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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : In welcher Theori wäre das Senden von Botschften in die Vergangenheit möglich?


tom987
21.07.18, 21:21
Hallo!

Es gibt ja einige Dinge in der Physik wo es eine Art vorherrschende Meinung gibt, wobei auch die Minderheit Recht haben könnte. Vielleicht ist auch irgendjemand mit seiner Privattheorie näher an der Wahrheit als andere.

Ich habe leider nur, wenn überhaupt, den Überblick über die vorherrschende Meinung. Wer kann mit ein Stichwort nennen bzgl. einer Physik bzw. einer Art von Universum. in der es möglich wäre irgendwie eine Botschaft in die Vergangenheit zu senden?

Ob das auch praktisch geht, soll keine Rolle spielen.

Bernhard
21.07.18, 23:05
Hallo tom987,

Wer kann mit ein Stichwort nennen bzgl. einer Physik bzw. einer Art von Universum. in der es möglich wäre irgendwie eine Botschaft in die Vergangenheit zu senden?
du meinst das Kausalitätsgesetz: https://de.wikipedia.org/wiki/Kausalit%C3%A4t#Physik . Es wird von jeder "guten" Theorie erfüllt, und es verbietet eben genau das Senden von Informationen in die Vergangenheit, weil dadurch die Gegenwart instantan (d.h. augenblicklich) verändert werden könnte, was aber so noch nie real beobachtet wurde.

Eine Verletzung des Kausalitätsgesetzes bleibt damit reine Sciencefiction.

tom987
22.07.18, 09:07
Danke! Das ist sehr schade, nicht mal eine Außenseiterheorie oder sowas.

Hawkwind
22.07.18, 10:28
Hallo tom987,


du meinst das Kausalitätsgesetz: https://de.wikipedia.org/wiki/Kausalit%C3%A4t#Physik . Es wird von jeder "guten" Theorie erfüllt, und es verbietet eben genau das Senden von Informationen in die Vergangenheit, weil dadurch die Gegenwart instantan (d.h. augenblicklich) verändert werden könnte, was aber so noch nie real beobachtet wurde.


Aber wie sollte man das auch beobachten? :)


Eine Verletzung des Kausalitätsgesetzes bleibt damit reine Sciencefiction.

Tatsächlich habe ich doch schon gelegentlich seriöse Artikel gelesen, in denen über solche Möglichkeiten spekuliert wurde: die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik mag solche Zeitreisen (oder Botschaften) in die Vergangenheit zulassen, ohne Paradoxa zu erzeugen.
Siehe z.B. von Everett höchstpersönlich:

Allen Everett, Phys. Rev. D 69, 124023, 2004, "Time travel paradoxes, path integrals, and the many worlds interpretation of quantum mechanics"
Time travel paradoxes, path integrals, and the many worlds interpretation of quantum mechanics (https://journals.aps.org/prd/abstract/10.1103/PhysRevD.69.124023)

oder als frei zugängliches pdf
https://arxiv.org/pdf/gr-qc/0410035.pdf

----

oder
Paradoxes of Time Travel:
The Uncertainty Principle, Wave Function, Probability, Entanglement, and Multiple Worlds (http://cosmology.com/ConsciousTime109.html)


...
This paradox, however, can be resolved through Everett's conception of Many Worlds. The past which is changed, is just one past among many. Hence, in terms of the "grandfather" paradox, for example, one may travel back in time but the "grandfather" they kill would not be their "grandfather," but the "grandfather" of their doppelganger who exists in an alternate world as there are innumerable worlds each with their own probable existence and space-time.
...


Die Zeitreise erzeugt "einfach" eine zusätzliche Welt. :)

TomS
22.07.18, 12:39
Siehe z.B. von Everett höchstpersönlich:

Allen Everett, Phys. Rev. D 69, 124023, 2004, "Time travel paradoxes, path integrals, and the many worlds interpretation of quantum mechanics"

Das ist nicht “Everett höchstpersönlich”; Everett höchstpersönlich ist Hugh Everett (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Hugh_Everett_III)

Hawkwind
22.07.18, 13:03
Das ist nicht “Everett höchstpersönlich”; Everett höchstpersönlich ist Hugh Everett (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Hugh_Everett_III)

Hmm, ja - stimmt. Auf den Vornamen hatte ich nicht so geachtet; passte auch zu gut, dass der Autor sich auf Viele-Welten bezog.
Danke für die Richtigstellung, Tom.

TomS
22.07.18, 14:24
Noch ein paar Bemerkungen zur Vermeidung der Paradoxa bei Vorliegen von geschlossenen zeitartigen Kurven:

Ich halte es für relativ mühsam, diese zunächst in die Theorie einzuführen um abschließend ihre Effekte zu eliminieren. Zunächst mal stammt das Bild aus einer mit Sicherheit inkompatiblen Kombination von klassischer Geometrie gemäß ART einschließlich geschlossener zeitartiger Kurven sowie darauf konstruierten Quantentheorien. Statt also an den Folgerungen eines insgs. inkonsistenten Modells herumzubasteln, sollte man dieses Modell selbst in Frage stellen.

Die im Artikel genannten Pfadintegrale sind in ihrer ursprünglichen Form gemäß Feynman aus dem Hamiltonschen Formalismus hergeleitet. Während das Lagrangesche Pfadintegral wohl auf Mannigfaltigkeiten mit geschlossenen zeitartigen Kurven formuliert werden kann, gilt dies für das Hamiltonsche Pfadintegral nicht; dieses setzt voraus, dass die zugrundeliegende Mannigfaltigkeit global hyperbolisch ist und damit geschlossene zeitartige Kurven ausschließt.

Glaubt man an eine Theorie der Quantengravitation oder legt man eine gewöhnliche Quantentheorie mit Hamiltonoperator H, Zeitentwicklungsoperator U = exp[-iHt] und unitärer Zeitentwicklung |ψ(t)> = U(t,t°) |ψ(t°)> zugrunde, sind derartige Artefakte per Konstruktion ausgeschlossen.

Siehe auch: Chronology protection conjecture (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Chronology_protection_conjecture)

Bernhard
22.07.18, 17:08
Aber wie sollte man das auch beobachten? :)
Beispielsweise über eine Verletzung des Energiesatzes bzw. anderer bestätigter Naturgesetze.

Hawkwind
22.07.18, 18:30
Beispielsweise über eine Verletzung des Energiesatzes bzw. anderer bestätigter Naturgesetze.

Ich denke nicht, dass so eine Verletzung der Energieerhaltung zwingend ein Indiz auf eine aus der Zukunft gekommene Information wäre. Meines Wissens ist es auch gar nicht so offensichtlich, wie und ob ein Energieerhaltungssatz in gekrümmten Raum-Zeiten formuliert werden kann.
Andererseits zugegeben, wir kennen keine seriösen Berichte über Zeitreisen oder Informationen aus der Zukunft.


Siehe auch: Chronology protection conjecture (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Chronology_protection_conjecture)

Danke für die Diskussion und den interessanten Link: die Referenzen auf der Seite verweisen schon auf "phantastische" Themen:
"Traversable wormholes: the Roman ring"
"Black Holes and Time Warps"
"Time Travel and Warp Drives"
"Causality violation and naked time machines in AdS5"

Bernhard
22.07.18, 18:42
Ich denke nicht, dass so eine Verletzung der Energieerhaltung zwingend ein Indiz auf eine aus der Zukunft gekommene Information wäre.
Ich stelle mir da einen Sender in der Gegenwart vor, der die Gegenwart in einer plausiblen Weise manipulieren kann. Falls der Sender das nicht kann, kann die Funktionalität des Senders in Frage gestellt werden.

Eine Nachricht aus der Zukunft ist ebenfalls nur über eine Verletzung der Naturgesetze denkbar, weil die Nachricht prinzipiell als Nachricht aus der Zukunft erkennbar sein muss.

TomS
23.07.18, 20:34
Die von Gödel gefundenen Lösungen der Einstein Feldgleichungen.
Im von mir genannten Hamiltonschen Formalismus sind derartige Lösungen ausgeschlossen, da die auftretenden Mannigfaltigkeit nicht global hyperbolisch sind.

Das ist äquivalent zu der Tatsache, dass ein globales Anfangswertproblem nicht formulierbar ist. Vereinfacht gesprochen bedeutet dies, dass die einfache Forderung
1) gegeben sei ein Zustand für einen bestimmten Zeitpunkt t;
2) daraus kann ich den Zustand für jeden beliebigen Zeitpunkt tˋ > t, d.h. für die Zukunft von t berechnen
nicht erfüllt ist.

Es geht nicht darum, dass (2) zu Inkonsistenzen führen könnte, sondern dass bereits (1) nicht formulierbar ist.

Quantum Of Justice
24.07.18, 07:44
Die Zeitreise erzeugt "einfach" eine zusätzliche Welt. :)

Das wollte ich auch schreiben... :D

Quantum Of Justice
24.07.18, 07:53
In der Maktroskopischen welt scheinen Raum und Zeit wohl definiert zu sein.

Aber im ganz kleinen gibt es schon noch Fragenzeichen, auch in unseren Theorien unseren Welt.

