht die Energie- und Ladungserhaltung in Zweifel, sondern gehe davon aus, dass die Erhaltungssätze gelten. Folglich muss ich auch nicht im etablierten Formalismus eine Lücke finden, sondern umgekehrt muss die VWI plausibel erklären können, wie es sein kann, dass ein Universum, in dem die Erhaltungssätze gelten, sich so verzweigen kann, dass sowohl global wie auch in allen Zweigen die Erhaltungssätze gelten.
(3) Plausibel ist eine solche Erklärung genau dann, wenn man dies an solch simplen Fällen zeigt, wo einfaches Zählen ausreicht.
(4) Als leicht verständliches Beispiel nehme ich wieder das Lichtquant (Photon) am Strahlteiler. Dazu nehme ich eine verlässliche Photonenquelle und zwei Photonenzähler. Dadurch habe ich drei Zählsignale, eines vor dem Strahlteiler und zwei dahinter. Wenn ich nun unmittelbar nach dem ersten Zählsignal ein zweites von einem der beiden anderen Zähler registriere, dann weiß ich, dass das Lichtquant mit all seiner Energie dort eingelaufen ist. Daraus ziehe ich den Schluss, dass der Alternativzweig energieleer sein muss.

TomS
29.04.15, 13:41
(1) Zugegeben, Wilczeks Argumentation kann ich mangels eigener Fähigkeiten nicht nachvollziehen.
schlecht; denn er zeigt, wie die Energie je Zweig zu berechnen ist, und warum sie je Zweig sowie global identisch erscheint

(2) Ich ziehe ja nicht die Energie- und Ladungserhaltung in Zweifel, sondern gehe davon aus, dass die Erhaltungssätze gelten. Folglich muss ich auch nicht im etablierten Formalismus eine Lücke finden, sondern umgekehrt muss die VWI plausibel erklären können, wie es sein kann, dass ein Universum, in dem die Erhaltungssätze gelten, sich so verzweigen kann, dass sowohl global wie auch in allen Zweigen die Erhaltungssätze gelten.
genau das tut Wilczek.

Wenn ich nun unmittelbar nach dem ersten Zählsignal ein zweites von einem der beiden anderen Zähler registriere, dann weiß ich, dass das Lichtquant mit all seiner Energie dort eingelaufen ist. Daraus ziehe ich den Schluss, dass der Alternativzweig energieleer sein muss.
Der Schluss lautet anders.

Das Photon ist in beiden Zählern eingelaufen und hat insgs. in beiden Zählern seine gesamte Energie deponiert. Jeder Zweig mit jedem Zähler "sieht" nur einen "Ausschnitt" des gesamten Quantenzustandes. In diesem "Auschnitt" "sieht" es so aus, wie wenn ein komplettes Photon mit seiner gesamte Energie vorliegen würde. Tut es aber nicht, vom Photon ist nur ein Teilaspekt inkl. aller Eigensachaften (Klick am Zähler, Energie, ...) sichtbar.

Der Trick ist die Berechnung der "je Zweig sichtbaren" Eigenschaften. Wenn ein normierter Zustand

<Zustand | Zustand> = 1

mit

|Zustand> = |a,A> + |b,B>

vorliegt, dann berechnet sich eine in diesem Zustand sichtbare "Eigenschaft X" gemäß

<X> = <Zustand | X |Zustand> / <Zustand | Zustand> = <Zustand | X |Zustand>

Bzgl. eines Zweiges berechnet sich die je Zweig sichtbare Eigenschaft zu

<X> = <a,A| X |a,A> / <a,A|a,A>

Der Nenner ist hier nicht auf Eins normiert. Diese Normierung führt nun genau dazu, dass die beiden Werte für <X> identisch erscheinen.

Ich denke, das ist eine ganz kurze Skizze der Vorgehensweise von Wilczek. Der Witz ist letztlich, dass zwar global betrachtet die Energie nur zum Teil in einem Zweig enthalten ist, d.h.

<a,A| H |a,A>

ist natürlich nicht gleich

<Zustand | H |Zustand>

Aber aus Sicht des Beobachters "in einem Zweig" |a,A> sieht es so aus, als ob die Energie vollständig und gleich der globalen Energie ist.

Sorry, dass ich das nicht besser erklären kann; evtl. finde ich noch eine andere Erklärung.

TomS
29.04.15, 13:54
Hallo, anbei ein anderer Text zur Energieerhaltung

Q22 Does many-worlds violate conservation of energy?
First, the law conservation of energy is based on observations within each world. All observations within each world are consistent with conservation of energy, therefore energy is conserved.
Second, and more precisely, conservation of energy, in QM, is formulated in terms of weighted averages or expectation values. Conservation of energy is expressed by saying that the time derivative of the expected energy of a closed system vanishes. This statement can be scaled up to include the whole universe. Each world has an approximate energy, but the energy of the total wavefunction, or any subset of, involves summing over each world, weighted with its probability measure. This weighted sum is a constant. So energy is conserved within each world and also across the totality of worlds.

One way of viewing this result - that observed conserved quantities are conserved across the totality of worlds - is to note that new worlds are not created by the action of the wave equation, rather existing worlds are split into successively "thinner" and "thinner" slices, if we view the probability densities as "thickness".


