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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : VWI im Alltag


Timm
19.08.18, 09:20
Zugegeben, schon der Titel ist eine Provokation und diese Geschichte erst recht "unsäglich":

Er hat das Ticket für die morgige Bahnfahrt ohne Platzreservierung. Zuvor macht er ein Experiment. Er' findet Spin up, Er'' Spin down. Er' und Er'' teilen dieselbe Erinnerung. Am nächsten Tage steigen sie in den gleichen Zug, nicht in denselben. Er' fragt sich, welchen Platz wohl Er'' ergattert hat. Er'' fragt sich, welchen Platz wohl Er' ergattert hat. Fortan lebt jeder in seiner Welt, begegnen werden sie sich nie.

Aber viele Autoren sprechen von den "Vielen-Welten" oder den "Many-Worlds", wie der zuletzt häufig zitierte Jean Carroll. Und ich denke schon, daß ihnen bewußt ist, daß die Bezeichnung "Many-Words" für manche Leute verstörender ist, als von einer "Relative State Formulation" zu sprechen.

Was, abgesehen von "unsäglich", ist an der Geschichte zu beanstanden?

soon
19.08.18, 09:56
Was, abgesehen von "unsäglich", ist an der Geschichte zu beanstanden?
Die VWI spielt im dem Bereich zwischen zwei Ereignissen, zu der die bisherige Physik keinen Zugang hat. Diesen Umstand sollte man nicht aus den Augen verlieren.

Timm
19.08.18, 14:52
Die VWI spielt im dem Bereich zwischen zwei Ereignissen, zu der die bisherige Physik keinen Zugang hat. Diesen Umstand sollte man nicht aus den Augen verlieren.
Was heißt das konkret bezogen auf die Geschichte?

soon
19.08.18, 23:37
Was heißt das konkret bezogen auf die Geschichte?
Konkret soll das heissen, dass die Geschichte die Ausgangssituation nicht angemessen darstellt und in einen nicht angemessenen Bereich verschiebt.

Doppelspaltexperiment - Emissionsereignis - Detektionsereignis. Was zwischen den beiden Ereignissen geschieht weiss ich nicht, weiss die Physik nicht und vielleicht geht es mich auch gar nichts an.

Der riesige Sprung durch die Übertragung in unseren Alltagsbereich führt nur zu Missverständnissen, imho.

Wenn ich bei jedem Ereignis, zwischen heute und morgen, zu dem ich eine Wahrscheinlichkeitsangabe machen kann, 'Verzweigungen" annehme, dann hat Er morgen vermutlich mehr Doppelgänger als es Atome in der Milchstrasse gibt. Die Auswahl von Er' und Er'', bei denen die weitere Entwicklung nahezu identisch verlief, erscheint dann willkürlich.

Bernhard
20.08.18, 07:37
Man kann auch noch fragen, woher die Natur weiß, dass sie den ganzen und nicht den halben Er duplizieren muss. Die Auswahl der Systemgrenze wird bei der VWI AFAIK nicht angegeben.

Timm
20.08.18, 08:27
Konkret soll das heissen, dass die Geschichte die Ausgangssituation nicht angemessen darstellt und in einen nicht angemessenen Bereich verschiebt.
Wie wäre die Ausgangssituation angemessen dargestellt?

Wenn ich bei jedem Ereignis, zwischen heute und morgen, zu dem ich eine Wahrscheinlichkeitsangabe machen kann, 'Verzweigungen" annehme, ...
Die Verzweigung der beiden Zustände entsteht bei der Messung.
Die Superposition
(Er';Detektor';Teilchen Spin up) + (Er'';Detektor'';Teilchen Spin down) verzweigt sich in die kausal getrennten Welten. Carroll:
Once our quantum superposition involves macroscopic systems with many degrees of freedom that become entangled with an even-larger environment, the different terms in that superposition proceed to evolve completely independently of each other. It is as if they have become distinct worlds — because they have.

soon
20.08.18, 14:30
Die Verzweigung der beiden Zustände entsteht bei der Messung.
Die Superposition
(Er';Detektor';Teilchen Spin up) + (Er'';Detektor'';Teilchen Spin down) verzweigt sich in die kausal getrennten Welten.
Das Verschränkungsbeispiel, finde ich, ist unglücklich gewählt, weil es auch bzw. nur mit einem Detektor funktioniert.