Z.B. könnte man bei der "Verschränkung" von Teilchen, unsere Vorstellung vom Raum hinterfragen.
Und beim Quantenradierer-Experiement die Zeit. Da wird anscheinend das Vergangene umgeschrieben! Oder die Zeit so wie wir sie kennen im Makroskopischen existiert nicht oder anders in der kleinsten Welt. Aber vielleicht liegts ja auch nicht an der Dimension Zeit, sondern wir haben den Begriff Information noch nicht durchblickt...

Quantum Of Justice
24.07.18, 08:54
Hallo!

Es gibt ja einige Dinge in der Physik wo es eine Art vorherrschende Meinung gibt, wobei auch die Minderheit Recht haben könnte. Vielleicht ist auch irgendjemand mit seiner Privattheorie näher an der Wahrheit als andere.

Ich habe leider nur, wenn überhaupt, den Überblick über die vorherrschende Meinung. Wer kann mit ein Stichwort nennen bzgl. einer Physik bzw. einer Art von Universum. in der es möglich wäre irgendwie eine Botschaft in die Vergangenheit zu senden?

Ob das auch praktisch geht, soll keine Rolle spielen.

Wenn es solche Theorien gibt, dann sind sie meiner Meinung nach nicht völlig unschlüssig oder unmöglich oder unlogisch...

Hätte man vor den Quantenexperiementen diese Theorien präsentiert, wären es nur sehr wage und unnatürliche/unreale Theorien gewesen. Aber in den letzten 80 Jahren hat sich viel unerwartetes und counter-Intuitives herausgestellt aus den Quantenexperiementen. Z.B. das gewonnene Information die realität Verändert.
So könnte auch gewonne Information aus der Zukunft die realtität der Gegenwart verändern, in Form einen neuen parallel Univerum in einem Multiversium...
Z.B. Könnte eine Theorie sagen: Parallel Universen werden erschaffen, wenn eine weitere Zeit-Dimension ensteht, und es kann beliebig viele Zeit-Dimensionengeben. Die Theorie könnte sagen, das es unendlich viele virtuelle Zeit-dimensionen gibt (so wie in der Quantenmechanik die Teilchen nur als virtuelle wellenartigagierende Felder mit eine gewissen Aufentalswahrscheinlichkeit sind)
Und eine Zeit-Dimension ensteht, wenn eine Information aus einem anderen solchem parallel Universum (Zukunft dessen) ins andere kommt, es ensteht ein neuer Zeitpfeil, wie eine Y-Weiche.

Ja es ist eine ganz andere Hausnummer, aber wenn jemand vor 100 Jahren von Verschränkung und Quantenradieren erzählt hätte, hätte das nur die allerwenigsten Ernst genommen und tendenziell keine professionellen Physiker. :rolleyes:

TomS
24.07.18, 12:07
Die Zeitreise erzeugt "einfach" eine zusätzliche Welt.
Das wollte ich auch schreiben
Das ist zu einfach gedacht; zuvor muss man verstanden haben, was der Begriff „Welt“ mathematisch eigtl. bedeutet.

Quantum Of Justice
24.07.18, 13:06
Das ist zu einfach gedacht; zuvor muss man verstanden haben, was der Begriff „Welt“ mathematisch eigtl. bedeutet.

Mathematisch? Du meinst Physikalisch, oder?

Aber ja, man muss vorsichtig sein mit dem Begriff "Welt". Ich "weiss" meistens aus dem Kontext/Inhalt was der Verfasser sich darunter vorgestellt hat.

Für mich z.B. ist eine Welt, welche gleiche (oder vergleichbare) Eigenschaften aufweisst und wo man Wechselwirkung innerhalb dieser niemals 100% ausschliesen kann: z.B. könnte es eine Welt geben mit einem Universium. Oder es könnte eine Welt geben welches ein Multiversum ist, wo nicht auszuschliessen ist das die verschiedenen Universen in diesem Multiversum miteinander wechselwirken können (auf welche Art und Weise auch immer).
Und man kann weiter gehen und sagen zu dieser Welt gibt es Parallel-Welten, welche aber niemals und unter keinen umständen in irgendeiner einer Form aufeineander uni- oder bi-direktional wirken (ansonsten wäre es einfach ein spezieller Teil dessen Welt, mit welcher sie "wirkt").

Eventuell kann am schluss nur die reine Logik und Mathematik uns sagen was am Wahrscheinlichsten ist...

z.B. für meine persönliche (menschliche und menschlich-begrenzte) Logik wäre es viel Wahrscheinlicher es gäbe einfach Überhaupt Nichts...
und doch sitz ich hier und mach mir gedanken... Das zum thema vermeintliche Wahrscheinlichkeiten....

TomS
24.07.18, 21:43
Mathematisch? Du meinst Physikalisch, oder?
Nein, ich meine mathematisch.

Der Begriff „Welt“ ist im Kontext der Everettschen Interpretation sowie im Zuge der Entwicklung der Dekohärenz eher unscharf definiert. Man kann nicht einfach für die beiden beim Doppelspalt relevanten Welten einem mathematisch präzise definierten Ausdruck angeben.

Quantum Of Justice
25.07.18, 08:28
Nein, ich meine mathematisch.


Wieso mathematisch und nicht physikalisch?

TomS
25.07.18, 23:53
Wieso mathematisch und nicht physikalisch?
Nun, die Quantenmechanik ist eine mathematisch formulierte Theorie, die unsere Wahrnehmungen adäquat beschreibt. Dabei muss man jedoch eine Kröte schlucken: entweder modifiziert man die Mathematik derart, dass man letztlich das Auftreten unserer klassischen Wahrnehmung postuliert, oder man akzeptiert, dass die insgs. existierende Realität umfassender ist als unsere Wahrnehmung. Ersteres entspricht der orthodoxen Interpretation insbs. nach von Neumann, letzteres der Everettschen Interpretation. Am Beispiel eines Photons, eines halbdurchlässigen Spiegels sowie zweier Detektoren T und R entsprechend Transmission und Reflexion: nach von Neumann eliminiert man nach Messung des Photons bei Detektor künstlich diejenige Komponente des Zustandes, die nicht dem Detektorsignal entspricht, d.h. bei Detektion T (R) eliminiert man R (T); nach Everett bleiben alle Komponenten real erhalten, jedoch werden bestimmte Komponenten bzw. Unteräume wechselweise orthogonal (was man für einfache Systeme im Zuge der Dekohärenz beweisen kann).

„Komponente“ bzw. „Unterraum“ sowie „orthogonal“ sind jeweils mathematisch klar definiert. In der Nachfolge von Everett - nicht von ihm selbst - wurde der Begriff „Welt“ u.a. geprägt, was diverse Verwirrungen mit sich bringt. Dieses „Welt“ ist nun mathematisch keineswegs präzise definiert. Diese ganzen Worte sind nicht Selbstzweck, sondern lediglich Veranschaulichung von Formeln.

Bevor man nun mit dem „Auftreten neuer Welten im Falle von Zeitreisen“ argumentiert, sollte man doch die Mathematik präzise formuliert haben.

Was also ist rein mathematisch gesprochen eine „Welt“? oder gar „das Auftreten neuer Welten“? wie sehen die entsprechende Formeln aus? und wie folgen sie aus dem etablierten Formalismus der Quantenmechanik?

Ich kenne die Everettschen Interpretation immer nur in der hamiltonschen bzw. kanonischen Formulierung, aber da treten keine „Zeitreisen“ auf; sie sind nicht zulässig - s.o.

Was passiert nun mathematisch, wenn man zum einen die kanonische Formulierung so modifiziert oder gar verlässt, dass „Zeitreisen“ bzw. präziser „closed timelike curves“ zulässig werden, zum anderen jedoch die Everettschen Interpretation weiterhin intakt bleibt? wie sieht die mathematische Formulierung aus?

Ich würde mich selbst als tendenziell der Everettschen Interpretation zugeneigt bezeichnen, aber ich halte diese Interpretation durchaus für strittig sowie mit subtilen jedoch durchaus relevanten mathematischen Problemen behaftet. Daher wäre ich mit derartig gewagten Aussagen eher zurückhaltend.

Quantum Of Justice
26.07.18, 08:26
Nun, die Quantenmechanik ist eine mathematisch formulierte Theorie.

Naja, Mathematik ist ein Werkzeug für die Beschreibung oder Postulierung der Physik-Theorien.
Wenn man nur von Mathe spricht, braucht man keine Physik...
Wenn ich aber von Welten spreche, ist Physik immer vorhanden.

Aber es ist ausser Frage, dass wenn man mit einer neuen Theorie (wo man z.b. Informationen in die Vergangeheit senden kann) daher kommt, auch dauz schlüssige mathematische Formulierungen vorhanden sein müssten...

TomS
26.07.18, 21:17
Naja, Mathematik ist ein Werkzeug für die Beschreibung oder Postulierung der Physik-Theorien.
Wenn man nur von Mathe spricht, braucht man keine Physik...
Mathematik ist das Werkzeug zur Formulierung von physikalischen Theorien. Alles weitere sind Erläuterungen, Veranschaulichungen und Interpretationen dieser mathematischen Formulierung.