Außerdem noch der folgende Text zu Wahrscheinlichkeiten; Details dazu sind m.W.n. noch umstritten

Everett demonstrated [1], [2] that observations in each world obey all the usual conventional statistical laws predicted by the probabilistic Born interpretation, by showing that the Hilbert space's inner product or norm has a special property which allows us to makes statements about the worlds where quantum statistics break down. The norm of the vector of the set of worlds where experiments contradict the Born interpretation ("non-random" or "maverick" worlds) vanishes in the limit as the number of probabilistic trials goes to infinity, as is required by the frequentist definition of probability. Hilbert space vectors with zero norm don't exist (see below), thus we, as observers, only observe the familiar, probabilistic predictions of quantum theory. Everett-worlds where probability breaks down are never realised.
Strictly speaking Everett did not prove that the usual statistical laws of the Born interpretation would hold true for all observers in all worlds. He merely showed that no other statistical laws could hold true and asserted the vanishing of the Hilbert space "volume" or norm of the set of "maverick" worlds. DeWitt later published a longer derivation of Everett's assertion [4a], [4b], closely based on an earlier, independent demonstration by Hartle [H]. What Everett asserted, and DeWitt/Hartle derived, is that the collective norm of all the maverick worlds, as the number of trials goes to infinity, vanishes. Since the only vector in a Hilbert space with vanishing norm is the null vector (a defining axiom of Hilbert spaces) this is equivalent to saying that non-randomness is never realised. All the worlds obey the usual Born predictions of quantum theory. That's why we never observe the consistent violation of the usual quantum statistics, with, say, heat flowing from a colder to a hotter macroscopic object. Zero-probability events never happen.

Of course we have to assume that the wavefunction is a Hilbert space vector in the first place but, since this assumption is also made in the standard formulation, this is not a weakness of many-worlds since we are not trying to justify all the axioms of the conventional formulation of QM, merely those that relate to probabilities and collapse of the wavefunction.


Bzgl. experimenteller Tests habe ich folgendes gefunden:

It has frequently been claimed, e.g. by De Witt 1970, that the MWI is in principle indistinguishable from the ideal collapse theory. This is not so. The collapse leads to effects that do not exist if the MWI is the correct theory. To observe the collapse we would need a super technology which allows for the “undoing” of a quantum experiment, including a reversal of the detection process by macroscopic devices. See Lockwood 1989 (p. 223), Vaidman 1998 (p. 257), and other proposals in Deutsch 1986. These proposals are all for gedanken experiments that cannot be performed with current or any foreseeable future technology. Indeed, in these experiments an interference of different worlds has to be observed. Worlds are different when at least one macroscopic object is in macroscopically distinguishable states. Thus, what is needed is an interference experiment with a macroscopic body. Today there are interference experiments with larger and larger objects (e.g., fullerene molecules C70, see Brezger et al. 2002 ), but these objects are still not large enough to be considered “macroscopic”. Such experiments can only refine the constraints on the boundary where the collapse might take place. A decisive experiment should involve the interference of states which differ in a macroscopic number of degrees of freedom: an impossible task for today's technology. It can be argued, however, that the burden of an experimental proof lies with the opponents of the MWI, because it is they who claim that there is a new physics beyond the well tested Schrödinger equation. As the analysis of Schlosshauerl 2006 shows, we have no such evidence.

The MWI is wrong if there is a physical process of collapse of the wave function of the Universe to a single-world quantum state. Some ingenious proposals for such a process have been made (see Pearle 1986 and the entry on collapse theories). These proposals (and Weissman's 1999 non-linear decoherence idea) have additional observable effects, such as a tiny energy non-conservation, that were tested in several experiments, e.g. Collett et al. 1995. The effects were not found and some (but not all!) of these models have been ruled out, see Adler and Bassi 2009.

Much of the experimental evidence for quantum mechanics is statistical in nature. Greaves and Myrvold 2010 made a careful study showing that our experimental data from quantum experiments supports the Probability Postulate of the MWI no less than it supports the Born rule in other approaches to quantum mechanics. Thus, statistical analysis of quantum experiments should not help us testing the MWI, but I might mention speculative cosmological arguments in support of the MWI by Page 1999, Kragh 2009, Aguirre and Tegmark 2011, and Tipler 2012.

RoKo
29.04.15, 15:32
Hallo TomS,

danke für schnelle Antworten.

Ich verstehe nun, warum Andere in meinem Problem kein Problem sehen. Mein Problem als solches bleibt jedoch bestehen.

Der erste von dir zitierte Text kommt ja zu dem gleichen Schluss wie ich:
Q22 Does many-worlds violate conservation of energy?
..
One way of viewing this result - that observed conserved quantities are conserved across the totality of worlds - is to note that new worlds are not created by the action of the wave equation, rather existing worlds are split into successively "thinner" and "thinner" slices, if we view the probability densities as "thickness". D.h. mit jeder weiteren Verzweigung wird der Energiegehalt dünner und dünner, nur können wir es als "relative" Beobachter nicht sehen.

Für Fälle, in denen einfaches Zählen reicht, funktioniert das m.E. nicht.

JoAx
29.04.15, 15:39
Für Fälle, in denen einfaches Zählen reicht, funktioniert das m.E. nicht.

Was heisst - "einfaches Zählen"?
Warum denkst du, dass hier "einfaches Zählen" das richtige ist?

Bspl.: in der SRT funktioniert "einfaches Addieren" der Geschwindigkeiten auch nicht (mehr). Und trotzdem geht das nicht als Widerlegung der SRT durch. ;)

TomS
29.04.15, 16:08
Mein Problem als solches bleibt jedoch bestehen.
Als dein Problem ja; als formales Problem nein

Der erste von dir zitierte Text kommt ja zu dem gleichen Schluss wie ich:
D.h. mit jeder weiteren Verzweigung wird der Energiegehalt dünner und dünner, nur können wir es als "relative" Beobachter nicht sehen.
Ja - und zugleich führt das wieder zur Verwirrung. Ich hatte oben schon mal geschrieben, dass der Begriff "Verzweigung" sehr irreführend ist, da alle Zweige bereits vorher angelegt sind. Ich führe ein mikroskopisches Quantensystem mit Zuständen |a>, |b> ein, sowie ein makroskopisches System mit Messgerät etc.; letzteres habe vor der Messung den Initialzustand |0>, nach der Messung dann die Zeigerzustände |A>, |B>.