Müsste das nicht eher so aussehen:

(Er;Detektor;Teilchen Spin up) + (Teilchen Spin down)
oder
(Er;Detektor;Teilchen Spin down) + (Teilchen Spin up) ?

Timm
21.08.18, 15:03
Das Verschränkungsbeispiel, finde ich, ist unglücklich gewählt, weil es auch bzw. nur mit einem Detektor funktioniert.

Müsste das nicht eher so aussehen:

(Er;Detektor;Teilchen Spin up) + (Teilchen Spin down)
oder
(Er;Detektor;Teilchen Spin down) + (Teilchen Spin up) ?
"Oder" ist Kopenhagen, dann bleibt's bei einer Welt.
Die Vielen Welten bedingen ein "und" und damit die Superposition von Beobachter, Detektor und Teilchen.

Timm
21.08.18, 15:08
Man kann auch noch fragen, woher die Natur weiß, dass sie den ganzen und nicht den halben Er duplizieren muss.
Ich vermisse den smiley oder war das ernst gemeint?

TheoC
21.08.18, 15:12
"Oder" ist Kopenhagen, dann bleibt's bei einer Welt.
Die Vielen Welten bedingen ein "und" und damit die Superposition von Beobachter, Detektor und Teilchen.

Zumindest dann, wenn das "er" sich entsprechend den Regeln der Quantenphysik verhält, bzw. das "Bewusstsein" sich gemäß den pysikalischen Gestzen verhält, was imho nich bewiesen ist, und bei der Sache ein weitere, nicht besprochenes, Axiom darstellt.


lg
Theo

soon
21.08.18, 15:46
"Oder" ist Kopenhagen...
Das "oder" hast du auch:

(Er';Detektor';Teilchen Spin up) + (Er'';Detektor'';Teilchen Spin down)
oder
(Er';Detektor';Teilchen Spin down) + (Er'';Detektor'';Teilchen Spin up).

Edit: Wenn die Unterscheidung von Er' und Er'' keine Rolle spielt , dann kann man die Striche auch weglassen und ist genau da, wo man ohne VWI schon vorher war. Was gleichbedeutend ist mit der Reduzierung der Betrachtung
auf den einen "Zweig" in dem du dich befindest, sozusagen.

Bernhard
21.08.18, 16:00
Ich vermisse den smiley oder war das ernst gemeint?
Das war schon ernst gemeint. Man kann das genannte Problem zwar dadurch umgehen, dass man ein Aufspalten des gesamten Universums postuliert, allerdings stellt sich dann wieder die Frage, wie das mit der Energieerhaltung zusammen passen soll.

Timm
21.08.18, 16:51
Das "oder" hast du auch:


So? In welchem Beitrag?

(Er';Detektor';Teilchen Spin up) + (Er'';Detektor'';Teilchen Spin down)

Timm
21.08.18, 17:26
Das war schon ernst gemeint. Man kann das genannte Problem zwar dadurch umgehen, dass man ein Aufspalten des gesamten Universums postuliert, allerdings stellt sich dann wieder die Frage, wie das mit der Energieerhaltung zusammen passen soll.
Dazu hat Tom kürzlich eine Formel hingeschrieben.

In unserem Beispiel sind die 2 Welten schon in der Superposition angelegt* und für jeden der beiden Zweige gilt die Energieerhaltung. Damit ist die Energie "global" erhalten. Tom wird mich verbessern, wenn ich das falsch sehe (es sei denn, es graust ihn zu sehr diesen Thread überhaupt zu lesen).

* Carroll hierzu:
All of this exposition is building up to the following point: in order to describe a quantum state that includes two non-interacting “worlds” as in (2), we didn’t have to add anything at all to our description of the universe, unlike the classical case. All of the ingredients were already there!

