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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fragen zur allgemeinen Relativitätstheorie


tantebootsy
18.08.18, 12:02
Hallo liebe Physik-Interessierte,

ich versuche aktuell die allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen und da kam u.a. die Frage auf, warum man nicht den Inertialraum (https://de.wikipedia.org/wiki/Inertialraum) in Kombination mit einem Ort auf den keine Gravitation einwirkt als "absolutes" Bezugssystem und somit als Ausgangsbasis zur Erklärung von z.B. Zeitdilatation verwendet.

Beispiel:
Sagen wir ich befinde mich irgendwo im Universum und keine Gravitation massereicher Objekte wirkt auf mich noch bewege ich mich / bin beschleunigt. Ich bin also weder auf einem rotierenden Planeten, noch sind Sterne oder Planeten etc. um mich herum.

Gibt es keinen solchen Ort (nicht mal in der Theorie) weil sich das Universum ausbreitet und es somit keine ruhenden Objekte im Weltraum gibt oder weil es keinen Ort im Weltraum gibt, auf den nicht Gravitation einwirkt? Oder aufgrund anderer Kräfte, die ihm Weltraum wirken?

Freue mich über Input :)

LG, Micha

Marco Polo
18.08.18, 12:41
ich versuche aktuell die allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen und da kam u.a. die Frage auf, warum man nicht den Inertialraum (https://de.wikipedia.org/wiki/Inertialraum) in Kombination mit einem Ort auf den keine Gravitation einwirkt als "absolutes" Bezugssystem und somit als Ausgangsbasis zur Erklärung von z.B. Zeitdilatation verwendet.
Auf einen Inertialraum wirkt ja ohnehin niemals so etwas wie Gravitation. Sonst wäre es ja kein Inertialraum. Alleine schon deswegen ist die Frage nach einem absoluten Bezugssystem hinfällig.

Beispiel:
Sagen wir ich befinde mich irgendwo im Universum und keine Gravitation massereicher Objekte wirkt auf mich noch bewege ich mich / bin beschleunigt. Ich bin also weder auf einem rotierenden Planeten, noch sind Sterne oder Planeten etc. um mich herum.

Gibt es keinen solchen Ort (nicht mal in der Theorie) weil sich das Universum ausbreitet und es somit keine ruhenden Objekte im Weltraum gibt oder weil es keinen Ort im Weltraum gibt, auf den nicht Gravitation einwirkt? Oder aufgrund anderer Kräfte, die ihm Weltraum wirken?
Es gibt keinen feldfreien Raum im Universum. Gravition wirkt (zwar beliebig schwach) überall.

Bernhard
18.08.18, 14:51
Hallo Micha,

ich versuche aktuell die allgemeine Relativitätstheorie zu verstehen
ist das eine private Aktivität oder im Rahmen eines Studiums? Verwendest du Literatur oder hast du vor dir etwas zuzulegen? Einige kurze Angaben wären hilfreich.

tantebootsy
25.08.18, 14:41
Auf einen Inertialraum wirkt ja ohnehin niemals so etwas wie Gravitation. Sonst wäre es ja kein Inertialraum. Alleine schon deswegen ist die Frage nach einem absoluten Bezugssystem hinfällig.

Es gibt keinen feldfreien Raum im Universum. Gravition wirkt (zwar beliebig schwach) überall.

Danke für deine Antwort! Wenn ich dich richtig verstehe ist also (mal ganz platt gesagt) die Gravitation der Grund dafür, dass es in der Physik kein absolutes Zeitmaß als Referenz für alle anderen im Universum vorhandenen "Zeit-Dimensionen" gibt und es daher nur eine (bzw. mehrere) relative Raum-Zeit-Dimension(en) gibt, korrekt? So verstehe ich zumindest nun auch die Aussage in diesem Artikel (https://scilogs.spektrum.de/quantenwelt/grenzen-der-speziellen-relativitaetstheorie/):


In der Allgemeinen Relativitätstheorie gibt es keine globalen Inertialsysteme mehr.