Es gibt also keine physikalische Theorie ohne Mathematik. Und damit sind Diskussionen, die sich nicht auf die mathematische Formulierung (oder experimentelle Resultate) beziehen, keine physikalischen Diskussionen.


Aber es ist ausser Frage, dass wenn man mit einer neuen Theorie (wo man z.b. Informationen in die Vergangeheit senden kann) daher kommt, auch dazu schlüssige mathematische Formulierungen vorhanden sein müssten...
Ich habe mir einige Teile des zu Beginn genannten Papers durchgelesen. Ich empfinde einige der Modifizierungen der Quantenmechanik - so z.B. das Aufgeben der Unitarität der Zeitentwicklung - als ad hoc, das ausschließlich dazu dient, überhaupt geschlossene zeitartige Kurven einführen zu können.

Darüberhinaus wissen wir, dass die Quantenmechanik auf klassischen Mannigfaltigkeiten in gewissen Regimen sicher inkonsistent wird. Daraus folgt, dass man entweder die Quantenmechanik modifizieren muss, oder dass klassische Mannigfaltigkeiten in diesen Regimen keine gute Beschreibung der Raumzeit mehr sein können. Da ich letzteres für plausibel halte, ist für mich der Startpunkt des Papers schon nicht mehr sinnvoll.

Vollständig bewerten kann man dies natürlich erst im Rahmen von Experimenten - was heute leider nicht realistisch erscheint. Entsprechend wenig relevant erscheint mir das Paper, aber das ist Ansichtssache.

Bernhard
26.07.18, 23:04
Hallo Tom,

Darüberhinaus wissen wir, dass die Quantenmechanik auf klassischen Mannigfaltigkeiten in gewissen Regimen sicher inkonsistent wird.
hast Du dazu einen weiterführenden Link?

TomS
27.07.18, 07:07
Nun, dazu gibt es ‘zig Indizien: am prominenten ist die Verletzung der Unitarität durch die Hawkingstrahlung; die Einstein-Gleichung G = T müsste durch G = <T> o.ä. ersetzt werden, was zu einer unvollständigen Theorie führt; der isotrope Zerfall eines Spin-Null-Teilchens mit anschließendet Detektion der Zerfallsprodukte an einem bestimmten Ort erfordert einen entsprechenden instantanen Sprung in der Geometrie der Raumzeit

Quantum Of Justice
27.07.18, 08:12
Mathematik ist das
Es gibt also keine physikalische Theorie ohne Mathematik. Und damit sind Diskussionen, die sich nicht auf die mathematische Formulierung (oder experimentelle Resultate) beziehen, keine physikalischen Diskussionen.


Ist auch meine Meinung. Wir rede ja nicht über Physik, sondern über die Definition und zugehörikeit eines Begriffes. Und wenn ich von Welten spreche ist das etwas physikalisches, weil es ja mit Existenz und Realität zu tun hat. In der Mathe brauch ich keine Existenz oder Realität, also auch kein Welten... In der Physik schon...

Aber jeder das ist wohl so wies aussieht ansichtssache...

Quantum Of Justice
27.07.18, 08:14
Hallo Tom,


hast Du dazu einen weiterführenden Link?

Meint er im Fall von Schwarzen Löchern?

Quantum Of Justice
27.07.18, 08:16
Nun, dazu gibt es ‘zig Indizien: am prominenten ist die Verletzung der Unitarität durch die Hawkingstrahlung; die Einstein-Gleichung G = T müsste durch G = <T> o.ä. ersetzt werden, was zu einer unvollständigen Theorie führt; der isotrope Zerfall eines Spin-Null-Teilchens mit anschließendet Detektion der Zerfallsprodukte an einem bestimmten Ort erfordert einen entsprechenden instantanen Sprung in der Geometrie der Raumzeit

Nicht zwingend, man kann auch andere Annahmen aufgeben.

Bernhard
27.07.18, 16:45
die Einstein-Gleichung G = T müsste durch G = <T> o.ä. ersetzt werden, was zu einer unvollständigen Theorie führt
So wie hier: https://en.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dinger%E2%80%93Newton_equation . Immerhin ein interessanter Ansatz.

TomS
27.07.18, 16:48
Und wenn ich von Welten spreche ist das etwas physikalisches, weil es ja mit Existenz und Realität zu tun hat. In der Mathe brauch ich keine Existenz oder Realität, also auch kein Welten... In der Physik schon.
Aber die Physik sagt dir nicht so einfach, was eine “Welt” im Sinne der QM ist. Der Begriff “Welt” ist nicht Ausgangspunkt sondern Ziel. Ausgangspunkt ist der Formalismus der QM.

Bernhard
27.07.18, 20:44
Aber die Physik sagt dir nicht so einfach, was eine “Welt” im Sinne der QM ist. Der Begriff “Welt” ist nicht Ausgangspunkt sondern Ziel. Ausgangspunkt ist der Formalismus der QM.
Wird das nicht wieder verständlicher und einfacher, wenn man die Begriffe "Welt" und/oder Mannigfaltigkeit beobachterabhängig macht? In der ART nimmt man eine globale Geometrie implizit ja gerne als etwas beobachterunabhängiges an, aber in der Verbindung mit der QM ist so eine Annahme meiner Meinung nach nur schwer oder gar nicht mehr zu halten.

So bekommt man lokal und global Wahrscheinlichkeiten für prinzipiell beobachtbare Raumzeit-Geometrien. Bei logischen Schlüssen oder Berechnungen von einem auf einen anderen Beobachter ergeben sich damit ebenfalls Wahrscheinlichkeiten. Falls Beobachter A zum Zeitpunkt t_0 die Geometrie G misst, würde Beobachter B zu einem anderen Zeitpunkt t_0' mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Geometrie G' messen.

Timm
27.07.18, 21:57
Wird das nicht wieder verständlicher und einfacher, wenn man die Begriffe "Welt" und/oder Mannigfaltigkeit beobachterabhängig macht? .
Bei den “vielen Welten” geht es um akausal getrennte Zustände als Konsequenz der Kollaps Vermeidung.

Bernhard
27.07.18, 22:43
Bei den “vielen Welten” geht es um akausal getrennte Zustände als Konsequenz der Kollaps Vermeidung.
Ich finde eben so einen Ansatz als nahezu absurd.

TomS
28.07.18, 07:25
Wird das nicht wieder verständlicher und einfacher, wenn man die Begriffe "Welt" und/oder Mannigfaltigkeit beobachterabhängig macht?
Wenn man in diesem Kontext auch noch die Geometrie diskutieren möchte, dann wird es noch wesentlich komplizierter. Ausgangspunkt war die Behauptung, Paradoxa würden sozusagen “durch die Erzeugung neuer Welten” aufgelöst. Damit ist die Geometrie jedoch global gegeben, die “Welt” würde sich auf die Everettsche Interpretation beziehen. Der Begriff “Welt” ist mathematisch nicht einfach fassbar; und die Everettsche Interpretation geht ohnehin davon aus, dass wir zunächst gerade nicht aus der Perspektive eines einzelnen Beobachters argumentieren sollen.

Dass der Begriff “Welt” dann letztlich aus der Perspektive eines einzelnen Beobachters zu verstehen ist und welche Probleme Everett dadurch gelöst hat, versteht man wiederum erst, wenn man die globale Perspektive einnimmt.

Bei den “vielen Welten” geht es um ”akausal getrennte Zustände” als Konsequenz der Kollaps Vermeidung.
Ich finde eben so einen Ansatz als nahezu absurd.
Das ist genau das, was ich nicht nachvollziehen kann. Der Ansatz ist klar, einfach und präzise - jedenfalls deutlich präziser als der von Born, von Neumann et al. Das Ergebnis mag überraschen.

Wobei “akausal” hier evtl. irreführend ist, da es nichts mit dem Kausalitätsbegriff der RT zu tun hat.

Everett postuliert nicht viele Welten, sondern er interpretiert das Ergebnis, nämliche eine einzige Wellenfunktion, als aufgefächert in verschiedene Zweige; diese wiederum folgen beweisbar aus der Dekohärenztheorie und bleiben dieser zufolge wechselweise unsichtbar. Die Theorie liefert also exakt das, was wir beobachten.

Du kannst dich insofern dagegen verwahren, dass du die Konsequenzen ablehnst, nicht jedoch den Ansatz, denn dieser entspricht exakt der orthodoxen QM unter Verzicht auf das ad hoc Kollapspostulat. Everetts Ansatz ist also axiomatisch einfacher im Sinne von Ockham und liefert dennoch die selben experimentell überprüfbaren Vorhersagen, wobei diese nach Everett vollständig aus der Theorie folgen, während nach von Neumann et al. einige davon postuliert werden (insbs. der Kollaps, jedoch auch die Bornsche Regel, über deren Ableitbarkeit aus den anderen Axiomen noch Uneinigkeit herrscht)

Bernhard
28.07.18, 08:20
Du kannst dich insofern dagegen verwahren, dass du die Konsequenzen ablehnst, nicht jedoch den Ansatz, denn dieser entspricht exakt der orthodoxen QM unter Verzicht auf das ad hoc Kollapspostulat.
Das klingt so, als würde man an den Texten und Ideen von Everett gar nicht mehr vorbeikommen, was ich so aber nicht wirklich bestätigen kann.

