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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Übermittler der Gravitation: Gravitonen aber wie ?


inside
04.11.16, 13:21
Hallo zusammen.

Ich schnappte auf Youtube eine interessante Frage auf.

Ausgangslage ist die Hypothese, dass auch Gravitation durch Bosonen übertragen wird, in diesem Fall die Gravitonen.

Da die Wirkung der Gravitation sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen soll, sollten also auch die Gravitonen nicht schneller als Licht unterwegs sein.

Die Frag dazu war eine Art Fangfrage:

Wenn sich Gravitonen auch nur mit maximal c fortbewegen, wieso übt dann ein schwarzes Loch überhaupt Gravitation auf die Umgebung aus ?

... ich muss gestehen, die Logik dahinter finde ich stichhaltig.

Diese Gravitonen sollten dem schwarzen Loch dann auch nicht entkommen können.

AUSSER, schwarze Löcher sind um ein vielfaches schwerer, als wir kalkulieren, weil nur die Gravitonen entkommen können, die gerade mal so am Ereignishorizont vorhanden sind.

Hat jemand sich darüber schon mal Gedanken gemacht ?

Hawkwind
04.11.16, 17:08
Wir haben ja noch keine Quantentheorie der Gravitation und es ist unklar, ob sie denn Gravitonen enthalten wird. Aber es könnte ja sein, dass es gewisse Ähnlichkeiten zur Quantenelektrodynamik geben wird, es also auch Bosonen gibt, welche die Wechselwirkung vermitteln - insofern schon eine berechtigte Frage.

Es ist nun auch so, dass elektrisch geladene schwarze Löcher von elektrostatischen Feldern umgeben sind. Photonen "entkommen" also auch, vorausgesetzt sie sind virtuell (https://de.wikipedia.org/wiki/Virtuelles_Teilchen). Die Eigenschaften virtueller Teilchen sind eben weit phantastischer als die der gewöhnlichen reellen Teilchen. So wird es auch für hypothetische virtuelle Gravitonen sein. Im besonderen können virtuelle Teilchen auch "raumartig" sein, d.h. Raumzeitpunkte miteinander "verbinden", die lichtschnelle Teilchen nicht schaffen. Und das, ohne die Kausalität zu verletzen. Um das wirklich einigermaßen zu begreifen, muss man sich mit relativistischen Quantenfeldtheorien auskennen. Das ist ein sehr fortgeschrittenes Thema und ich hab da leider nur ein bisschen Wischiwaschi-Wissen. TomS könnte da mit Sicherheit mehr zu sagen.

TomS
04.11.16, 23:16
Die Frage ist im Rahmen der Quantengravitation schwer zu beantworten. Zum Einen ist die mathematische Formulierung noch unklar. Zum Anderen zeichnet sich jedoch ab, dass Gravitonen bei der Formulierung der Theorie eine untergeordnete Rolle spielen, insbs. da diese nicht die Geometrie der Raumzeit ändern; das Gravitationsfeld eines Sterns oder schwarzen Lochs ist jedoch eine Raumzeit mit starker Krümmung, die nicht durch den Austausch kleiner Störungen = Gravitatonen beschrieben werden kann; letztere stellen evtl. Quantenkorrekturen dar, liefern jedoch nicht den wesentlichen Beitrag.

Im Rahmen der Quantenelektromechanik stellt sich jedoch eine ähnliche Frage. Hier ist die Antwort sehr einfach: man kann die Theorie mathematisch exakt so formulieren, dass sie sowohl dynamische Photonfelder als auch ein statisches 1/r Potential enthält. Die Photonen sind dann lediglich kleine Störungen, die zu diesem Coulombpotential hinzukommen. In der QED verwendet man diese Formulierung u.a. bei der Berechnung der Lamb-Shift. In der QCD sind die Gleichungen deutlich komplexer, auch hier verwendet man jedoch eine ähnliche Formulierung, um z.B. die Bindung von Quarks in Hadronen zu beschreiben.

Die Frage resultiert m.E. aus dem Denkfehler, diese Austauschteilchen wären alleine für die jeweilige Wechselwirkung verantwortlich, und sie würden sich auf der Raumzeit ausbreiten. Ersteres ist nicht richtig, das wissen wir aus der QED und der QCD. Letzteres ist nach der Meinung vieler Physiker ebenfalls falsch; es handelt sich hier um das Problem der sogenannten Hintergrundabhängigkeit. Die Quantengravitation muss jedoch hintergrundunabhängig formuliert werden, und damit verschwinden diese Fragestellungen; es handelt sich um ein Scheinproblem, das einer falschen Idee entspringt.