Die unitäre Zeitentwicklung der QM führt dann im Rahmen der Dekohärenz zu dem o.g. Prozess von

(|a> + |b>) * |0>

nach

|a,A> + |b,B>

D.h. es liegt keine Verdoppelung der Zweigen, Welten, Eigenschaften, Ladung, Masse, Energie, ... o.ä. vor; in beiden Zuständen existiert das "+", d.h. die im ersten mikroskopischen Zustand bereits implizit enthaltene zwei-Zweige-Struktur wir durch die Messung makroskopisch relevant. Ich habe durch die große Schrift angedeutet, dass ich schon verstehe, was da deiner Meinung nach "verdoppelt wird". Das sind aber einfach nur Worte; es gibt diese Worte und diese Schriftart nicht im Formalismus; da ist nichts, was dir irgendwie Unbehagen bereiten müsste: alles logisch konsistent, widerspruchsfrei, seit Jahrzehnten bekannt, ... aber mir ist schon klar, dass es dir Unbehagen bereitet ;-)

Für Fälle, in denen einfaches Zählen reicht, funktioniert das m.E. nicht.
Doch, es funktioniert formal, mathematisch, logisch immer. Nur sperrst du dich dagegen, weil dir die Konsequenzen unerträglich zu sein scheinen, ohne dass du das formal oder experimentell belegen kannst.

Wie gesagt, ich kann deine Ablehnung verstehen; viele Physiker teilen deine Haltung, obwohl sie den Formalismus vollumfänglich verstanden haben und ebenfalls keine logischen Einwände vorbringen können.

Mir geht es hier nicht darum, dich (euch) von der VWI zu überzeugen. Mir geht es nur darum, dass klar wird, wo ihre Probleme liegen und wo nicht. Sie liegen nicht im Formalismus (außer dass ein allgemein akzeptierter Beweis der Bornschen Regel fehlt), und sie liegen nicht in den Experimente. Sie liegen (fast ausschließlich) auf der Ebene der Metaphysik oder der Wissenschaftstheorie.

TomS
29.04.15, 16:11
Warum denkst du, dass hier "einfaches Zählen" das richtige ist?
Einfaches Zählen funktioniert sicher nicht. Die Identifizierung der Zweige ist nicht eindeutig definierbar; es hängt sozusagen davon ab, wie genau man hinschaut. Formal existiert immer und ausschließlich genau ein allumfassender Zweig.

RoKo
29.04.15, 19:59
Hallo TomS,

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Mir geht es hier nicht darum, dich (euch) von der VWI zu überzeugen. Mir geht es nur darum, dass klar wird, wo ihre Probleme liegen und wo nicht. Sie liegen nicht im Formalismus (außer dass ein allgemein akzeptierter Beweis der Bornschen Regel fehlt), und sie liegen nicht in den Experimenten. Sie liegen (fast ausschließlich) auf der Ebene der Metaphysik oder der Wissenschaftstheorie.

M.E. liegt das Problem (oder auch mein Unbehagen) an der Anwendung des Formalismus ohne Berücksichtigung der Born-Regel, weil dies zu einer völlig anderen Lesart der Gleichungen führt.

Ohne Bornregel (VWI) ergibt sich

|Zustand_nach_Messung> = |a,A> + |b,B>

Mit Bornregel (KI) ergibt sich

|Wahrscheinlichkeitsamplitude> = |a,A> + |b,B>
mit Wahrscheinlichkeiten |a|² + |b|²

Durch Kombination ergibt sich dann:

|Zustand_nach_Messung> = |a,A> XOR |b,B> ;xor = entweder- oder

Darüber hinaus habe ich erhebliche Zweifel, ob

(|a> + |b>) * |0> nach |a,A> + |b,B>

einen physikalischen Prozess beschreibt. Dies setzt nämlich voraus, dass die VWI universell gültig und ihr Formalismus auch auf Messgeräte etc. anwendbar ist.

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Zugegeben: Das sind leider metaphysische Probleme, weil die angenommene Verzweigung des Universums sich experimenteller Nachprüfung entzieht.

TomS
29.04.15, 20:40
M.E. liegt das Problem (oder auch mein Unbehagen) an der Anwendung des Formalismus ohne Berücksichtigung der Born-Regel, weil dies zu einer ... anderen Lesart der Gleichungen führt.
Ja, in der Tat. Das ist der Sinn der VWI ;-)

Wobei ich deine dann angeführten Gleichungen so nicht ganz verstehe. Müsste m.E. lauten:


Ohne Bornregel (VWI) ergibt sich

|Zustand_nach_Messung> = |a,A> + |b,B>


Mit Bornregel (KI) ergibt sich (für "a")

|Zustand_nach_Messung> = c*|a,A>

mit Wahrscheinlichkeit <a|a> * <0|0> = |<a,A|a,A>

(nicht dein "xor"; einfach einen der beiden Zweig auswählen und mit Vorfaktor c wieder auf Eins normieren)


Darüber hinaus habe ich erhebliche Zweifel, ob

(|a> + |b>) * |0> nach |a,A> + |b,B>

einen physikalischen Prozess beschreibt. Dies setzt nämlich voraus, dass die VWI universell gültig und ihr Formalismus auch auf Messgeräte etc. anwendbar ist.
Das ist die Grundannahme der VWI! Habe ich auch weiter oben mehrfach geschrieben:

Die Axiome der Everettschen QM besagen, dass
1) ein separabler Hilbertraum vorliegt, in dem physikalische Zustände durch eindimensionale Unterräume beschrieben werden
2) physikalische Observablen mittels selbstadjungierter Operatoren beschrieben werden
3) die Zeitentwicklung eines Systems aus U(t) = exp(-iHt) folgt; bzw. äquivalent der Schrödingergleichung folgt
im Falle der Everettschen QM entfällt das Kollapspostulat (4)
(3) ist gerade die Aussage, dass diese Zeitentwicklung universell gültig ist, auch für den Messprozess. Es gibt auch keinen Grund, anzunehmen, dass das nicht so wäre, denn:
- die drei Axiome inkl. (3) und ohne Kollapspostulat führen zu experimentell korrekten Vorhersagen
- die Dekohärenz bestätigt den von dir in Frage gestellten Prozess experimentell
- der einzige Unterschied beim Messprozess ist, dass ein makroskopisches System involviert ist
- wir kennen makroskopische Systeme, die exakt den Regeln der QM folgen: Interferenz am Doppelspalt (der Doppelspalt ist selbst ein makroskopisches System); makroskopische Bose-Einstein-Kondensate, LASER, FETs, SQUIDS, Quantum-Hall-Effekt, ...
- warum sollte diese Zeitentwicklung nicht gelten? welche dann? was unterscheidet einen Messprozess von einem anderen Prozess mit einem makroskopischen System?

Du kannst die VWI sehr einfach widerlegen, in dem du nämlich ein Experiment durchführst, bei dem das Ergebnis der Messung der Vorhersage der Axiome (1 - 3) widerspricht. Es ist jedoch kein derartiges Experiment bekannt. Also ist die VWI eine nach experimentellen Maßstäben gültige = nicht widerlegte Theorie.

RoKo
29.04.15, 23:57
Hallo TomS,

..
Wobei ich deine dann angeführten Gleichungen so nicht ganz verstehe. Müsste m.E. lauten:
..

Mit Bornregel (KI) ergibt sich (für "a")

|Zustand_nach_Messung> = c*|a,A>

mit Wahrscheinlichkeit <a|a> * <0|0> = |<a,A|a,A>

(nicht dein "xor"; einfach einen der beiden Zweig auswählen und mit Vorfaktor c wieder auf Eins normieren)
Womit du B in der Gleichung unter den Tisch fallen lässt und den Kollaps produzierst. Der findet aber im Beispiel Photon am Strahlteiler nicht statt.
E-M-Welle nach Strahlteiler: = |a> + |b>
Energie nach Strahlteiler: = h*v entweder in |a>oder in |b>
Dies führt zu nach Absorbtion an einem der beiden Zähler zu
Entweder A + |b> oder |a> + B
Da der energieleere Wellenteil an anderen Systemen nichts bewirken kann, kann man ihn jeoch forthin vernachlässigen.


- die drei Axiome inkl. (3) und ohne Kollapspostulat führen zu experimentell korrekten Vorhersagen
Aber nachprüfbar nur dann, wenn man heimlich die Bornregel anwendet.
- die Dekohärenz bestätigt den von dir in Frage gestellten Prozess experimentell
Aber nachprüfbar nur dann, wenn man heimlich die Bornregel anwendet.
- der einzige Unterschied beim Messprozess ist, dass ein makroskopisches System involviert istNein. Ein anderes System wird in einen anderen Zustand gebracht.
- wir kennen makroskopische Systeme, die exakt den Regeln der QM folgen: Interferenz am Doppelspalt (der Doppelspalt ist selbst ein makroskopisches System); makroskopische Bose-Einstein-Kondensate, LASER, FETs, SQUIDS, Quantum-Hall-Effekt, .....denen eines gemeinsam ist: kohärentes Schwingen.
- warum sollte diese Zeitentwicklung nicht gelten? welche dann? Es gibt tausende anderer Prozesse; z.B. das Drehen eines Asynchron-Motors, das Schalten eines elektrischen Stromes, eine Temperaturregelung und vieles mehr.was unterscheidet einen Messprozess von einem anderen Prozess mit einem makroskopischen System?in anderes System wird in einen anderen Zustand gebracht.Du kannst die VWI sehr einfach widerlegen, in dem du nämlich ein Experiment durchführst, bei dem das Ergebnis der Messung der Vorhersage der Axiome (1 - 3) widerspricht. Es ist jedoch kein derartiges Experiment bekannt. Also ist die VWI eine nach experimentellen Maßstäben gültige = nicht widerlegte Theorie.Ich will nicht die QM widerlegen.

TomS
30.04.15, 10:00
Wobei ich deine dann angeführten Gleichungen so nicht ganz verstehe. Müsste m.E. lauten:
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Mit Bornregel (KI) ergibt sich (für "a")

|Zustand_nach_Messung> = c*|a,A>

mit Wahrscheinlichkeit <a|a> * <0|0> = |<a,A|a,A>

(nicht dein "xor"; einfach einen der beiden Zweig auswählen und mit Vorfaktor c wieder auf Eins normieren)

Womit du B in der Gleichung unter den Tisch fallen lässt und den Kollaps produzierst. Der findet aber im Beispiel Photon am Strahlteiler nicht statt



Da der energieleere Wellenteil an anderen Systemen nichts bewirken kann, kann man ihn jeoch forthin vernachlässigen.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass du die QM ganz grundsätzlich nichts verstehst!

Nach der QM (egal ob Kollaps, VWI oder sonstwas) erfolgt am Strahlteiler KEINE Messung; es resultiert lediglich ein Superpositionszustand. Du schreibst aber „|Zustand_nach_Messung>“, meinst also die Messung = Detektion des Photons, nicht den Strahlteiler.

Auch nach dem Strahlteiler gibt es dieses „xor“ in der QM nicht. Es gibt einen Superpositionszustand, und der ist explizit kein „xor“. Diese klassische Logik ist mit der QM sowohl theoretisch als auch experimentell nachweislich unvereinbar (Bellsches Theorem, Kochen-Specker, Experimente zum Bellschen Theorem, delayed choice, quantum erazer).

Es ist sinnlos, dass du am Formalismus herumbastelst. Der funktioniert, und zwar unabhängig von der Interpretation.