TomS
28.07.18, 08:32
Das klingt so, als würde man an den Texten und Ideen von Everett gar nicht mehr vorbeikommen, was ich so aber nicht wirklich bestätigen kann.
Zumindest kommt man insofern nicht mehr daran vorbei, als es aufgrund der Dekohärenz einen weiteren Baustein pro Everett gibt, der es erlaubt, einige seiner Schlussfolgerungen zu beweisen. Und man kommt nicht mehr daran vorbei, wenn man ein umfassendes Bild der QM, ihrer Interpretationen und deren Probleme sowie Lösungsansätze haben möchte.

Ich würde allerdings nicht mehr zwingend bei Everett starten sondern eher moderne Zusammenfassungen lesen.

Worauf ich jedoch nochmals hinweisen möchte:

Everett postuliert nicht viele Welten ... diese [Welten] folgen beweisbar aus der Dekohärenztheorie und bleiben dieser zufolge wechselweise unsichtbar. Die Theorie liefert also exakt das, was wir beobachten. Everetts Ansatz ist also axiomatisch einfacher im Sinne von Ockham und liefert dennoch die selben experimentell überprüfbaren Vorhersagen ...
All dies ist mathematisch unstrittig sowie phänomenologische zutreffend und kann daher im Kern nicht bestritten werden. Was du ablehnen kannst sind daraus folgende ontologische Konsequenzen; diese Argumentation bewegt sich jedoch auf einer anderen Ebene.

Ich will nicht behaupten, dass man die Everettsche Interpretation akzeptieren müsse. Man muss jedoch akzeptieren, dass sie im engeren Sinne physikalisch nicht kritisierbar ist, da ihre Vorhersagen experimentell bestätigt werden.

Bernhard
28.07.18, 10:36
Zumindest kommt man insofern nicht mehr daran vorbei, als es aufgrund der Dekohärenz einen weiteren Baustein pro Everett gibt, der es erlaubt, einige seiner Schlussfolgerungen zu beweisen.
Welche wären denn das?

TomS
28.07.18, 11:22
Die Entstehung und „Stabilität“ der Zweige im Kontext einer Messung, die Messung selbst als normaler quantenmechanischer Prozess ohne ad hoc Regel und ohne die Notwendigkeit eines „Beobachters“ der selbst außerhalb des Formalismus der Quantenmechanik steht, die „dynamische Separiertheit“ bzw. wechselweise „Unsichtbarkeit“ der Zweige sind Konsequenzen der Dekohärenz.

Bernhard
28.07.18, 12:06
OK. So macht das Sinn. Ich glaube aber nicht, dass diese Sichtweise schon ausreicht. Warum habe ich oben bereits beschrieben.

TomS
28.07.18, 14:08
Was genau meinst du, was du oben geschrieben hast?

Bernhard
28.07.18, 19:53
Was genau meinst du, was du oben geschrieben hast?
Ich erkläre es über den Beitrag von Timm:

Bei den “vielen Welten” geht es um akausal getrennte Zustände als Konsequenz der Kollaps Vermeidung.
Nehmen wir die bekannte Messung des Spins des Elektrons. Beobachter A messe am Ort x "Spin up", dann gibt es nach den Gesetzen der QM prinzipiell auch die Möglichkeit, dass der Beobachter A "Spin Down" gemessen hätte. Anstatt nun ein komplett neues Universum zu postulieren, so dass aus dem Beobachter A zwei Beobachter A und B werden, kann man meiner Meinung nach auch bei möglichen Beobachtern bleiben. Es geht dann nur noch darum Wahrscheinlichkeiten zusammen mit den zugehörigen Möglichkeiten zu diskutieren und das macht die QM ja eh schon seit jeher.

Neu ist eventuell die Sichtweise, dass Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf einen einzelnen Beobachter definiert werden müssen. Man kann das auch auf beide beschriebenen Beobachter A und B anwenden, wobei diese Beobachter dann nicht akausal zusammenhängen, weil ihre Messergebnisse ja korreliert sind.

Kurz, ich sehe absolut keine Notwendigkeit bei jeder Messung neue Universen entstehen zu lassen, wenn ich mich auf einen exakt definierten Beobachter und Wahrscheinlichkeiten für Messergebnisse beschränke. Die "Vielen-Welten" entstehen dann dadurch, dass es "viele" mögliche Beobachter geben kann, die alle mit unterschiedlichen Wellenfunktionen ihre gerade beobachtbare Realität beschreiben können.

Timm
28.07.18, 20:35
Im Grunde geht es doch um die Frage, deutet man die WF ontisch oder als mathematisches Konstrukt, das nicht mehr als Wahrscheinlichkeiten liefert. Die VWI impliziert nach Zeh die ontische Auffasssung, die sich physikalisch nicht belegen läßt, während es sich bei einem mathematischen Konstrukt nach Zeilinger erübrigt, von einem Kollaps zu sprechen. Ich halte es mit letzterer Interpretation, weil minimalistisch und experimentell verifiziert.

Bernhard
28.07.18, 21:00
Ich halte es mit letzterer Interpretation, weil minimalistisch und experimentell verifiziert.
Da schließe ich mich an.

soon
29.07.18, 05:58
So ähnlich könnte es gewesen sein, als damals hochqualifiziert darüber diskutiert wurde, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen (,falls es die Diskussion wirklich gab).

Ich will damit sagen, dass es riskant ist, sich zu sehr mit Everett-Multiversen zu beschäftigen. Das Risiko besteht darin, im Nachhinein einsehen zu müssen, dass man komplett seine Zeit vergeudet hat, sobald irgendwann neue Erkenntnisse auftauchen.
Aus meiner Sicht ist das sogar heute schon der Fall, da ich Determiniertheit als Fakt anerkenne und in "Zufälligkeit" eine Analogie zu den "Engeln" von damals sehe. (Die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten ist ein Werkzeug und setzt "Zufälligkeit" nicht voraus).
Dekohärenz fällt für mich als Argument ebenfalls aus, weil es keine 'abgeschlossen Systeme' gibt, imho. (Bei der Definition von 'abgeschlossen Systemen' wird die fraktale Eigenschaft von Objekten nicht berücksichtigt).

[nur so als Anmerkung, die eigentlich in die Plauderecke gehört]

Bernhard
29.07.18, 06:53
Hallo soon,

Dekohärenz fällt für mich als Argument ebenfalls aus,
weil es keine 'abgeschlossen Systeme' gibt, imho.
ich verstehe "Dekohärenz" so, dass Meßgeräte auch als Objekte beschrieben werden, die den Gesetzen der QM genügen. Insofern sehe ich nicht, wo es dann noch abgeschlossene Systeme geben soll.

Ich sehe auch keine größeren Probleme mit einer Wellenfunktion für das gesamte Universum, weil man die WF ja immer auf einen bestimmten Beobachter beziehen kann, der je nach verwendeten Mitteln nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Aussagen über das Universum ableiten kann.

Den Begriff der Wahrscheinlichkeit wird man dagegen nicht so schnell los, weil er bei den zugehörigen Experimenten real vorkommt. Z.B die Quanteneffizienz von Detektoren, die mit einer Zahl zwischen 0 und 1, d.h. mit einer Wahrscheinlichkeit angegeben wird. Hier müsste man mit verborgenen Variablen argumentieren, die ich ebenfalls ganz interessant finde, allerdings muss bei der Beschäftigung damit bedacht werden, dass auch damit die Meßergebnisse der QM nachgestellt werden müssen und das kann natürlich demotivierend sein.

soon
29.07.18, 08:26
Hallo Bernhard,

ich verstehe "Dekohärenz" so, dass Meßgeräte auch als Objekte beschrieben werden, die den Gesetzen der QM genügen.
Die Reduzierung der Betrachtung auf Meßgeräte und Messungen ist eine extreme Vereinfachung, die nur der Veranschaulichung dient (und letztlich den philosophischen Charakter der VWI erkennen lässt). Tatsächlich steht 'Messung' dabei stellvertretend für jede Wechselwirkung, bei der jedesmal ein neuer "Zweig" entstehen müsste. Und das ist, bei genauer Betrachung, nicht nur jede Elektron-Photon-Interaktion, sondern wohl auchjede einzelne Wechselwirkung in jedem Atomkern.


Insofern sehe ich nicht, wo es dann noch abgeschlossene Systeme geben soll.
Eine Vorstellung von abgeschlossen (im Sinne von abgekapselten) Systemen ist für mich schon dann hinfällig, wenn ich den Fokus auf die wesentliche Eigenschaft setze, die darin besteht, dass sich Objekte/Systeme entwickeln und nicht irgendwie da sind.


Den Begriff der Wahrscheinlichkeit wird man dagegen nicht so schnell los,
Den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten gibt es, meine ich, real nur in menschgemachten Modellen. Die sonstige Natur arbeitet mit Häufigkeiten, die der Natur allesamt bekannt sind, sozusagen.