@Bernhard: meine Recherchen sind rein privater Natur. Ich finde diese Grenzgebiete der menschlichen Wahrnehmung einfach sehr spannend und versuche sie zu verstehen – auch wenn mir das nur sehr langsam gelingt. Bisher habe ich mir untersch. Seiten wie auch Videos im Netz angeschaut und derzeit lese ich Stephen Hawkins "Kurze Geschichte der Zeit". Ich hoffe, dass ich hier als absoluter Laie trotzdem gut aufgehoben bin ;)

Zu der Wikipedia-Seite zum Thema "Zeitdilatation (https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitdilatation)" hätte ich entsprechend auch eine Frage: Dort heißt es

Die Zeitdilatation [...] bewirkt, dass alle inneren Prozesse eines physikalischen Systems langsamer abzulaufen scheinen, wenn sich dieses System relativ zum Beobachter bewegt.

Auch wenn ich nun durch Marco Polos Antwort von oben verstanden zu haben meine, warum es keine absolute Zeit gibt verstehe ich nicht, warum es für die Zeitdilatation einen Beobachter brauchen sollte und warum der Effekt zutage zu treten "scheint" (was für mich so klingt wie "der Effekt tritt nur auf, wenn man ihn beobachtet/misst"). Myonen treffen doch wirklich (und nicht nur "scheinbar") auf die Erdoberfläche auf – und egal ob wir das beobachten oder nicht. Ist der Wikipedia-Artikel einfach ungenau geschrieben?

Bernhard
25.08.18, 15:53
Auch wenn ich nun durch Marco Polos Antwort von oben verstanden zu haben meine, warum es keine absolute Zeit gibt verstehe ich nicht, warum es für die Zeitdilatation einen Beobachter brauchen sollte und warum der Effekt zutage zu treten "scheint" (was für mich so klingt wie "der Effekt tritt nur auf, wenn man ihn beobachtet/misst"). Myonen treffen doch wirklich (und nicht nur "scheinbar") auf die Erdoberfläche auf – und egal ob wir das beobachten oder nicht. Ist der Wikipedia-Artikel einfach ungenau geschrieben?
Du kannst dich nun mit dem Begriff des Intertialsystems (IS) vertraut machen:
Ein Bezugssystem in der Physik heißt Inertialsystem (von lateinisch inertia für „Trägheit“), wenn jeder kräftefreie Körper relativ zu diesem Bezugssystem in Ruhe verharrt oder sich gleichförmig (unbeschleunigt) und geradlinig bewegt.
Diese Systeme sind u.a. deshalb interessant, weil es davon ganz unterschiedliche Realisierungen geben kann. Die Astronauten auf der ISS leben beispielsweise (in sehr guter Näherung) in einem IS. Die Passagiere eines Parabelfluges befinden sich ebenfalls (in sehr guter Näherung) in einem IS.

Geht man davon aus, dass die Naturgesetze in einem IS aufgrund des Relativitätsprinzips (RP) immer gleich aussehen, kann man weiter fragen, wie Vorgänge in einem IS beschrieben werden, wenn sie von einem anderen IS beobachtet werden. Vor Einstein dachte man, dass das mithilfe einer Galilei-Transformation beschrieben werden kann, bis man Experimente gefunden hat, die das in Frage gestellt haben.

Timm
25.08.18, 17:20
Auch wenn ich nun durch Marco Polos Antwort von oben verstanden zu haben meine, warum es keine absolute Zeit gibt verstehe ich nicht, warum es für die Zeitdilatation einen Beobachter brauchen sollte und warum der Effekt zutage zu treten "scheint" (was für mich so klingt wie "der Effekt tritt nur auf, wenn man ihn beobachtet/misst"). Myonen treffen doch wirklich (und nicht nur "scheinbar") auf die Erdoberfläche auf – und egal ob wir das beobachten oder nicht. Ist der Wikipedia-Artikel einfach ungenau geschrieben?
Für einen Beobachter geht die relativ zu ihm bewegte Uhr langsamer. Welcher entscheidende Begriff fehlt, wenn wir uns das ohne diesen Beobachter anschauen? - Und welche Rolle spielt die Erde?

Wie das Zwillingsparadoxon veranschaulicht, ist die Zeitdilatation kein scheinbarer sondern ein sehr realer Effekt.

Joachim
27.08.18, 15:30
Die Wikipedia meint hier "scheint" nicht im Sinne von scheinbar sondern anscheinend. Es geht also darum,was gemessen wird.

