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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zeitdilatation durch Bewegung vs. Gravitation


Zaunkönig
09.12.17, 16:49
Guten Abend liebe Forumsmitglieder,

ich habe lange mit mir gehadert ob ich mich in eurem Forum anmelden und meine Frage stellen soll, da ihr diese vllt. eher als "dumm" empfinden könntet. Ich habe leider nur Grundkenntnisse was Physik angeht. Allerdings war letztendlich mein Wissensdurst doch größer.

Wie wir wissen ist nichts schneller als Licht.
Nehmen wir also in einem Gedankenexperiment an, dass wir ein Raumschiff hätten, welches mit 99,99% der Lichtgeschwindigkeit fliegt. Der Einfachheit halber, lassen wir Effekte beim Beschleunigen und Abbremsen außen vor. Wenn ich richtig gerechnet habe, würde von der Erde als Inertialsystem aus eine Zeit von ca. 70 Jahren vergehen, während in dem Raumschiff für die Crew nur 1 Jahr vergeht. Bitte berichtigt meine Berechnung, falls ein Fehler vorliegt.

Nehmen wir weiterhin an, wir hätten ein zweites Raumschiff neben einem schwarzen Loch "geparkt". Hier möchte ich gerne auf das Beispiel aus dem Film "Interstellar" eingehen, wo auf einem Planeten neben einem Wurmloch 1 Stunde vergeht, was sieben Jahren auf der Erde entspricht. Mir ist natürlich klar, dass es nur ein Film ist, allerdings wird in diesem speziellen Fall immer wieder betont, dass namhafte Astrophysiker bei den Berechnungen beteiligt waren.

Dadurch ist bei mir die Frage aufgekommen, ob die Zeitdilatation bei einer hohen Gravitation stärker als bei Geschwindigkeit ist?
Hat eventuell jemand von euch ein Beispiel aus einem Buch oder einer wissenschaftlichen Arbeit, bei der die gravitative Zeitdilatation dargestellt wird?
Lassen sich diese beiden Effekte überhaupt vergleichen?

Ich möchte mich im voraus schonmal für eure Antworten bedanken und wünsche euch ein schönes Wochenende.

Beste Grüße
Zaunkönig

Plankton
09.12.17, 17:32
Eine kleine Anmerkung über die ich mir ziemlich sicher bin. AFAIK zählt jede Form von Energie zur Berechnung der Gravitation in der ART. (Gravitation als geometrische Eigenschaft der 4-dimensionalen Raumzeit)
Irgendeine beschelunigte Masse wäre (eigentlich mit E=mc^2) in jeder korrekten Beschreibung der Gravitation durch die ART enthalten.

Timm
09.12.17, 17:52
Dadurch ist bei mir die Frage aufgekommen, ob die Zeitdilatation bei einer hohen Gravitation stärker als bei Beschleunigen ist?
Hat eventuell jemand von euch ein Beispiel aus einem Buch oder einer wissenschaftlichen Arbeit, bei der die gravitative Zeitdilatation dargestellt wird?
Lassen sich diese beiden Effekte überhaupt vergleichen?

Du meinst wahrscheinlich im ersten Satz: stärker als bei hoher Geschwindigkeit. Die beiden Szenarien lassen sich nicht direkt vergleichen. Für das erste, starke Gravitation, ist die ART, für das zweite, hohe Geschwindigkeit die SRT zuständig. Die Zeitdilatation geht in beiden Fällen gegen unendlich, wenn die Geschwindigkeit sich asymptotisch der Lichtgeschwindigkeit und wenn der Beobachter sich asymptotisch dem Ereignishorizont des schwarzen Loches nähert.

Bernhard
09.12.17, 18:00
Hallo Zaunkönig,

schön, dass Du Dich hier einbringst. Herzlich Willkommen im Forum!

Zu Deiner Frage:
Hat eventuell jemand von euch ein Beispiel aus einem Buch oder einer wissenschaftlichen Arbeit, bei der die gravitative Zeitdilatation dargestellt wird?
Für das einfachste Schwarze Loch (SL) gibt es dazu auch einen recht einfache Formel. Nehmen wir also ein ungeladenes SL ohne Drehimpuls, so wird das durch die Schwarzschild-Raumzeit beschrieben. In dieser Raumzeit kann man der Einfachheit halber einen statischen Beobachter definieren. Das ist ein Raumfahrer in einer Rakete, der mit Hilfe seiner Triebwerke die Gravitationskraft des SL exakt ausgleichen kann. Er bleibt also an einem Punkt der Raumzeit stationär stehen. Vergleicht man nun die Borduhr eines solchen Raumfahrers mit einer Uhr, die praktisch unendlich weit vom SL entfernt ist, so gilt die folgende Formel:

t_Raumfahrer = sqrt(1 - rS/r) * t_Unendlich

Kennt man die Entfernung des Raumfahrers vom SL und die Masse des SL, so kann man daraus den Schwarzschild-Radius rS ausrechnen und mit Hilfe der obigen Formel dann die Zeitverschiebung zwischen den beiden Uhren.