Statt verborgener Variablen genügen vielleicht auch neue Modelle und Techniken, die es irgenwann geben wird. Schließlich hat die Natur gerade erst den Computer entwickelt, der jetzt schon neue Fähigkeiten der Datenauswertung und Simulation bietet.

Bernhard
29.07.18, 08:53
Eine Vorstellung von abgeschlossen (im Sinne von abgekapselten) Systemen ist für mich schon dann hinfällig, wenn ich den Fokus auf die wesentliche Eigenschaft setze, die darin besteht, dass sich Objekte/Systeme entwickeln und nicht irgendwie da sind.

Das Konzept der WF zusammen mit der bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation kommt prinzipiell auch damit klar.

TomS
29.07.18, 09:18
Anstatt nun ein komplett neues Universum zu postulieren ... Kurz, ich sehe absolut keine Notwendigkeit bei jeder Messung neue Universen entstehen zu lassen ...
Das ist m.E. das grundlegende Missverständnis: Everett postuliert keine neue Welten, er akzeptiert lediglich das Ergebnis der Schrödingergleichung als Beschreibung der Realität. Für mikroskopische Skalen stimmen hier alle Physiker überein; für makroskopische Skalen oder “Messungen” postulieren viele einen Kollaps, führen also ad hoc ein zusätzliches Element ein, um bestimmte Konsequenz zu vermeiden. Everett akzeptiert die Konsequenzen auch bzgl. makroskopischer Systeme, vermeidet den ad hoc Kollaps und nimmt damit der Messung und dem Beobachter ihren Sonderstatus.

Bernhard
29.07.18, 09:22
Everett postuliert keine neue Welten
Wie konnte sich dann nur dieser "grauslige" Begriff VWI verbreiten. Der ist dann doch komplett irreführend.

TomS
29.07.18, 09:26
Im Grunde geht es doch um die Frage, deutet man die WF ontisch oder als mathematisches Konstrukt, das nicht mehr als Wahrscheinlichkeiten liefert. Die VWI impliziert nach Zeh die ontische Auffasssung ...
Genau, das ist die Kernfrage. Es geht um die realistische Interpretation des Zustandsvektors als Repräsentant der Realität vs. der instrumentalistischen Auffassung desselben als reines Rechenhilfsmittel.

Schreibt Zeh das so? Ich sehe es eher andersherum: die realistische Auffassung Quantenmechanik impliziert die Everettsche Interpretation. Wenn ich auf diesen Anspruch verzichte, dann besteht kein Grund, Everett zu folgen.

TomS
29.07.18, 09:34
Wie konnte sich dann nur dieser "grauslige" Begriff VWI verbreiten. Der ist dann doch komplett irreführend.
Der Begriff stammt nicht von Everett sondern wurde viele Jahre später von de Witt geprägt. Dieser kannte wohl erste Ideen zur Dekohärenz, die diesen Ansatz plausibel erscheinen lassen, und er befasste sich mit Quantengravitation und der Wellenfunktion des Universums, die die Idee eines externen Beobachters absurd erscheinen lässt.

Der Begriff ist tatsächlich grauslich.

Das grundsätzliche Missverständnis, dass Everett etwas künstliches postulieren würde, beruht wohl auf irreführenden populärwissenschaftlichen Darstellungen.

Ich stelle immer wieder fest, dass die meisten Leute, die die VWI ablehnen, nur diese verzerrten Darstellungen kennen.

soon
29.07.18, 09:47
Das Konzept der WF zusammen mit der bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation kommt prinzipiell auch damit klar.
Da verstehe ich nicht viel von, würde aber, wie bei allen funktionierenden und vorhersagefähigen Modellen, einen begrenzten Gültigkeitsbereich vermuten.

[ich hab erstmal genug geschwafelt]

Bernhard
29.07.18, 10:12
und er befasste sich mit Quantengravitation und der Wellenfunktion des Universums, die die Idee eines externen Beobachters absurd erscheinen lässt.
Mit der Streichung des Wortes "extern" fällt auch jeglicher Widerspruch weg.

TomS
29.07.18, 15:27
Mit der Streichung des Wortes "extern" fällt auch jeglicher Widerspruch weg.
„Extern“ steht für „ außerhalb des betrachteten quantenmechanischen Systems. D.h. die Freiheitsgrade es Beobachters sind nicht Gegenstand des Systems, seiner Dynamik und Zeitentwickung sowie der Messung. Nun kann aber kein Beobachter in diesem oder irgendeinem anderen Sinne „extern“ bzgl. des Systems sein, das die Gesamtheit des Universums modelliert. Daraus folgt noch nicht die Wahrheit von Everett’s Ansatz, es folgt aber die explizite Sinnlosigkeit, den von Neumannschen Messprozess auf das Universum anwenden zu sollen.

Wenn ich also den von Neumannschen Messprozess zugrundelege, kann ich die Quantenmechanik so nicht auf das Universum anwenden. Und wenn ich umgekehrt die Quantenmechanik auf das Universum anwenden möchte, dann kann dies nicht auf Basis der orthodoxen bzw. von Neumannschen Interpretation erfolgen.

Dieses Problem haben Wheeler und de Witt erkannt; und sie haben in Everett’s Ansatz eine Lösung für diese Probleme gefunden.

Nochmal: Daraus folgt noch nicht die Wahrheit von Everett’s Ansatz, es folgt aber die explizite Sinnlosigkeit des Ansatzes nach von Neumann.

Bernhard
29.07.18, 16:57
Dieses Problem haben Wheeler und de Witt erkannt; und sie haben in Everett’s Ansatz eine Lösung für diese Probleme gefunden.

Kannst du eventuell etwas zur Rolle eines Beobachters bei der Wheeler-deWitt-Gleichung schreiben? Es kann doch nur schlecht sein, dass diese Gleichung jeden Beobachter ausschließt?

TomS
29.07.18, 17:44
Kannst du eventuell etwas zur Rolle eines Beobachters bei der Wheeler-deWitt-Gleichung schreiben. Es kann doch nur schlecht sein, dass diese Gleichung jeden Beobachter ausschließt?
Das hat nichts speziell mit der Wheeler-deWitt-Gleichung zu tun; diese ist lediglich eine spezielle Form der Schrödingergleichung.

In der orthodoxen Quantenmechanik sind Messprozess und Beobachter nicht Gegenstand der Zeitentwicklung und der Schrödingergleichung; Messprozess und Beobachter werden separat eingeführt und widersprechen der Schrödingergleichung. Während die Zeitentwicklung gemäß Schrödingergleichung den Quantenzustand unitär, deterministisch und eindeutig in der Zeit entwickelt, führt der Messprozess auf einen nicht-unitäre, stochastische Projektion auf einen der möglichen Eigenzustände der zu messenden Observablen.

Dies erfordert einen „Schnitt“ zwischen Quantensystem und Beobachter; letzterer kann nicht Bestandteil des Quantensystems sein, denn in diesem Fall müsste er als Bestandteil desselben ja ebenfalls der Schrödingergleichung gehorchen, d.h. es könnte keine nicht-unitäre, stochastische Projektion geben. Wenn nun aber der Beobachter nicht Bestandteil des Quantensystems sein kann, dann kann dieses nicht das gesamte Universum umfassen. Dazu müssen wir noch nicht mal wissen, welcher Schrödingergleichung bzw. welchem Hamiltonoperator das Universum gehorchen soll.

Wenn wir also das gesamte Universum quantenmechanisch beschreiben wollen, ist ein Schnitt zu einer klassischen Welt, innerhalb derer wir die Messung beschreiben und interpretieren, sinnlos. Das führt zwanglos auf die Everettsche Interpretation, innerhalb derer der Beobachter und das Messgerät Bestandteil des Quantensystems sind und einer quantenmechanischen Dynamik gemäß einer Schrödingergleichung folgen. Damit ist keine Beobachter mehr existent, bzgl. dessen wir die o.g. Projektion definieren könnten (und die Schrödingergleichung verbietet diese).

Wir müssen also die quantenmechanischen Dynamik gemäß einer Schrödingergleichung ernst nehmen. Interessanterweise liefert uns die Dekohärenz alles was wir brauchen: eine Messung ist lediglich eine Wechselwirkung eines Teilsystems mit einem anderen, zeitweise isolierten Teilsystem, nämlich dem Messgerät. Eine Beobachtung bedeutet letztlich, dass das Messgerät mit einem weiteren Teilsystem verschränkt wird, wobei dies insbs. unbeobachtbare Umgebungsfreiheitsgrade umfasst. Dies führt zur Auszeichnung einer Hilbertraumbasis, nämlich gerade der Basis, die der Anzeige des Messgerätes entspricht. Aus allen überabzählbar vielen Zerlegungen des Zustandsvektors des Gesamtsystems wird gerade die Basis dynamisch ausgezeichnet, die der zu messenden Obersvablen bzw. ihren Eigenzuständen entspricht. Diese Zerlegung bzgl. der ausgezeichnet Basis ist im weiteren zeitlichen Verlauf dynamisch stabil, d.h. es liegen inkohärente, untereinander nicht mehr interferenzfähige Zweige (also Unterräume) vor, die gerade den möglichen Unterräumen entsprechen, in denen die jeweiligen Messergebnisse und Beobachtungen vorliegen.