Timm
21.08.18, 17:38
Zumindest dann, wenn das "er" sich entsprechend den Regeln der Quantenphysik verhält, bzw. das "Bewusstsein" sich gemäß den pysikalischen Gestzen verhält, was imho nich bewiesen ist, und bei der Sache ein weitere, nicht besprochenes, Axiom darstellt.



Carroll erwähnt Teilchen und Detektor (apparatus) aber in letzter Konsequenz spricht nichts dagegen, nach Everett den Beobachter mit einzubeziehen. Den ganzen und nicht den halben.

soon
21.08.18, 18:13
So? In welchem Beitrag?
Interessant.

Bisher ging ich davon aus, dass es um Wahrscheinlichkeitsangaben im Vorfeld einer Messung geht.

Jetzt wird mir langsam klar, dass es um so etwas geht wie "Das eingetretene Ereignis hätte auch anders eintreten können, und das ist in einem anderen "Zweig" geschehen", oder ähnlich.

Das muss ich erstmal verdauen und werde mich ab jetzt vermutlich doch besser raushalten.

Timm
21.08.18, 18:49
Jetzt wird mir langsam klar, dass es um so etwas geht wie "Das eingetretene Ereignis hätte auch anders eintreten können, und das ist in einem anderen "Zweig" geschehen", oder ähnlich.


Die Aufspaltung in Zeige bedeutet die Realisierung aller Möglichkeiten. Es geht hier um die rigorose Auslegung der Quantenmechanik.

Bernhard
21.08.18, 18:50
Dazu hat Tom kürzlich eine Formel hingeschrieben.

Du meinst diese Arbeit von F. Wilczek: http://frankwilczek.com/2013/multiverseEnergy01.pdf. Diese Energieerhaltung ist mMn aber nicht oder nur teilweise mit der Vorstellung aus #1 vereinbar. Unterstützt wird diese Meinung beispielsweise durch das paper von Max Tegmark: Many Worlds in Context (https://arxiv.org/abs/0905.2182v2):
What Everett does NOT postulate: At certain magic instances, the world undergoes some sort of metaphysical “split” into two branches that subsequently never interact.

Es bleibt wegen der Energieerhaltung damit nur die Möglichkeit, dass sich Teilbereiche des Universums umordnen. Das Duplikat müsste demnach aus anderen Bereichen des Universums gebildet werden und wäre damit auch nicht kausal vom anderen Zweig getrennt. Da solche Umordnungen aber noch nicht beobachtet wurden, erscheint mir diese ganze "Verzweigerei" als unwahrscheinlich. Eine (abstrakte) Alternative dazu habe ich hier: http://quanten.de/forum/showthread.php5?t=3401 beschrieben.

Timm
21.08.18, 21:58
Dieses Zitat von Max Tegmark
What Everett does NOT postulate: At certain magic instances, the world undergoes some sort of metaphysical “split” into two branches that subsequently never interact.kommt für mich überraschend und scheint Sean Carroll
Given that, we know that the particle can be in “spin-up” or “spin-down” states, and we also know that the apparatus can be in “ready” or “measured spin-up” or “measured spin-down” states. And if that’s true, the quantum state has the built-in ability to describe superpositions of non-interacting worlds. zu widersprechen. Du hast Everett im Orginal gelesen. Wie kommentierst Du diese unterschiedliche Sichtweise?

Auf die Energieerhaltung können wir noch eingehen.

Bernhard
22.08.18, 00:16
Du hast Everett im Orginal gelesen. Wie kommentierst Du diese unterschiedliche Sichtweise?
Ganz einfach: Wir haben hier unterschiedliche Interpretationen oder Sichtweisen auf einen bestimmten mathematischen Formalismus. Jeder der Autoren verwendet etwas andere Wörter und setzt demnach etwas andere Schwerpunkte.

Die Aussage von Carroll
the quantum state has the built-in ability to describe superpositions of non-interacting worlds.
finde ich problematisch, weil, wie Tom auch schon geschrieben hat, gar nicht klar definiert ist, was mit "world" eigentlich genau gemeint ist.