Physikalische Prozesse laufen ja in jedem Inertialsystem gleichartig ab, so dass man nicht sagen kann, die Zeit laufe in einem mechanischem System langsamer ab im anderen. Die Zeitdilatation ergibt sich auf der Relativbewegung. Für jeden der beiden einander beobachtenden Systeme läuft die Zeit des anderen anscheinend langsamer.

Timm
27.08.18, 17:56
Hallo Joachim, ein herzliches Willkommen, verbunden mit der Hoffnung auf eine gewisse Dauerhaftigkeit.

Joachim
27.08.18, 20:41
Halli Timm,

Dabei bin ich schon länger dabei als du... ;)

Ich werd mir Mühe geben, wieder regelmäßig hier zu sein.

Gruß,
Joachim

Hawkwind
28.08.18, 15:04
Es gibt keinen feldfreien Raum im Universum. Gravition wirkt (zwar beliebig schwach) überall.

Exakt lösen lässt sich in der Physik so gut wie gar nichts. Es geht immer auch darum zu erkennen, was bei der Lösung eines Problems vernachlässigt werden kann, ohne einen (allzu großen) Fehler zu machen.
Sicher gibt es auch Orte im Universum fernab von Massen, die annähernd gravitationsfrei sind.

Joachim
28.08.18, 16:59
Wenn ich dich richtig verstehe ist also (mal ganz platt gesagt) die Gravitation der Grund dafür, dass es in der Physik kein absolutes Zeitmaß als Referenz für alle anderen im Universum vorhandenen "Zeit-Dimensionen" gibt und es daher nur eine (bzw. mehrere) relative Raum-Zeit-Dimension(en) gibt, korrekt?

Nein, das ist nicht korrekt. Es gibt kein absolutes Zeitmaß, weil alle physikalischen Gesetze symmetrisch bezüglich der Lorentztransformation sind. Die Lorentztransformation verändert neben den Raum-Koordinaten auch die Zeit-Koordinate. Deshalb gibt es keinen absoluten Zeitlauf.

Natürlich kann man den verlinkten Inertialraum als kosmische Referenz nehmen, so wie man auch die internationale Atomzeit als irdische Referenz nehmen kann. Aber beides sind keine absoluten Zeitläufe im Sinne der Relativitästheorie, sondern willkürlich gewählte Normen.

Timm
28.08.18, 19:41
Natürlich kann man den verlinkten Inertialraum als kosmische Referenz nehmen, so wie man auch die internationale Atomzeit als irdische Referenz nehmen kann. Aber beides sind keine absoluten Zeitläufe im Sinne der Relativitästheorie, sondern willkürlich gewählte Normen.
Eine kosmische Referenz wäre die verstrichene Eigenzeit mitbewegter Beobachter seit T = 0.

Joachim
29.08.18, 11:07
Ja, oder halt die Koordinatenzeit des Inertialraums, was ja dasselbe ist.

Slash
02.09.18, 04:45
Beispiel:
Sagen wir ich befinde mich irgendwo im Universum und keine Gravitation massereicher Objekte wirkt auf mich noch bewege ich mich / bin beschleunigt. Ich bin also weder auf einem rotierenden Planeten, noch sind Sterne oder Planeten etc. um mich herum.



Ich würde gerne eine Frage mit einem anderen Szenario stellen (habe dies schon vor Jahren getan und über die Antwort bin ich mir nicht mehr sicher - sorry):

Sagen wir, wir befinden uns theoretisch angenommen, zwischen zwei massereichen Objekten (oder auch bspw. im Mittelpunkt einer schweren kugelförmigen) Schale.

Dort gleichen sich alle Gravitationskräfte aus - dennoch ist die Zeitdilatation im Vergleich zur Situation einem Raum ohne Massen vorhanden, da ein Gravitationspotential vorhanden ist - richtig?

TomS
02.09.18, 08:45
Dort gleichen sich alle Gravitationskräfte aus - dennoch ist die Zeitdilatation im Vergleich zur Situation einem Raum ohne Massen vorhanden, da ein Gravitationspotential vorhanden ist - richtig?
Im wesentlichen richtig.

Die rein gravitative Zeitdilatation für nicht-bewegte Beobachter folgt aus der Wurzel der 00-Komponente des metrischen Tensors, also √g₀₀. Eine Zeitdilatation ggü. der gedachten, flachen Raumzeit liegt immer dann vor, wenn g₀₀ ≠ 1 ist; das ist wohl das, was du mit „Vorhandensein eines Gravitationspotentiala“ meinst.