Bis hierher kommt noch keine Viele-Welten-Interpretation ins Spiel. Wenn z.B. die Messung und Beobachtung lediglich durch ein mikroskopische Geräte erfolgen, hat niemand von uns ein Problem, diesen vollständigen Zustandsvektor und seine Zweigstruktur weiterhin als exakte Repräsentation der Realität aufzufassen; wir tun dies sogar fortwährend, wenn wir die Wechselwirkung mesoskopischer Systeme berechnen, und wir sind immer wiede erstaunt, dass es offensichtlich möglich ist, die Quantenmechanik auf immer größere Systeme auszudehnen.

Wenn nun jedoch die Beobachtung durch einen Menschen erfolgt, dann erscheint es uns absurd, dass die Zweigstruktur weiterhin existent sein soll, denn dies entspräche ja der Existenz einer Vielzahl wechselweise unsichtbarer Beobachter.

Man beachte: die Mathematik unterscheidet sich in nichts, egal ob wir jetzt mikroskopische oder makroskopische Systeme betrachten, ob wir Elektronen diskutieren, SQUIDs oder Kameras, oder gar Menschen. Unsere Erwartungshaltung ist jedoch eine andere: während wir Elektronen die Existenz in einer Superposition zubilligen, und meinetwegen auch noch Molekülen, wird es bei makroskopischen Systemen wie Lasern schon seltsam, bei Menschen eben unerträglich.

Dieser Unerträglichkeit kann man auf verschieden Weise begegnen:
1) man spricht der Wellenfunktion ab, dass sie immer die Realität repräsentiert, sondern man entscheidet situativ, wie man sie verstehen möchte; instrumenatalistisch betrachtet, verwenden wir sie zur Berechnung von Messergebnissen, ohne zu klären, was eine Messung denn quantenmechanisch bedeutet (eine einfache Wechselwirkung kann es nicht sein, denn diese folgt der Schrödingergleichung und erzeugt keinen Kollaps o.ä. und nimmt keine Sonderstellung ein)
2) man versucht, den Kollaps realistisch zu deuten; da aus der Schrödingergleichung jedoch kein Kollaps folgt, wird diese modifiziert; damit hat man eine der Grundlagen der Quantenmechanik zerstört (ich halte diese Ansätze ggw. für nicht erfolgversprechend)
3) man akzeptiert die Unerträglichkeit des Weiterbestehens der Superposition - einschließlich derjenigen makroskopischer und menschlicher Beobachter.

Die o.g. instrumentalistische Position (1) funktioniert praktisch einwandfrei, man sollte jedoch verstanden haben, welche erheblichen Probleme und Zumutungen sie implizit enthält:
A) Die Begriffe „Messung“ und „Beobachter“ werden verwendet, sind jedoch undefiniert und können prinzipiell nicht vollumfänglich quantenmechanisch erfasst werden, da ihre mathematischen Regeln dem Rest der Quantenmechanik widersprechen; hier nicht-unitärer Kollaps - dort unitäre Zeitentwicklung gemäß der Schrödingergleichung.
B) Die Position (1) verbietet es uns, den quantenmechanischen Zustandsvektor ontisch aufzufassen, d.h. wir hantieren mit einem Objekt, das die Ergebnisse von Messungen und Beobachtungen in der Realität präzise voraussagt, dessen Repräsentanz der Realität aber zwingend ausgeschlossen werden muss - es es denn, wir akzeptieren, dass die Realität zwei widersprüchlichen Gesetzen folgt, nämlich einerseits der Schrödingergleichung sowie andererseits dem Kollaps, ohne dass wir sagen könnten, wann und warum das eine oder das andere zur Anwendung kommt.

Ich behaupte nun nicht, dass (3) eine einfache Lösung bereithält - weder
prinzipiell noch praktisch. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass die o.g. Probleme (A - B) von (1) so gravierend sind, dass es sich lohnt, über (3) nachzudenken. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die meisten oberflächlichen Kritiken von (3) in völliger Unkenntnis von (1) erfolgen. (1) wurde zu meiner Zeit im Studium als Kochrezept verkauft, (3) als Hexenwerk. Bei näherer Betrachtung ist (1) ein mindestens ebenso großes Hexenwerk, nur dass einem das keiner verraten hat.

Und die Hexenmeister im Sinne von (1) haben (3) oft nicht mal ansatzweise verstanden ...

Theorie
29.07.18, 18:08
Wenn nun jedoch die Beobachtung durch einen Menschen erfolgt, dann erscheint es uns absurd, dass die Zweigstruktur weiterhin existent sein soll, denn dies entspräche ja der Existenz einer Vielzahl wechselweise unsichtbarer Beobachter.

Im Sinne der Everett-Interpretation möchte ich auf den Nachbar-Thread „Theorie der 4-dimensionalen Materiewellen“ verweisen. Da wird im ersten Manuskript (A) ein 4-dimensionales Modell beschrieben, welches die „viele Welten“ auf einer realen 4-D-Welt abbildet. Im 4-dimensionalen Raum können viele 3-dimensionale Welten „aneinander gereiht“ gedacht werden, ohne eine echte Aufspaltung in mehrere Welten zu benötigen. Der menschliche Beobachter ist dabei mit einbezogen.
Unabhängig davon, ob das Modell der Wirklichkeit entspricht, zeigt es, dass die „viele Welten“ gemäß Everett in einer realen Welt gedacht werden können ohne dass sich die Welt vervielfacht.

TomS
29.07.18, 18:10
Im Sinne der Everett-Interpretation möchte ich auf den Nachbar-Thread „Theorie der 4-dimensionalen Materiewellen“ verweisen. Da wird im ersten Manuskript (A) ein 4-dimensionales Modell beschrieben, welches die „viele Welten“ auf einer realen 4-D-Welt abbildet. Im 4-dimensionalen Raum können viele 3-dimensionale Welten „aneinander gereiht“ gedacht werden, ohne eine echte Aufspaltung in mehrere Welten zu benötigen. Der menschliche Beobachter ist dabei mit einbezogen.
Unabhängig davon, ob das Modell der Wirklichkeit entspricht, zeigt es, dass die „viele Welten“ gemäß Everett in einer realen Welt gedacht werden können ohne dass sich die Welt vervielfacht.
Sorry, aber du hast sicher nicht verstanden, wovon die Rede ist. Das auch als Hinweis für weitere Mitleser.

Bernhard
29.07.18, 19:39
Ich behaupte nun nicht, dass (3) eine einfache Lösung bereithält - weder prinzipiell noch praktisch. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass die o.g. Probleme (A - B) von (1) so gravierend sind, dass es sich lohnt, über (3) nachzudenken.
Da bin ich auch dabei.

Man kann hier der Einfachheit halber zudem davon ausgehen, dass die bei einer Messung entstehenden Superpositionen immer in Bereichen entstehen, die für den Beobachter irrelevant sind, bzw. unbeobachtbar bleiben oder zu keinen Effekten führen, die den Gesetzen der makroskopischen Physik widersprechen.

Theorie
29.07.18, 20:35
@TomSSorry, aber du hast sicher nicht verstanden, wovon die Rede ist.

Diese Aussage erscheint mir doch etwas unbegründet und zudem falsch. Um zu entscheiden, dass die Theorie der 4-dimensinalen Materiewellen nicht zum Thema passen würde, müsstest du sie weitgehend verstanden haben – und ich habe nicht den Eindruck, dass dem so ist.

TomS
29.07.18, 21:11
Man kann hier der Einfachheit halber zudem davon ausgehen, dass die bei einer Messung entstehenden Superpositionen immer in Bereichen entstehen, die für den Beobachter irrelevant sind ...
Nein, sie entstehen nicht in anderen Bereichen, sondern örtlich betrachtet natürlich exakt am Ort der Messung.

... unbeobachtbar bleiben ...
Ja, das ist die Aussage der Dekohärenz.

... oder zu keinen Effekten führen, die den Gesetzen der makroskopischen Physik widersprechen.
Anders herum: das Entstehen der klassischen Physik, wie wir sie von makroskopischen Phänomenen her kennen, nämlich der Unsichtbarkeit makroskopischer Superpositionen, ist eine Konsequenz der Dekohärenz.

Die Dekohärenz steht nicht nur im Einklang mit der klassischen Physik, sie liefert den Mechanismus, wie die klassischen Physik aus der Quantenmechanik folgt.

Quantum Of Justice
30.07.18, 08:05
Aber die Physik sagt dir nicht so einfach, was eine “Welt” im Sinne der QM ist. Der Begriff “Welt” ist nicht Ausgangspunkt sondern Ziel. Ausgangspunkt ist der Formalismus der QM.

Wer redet den hier von QM? Ich dachte wir reden von irgend einer Theorie? Der Titel heisst ja nicht, in welcher QM-Theorie wäre...