Wir haben per Definition oder um bei Everett zu bleiben eine globale Wellenfunktion und einen Hamilton-Operator für die zeitliche Entwicklung dieser Funktion. Der Hamilton-Operator legt die kausale Struktur der zu beschreibenden Realität fest. Solange man die exakte Form des H.-Operators aber nicht kennt, weiß man streng genommen auch nicht, welche Bereiche kausal getrennt sind oder nicht. Die hier dargestellte Version der VWI wird damit ziemlich spekulativ.

Ich hoffe das zeigt die Problematik mit der VWI. Es ist kein in sich geschlossenes System.

Timm
22.08.18, 09:25
Die Aussage von Carroll
Zitat
the quantum state has the built-in ability to describe superpositions of non-interacting worlds.
finde ich problematisch, weil, wie Tom auch schon geschrieben hat, gar nicht klar definiert ist, was mit "world" eigentlich genau gemeint ist.

Ich sehe nicht, was es bei Carroll zu beanstanden gibt. Das Superpositionsprinzip ist unbestritten. Auch nach Zeilinger bedeutet es, "dass Dinge in einer eigenartigen Überlagerung von verschiedenen Möglichkeiten existieren können." Carroll's "the quantum state has the built-in ability to describe superpositions of non-interacting worlds." besagt , dass die akausale Verzweigung bereits in der Superposition angelegt ist, z.B. Spin up + Spin down. Was ist hier problematisch? Ist es anders?

Ein Detektor misst Spin up, ein anderer Spin down. Du hast gemessen und findest Spin up. Du weißt, es wurde nach der VWI auch Spin down gemessen. Von wem?
Was genau ist bei Everett anders?

Welt oder nicht Welt? Es besteht Einigkeit, ein Detektor misst up, der andere down. Dein Detektor hat up gemessen und Du stimmst vermutlich zu, dass er Teil einer Welt, genauer Deiner Welt ist. Wovon ist der Detektor, der down gemessen hat, ein Teil?

Bitte einfache Antworten auf einfache Fragen. :)

Bernhard
22.08.18, 09:38
Wovon ist der Detektor, der down gemessen hat, ein Teil?
Er ist Teil einer möglichen Welt.

Bitte einfache Antworten auf einfache Fragen. :)
Guter Witz :eek: .

TomS
25.08.18, 22:59
Es scheint tatsächlich so zu sein, dass alles, was ich mehrfach erklärt hatte, und worüber wir eigtl. Konsens erreicht hatten, wieder vergessen ist bzw. ignoriert wird.

Man kann auch noch fragen, woher die Natur weiß, dass sie den ganzen und nicht den halben Er duplizieren muss. Die Auswahl der Systemgrenze wird bei der VWI AFAIK nicht angegeben.
Die VWI führt gerade keine Systemgrenze ein. Und gerade weil man keine künstliche Systemgrenze hat, ist die Everettsche Interpretationen so attraktiv.

Man kann das genannte Problem zwar dadurch umgehen, dass man ein Aufspalten des gesamten Universums postuliert, allerdings stellt sich dann wieder die Frage, wie das mit der Energieerhaltung zusammen passen soll.

Das wird gerade nicht postuliert! Wo findest du ein derartiges Postulat?

Die Energieerhaltung gilt trivialerweise; das hatten wir bereits diskutiert. Wo findest du eine Berechnung, die etwas anderes besagt?

TomS
25.08.18, 23:19
Ganz einfach: Wir haben hier unterschiedliche Interpretationen oder Sichtweisen auf einen bestimmten mathematischen Formalismus. Jeder der Autoren verwendet etwas andere Wörter und setzt demnach etwas andere Schwerpunkte.
Beide Autoren interpretieren die Mathematik - und dabei geht deren Präzision verloren.

Die Aussage von Carroll ... finde ich problematisch, weil, wie Tom auch schon geschrieben hat, gar nicht klar definiert ist, was mit "world" eigentlich genau gemeint ist.
Es gibt natürlich diverse Probleme - die jedoch gerade dann entstehen, wenn man die zugrundeliegende Mathematik ignoriert und Interpretationen interpretiert.