Timm
05.11.16, 09:22
Wenn sich Gravitonen auch nur mit maximal c fortbewegen, wieso übt dann ein schwarzes Loch überhaupt Gravitation auf die Umgebung aus ?


Ob es nun Gravitonen gibt oder nicht, das Gravitationsfeld eines Schwarzen Loches kann man sich als fossiles Feld vorstellen. Es existierte ja während des Gravitationskollapses bereits vor der Ausbildung des Ereignishorizonts und blieb dann erhalten.

Marco Polo
05.11.16, 13:16
Ob es nun Gravitonen gibt oder nicht, das Gravitationsfeld eines Schwarzen Loches kann man sich als fossiles Feld vorstellen. Es existierte ja während des Gravitationskollapses bereits vor der Ausbildung des Ereignishorizonts und blieb dann erhalten.

Genau. Das äussere Gravitationsfeld eines SL´s wird ja nicht vom SL gespeist. Das Gravitationsfeld muss also nicht durch Gravitonen aufrecht erhalten werden. Das Feld wird auch ohne Gravitonen nicht relaxieren.

Gravitonen kommen nach meinem Verständnis erst bei Änderungen im Gravitationsfeld ins Spiel. Und diese Änderungen kommen bei einem SL immer von aussen. Z.B. durch einfallende Materie.

TomS
05.11.16, 14:30
Das äussere Gravitationsfeld eines SL´s wird ja nicht vom SL gespeist. Das Gravitationsfeld muss also nicht durch Gravitonen aufrecht erhalten werden. Das Feld wird auch ohne Gravitonen nicht relaxieren.

Gravitonen kommen nach meinem Verständnis erst bei Änderungen im Gravitationsfeld ins Spiel. Und diese Änderungen kommen bei einem SL immer von aussen. Z.B. durch einfallende Materie.
Ja, so ist das.

Das meinte ich oben mit

Die Frage resultiert m.E. aus dem Denkfehler, diese Austauschteilchen wären alleine für die jeweilige Wechselwirkung verantwortlich, und sie würden sich auf der Raumzeit ausbreiten.

inside
07.11.16, 12:09
Danke an alle für die Klarstellung. Also, es ist demnach so.

1) Hypothetische Gravitonen sind nicht (alleine) für die Gravitationswirkung verantwortlich.

2) Bei Änderungen der Intensität eines gravitativen Feldes kommen Gravitonen ins Spiel.

3) Gravitonen sind nicht AUF der Raumzeit unterwegs ( habe ich auch nicht sagen wollen ), sondern WAS dann ?

4) Quantentheoretisch wollte ich das mal gar nicht betrachten, sondern rein inuitiv.

Dort sollte ich einen Denkfehler haben.
Zurück zu 3, und mit der Annahme "Nein, ich meinte es nicht, dass Gravitonen sich AUF der Raumzeit bewegen", kann jemand den Denkfehler näher beschreiben ???

Danke so weit.

TomS
07.11.16, 20:24
Photonen und Gluonen bewegen sich auf der Raumzeit und ändern diese lediglich indirekt durch Rückwirkung über ihre Energie auf die Raumzeit.

Das Gravitationsfeld ist zunächst mal selbst die Raumzeit, d.h. es gibt keinen Unterschied zwischen Gravitationsfeld und Raumzeit. Wenn man das Gravitationsfeld nun in einen irgendwie gearteten bekannten Anteil (z.B. Schwarzschildlösung für einen Stern oder ein schwarzes Loch) plus kleine Fluktuationen, die man im Zuge der Quantisierung Gravitonen nennt, aufteilt, dann begeht man bzgl. des Gravitationsfeldes einen Denkfehler; diese Aufteilung ist lediglich ein mathematischer Trick, der in der QED gut funktioniert, bereits in der QCD in bestimmten Regimen nicht, und in der QG letztlich gar nicht. Wann immer man ein Versagen dieses vereinfachten Bildes erkennt, sollte man es eben verwerfen und durch eine andere Methode ersetzen.