Bernhard
30.07.18, 08:20
Wer redet den hier von QM?
Don't panic. Ich habe Tom bereits vorgeschlagen die aktuelle Diskussion über die Interpretationen der QM, insbesondere VWI, im Nachbarthema von Nexus fortzusetzen.

soon
30.07.18, 08:34
Everett-Viele-Welten-Interpretation Ich schiesse das Universum - samt Beobachter - durch einen Doppelspalt und das Interferenzmuster bleibt erhalten. Der Beobachter erkennt das Interferenzmuster nur deshalb nicht, weil ihm der Überblick fehlt.

Die VWI könnte ein Zirkelschluss sein.

Bernhard
30.07.18, 09:17
Die VWI könnte ein Zirkelschluss sein.
Wir sollten da erstmal klären, was die VWI genau behauptet oder behaupten will. Laut Tom ist die Darstellung der VWI in der Wikipedia fehlerhaft!

Timm
30.07.18, 09:21
Dieser Unerträglichkeit kann man auf verschieden Weise begegnen:
1) man spricht der Wellenfunktion ab, dass sie immer die Realität repräsentiert, sondern man entscheidet situativ, wie man sie verstehen möchte; instrumenatalistisch betrachtet, verwenden wir sie zur Berechnung von Messergebnissen, ohne zu klären, was eine Messung denn quantenmechanisch bedeutet (eine einfache Wechselwirkung kann es nicht sein, denn diese folgt der Schrödingergleichung und erzeugt keinen Kollaps o.ä. und nimmt keine Sonderstellung ein)
2) man versucht, den Kollaps realistisch zu deuten; da aus der Schrödingergleichung jedoch kein Kollaps folgt, wird diese modifiziert; damit hat man eine der Grundlagen der Quantenmechanik zerstört (ich halte diese Ansätze ggw. für nicht erfolgversprechend)
3) man akzeptiert die Unerträglichkeit des Weiterbestehens der Superposition - einschließlich derjenigen makroskopischer und menschlicher Beobachter.

Und die Hexenmeister im Sinne von (1) haben (3) oft nicht mal ansatzweise verstanden ...
Ich denke unerträglich ist weniger das “Weiterbestehen der Superposition”, sondern daß gemäß VWI alle möglichen Ergebnisse realisiert sind:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Viele-Welten-Interpretation
Das Ergebnis ist also eine Superposition des zusammengesetzten Systems Teilchen am Doppelspalt und Beobachter. Dies ist offensichtlich kein eindeutiges Ergebnis, stattdessen findet sich eine Superposition der zwei möglichen Ergebnisse. Dieses Ergebnis wird in der VWI so interpretiert, dass sich im Augenblick der Messung das Universum verzweigt und die beiden mathematisch geforderten Ergebnisse in verschiedenen Welten realisiert sind.

Diese Hürde entschärt von Weizsäcker elegant
Carl Friedrich von Weizsäcker weist darauf hin,[23] dass kein nennenswerter Unterschied zwischen der VWI und der Kopenhagener Interpretation im Rahmen einer Modallogik zeitlicher Aussagen bestehe, wenn rein semantisch „wirkliche Welten“ durch „mögliche Welten“ ersetzt werde: Die vielen Welten beschreiben den sich durch die Schrödingergleichung entwickelnden Möglichkeitsraum; die von einem realen Beobachter gemachte Beobachtung ist die Realisierung einer der formal möglichen Welten.
und mit welchem zwingendem Argument wollte man dem widersprechen?

TomS
30.07.18, 09:23
Wer redet den hier von QM? Ich dachte wir reden von irgend einer Theorie? Der Titel heisst ja nicht, in welcher QM-Theorie wäre...
Ich beziehe ich nach wie vor auf diese Artikel:

Tatsächlich habe ich doch schon gelegentlich seriöse Artikel gelesen, in denen über solche Möglichkeiten spekuliert wurde: die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik mag solche Zeitreisen (oder Botschaften) in die Vergangenheit zulassen, ohne Paradoxa zu erzeugen.
Siehe z.B.

Allen Everett, Phys. Rev. D 69, 124023, 2004, "Time travel paradoxes, path integrals, and the many worlds interpretation of quantum mechanics"
Time travel paradoxes, path integrals, and the many worlds interpretation of quantum mechanics (https://journals.aps.org/prd/abstract/10.1103/PhysRevD.69.124023)

oder als frei zugängliches pdf
https://arxiv.org/pdf/gr-qc/0410035.pdf


Wer redet den hier von QM? Ich dachte wir reden von irgend einer Theorie? Der Titel heisst ja nicht, in welcher QM-Theorie wäre...
Außerdem wäre jede Theorie, die die QM nicht mit einbezieht oder berücksichtigt, praktisch völlig irrelevant.

TomS
30.07.18, 09:24
Laut Tom ist die Darstellung der VWI in der Wikipedia fehlerhaft!
So pauschal sicher nicht. Es mag jedoch einzelne missverständliche Passagen geben.

JoAx
30.07.18, 10:07
Genau, das ist die Kernfrage. Es geht um die realistische Interpretation des Zustandsvektors als Repräsentant der Realität vs. der instrumentalistischen Auffassung desselben als reines Rechenhilfsmittel.

Aber der Zusatndsvektor ist doch nach wie vor nicht beobachtbar. Und die WF liefert auch keine Wahrscheinlichkeiten, ob "ontisch oder als mathematisches Konstrukt" gedacht. Das alles kriegen wir erst nach der Anwendung der Born'schen Regel. Diese ist es, die "ausserhalb" der SG steht und in die QM "ad hoc" eingebracht wurde. Und das - Überraschung! - unabhängig von "Kollaps" und/oder "VW" und/oder ... was auch immer.

D.h. - "Kollaps" und "VW" interpretieren |ψ|² und nicht die SG. Und damit -> "Kollaps" = "VW". Und zwar exakt.

Ich möchte sogar behaupten, dass solange man sich in der SG befindet, sowohl "Kollapser" als auch "VW-ler" die Sache gleich, "als mathematisches Konstrukt und ontisch" angehen.

Nur so als paar blöde Gedanken. :)

Bernhard
30.07.18, 10:11
Es mag jedoch einzelne missverständliche Passagen geben.
EDIT: Problematisch scheint mir dieses Bild zu sein: https://de.wikipedia.org/wiki/Viele-Welten-Interpretation#/media/File:Schroedingers_cat_film.svg , was hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Viele-Welten-Interpretation verwendet wird. Die Separation des Universums ist laut deiner Aussage bei Everett nicht zu finden.

Ferner hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Interpretationen_der_Quantenmechanik#Viele-Welten-Interpretation:
Während in der orthodoxen Interpretation die Wellenfunktion die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten verschiedener möglicher Messergebnisse beschreibt, von welchen dann bei Durchführung einer Messung nur eines realisiert wird, geht die Viele-Welten-Interpretation davon aus, dass alle physikalisch möglichen Ereignisse tatsächlich stattfinden.

TomS
30.07.18, 15:09
Die Separation des Universums ist laut deiner Aussage bei Everett nicht zu finden.
Ja, es gibt keine räumliche Separation.

Die separierten Zweige sind im Hilbertraum näherungsweise orthogonal; das kann man in einem derartigen Bild nicht wirklich darstellen.

Hawkwind
30.07.18, 18:29
Ja, es gibt keine räumliche Separation.

Die separierten Zweige sind im Hilbertraum näherungsweise orthogonal; das kann man in einem derartigen Bild nicht wirklich darstellen.


Wieso denn nur "näherungsweise orthogonal"??

Vorab, ich bin totaler Dilletant in diesen Themen, aber ich glaube, man muss sehr aufpassen: gelegentlich werden "Everetts Viele-Welten" und "Multiverse"-Theorien gleichgesetzt. Es sind aber manchmal unterschiedliche Ideen gemeint damit.

In der Kosmologie versteht man unter Multiversum oft so etwas wie hier
Physics in the multiverse: an introductory review (https://arxiv.org/pdf/0711.4460.pdf)

Dabei geht es tatsächlich (wenn ich recht verstehe) um räumlich separierte Universen. Zwischen solchen Universen wären z.B. Verbindungen via Wurmlöchern denkbar, also durchaus beobachtbare Features.

TomS
31.07.18, 07:00
... gelegentlich werden "Everetts Viele-Welten" und "Multiverse"-Theorien gleichgesetzt. Es sind aber manchmal unterschiedliche Ideen gemeint damit.
Das ist zunächst schlichtweg falsch.

Es gibt auch Spekulationen, dass beides letztlich nur zwei Seiten derselben Medaille wären; das ist ... Spekulation.

Wieso denn nur "näherungsweise orthogonal"??
Messung sowie Beobachtungen eines mikroskopischen Zustandes |x> mit Eigenwerten |a>, |b>, ... an einem Messgerät mit korrespondierenden Zeigerstellungen |0>, |A>, |B>, ... beinhaltet zudem die Verschränkung mit Umgebungsfreiheitsgraden |...>

Vor der Messung haben wir

|x> ⊗ |0> ⊗ |...>

Nach der Messung haben wir

α|a> ⊗ |A> ⊗ |...> + β|b> ⊗ |B> ⊗ |...> + γ|c> ⊗ |C> ⊗ |...> + ...