Wir haben per Definition oder um bei Everett zu bleiben eine globale Wellenfunktion und einen Hamilton-Operator für die zeitliche Entwicklung dieser Funktion. Der Hamilton-Operator legt die kausale Struktur der zu beschreibenden Realität fest. Solange man die exakte Form des H.-Operators aber nicht kennt, weiß man streng genommen auch nicht, welche Bereiche kausal getrennt sind oder nicht. Die hier dargestellte Version der VWI wird damit ziemlich spekulativ.
Es ist doch ausreichend, dass per Axiom ein Hamiltonoperator gegeben ist. Everett et al. verwenden keine Schlussfolgerungen oder Interpretationen, für die ein spezieller Hamiltonoperator mit besonderen Eigenschaften notwendig wäre. Sämtliche Schlussfolgerungen sind generisch und allgemeingültig.

Ich hoffe das zeigt die Problematik mit der VWI. Es ist kein in sich geschlossenes System.
Nochmal: Probleme resultieren ausschließlich durch unpräzise Interpretationen und Verwendung der Alltagssprache.

Ich habe eine knappe axiomatische Formulierung präsentiert, und sehe nicht, dass an dieser irgendwo etwas auszusetzen wäre oder konkret kritisiert wurde. Wo genau wäre denn ein Problem der VWI in diesen Axiomen zu finden?

Darüberhinaus ist die Everettsche QM rein axiomatisch eine Untermenge der orthodoxen QM; damit wäre ein Problem der Everettsche QM sofort auch ein Problem der orthodoxen QM. Wie löst die orthodoxen QM denn die - vermeintliche - Problematik der Everettsche QM?

TomS
25.08.18, 23:33
Es bleibt wegen der Energieerhaltung damit nur die Möglichkeit, dass sich Teilbereiche des Universums umordnen.
In der von mir genannten mathematischen Formulierung werden überhaupt keine „Bereiche“ verwendet. Was wäre denn ein derartiger „Bereich“?

Das Duplikat müsste demnach aus anderen Bereichen des Universums gebildet werden und wäre damit auch nicht kausal vom anderen Zweig getrennt.
dito.

... weiß man streng genommen auch nicht, welche Bereiche kausal getrennt sind oder nicht. Die hier dargestellte Version der VWI wird damit ziemlich spekulativ.
dito.

Was wäre denn ein derartiger „Bereich“?

Da solche Umordnungen aber noch nicht beobachtet wurden, erscheint mir diese ganze "Verzweigerei" als unwahrscheinlich.
Das Problem ist, dass du ständig irgendwelche neuen Ideen einführst, anstatt bei der präzisen Formulierung zu bleiben. Die sogenannte „Verzweigerei“ ist doch mathematisch präzise formuliert und absolut unbestritten; es handelt sich um eine ganz gewöhnliche Superposition, an der seit von Neumann kein Zweifel besteht.

Probleme treten durch sprachliche Verwirrungen auf - angefangen mit den „vielen Welten“; es hilft nichts, jetzt auch noch von „Bereichen“ zu sprechen, die nirgendwo definiert sind, von „Umordnung“ etc. Warum bleiben wir nicht bei der Mathematik, und versuchen zu verstehen, was diese bedeutet - und was sie nicht bedeutet?

TomS
25.08.18, 23:48
In unserem Beispiel sind die 2 Welten schon in der Superposition angelegt, und für jeden der beiden Zweige gilt die Energieerhaltung. Damit ist die Energie "global" erhalten. Tom wird mich verbessern, wenn ich das falsch sehe (es sei denn, es graust ihn zu sehr diesen Thread überhaupt zu lesen).
Es graust mich tatsächlich etwas - s.o.

Zur Energieerhaltung:

Im Falle eines zeitunabhängigen Hamiltonoperators ist die Energie trivialerweise erhalten. Ganz allgemein ist eine physikalische Größe - speziell eine Observable A - genau dann erhalten, wenn dA/dt = 0 gilt. Dies ist gleichbedeutend damit, dass für die Heisenbergsche Bewegungsgleichung [A,H] = 0 gilt. In unserem Fall identifizieren wir A mit H und finden trivialerweise [H,H] = 0.