Aber nachprüfbar nur dann, wenn man heimlich die Bornregel anwendet.
Nein, nicht heimlich. Ganz offen und immer verbunden mit der Aussage, dass diese offensichtlich korrekt funktioniert, jedoch im Kontext der VWI einen anderen Status und eine andere Bedeutung hat als im Kontext einer KI. Aber es wird die Bornsche Regel natürlich auch im Kontext der VWI immer geben.


der einzige Unterschied beim Messprozess ist, dass ein makroskopisches System involviert ist
Ein anderes System wird in einen anderen Zustand gebracht
Und? Das beschreibt die QM ganz einwandfrei. Glaubst du ernsthaft, die QM könne nicht die WW zwischen Systemen und Zustandsübergängen beschreiben?

...denen eines gemeinsam ist: kohärentes Schwingen … Es gibt tausende anderer Prozesse; z.B. das Drehen eines Asynchron-Motors, das Schalten eines elektrischen Stromes, eine Temperaturregelung und vieles mehr
Und? Alle diese Systeme werden quantenmechanisch einwandfrei beschrieben.

was unterscheidet einen Messprozess von einem anderen Prozess mit einem makroskopischen System?
Ein anderes System wird in einen anderen Zustand gebracht
s.o.; es existiert physikalisch betrachtet kein Unterschied; kein Physiker der Welt wird dir einen nennen können

Du kannst die VWI sehr einfach widerlegen, in dem du nämlich ein Experiment durchführst, bei dem das Ergebnis der Messung der Vorhersage der Axiome (1 - 3) widerspricht. Es ist jedoch kein derartiges Experiment bekannt. Also ist die VWI eine nach experimentellen Maßstäben gültige = nicht widerlegte Theorie.
Ich will nicht die QM widerlegen.
Das sage ich auch nicht. Ich spreche von der VWI als einer speziellen Ausprägung.

Du hast drei Möglichkeiten, diese (VWI, Everettsche QM) zu kritisieren:
1) Durch den experimentellen Nachweis, dass sie falsch ist; dazu musst du tun, was ich oben geschrieben habe, die unitäre Zeitentwicklung in bestimmten Fällen widerlegen
2) In dem du zeigst, dass die Bornsche Regel nicht aus den o.g. Axiomen plus „vernünftige Argumentation“ abgeleitet werden kann; das würde die Position der VWI massiv schwächen
3) Auf der Ebene der Metaphysik, der Interpretation oder der persönlichen Vorliebe

Mir ist immer noch nicht klar, auf welcher Ebene du dich bewegst.

RoKo
30.04.15, 22:22
Hallo TomS,

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Du hast drei Möglichkeiten, diese (VWI, Everettsche QM) zu kritisieren:
1) Durch den experimentellen Nachweis, dass sie falsch ist; dazu musst du tun, was ich oben geschrieben habe, die unitäre Zeitentwicklung in bestimmten Fällen widerlegen.
Wie sollte das gehen, wenn die VWI die unitäre Zeitentwicklung nur dadurch rettet, dass sie unüberprüfbar in verschiedenen Zweigen stattfindet?
2) In dem du zeigst, dass die Bornsche Regel nicht aus den o.g. Axiomen plus „vernünftige Argumentation“ abgeleitet werden kann; das würde die Position der VWI massiv schwächenDa taste ich mich gerade heran. Was du als "herumbasteln am Formalismus" intepretierst, war als Versuch gemeint, unterschiedliche "Lesarten" des Formalismus deutlich zu machen. Die Frage nach den Erhaltungssätzen zielte in die gleiche Richtung.
Das, was Du verlangst, ist ein Unmöglichkeitsbeweis; und solche Beweise sind i.d.R. nicht zu erbringen. Was man aber zeigen kann ist, dass die Annahme kleinster, nicht weiter teilbaren Einheiten physikalischer Größen zwangsläufig zu Wahrscheinlichkeiten führt.

TheoC
01.05.15, 00:26
Zitat TomS
Dass eine Theorie etwas über Bewusstsein sagen muss, kann ich nicht nachvollziehen; die ART sagt auch unbeobachtbare Phänomene voraus, und keiner fordert von ihr eine Theorie des Bewusstseins.

Eine wissenschaftliche Theorie muss nichts über Bewusstsein aussagen, lt. Popper muss sie nur falsifizierbar sein. Das ist die ART, prinzipiell und praktisch. Würde die ART NUR unbeobachtbare Phänomene vorraussagen, dann hätte sie den selben Status wie die VWI.

Wenn aber eine Theorie nicht falsifizierbar ist, wie VWI oder Stringtheorie (entweder prinzipiell nicht oder praktisch nicht) dann ist imho die Sache eine andere.

Reicht hier ein mathematischer Formalismus, und dürfen wir dann Interpretationen über die Folgen, der daraus resultierenden Wirklichkeit an sich machen und behaupten das ist eine wissenschaftliche Theorie?
Imho - NEIN.

Richtig ist, dass wenn man dem Formalismus nach Everett folgt, es, mathematisch, zu einer Verzweigung der Welt kommt.

Das ist vorerst einmal Mathematik! Wenn daraus auch ein Modell der Wirklichkeit werden soll ist aber mehr erforderlich.

Wenn eine wissenschaftliche Theorie schon nicht mit den Erfahrungen widerlegbar sein kann, dann muss sie zumindest die Erfahrungen plausibel beschreiben können.


Die VWI muss deswegen imho plausibel beschreiben können wie ich einen bestimmten Pfad genau durch ein Ensemble dieser vielen Welten nehme.

Das könnte sein, indem es eben so extrem Wahrscheinlich ist, weil wahrscheinlichere Welten halt viel öfter vorkommen.

Oder man sonst eine plausible Begründung (quantenmechanische) hat, wie mein Bewusstsein funktioniert, und deswegen mir die Welt so erscheint wie sie ist.