Dabei habe ich die ersten Terme für "das mikroskopische System wird durch die WW mit dem Messgerät in den Zustand |a> überführt UND das Messgerät zeigt |A> an" ausgeschrieben.

In ... sind auch Terme der Form

|a> ⊗ |B> ⊗ |...>

enthalten. Diese sind nicht unmöglich, jedoch extrem unterdrückt, und sie werden auch makroskopisch nicht beobachtet.

Die o.g. Schreibweise ist nur eine Idealisierung, denn die Terme werden nicht scharf im Sinne von |a> ⊗ |A> mit Eigenzuständen |a> vorliegen.

Man beachte, dass das Projektionspostulat, demzufolge eine Messung einer Observablen zu einem der möglichen Eigenzustände |a>, |b>, ... des zugehörigen Operators führt, nicht mehr existiert!

Nach Born, von Neumann et al. erfolgt im Zuge einer Messung eine strikte Projektion

|x> → |a>

Nach Everett ist eine Messung zunächst nichts anderes als eine Zeitentwicklung der Form

|x,t> = exp(-iHt) |x,0>

Von Messung spricht man in dem Spezialfall, dass näherungsweise Zustände der Form |a> ⊗ |A> resultieren, bei denen der Zustand |a> des zu messenden Quantensystems stark mit dem Zeigerzustand |A> des Messgerätes korreliert ist. Dies folgt aus der Konstruktion des Messgerätes und damit der Form des Hamiltonoperators.

Nach Everett sind also zum einen auch nicht-klassiche Komponenten der Form |a> ⊗ |B> ⊗ |...> vorhanden, und zum anderen steckt die näherungsweise Orthogonalität nicht wirklich in der Orthogonalität von <a|b> sondeern in dem <...|...>. Dies entspricht geometrisch der Tatsache, dass in einem hochdimensionalen Raum "fast alle" Richtungen näherungsweise orthogonal sind.

Die Stabilität der Zweige und ihre wechselweise Unsichtbarkeit steckt also in der Verschränkung mit den Umgebungsfreiheitsgraden.

Hawkwind
01.08.18, 12:33
Das ist zunächst schlichtweg falsch.

Es gibt auch Spekulationen, dass beides letztlich nur zwei Seiten derselben Medaille wären; das ist ... Spekulation.


Messung sowie Beobachtungen eines mikroskopischen Zustandes |x> mit Eigenwerten |a>, |b>, ... an einem Messgerät mit korrespondierenden Zeigerstellungen |0>, |A>, |B>, ... beinhaltet zudem die Verschränkung mit Umgebungsfreiheitsgraden |...>

Vor der Messung haben wir

|x> ⊗ |0> ⊗ |...>

Nach der Messung haben wir

α|a> ⊗ |A> ⊗ |...> + β|b> ⊗ |B> ⊗ |...> + γ|c> ⊗ |C> ⊗ |...> + ...

Dabei habe ich die ersten Terme für "das mikroskopische System wird durch die WW mit dem Messgerät in den Zustand |a> überführt UND das Messgerät zeigt |A> an" ausgeschrieben.

In ... sind auch Terme der Form

|a> ⊗ |B> ⊗ |...>

enthalten. Diese sind nicht unmöglich, jedoch extrem unterdrückt, und sie werden auch makroskopisch nicht beobachtet.

Die o.g. Schreibweise ist nur eine Idealisierung, denn die Terme werden nicht scharf im Sinne von |a> ⊗ |A> mit Eigenzuständen |a> vorliegen.

Man beachte, dass das Projektionspostulat, demzufolge eine Messung einer Observablen zu einem der möglichen Eigenzustände |a>, |b>, ... des zugehörigen Operators führt, nicht mehr existiert!

Nach Born, von Neumann et al. erfolgt im Zuge einer Messung eine strikte Projektion

|x> → |a>

Nach Everett ist eine Messung zunächst nichts anderes als eine Zeitentwicklung der Form

|x,t> = exp(-iHt) |x,0>

Von Messung spricht man in dem Spezialfall, dass näherungsweise Zustände der Form |a> ⊗ |A> resultieren, bei denen der Zustand |a> des zu messenden Quantensystems stark mit dem Zeigerzustand |A> des Messgerätes korreliert ist. Dies folgt aus der Konstruktion des Messgerätes und damit der Form des Hamiltonoperators.

Nach Everett sind also zum einen auch nicht-klassiche Komponenten der Form |a> ⊗ |B> ⊗ |...> vorhanden, und zum anderen steckt die näherungsweise Orthogonalität nicht wirklich in der Orthogonalität von <a|b> sondeern in dem <...|...>. Dies entspricht geometrisch der Tatsache, dass in einem hochdimensionalen Raum "fast alle" Richtungen näherungsweise orthogonal sind.

Die Stabilität der Zweige und ihre wechselweise Unsichtbarkeit steckt also in der Verschränkung mit den Umgebungsfreiheitsgraden.

Danke, leider bin ich nicht sicher, ob ich das alles auf Anhieb verstanden habe. Aber noch eine Frage: "näherungsweise Orthogonalität der Zustandsvektoren" impliziert ja auch, dass es nicht-verschwindende Übergangsamplituden (Interferenzen) zwischen den "separierten Zweigen", also den unterschiedlichen Welten, geben kann. Das klänge nach Beobachtbarkeit der Viele-Welten-Deutung, oder?

TomS
01.08.18, 14:39
Aber noch eine Frage: "näherungsweise Orthogonalität der Zustandsvektoren" impliziert ja auch, dass es nicht-verschwindende Übergangsamplituden (Interferenzen) zwischen den "separierten Zweigen", also den unterschiedlichen Welten, geben kann. Das klänge nach Beobachtbarkeit der Viele-Welten-Deutung, oder?
Ja, die Beobachtbarkeit der Viele-Welten-Deutung ist prinzipiell gegeben.

Die Beobachtbarkeit muss gegeben sein, da es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einer mikroskopischen und einer makroskopischen Superposition geben kann - lediglich einen graduellen.

Betrachten wir ein System aus N = 10²³ Teilchen. Dann wären die Interferenzterme von der Größenordnung 2^10²³. Damit wird klar, warum praktisch isolierte, nicht mehr interferenzfähige Zweige resultieren

Elementarzylinder
01.09.18, 10:10
„Kehrt man in der klassischen Bewegungsgleichung ... die Richtung der Eigenzeit s um, so läuft das auf das gleiche heraus wie ein Vorzeichenwechsel der Ladung, so daß das Elektron, das sich zeitlich rückwärts bewegt, aussehen würde wie ein Positron, das sich zeitlich vorwärts bewegt.“ (Feynman/Leighton/Sands, 1987) Band 3A, S. 80-81

Das heißt aber nicht, dass man damit eine Botschaft in die Vergangenheit senden kann.

TomS
01.09.18, 10:57
Das heißt aber nicht, dass man damit eine Botschaft in die Vergangenheit senden kann.
Richtig, das heißt es nicht.

Alle Teilchen und Antiteilchen haben positive Energie und bewegen sich vorwärts in der Zeit.

sirius
01.09.18, 17:02
....
Das heißt aber nicht, dass man damit eine Botschaft in die Vergangenheit senden kann.

"Die Vergangenheit", in die man zurueckgehen wollte, befaende sich obendrein an einem abweichenden Punkt der Ausdehnung des Universums, als dort, wo wir sie heute vermuten und wahrnehmen.

Zeit ist also dem Raum zugeordnet und, so wie es aussieht, untergeordnet.

sirius
18.09.18, 08:01
Im Fernsehen war ein interessanter Beitrag (Morgan Freeman) zur Zeit.
Da wurde angeblich durch ein Experiment festgestellt dass es soetwas wie eine
scharfe Gegenwart also einen Zeitpunkt nicht gibt sondern Vergangenheit und Zukunft verwoben sind also die Zeit unscharf ist.

Was ja auch irgenwie zu erwarten ist da sich die Zeit wie der Weg verhalten soll.

Ich kenne diesen Bericht nicht. Ich vermute Morgan Freeman (der Schauspieler?) hat etwas dazu geaeussert.
Ich befasse mich ueblicherweise nicht mit Klatsch und Tratsch.
Nun fragt sich halt, ob er es vor dem Hintergrund von Multiversen gesagt hat oder es einfach so in den Raum hineingesprochen hat.

Wie sollte so ein Experiment denn aussehen?
Einfaches Nachdenken ueber die Natur der "Gegenwart" reicht da doch m.E. voellig aus.

Den Punkt, an dem Vergangenheit und Zukunft "verwoben sind", nennt man Gegenwart.
Man kann die Zeit natuerlich auch als etwas Fliessendes ansehen.

Anscheinend hat ein Physiker Ueberlegungen dazu angestellt, ob es das Universum ueberhaupt gibt. Hab dazu aber nur eine Ueberschrift gelesen.

Ich befasse mich zur Zeit mehr mit anderen Dingen. :)