Die theoretischen Physiker haben auch Jahrzehnte gebraucht, um den prinzipiellen Fehler zu erkennen; einige haben das bis heute nicht geschafft, und die irrige Meinung hält sich auch in vielen vereinfachten Darstellungen. Du bist also keineswegs alleine.

inside
08.11.16, 08:17
Danke nochmal. Das ist echt ausführend und verständlich. Lass uns nun dazu weiter machen.

Was versagt bei dem Schritt von funktionierender Quantenelektrodynamik hin zu Quantenchromodynamik ?

TomS
08.11.16, 20:14
Im Rahmen der Quantenchromodynamik existiert das Hochenergie-Regime, in dem die Theorie asymptotisch frei ist; hier ist die Näherung freier, über perturbativen Gluonen-Austausch schwach wechselwirkender Quarks gut anwendbar.

Daneben existiert das Niederenergie-Regime mit typischen Massenskalen von einigen GeV für Baryonen (Proton, Neutron, ...) und deren Resonanzen (Delta, ...) über einige 100 MeV für Mesonen und Niederenergie-Streuprozesse (Pion-Nukleon-Streuung) bis hinunter zum Quark-Konsensat der chiralen Symmetriebrechung u.a. Vakuumeffekten. Hier ist die o.g. Näherung nicht anwendbar und man benötigt völlig andere mathematische Methoden.

inside
09.11.16, 09:46
Ok, danke. Kannst Du 2 - 5 Formeln posten und aufzeigen, wo die nicht vereinbar sind ?

TomS
09.11.16, 19:51
1) Die Kopplungskonstante der QCD wächst bei kleinen Energiewerten, d.h. eine Störungsrechnung in der Kopplungskonstante ist nicht möglich; spätestens bei der QCD-Skala Lambda ist die perturbative Berechnung der Kopplungskonstante sinnlos, da unendlich.

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Coupling_constant#QCD_scale
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Beta_function_(physics)#Quantum_chromodynamics

2) In nicht-abelschen Eichtheorien existieren nicht-perturbative Lösungen, z.B. Instantonen (u.a.); das Wirkungsfunktional liefert für ein Instant einen Wert ~1/g; offensichtlich ist dafür eine Näherung um g = 0 sinnlos, da unendlich.

https://en.m.wikipedia.org/wiki/BPST_instanton

3) Die chirale Symmetriebrechung im QCD-Vakuum und die damit zusammenhängenden Quark- und Gluonen-Kondensate sind nicht perturbative berechenbar.

https://en.m.wikipedia.org/wiki/QCD_vacuum#Current_algebra_and_QCD_sum_rules

4) Der IR-Gluonen-Propagator / das Analogon zum 1/r Coulomb-Potential ist nicht perturbativ berechenbar; das wird sofortnklar, wenn man sich überlegt, dass ein 1/q² Propagator immer auf ein 1/r Potential führt, dass in der QCD jedoch Confinenent aus einem zusätzlichen linearen kr Potentialterm stammt

http://www2.ph.ed.ac.uk/~muheim/teaching/np3/lect-qcd.pdf - Folie 7
https://arxiv.org/pdf/1102.3246v2.pdf

Marco Polo
13.11.16, 02:44
Die Quantengravitation muss jedoch hintergrundunabhängig formuliert werden, und damit verschwinden diese Fragestellungen; es handelt sich um ein Scheinproblem, das einer falschen Idee entspringt.

Dann würde die Stringtheorie als hintergrundabhängige Theorie aber ausscheiden, oder?

TomS
13.11.16, 08:39
Dann würde die Stringtheorie als hintergrundabhängige Theorie aber ausscheiden, oder?
Zumindest ist man sich im wesentlichen einig, dass genau das ein erhebliches Defizit der Theorie ist.

David Gross, einer herausragenden Physiker des zwanzigsten Jahrhunderts, Nobelpreisträger und einer der Pioniere der Stringtheorie in den achtziger Jahren hat den Eröffnungsvortrag zur Konferenz Strings 2009 gehalten. Aus den Folien:

WHAT IS THE NATURE OF STRING PERTURBATION THEORY?
Our present understanding of string theory has been restricted to perturbative treatments. Does this perturbation theory converge? Most likely it does not. In that case when does it give a reliable asympototic expansion of physical quantities? How can one go beyond perturbation theory and what is the nature of nonperturbative string dynamics? This question is particularly difficult since we currently lack a useful nonperturbative formulation of the theory.