Man kann ja aus Sicht der Physiker steiten welcher der Interpretationen die mathematisch plausiblere ist.

Wer aber behauptet eine wissenschaftliche Theorie zu haben, die praktisch nicht widerlegbar ist, und nicht nur Metaphysik oder Esoterik verkünden will, muss sich in diesem konkreten Fall eben mit dem Thema Wahrscheinlichkeit und Bewusstsein auseinandersetzten.


Das durch die KI aufgeworfenen philosophischen Probleme "warum kommt es zu einen Kollaps" und "wie beeinflusst meine Wahrnehmung die Welt" zu lösen, in dem man ALLE denkbaren Welten postuliert, ohne dabei ein Konzept für den Selektionsmechanismus zu haben, der zu einem durchgängigen Bewusstsein führt, erscheint mir imho als nicht ausreichend.

lg
Theo

TomS
01.05.15, 10:29
@RoKo:

Natürlich kann prinzipiell eine Verletzung der unitären Zeitentwicklung experimentell überprüfen werden; siehe dazu die englischen Zitate.

Unmöglichkeitsbeweise sind übrigens gerade im Rahmen der QM bekannt; siehe Gleason's Theorem, das man so lesen kann, sowie das Kochen-Specker-Theorem.

TomS
01.05.15, 10:43
@Theo:

Die Everettsche QM sagt nicht NUR unbeobachtbare Phänomene voraus, sondern zunächst mal die selben wie die orthodoxe QM. Und sie postuliert diese "Zweige" nicht, sie akzeptiert sie als Konsequenz des Formalismus (so wie bei der ART das Innere des EHs eines SLs). Damit ist die Everettsche Lesart zunächst formal / axiomatisch in der besseren Position.

Die Everettsche QM muss sicher keine Theorie des Bewusstseins entwickeln, aber sie muss - da stimme ich dir zu - eine plausible Erklärung für eine durchgehende, konsistente, klassische Wahrnehmung der Quantenwelt liefern. Dazu gibt es Ansätze (Wallace, Saunders,...) sowie verwandte Alternativen (consistent histories, quantum Darwinism). Auch da ist die orthodoxe QM a la Neumann im Nachteil, da sie mehr postuliert und weniger erklärt.

TheoC
01.05.15, 11:16
@Tom

stimme dir voll zu, insbesonders was die Vorteile der VWI gegenüber der klassischen Interpretation betrifft. Bin gespannt wie sich die Sache in der Zukunft entwickelt.

Das Thema "Bewusstsein", vielmehr wie der Wahrnehmungsprozess funktioniert, muss/kann imho nicht von den Physikern (alleine) erklärt werden.

Ich erwarte mir nur für die Zukunft wichtige Inputs von zB Neurobiologen zu dem Thema.

Da gibt es aktuell das Thema, wie wir aus einer Summe von nahezu parallel verlaufenden (in sich widersprüchlichen) "Teilwahrnehmungen" ein konsistentes (eindeutiges) "Jetzt" konstruieren, sehr spannende Forschunsansätze, und intensive theoretische Überlegungen wie hier "Überlagerungszustände" als Erklärung herangezogen werden können- und die gehen imho alle mehr in Richtung "Auffächerung" als "Kollaps".

lg
Theo

soon
01.05.15, 14:20
Hallo,

ich möchte einen Vorschlag für ein Modell machen, das vielleicht einfacher zu akzeptieren ist als eine Viele-Welten-Theorie.


Voraussetzungen:

Photonen altern nicht.

Jede Wechselwirkung ist eine Messung.



Vorschlag:

Bei jeder Wechselwirkung findet eine Verzweigung in ein altes und ein neues Objekt statt. Zu dem alten Objekt gibt es nach der Verzweigung keinen Zugang mehr.



Die Situation beim Doppelspaltexperiment stellt sich dann wie folgt dar:

Die Messung führt zu einem geänderten Interferenzmuster, weil bei der Wechselwirkung/Messung das Objekt in ein altes und ein neues Objekt verzweigt. Das neue Objekt, - nach der Messung an der Blende, hat keine Blende passiert.



Folgerungen: u.a.

Ein Photon verzweigt nicht.

Zeit ist keine primäre Größe. Ein Objekt altert/entwickelt sich mit der Anzahl der Wechselwirkungen, nicht mit der Zeit. "Zeit" zwichen den Wechselwirkungen gibt es für ein einzelnes Objekt nicht.

(Raum ist dann keine primäre Größe, wenn es keine gleichzeitigen Wechselwirkungen gibt. Dann ließe sich das gesamte Geschehen eindimensional als eine Folge von Wechselwirkungen darstellen.)

LG soon

Bauhof
01.05.15, 15:11
Vorschlag:

Bei jeder Wechselwirkung findet eine Verzweigung in ein altes und ein neues Objekt statt. Zu dem alten Objekt gibt es nach der Verzweigung keinen Zugang mehr.

Hallo soon,

dieser Modell-Vorschlag gefällt mir außerordentlich gut.

M.f.G. Eugen Bauhof

TheoC
01.05.15, 17:37
Zeit existiert nach diesem Modell dann als „mögliche (maximale) Rasterfrequenz“ und als (individuelle) Taktrate für Wahrnehmungen (abhängig von den Wechselwirkungen)?

Außerhalb von Wechselwirkungen ist ein Ding „tot“ (nicht wahrnehmbar); und Raum ist eine Folge von Wahrnehmung = Wechselwirkung?

Bin nicht sicher ob ich es richtig verstehe…. Aber gefällt mir


lg
Theo

Bauhof
01.05.15, 17:52
Zeit ist keine primäre Größe. Ein Objekt altert/entwickelt sich mit der Anzahl der Wechselwirkungen, nicht mit der Zeit. "Zeit" zwichen den Wechselwirkungen gibt es für ein einzelnes Objekt nicht.