Zaunkönig
09.12.17, 21:38
Du meinst wahrscheinlich im ersten Satz: stärker als bei hoher Geschwindigkeit. Die beiden Szenarien lassen sich nicht direkt vergleichen. Für das erste, starke Gravitation, ist die ART, für das zweite, hohe Geschwindigkeit die SRT zuständig. Die Zeitdilatation geht in beiden Fällen gegen unendlich, wenn die Geschwindigkeit sich asymptotisch der Lichtgeschwindigkeit und wenn der Beobachter sich asymptotisch dem Ereignishorizont des schwarzen Loches nähert.

Guten Abend,

ganz richtig, es sollte "bei hoher Geschwindigkeit" heissen.
Wenn ich deine Antwort richtig verstehe, meinst du, dass bei 100% der Lichtgeschwindigkeit die Zeitdilatation unendlich wird? Da wir aber physikalisch gesehen nur 99,99% erreichen können, aber im der Theorie ein schwarzes Loch bereisen könnten ist die Dilatation hier doch stärker?

Danke und Mfg


Hallo Zaunkönig,

schön, dass Du Dich hier einbringst. Herzlich Willkommen im Forum!

Zu Deiner Frage:

Für das einfachste Schwarze Loch (SL) gibt es dazu auch einen recht einfache Formel. Nehmen wir also ein ungeladenes SL ohne Drehimpuls, so wird das durch die Schwarzschild-Raumzeit beschrieben. In dieser Raumzeit kann man der Einfachheit halber einen statischen Beobachter definieren. Das ist ein Raumfahrer in einer Rakete, der mit Hilfe seiner Triebwerke die Gravitationskraft des SL exakt ausgleichen kann. Er bleibt also an einem Punkt der Raumzeit stationär stehen. Vergleicht man nun die Borduhr eines solchen Raumfahrers mit einer Uhr, die praktisch unendlich weit vom SL entfernt ist, so gilt die folgende Formel:

t_Raumfahrer = sqrt(1 - rS/r) * t_Unendlich

Kennt man die Entfernung des Raumfahrers vom SL und die Masse des SL, so kann man daraus den Schwarzschild-Radius rS ausrechnen und mit Hilfe der obigen Formel dann die Zeitverschiebung zwischen den beiden Uhren.

Vielen Dank für die Antwort. Ich werde mal versuchen etwas damit zu berechnen. Hälst du es für möglich, dass 1 Stunde in der nähe eines schwarzen Lochs zu 7 Jahren auf der Erde werden?

Mfg

soon
09.12.17, 21:43
... Beschleunigen und Abbremsen ...
Kleine Anmerkung:
Stell dir vor, du sitzt in einer geschlossen Kiste im Weltraum und bewegst dich zunächst mit konstanter Geschwindigkeit, - du verspürst also keine Beschleunigung. Dann ändert sich die Geschwindigkeit der Kiste und du verspürst eine Beschleunigung in irgendeine Richtung.
Soll heißen:
Das Abbremsen aus der Alltagsvorstellung ist ebenfalls Beschleunigung.

Bernhard
09.12.17, 21:48
Hälst du es für möglich, dass 1 Stunde in der nähe eines schwarzen Lochs zu 7 Jahren auf der Erde werden?
Prinzipiell ja. Technisch eher nein.

Es gab dazu auch schon mal eine Foren-Diskussion, in der diskutiert wurde, wieviel Energie der Raumgleiter im Film Interstellar benötigt, um von Millers Planet wieder zur Raumstation zu kommen. Das ist dann eine Zahl, die aus heutiger Sicht technisch unrealisierbar ist.

Zaunkönig
09.12.17, 21:49
Kleine Anmerkung:
Stell dir vor, du sitzt in einer geschlossen Kiste im Weltraum und bewegst dich zunächst mit konstanter Geschwindigkeit, - du verspürst also keine Beschleunigung. Dann ändert sich die Geschwindigkeit der Kiste und du verspürst eine Beschleunigung in irgendeine Richtung.
Soll heißen:
Das Abbremsen aus der Alltagsvorstellung ist ebenfalls Beschleunigung.

Hallo, danke für deine Anmerkung. Wenn ich in einem Raumschiff sitze und beschleunige, werde ich nach meinem Verständnis in den Sitz gepresst. Beim Abbremsen "zieht" es mich aus dem Sitz raus nach vorne. Wie kann Abbremsen Beschleunig sein? Ich vermute hier stoße ich mit meinem Verständnis an eine Grenze:-/

Mfg


Prinzipiell ja. Technisch eher nein.