Dass H zeitunabhängig ist, folgt aus der Tatsache, dass das betrachtete System abgeschlossen ist. H umfasst sämtliche Freiheitsgrade, es gibt kein „räumliches Jenseits“ oder „Außerhalb“; es gibt auch keine klassischen oder anderweitig nicht-quantenmechanischen Freiheitsgrade, die ein irgendwie geartetes Eigenleben führen oder die nicht in H enthalten wären.

Andersherum wäre ein offenes System tatsächlich mit einem zeitabhängigen H(t) zu assoziieren, aber das betrachten wir ja gerade nicht. Ein offenes System entsteht immer dann, wenn man eine künstliche Systemgrenze einführt, aber gerade das wollen Everett et al. ja vermeiden.

Das o.g. dH/dt = 0 ist äquivalent zur Energieerhaltung über alle Zweige, also sozusagen „global“. Wir beobachten jedoch eine „zweig-lokale“ Energieerhaltung; genauer: die gemessene Energie vor der „makroskopisch relevanten Verzweigung“ entspricht der gemessenen Energie „nach der Verzweigung je Zweig“! Wie kann das sein?

„Je Zweig“, d.h. „innerhalb eines Zweiges“ wird der Erwartungswert einer Observablen durch Projektion auf genau diesen Zweig definiert; nur noch die „innerhalb des Zweiges zugänglichen“ Freiheitsgrade tragen zur „zweig-lokalen“ Messgröße bei. Bei der Berechnung des „Erwartungswertes der Energie je Zweig“ bzgl. des Gewichtes des Zweiges normiert werden; damit wird einerseits bei der Berechnung der Gesamtenergie „über alle Zweige“ je Zweig dessen Gewichtung berücksichtigt, bei der Berechnung der „Energie je Zweig“ kürzt sich diese andererseits aufgrund der Nominierung gerade heraus. Ich denke, dieser Zusammenhang wird im Papier von Wilczek ausführlich dargestellt.

TomS
26.08.18, 00:40
Zugegeben, schon der Titel ist eine Provokation und diese Geschichte erst recht "unsäglich":

Er hat das Ticket für die morgige Bahnfahrt ohne Platzreservierung. Zuvor macht er ein Experiment. Er' findet Spin up, Er'' Spin down. Er' und Er'' teilen dieselbe Erinnerung. Am nächsten Tage steigen sie in den gleichen Zug, nicht in denselben. Er' fragt sich, welchen Platz wohl Er'' ergattert hat. Er'' fragt sich, welchen Platz wohl Er' ergattert hat. Fortan lebt jeder in seiner Welt, begegnen werden sie sich nie.

Was, abgesehen von "unsäglich", ist an der Geschichte zu beanstanden?
Wenn man die Mathematik der QM zugrundelegt - nichts.

Ich sehe nicht, was es bei Carroll zu beanstanden gibt. Das Superpositionsprinzip ist unbestritten. Auch nach Zeilinger bedeutet es, "dass Dinge in einer eigenartigen Überlagerung von verschiedenen Möglichkeiten existieren können." Carroll's "the quantum state has the built-in ability to describe superpositions of non-interacting worlds." besagt , dass die akausale Verzweigung bereits in der Superposition angelegt ist, z.B. Spin up + Spin down. Was ist hier problematisch?
Formal fast nichts!

Es ist jedoch so, dass sich viele Physiker und Laien instinktiv gegen die bizarren Schlussfolgerungen wehren und Alternativen bevorzugen; insbs.:
1) Kollaps der Wellenfunktion
2) Die Wellenfunktion beschreibt nicht die Realität sondern ist lediglich ein Instrument zur Berechnung von Messwerten.