Hallo soon,

jetzt müsste man noch definieren, wo das alte und das neue Objekt verortet werden könnte. Nur so ein Gedanke.

M.f.G. Eugen Bauhof

Struktron
01.05.15, 21:23
Hallo,

[...]

Zeit ist keine primäre Größe. Ein Objekt altert/entwickelt sich mit der Anzahl der Wechselwirkungen, nicht mit der Zeit. "Zeit" zwichen den Wechselwirkungen gibt es für ein einzelnes Objekt nicht.

(Raum ist dann keine primäre Größe, wenn es keine gleichzeitigen Wechselwirkungen gibt. Dann ließe sich das gesamte Geschehen eindimensional als eine Folge von Wechselwirkungen darstellen.)

In unserer räumlich dreidimensionalen Welt wäre dann die Anzahl der Wechselwirkungen (zumindest gedanklich) abzählbar. Kämen wir damit dem Modell einer Welt diskreter kleinster Objekte näher?

... jetzt müsste man noch definieren, wo das alte und das neue Objekt verortet werden könnte. Nur so ein Gedanke.

Da wäre dann wieder der dreidimensionale Ortsraum erforderlich.

MfG
Lothar W.

TomS
01.05.15, 21:43
Schaut euch mal die causal sets an ;-)

Struktron
01.05.15, 22:14
Schaut euch mal die causal sets an ;-)

http://www.einstein-online.info/vertiefung/Kausalmengen?set_language=de ist dazu interessant.

Darauf wurde schon hier http://www.quanten.de/forum/showpost.php5?p=31398&postcount=1 hingewisen.

MfG
Lothar W.

soon
02.05.15, 08:00
jetzt müsste man noch definieren, wo das alte und das neue Objekt verortet werden könnte.

Ich frage mich erst einmal, wie unsere Vorstellung von Bewegung da hinein passt.

Zuvor gibt es aber die Frage, wie es überhaupt zur Entwicklung von Objekten kommt.

Und davor - vielleicht als Schlüssel - die Frage nach der Entstehung von Normalverteilung im Zusammenhang mit der Realisierung unterschiedlicher Möglichkeiten von Ereignissen.
(ich weiß, dass das reichlich vage formuliert ist)

LG soon

TomS
02.05.15, 10:39
Ich würde vorschlagen, dass wir nach dem langen Ausflug in die QM wieder auf das ursprüngliche Thema zurückkommen.

Das Kriterium der Falsifizierbarkeit stammt von Popper. Ich denke, er hatte dabei weniger die Physik im Blick, zumindest nicht als Problemfall, sondern wohl eher die Human- und Geisteswissenschaften (angeblich gab bzw. gibt es in der Psychologie/Psychiatrie Diagnosemethoden, die am selben Patienten nicht wiederholbar sind). Ein Kritikpunkt an Popper wäre, dass er eine Theorie zu sehr als "statisch" ansetzt und sein Kriterium wenig nützlich ist in einem Stadium der Theorieentwicklung.

Möglicherweise trifft dies auf die Stringtheorie zu; diese ist wohl - neben anderen Problemen - noch zu unscharf, um diesem Kriterium zu genügen, aber der Anspruch ist sicher, dies zu ändern. Ein für mich ebenfalls wichtiger Aspekt ist, dass es sich ggf. eher um eine Art Meta-Theorie handelt (so wie Feldtheorie, Eichtheorie, Thermodynamik), die den Rahmen für konkrete Theorien darstellt (Elektrodynamik, QCD, ideales Gas). Für eine Meta-Theorie ist das Kriterium der Falsifizierbarkeit evtl. so nicht direkt anwendbar.

Ein weiterer Punkt in Kontext der Theorieentwicklung ist die von Kuhn aufgeworfene Idee des Paradigmenwechsels; evtl. haben wir es im Bereich der Quantengravitation gerade damit zu tun: einer gewissen Aufweichung des Falsifizierbarkeitskriterium unter Hinzunahme mathematischer Kriterien (physikalische Konsistenz wie z.B. Renormierbarkeit, Anomalienfreiheut), und letztendlich einem modifizierten, weniger exakten Theoriebegriff. Ich hätte damit kein Problem, wenn dennoch ein Streben nach Exaktheit erkennbar bleibt, und wenn das Kind beim Namen genannt wird. Womit ich ein Problem habe ist diese schleichende Erosion der wissenschaftlichen Methode, wie sie ggw. teilw. propagiert wird.

Spannend ist evtl. die Position Feyerabends, der wohl mit der Stringtheorie wenig Probleme gehabt hätte.

Einen ganz guten Überblick zu Wissenschaftstheorie findet man hier: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie

TomS
02.05.15, 11:07
Kuhn schreibt u.a.

Einerseits steht er für die ganze Konstellation von Meinungen, Werten, Methoden usw., die von den Mitgliedern einer gegebenen Gemeinschaft geteilt werden. Andererseits bezeichnet er ein Element in dieser Konstellation, die konkreten Problemlösungen, die, als Vorbilder oder Beispiele gebraucht, explizite Regeln als Basis für die Lösung der übrigen Probleme der ‚normalen Wissenschaft‘ ersetzen können

[Ein Paradigma funktioniert], indem es dem Wissenschaftler sagt, welche Entitäten es in der Natur gibt und welche nicht, und wie sie sich verhalten. Durch diese Informationen entsteht eine Landkarte, deren Einzelheiten durch reife wissenschaftliche Forschung aufgehellt werden. Und da die Natur viel zu komplex und vielfältig ist, um auf gut Glück erforscht zu werden, ist diese Landkarte genauso wichtig für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Wissenschaft wie Beobachtung und Experiment

Gerade eben habe ich noch folgende Kritik seitens Steven Weinberg an Paul Kuhns Paradigmen und Paradigmenwechsel gefunden: http://www.nybooks.com/articles/archives/1998/oct/08/the-revolution-that-didnt-happen/

Bauhof
02.05.15, 11:41
Das Kriterium der Falsifizierbarkeit stammt von Popper. Ich denke, er hatte dabei weniger die Physik im Blick, zumindest nicht als Problemfall, sondern wohl eher die Human- und Geisteswissenschaften...

