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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : VWI und Quantum Zeno Effekt


future06
19.09.15, 16:52
Mal eine Verständnisfrage zur VWI/Everett und Quantum Zeno Effect (QZE).

So wie ich es verstehe dürfte der QZE nur bei Kollapstheorien auftreten, d.h. der QZE wäre eine empirische Methode, um die Frage nach der zugrundeliegenden Ontologie experimentiell zu klären.

Würde mich aber wundern, weil immer zu lesen ist, dass beide Interpretationen (Kollaps bzw. Everett) empirisch nicht unterscheidbar seien. Also verstehe ich wohl was falsch?

TomS
20.09.15, 12:00
Die vorwährende Messung wird im Rahmen der Dekohärenz als vortwährende, quantenmechanische Wechselwirkung mit einem Messgerät erklärt. D.h. es liegt im wesentlichen ein anderes System vor, nicht isoliert sondern wechselwirkend.

Die Berechnung des Effektes müsste also vollständig im Kontext der Standard-QM möglich sein. Kollaps, VWI etc. werden dann weiterhin nicht zur Erklärung sondern zur Interpretation herangezogen.

future06
20.09.15, 12:10
Noch etwas Zusatzinformation zu meinem Verständnis von VWI und QZE.

VWI: Eine einzige Wellenfkt. beschreibt das gesamte Universum. Bei einer Messung wird der Zustand des Beobachters verändert, sie hat keinen Einfluss auf die zugrundeliegende Wellenfunktion.

QZE: Bei der Messung kollabiert die Überlagerungszustand zum Eigenzustand bezogen auf den Messoperator. Von hier aus entwickelt sich der Zustand zeitlich wieder neu gemäß einer Wellenfunktion. Schnelle Wiederholungsmessungen frieren das System also ein, weil die Zeitentwicklung immer wieder neu startet (bildlich gesprochen).

Da die Messung gemäß der VWI keinen Einfluss auf die Wellenfunktion hat, dürften schnelle Wiederholungsmessungen also keine Einfluss auf das Gesamtsystem haben.

TomS
20.09.15, 16:27
VWI: Eine einzige Wellenfkt. beschreibt das gesamte Universum. Bei einer Messung wird der Zustand des Beobachters verändert, sie hat keinen Einfluss auf die zugrundeliegende Wellenfunktion.
Stimmt so nicht.

Die Wellenfunktion umfasst das Messgerät und den Beobachter, d.h. bei einer Messung verändert sich dieße umfassende Wellenfunktion gemäß der QM.

Da die Messung gemäß der VWI keinen Einfluss auf die Wellenfunktion hat ...
Stimmt nicht; s.o.

... dürften schnelle Wiederholungsmessungen also keine Einfluss auf das Gesamtsystem haben.
Schnelle Wiederholungsmessungen führen zu schnellem, wiederholtem Dekohärieren der Wellenfunktion. Aufgrund der extrem kurzen Dekohärenzzeiten ist dieser Effekt nicht von einem Kollaps zu unterscheiden.

QZE: Bei der Messung kollabiert die Überlagerungszustand zum Eigenzustand bezogen auf den Messoperator.
Gem. VWI: Bei der Messung entwickelt sich der Überlagerungszustand in dekohärente Zweige entsprechend der Eigenzustände bezogen auf den Messoperator.

Von hier aus entwickelt sich der Zustand zeitlich wieder neu gemäß einer Wellenfunktion.
Gem. VWI: Innerhalb jedes Zweiges entwickelt sich dieser zeitlich wieder neu ...

Schnelle Wiederholungsmessungen frieren das System also ein, weil die Zeitentwicklung immer wieder neu startet (bildlich gesprochen).
Gem VWI: Schnelle Wiederholungsmessungen frieren das System je Zweig also ein ...

Wie gesagt, die mathematische Erklärung entspricht exakt der QM, die Interpretatin kommt ohne Kollaps aus und lautet anders. Der QZE ist mit der VWI jedoch verträglich, da gibt es keine Widersprüche.

future06
21.09.15, 09:34
Danke erst mal, Tom für die Erläuterungen.

Ich interessiere mich primär für die philosophischen Aspekte der QM.
Hier mal ein Link zu den Kursunterlagen eines Masterkurses "Quantenphilosophie" der Uni Amsterdam:
https://kelvinmcqueen.files.wordpress.com/2015/03/l6.pdf

Auf Seite 15 ist zu lesen:
The physical universe is completely described by the wave- function and the wave function only ever evolves linearly (e.g. via the Schrödinger equation).

Ich verstehe das so, dass die Messung selbst keinen Einfluss auf die Wellenfunktion hat. Ein QZE wäre sicher im lokalen Zweig prinzipiell denkbar, jedoch verstehe ich dann entweder den QZE oder die VWI nicht ganz.

Die Zerfallswahrscheinlichkeit muss doch zu jedem Zeitpunkt mit dem momentanen Zustand der Wellenfkt. korrelieren (Bornregel). Wenn sich die Wellenfunktion zeitlich also (gemäß meinem VWI Verständnis) ungestört weiter entwickelt, dürften fortwährende Messungen keinen Einfluss auf die Zerfallswahrscheinlichkeit haben.

Nachtrag:
In der Wikipedia Erklärung zum VWI steht:
Den Beobachter definiert Everett dabei durch ein beliebiges Objekt mit der Fähigkeit, sich an das Ergebnis der Messung zu erinnern. Dies bedeutet, dass sich der Zustand des Beobachters durch das Ergebnis der Messung verändert. Die Messung wird somit lediglich als spezielle Art der Interaktion zweier Quantensysteme behandelt. Sie ist damit, anders als in vielen anderen Interpretationen, nicht von den Axiomen her ausgezeichnet.

Jedoch änderts sich ja gemäß deiner Beschreibung auch der Zustand der Wellenfunktion. Da habe ich im Wiki-Artikel wohl falsch herausgelesen, dass sich nur der Zustand des Beobachters ändert.

TomS
21.09.15, 13:59
Ich interessiere mich primär für die philosophischen Aspekte der QM.
Hier mal ein Link zu den Kursunterlagen eines Masterkurses "Quantenphilosophie" der Uni Amsterdam:
https://kelvinmcqueen.files.wordpress.com/2015/03/l6.pdf
Danke; da sind ein paar gute Folien dabei:

Folie #3: Maudlin Trilemma.
#5: Everett et al.
#12: gute Zusammenfassung; im wesentlichen auch meine Meinung (allerdings ist es evtl. präziser, nicht von vorneherein von Wahrscheinlichkeiten zu sprechen, sondern von "Gewichten")


Auf Seite 15 ist zu lesen:
The physical universe is completely described by the wave- function and the wave function only ever evolves linearly (e.g. via the Schrödinger equation).

Ich verstehe das so, dass die Messung selbst keinen Einfluss auf die Wellenfunktion hat.
Das ist nicht richtig. Die vollständige Wellenfunktion bzw. der vollständige Quantenzustand, der im Kontext der Everett-Interpretration immer gemeint ist, lautet

|Universum> = |Quantensystem> * |Messgerät> * |Beobachter> * |restliches Universum>

Dieser gesamte Zustand entwickelt sich linear (besser: unitär). Und in diesem Zustand ist das Messgerät als Subsystem enthalten. D.h. die Messung selbst wird als quantenmechanische Wechselwirkung mit unitärer Zeitentwicklung betrachtet und beeinflusst den Gesamtzustand sehr wohl.