WHAT IS STRING THEORY?
This is a strange question since we clearly know what string theory is to the extent that we can construct the theory and calculate some of its properties. However our construction of the theory has proceeded in an ad hoc fashion, often producing, for apparently mysterious reasons, structures that appear miraculous. It is evident that we are far from fully understanding the deep symmetries and physical principles that must underlie these theories. It is hoped that the recent efforts to construct covariant second quantized string field theories will shed light on this crucial question.

What is the fundamental formulation of string theory?
Quantum Space of all 2-d field theories
Second Quantized Functionals of loops (SFT)
M-theory . . .
Is string theory a framework, not a theory?
What is missing?

Marco Polo
13.11.16, 11:56
What is the fundamental formulation of string theory?
Quantum Space of all 2-d field theories
Second Quantized Functionals of loops (SFT)
M-theory . . .
Is string theory a framework, not a theory?
What is missing?

Kannst du bitte auf die SFT näher eingehen? Die kenne ich nicht. Loops kenne ich nur von der LQG.

TomS
13.11.16, 14:45
Ich denke, es geht um die String Field Theory

https://en.wikipedia.org/wiki/String_field_theory

Marco Polo
13.11.16, 15:26
Zu diesem Thema habe ich nachstehende leichte Bettlektüre gefunden: :)

https://edoc.ub.uni-muenchen.de/16096/1/Muenster_Korbinian.pdf

Urmel1906
18.12.16, 23:01
Die bessere Frage sollte lauten:
Kann sich Gravitation überhaupt fortbewegen? Oder ist sie instantan?

TomS
19.12.16, 07:34
Kann sich Gravitation überhaupt fortbewegen? Oder ist sie instantan?
Nun, der Nachweis von Gravitationswellen zeigt eindeutig, dass sich diese in Übereinstimmung mit der Theorie fortbewegen, und zwar als "Störungen der Hintergrundgeometrie" mit Lichtgeschwindigkeit bzgl. dieser Hintergrundgeometrie.

Hier ging es ja zunächst darum, ob Gravitation alleine durch propagierende Felder vermittelt wird; die Aussage war, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass statische Lösungen existieren, für die eine Vermittlung durch Gravitationswellen oder 'Gravitonen' nicht gegeben ist.

alex stern
11.09.23, 12:29
Ob es nun Gravitonen gibt oder nicht, das Gravitationsfeld eines Schwarzen Loches kann man sich als fossiles Feld vorstellen. Es existierte ja während des Gravitationskollapses bereits vor der Ausbildung des Ereignishorizonts und blieb dann erhalten.
Das bezweifle ich, u.a. aus folgenden 2 Gründen:

1. Gravitation korreliert mit (positiver) Energiedichte.
Wenn die Gravitation des SL dieses nicht verlassen kann (die gesamte Energiedichte des SL befindet sich ja innerhalb des Ereignishorizonts), dann bleibt nichts mehr übrig für ein fossiles Feld außerhalb des Ereignishorizonts.

2. Wenn z.B. ein SL mit 5 Sonnenmassen einen Stern mit 1 Sonnenmasse schluckt, dann wirkt auch außerhalb des Ereignishorizonts die Gravitation von 6 Sonnenmassen.
Was nur möglich ist, wenn sich Gravitation durch einen Ereignishorizont eben nicht 'eingesperren' läßt.

alex stern
11.09.23, 12:39
Genau. Das äussere Gravitationsfeld eines SL´s wird ja nicht vom SL gespeist. Das Gravitationsfeld muss also nicht durch Gravitonen aufrecht erhalten werden. Das Feld wird auch ohne Gravitonen nicht relaxieren.

Gravitonen kommen nach meinem Verständnis erst bei Änderungen im Gravitationsfeld ins Spiel. Und diese Änderungen kommen bei einem SL immer von aussen. Z.B. durch einfallende Materie.
Ein Gravitationsfeld benötigt zu seiner Entstehung/ Existenz irgendeine Form von Energiedichte.
Ohne Energiedichte gibt es auch kein Gravitationsfeld.

Beim 'fossilen Feld' gab es ja VOR der Entstehung des SL noch keinen Ereignishorizont.