Hallo TomS,

dass sich Karl Popper mit vielen geisteswissenschaftlichen Themen beschäftigt hat, ist wahr. Aber ebenso wahr ist, dass sich seine Thesen in seinem Hauptwerk "Logik der Forschung" auf die Naturwissenschaft beziehen.

In seinem Buch: Die Quantentheorie und das Schisma der Physik (http://www.amazon.de/Gesammelte-Werke-Band-Quantentheorie-Schisma/dp/3161475682/ref=sr_1_22?s=books&ie=UTF8&qid=1430557329&sr=1-22) referiert er sogar speziell über die Quantentheorie.

M.f.G. Eugen Bauhof

P.S.
Schisma = Unvereinbarkeit, Widersprüchlichkeit.
Sein Buch "Logik der Forschung" ist nur philosophisch vorgebildeten Lesern zu empfehlen. Ich kam damit nicht zurecht. Als Einstieg kann ich folgende Bücher empfehlen:

[1] Popper, Karl R.
Vermutungen und Widerlegungen.
Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis.
Teilband I: Vermutungen.
Tübingen 1994. ISBN=3-16-944809-9

[2] Popper, Karl R.
Das offene Universum.
Ein Argument für den Indeterminismus.
Aus dem Postskript zur Logik der Forschung.
Tübingen 2001. ISBN=3-16-147566-6

[2] Popper, Karl R.
Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf.
Hamburg 1984. ISBN=3-455-08229-7

TomS
03.05.15, 23:02
Alles richtig.

Dennoch denke ich, dass wir heute auch in den Naturwissenschaften und insbs. in der theoretischen Physik an einem Punkt angelangt sind, wo Poppers Kriterien nicht mehr weiterhelfen. Streng genommen sind heute viele Theorien zur Quantengravitation nicht im Popperschen Sinne falsifizierbar; insbs. nicht praktisch.

Sollen wir die Arbeit einstellen? Sollen wir beliebige Spekulationen zulassen? Oder müssen wir neue "Qualitätsstandards" finden, die den geänderten Randbedingungen Rechnung tragen, ohne den Anschein von Beliebigkeit zu haben?

Timm
04.05.15, 10:31
Sollen wir die Arbeit einstellen? Sollen wir beliebige Spekulationen zulassen? Oder müssen wir neue "Qualitätsstandards" finden, die den geänderten Randbedingungen Rechnung tragen, ohne den Anschein von Beliebigkeit zu haben?
Ich habe gerade mal bei Penrose's CCC (http://en.wikipedia.org/wiki/Conformal_cyclic_cosmology) nachgesehen. Der Begriff Theorie taucht da einmal auf. Ansonsten findet man Umschreibungen wie:
a cosmological model in the framework of general relativity
Penrose's basic construction

Es wäre einfach gewesen, die Verwendung von "theory" in dem Satz
"Penrose popularized this theory in his 2010 book Cycles of Time ..." zu vermeiden.

Ich finde es geht hier nicht um Rhetorik, wie "Sollen wir die Arbeit einstellen?". Was spricht stattdessen dagegen, mit der Benennung "Theorie" etwas angemessener umzugehen? Dein besonderes Interessengebiet, die LQG ist unbestritten auch ohne das T ein ganz wichtiges Forschungsziel und baut immerhin auf der QT und der RT auf. Längst ist es nicht so weit, aber sollte am Ende ein mathematisch konsistentes Gebäude entstehen, dann fände ich für die LQG (oder eine andere QG) die Bezeichnung "Theorie" gerechtfertigt, eben, weil sie auf etablierten Theorien aufbaut und deren Schwachstellen beseitigt. Nur in diesem Sinne fände ich eine Aufweichung der Popper'schen Kriterien gerechtfertigt.

Verglichen damit sind Vilenkins's "Kosmische Doppelgänger" ziemlich unwichtig.

TomS
04.05.15, 22:10
Hatte ich nicht schon vor längerer Zeit angeregt, ggf. einen anderen Begriff zu verwenden?

:D

TomS
10.07.15, 11:12
nur für's Protokoll: auch in diesem Fall redet und schreibt Atomsz natürlich Unsinn

Hawkwind
10.07.15, 12:47
Ein Frontalangriff auf die wissenschaftlichen Methoden der Standardphysik steht in dem Buch von Gyula I. Szász "Physics of Elementary Processes; Basic Approach in Physics and Astronomy", Cerberus, Budapest (2005). ...
Die Standardphysik konnte nicht mal die Gravitation aufklären

dabei sie hat sie nicht mal experimentell feststellen können, dass die schwere und die träge Masse eines jeden Körpers (mit Ausnahme der vier stabilen Elementarteilchen) unterschiedlich groß sind, d.h. dass die Universatität des Freien Falles nicht gilt.


Ja, ist echt was für Doofe, diese Standardphysik.
Gut, dass wir dich haben und du uns aufklärst! :)

BTW, dein Beitrag ist in diesem Subforum fehlplatziert.

Marco Polo
10.07.15, 12:54
Ich schaue mir das auch nicht mehr lange mit an.

Solange Tom noch mit dem Störenfried diskutieren möchte.

okano83
23.07.15, 11:36
Solange es Freiheit von Forschung und Lehre gibt und sich Professor/innen finden, die sich für diese Gebiete interessieren, wird auch auf ihnen gearbeitet werden.






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