Physikalisch relevant ist jedoch der Vergleich zweier Beobachter B und B‘ in der selben Raumzeit an verschiedenen Orten P und P‘. Dann liegt aber i.A. für keinen von beiden eine flache Raumzeit vor, D.h. man muss die Effekte aus g₀₀(P) und g₀₀(P‘) vergleichen.

Im Falle der kugelförmigen Masseverteilung folgt das aus der Schwarzschildmetrik.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Schwarzschild-Metrik
https://www.physikerboard.de/topic,37752,-faq---zeitdilatation-und-zwillingsparadoxon.html

Im Falle zweier großer Massen existiert keine geschlossene Lösung für den metrischen Tensor; du müsstest auf Näherungen zurückgreifen.

Slash
03.09.18, 17:17
Danke für die Antwort.

tantebootsy
06.01.19, 19:55
Vielen Dank für eure Antworten!


Natürlich kann man den verlinkten Inertialraum als kosmische Referenz nehmen, so wie man auch die internationale Atomzeit als irdische Referenz nehmen kann. Aber beides sind keine absoluten Zeitläufe im Sinne der Relativitästheorie, sondern willkürlich gewählte Normen.

Okay, also wenn ich euch richtig verstehe, ist ein absolutes Zeitmaß nicht möglich, weil es keinen perfekten Inertialraum gibt. Eine Normzeit wäre jedoch schon möglich, auch wenn diese willkürlich gewählt wäre. D.h. wenn wir auf Aliens treffen würden und bräuchten für eine bessere Kommunikation hinsichtlich zeitlicher Abläufe eine gemeinsame "Normzeit" mit diesen Aliens dann könnte man dafür bspw. den näherungsweise perfekten Inertialraum, wie in Wikipedia beschreiben, als Bezugspunkt nehmen:

Die derzeit beste Realisierung eines solchen Bezugsystems ist die mittlere Orientierung des Weltraums, wie sie durch die Positionen von etwa 500 weit entfernten Quasaren dargestellt wird. Sie stimmt bis auf etwa 0,02" mit einem idealen Inertialraum überein.

Also könnte man – um zeitliche Abläufe hier auf der Erde wie auch an jedem anderen Ort im Weltraum zu beschreiben – berechnen, wieviel Zeit "hier" im Vergleich zu diesem "nahezu idealen Inertialraum" vergangen ist und entsprechend das Zeitmaß angeben wie z.B. "-2333 Jahre (in Bezug zur) Normzeit"? Macht vllt. nicht wirklich viel Sinn, aber nur mal als gedankliches Experiment ;)

Eine kosmische Referenz wäre die verstrichene Eigenzeit mitbewegter Beobachter seit T = 0.

Ja, oder halt die Koordinatenzeit des Inertialraums, was ja dasselbe ist.

Ok, da steige ich aus :) Ebenso bei der Lorentztransformation – da merke ich, dass ich einfach zu wenig Mathe-Vorkenntnisse habe.
Was meint ihr mit "verstrichene Eigenzeit mitbewegter Beobachter" und Koordinatenzeit des Inertialraums"?

Die Wikipedia meint hier "scheint" nicht im Sinne von scheinbar sondern anscheinend. Es geht also darum,was gemessen wird.

Physikalische Prozesse laufen ja in jedem Inertialsystem gleichartig ab, so dass man nicht sagen kann, die Zeit laufe in einem mechanischem System langsamer ab im anderen. Die Zeitdilatation ergibt sich auf der Relativbewegung. Für jeden der beiden einander beobachtenden Systeme läuft die Zeit des anderen anscheinend langsamer.

Ok, vielen Dank für die Erklärung!

Bernhard
06.01.19, 22:20
Was meint ihr mit "verstrichene Eigenzeit mitbewegter Beobachter"
Das wird hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Zeitdilatation#Eigenzeit ganz gut gezeigt. In der ART hat man allerdings i.A. ein komlizierteres Linienelement, was i.A. vom Ort des Beobachters abhängt. Man muss in diesem Fall die Weltlinie des Beobachters kennen und kann daraus dann ausrechnen, was eine mitbewegte Uhr in Abhängigkeit des Ortes anzeigt.

Cool, nicht wahr :cool: .