Es gab dazu auch schon mal eine Foren-Diskussion, in der diskutiert wurde, wieviel Energie der Raumgleiter im Film Interstellar benötigt, um von Millers Planet wieder zur Raumstation zu kommen. Das ist dann eine Zahl, die aus heutiger Sicht technisch unrealisierbar ist.

Hallo, das habe ich gelesen:) Ich denke, dass wir hier ja nach dem heutigen Stand der Technik allgemein nur von Gedankenexperimenten sprechen können. Die Aussage, dass es prinzipiell möglich ist, hilft mir schon weiter.

Mfg

Bernhard
09.12.17, 21:58
Wie kann Abbremsen Beschleunig sein?
Der zahlenmäßige Wert einer Beschleunigung (englisch acceleration) kann entweder ein positives oder ein negatives Vorzeichen haben. Im ersten Fall spricht man umgangssprachlich von einer Beschleunigung, im zweiten Fall von einer Abbremsung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Beschleunigung

Marco Polo
09.12.17, 22:49
Eine Beschleunigung liegt bei einer Änderung des Betrages und/oder der Richtung des Geschwindigkeitsvektors vor.

Wenn man also abbremst, dann ist man nach dieser Definition beschleunigt.

soon
09.12.17, 23:39
Wenn ich in einem Raumschiff sitze und beschleunige, werde ich nach meinem Verständnis in den Sitz gepresst. Beim Abbremsen "zieht" es mich aus dem Sitz raus nach vorne.
Lass den Sitz weg oder nimm einen Drehstuhl und dreh dich ein paar Mal, - bis du nicht mehr weisst in welche Richtung du zuvor beschleunigt wurdest.
Du kannst bei konstanter Geschwindigkeit keine Richtung der Geschwindigkeit oder überhaupt eine Geschwindigkeit feststellen. Dies ist die Ausgangssituation.
Bei einer Änderung der Geschwindigkeit - egal in welche Richtung - kannst du dann lediglich spüren, dass du beschleunigst.

Edit:
Zitat von Zaunkönig http://1.1.1.1/bmi/www.quanten.de/forum/images/buttons/viewpost.gif (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?p=86194#post86194)
Wenn ich in einem Raumschiff sitze und beschleunige, werde ich nach meinem Verständnis in den Sitz gepresst. Beim Abbremsen "zieht" es mich aus dem Sitz raus nach vorne.

In einer geschlossenen Kiste hast du keine Möglichkeit festzustellen, ob die erste Beschleunigung - nach Alltagsvorstellung - ein Abbremsen in einem andersherum montierten Sitz war.

Timm
10.12.17, 09:54
ganz richtig, es sollte "bei hoher Geschwindigkeit" heissen.
Wenn ich deine Antwort richtig verstehe, meinst du, dass bei 100% der Lichtgeschwindigkeit die Zeitdilatation unendlich wird? Da wir aber physikalisch gesehen nur 99,99% erreichen können, aber im der Theorie ein schwarzes Loch bereisen könnten ist die Dilatation hier doch stärker?


Wenn es dir um das Prinzipielle und nicht um das physikalisch machbare geht, sind die Antworten unmittelbar aus den überschaubar einfachen Formeln für die Zeitdilatation zu sehen, die du bei Wikipedia findest. Für die Zeitdilatation der speziellen Relativitätstheorie ist der Gamma-Faktor maßgebend. Du siehst, welchem Wert sich dieser nähert, wenn v immer größer wird und sich damit (v/c)² dem Wert 1 nähert.

Für die gravitative Zeitdilatation hat Bernhard die Formel angegeben. Auch hier siehst du unmittelbar, welchen Wert t_unendlich annimmt, wenn die r-Koordinate der Uhr sich dem Ereignishorizont r_S nähert. Hier geht es um den Wert des Quotienten r_s/r.

Die Zeitdilatation der SRT ist von der der Gravitation strikt zu unterscheiden. Bei Letzterer ist die Uhr bei einer bestimmten r-Koordinate stationär. Du kannst unterschiedliche Werte für r annehmen und erhälst dann jeweils einen anderen Wert für die gravitative Zeitdilatation.

Du kannst also nicht die Zeitdilatation der SRT mit der der Gravitation vermengen, wie du es womöglich im Sinn hattest um eine Art additiven Effekt zu erzielen.

Marco Polo
10.12.17, 11:22
Du kannst also nicht die Zeitdilatation der SRT mit der der Gravitation vermengen, wie du es womöglich im Sinn hattest um eine Art additiven Effekt zu erzielen.

Diesen additiven Effekt gibt es. Siehe Hafele-Keating-Experiment:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hafele-Keating-Experiment

Timm
10.12.17, 13:40
Diesen additiven Effekt gibt es. Siehe Hafele-Keating-Experiment:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hafele-Keating-Experiment
Ja, stimmt, daran hatte ich nicht gedacht. Danke für den Hinweis.