(1) ist ad hoc, führt zu einem nicht vernünftig definierten bzw. in sich widersprüchlichen Axiomensystem, und ist spätestens seit den Erkenntnissen zur Dekohärenz überflüssig.
(2) führt unmittelbar zu der Frage, warum ein Instrument zur Berechnung von Messwerten existieren und funktionieren sollte, ohne dass es irgendetwas mit der Realität zu tun hat. Natürlich ist dieses „warum“ eine philosophische Frage, und diverse Physiker lehnen sie als physikalisch irrelevant ab - stellen aber gleichzeitig die ebenso philosophische Behauptung (2) auf. (2) führt streng genommen auf eine seltsam agnostische Haltung im Sinne von „toll, wir können das alles berechnen, wissen jedoch nicht wieso, und es kümmert uns auch nicht weiter, dass wir es es nicht wissen - und wir legen allen anderen nahe, dass es ihnen auch egal ist und bleibt ...“.

Zu deinem „akausal“: was meinst du damit? Die QM sowie sämtliche Theorien zur relativistischen QFT sind streng mikro-kausal, alles ist prima. Einzig bei Einbeziehung der Quantengravitation müssen wir wohl Neuland betreten.

Bernhard
26.08.18, 07:53
Das wird gerade nicht postuliert! Wo findest du ein derartiges Postulat?
Vor allem in Beitrag #1 !

EDIT: Und man findet diese Art der Interpretation auch bei Everett
From the viewpoint of the theory all elements of a superposition (all "branches") are "actual," none any more "real" than the rest.
So ganz "unschuldig" ist Everett also auch an diesem Thema hier nicht.

TomS
26.08.18, 08:01
Die VWI spielt im dem Bereich zwischen zwei Ereignissen, zu der die bisherige Physik keinen Zugang hat. Diesen Umstand sollte man nicht aus den Augen verlieren.
Korrekt, das habe ich mehrfach betont.

Natürlich ist es logisch möglich, hier eine agnostische Position einzunehmen, ich halte sie jedoch für sinnlos. Physik betreiben bedeutet für mich, dass ich mathematisch Zugang zu einem Stück Realität erhalte.

Agnostische bzw. instrumentalistische Interpretation der QM:
Am Doppelspalt muss ich das Photon mathematisch als Superpositionszustand beschreiben, um die korrekten Vorhersagen für Messergebnisse und deren Wahrscheinlichkeiten zu erhalten; dass das reale Photon tatsächlich in einem derartigen Superpositionszustand existiert, kann ich nicht sicher wissen, da ich es nicht beobachte.

Agnostische bzw. instrumentalistische Interpretation der Newtonschen Mechanik:
Den Mond muss ich als starren Körper mit einer Bahnkurve seines Schwerpunktes gemäß F = ma, F = -GmM/r² beschreiben, um die korrekten Vorhersagen für Beobachtungen zu erhalten; dass der reale Mond sich tatsächlich entlang einer derartigen Bahnkurve bewegt, kann ich nicht sicher wissen, da ich ihn da ja nicht beobachte.

Natürlich ist es logisch möglich und sozusagen philosophisch „vorsichtig“, über das, was man nicht beobachtet, keinerlei Aussagen treffen zu wollen. Die Frage ist, ob es auch sinnvoll ist. Wie gesagt, ich sehe das anders: Physik betreiben bedeutet für mich, dass ich mathematisch Zugang zu einem Stück Realität erhalte, d.h. dass ich die Realität in ihrer Struktur zumindest in Teilen zutreffend modelliere und beschreibe.

Ich bin mit dieser Ansicht keineswegs alleine; bis zur Entdeckung der Quantenmechanik waren viele Physiker implizit dieser Meinung, ohne dass dies groß diskutiert wurde. Durch die Entdeckung der Quantenmechanik und ihrer bizarren Konsequenzen sowie die teilweise parallel stattfindende philosophische Diskussion zum Positivismus wurde diese agnostische oder instrumentalistische Sichtweise hoffähig - jedoch sich nicht Konsens! Einstein sah das anders, Popper, Everett, später Penrose, heute z.B. Deutsch und Tegmark.

Für sie (und mich) ist die o.g. „vorsichtige“ Einstellung unbefriedigend, weil sie nicht erklären kann, warum uns mit der Mathematik der Quantenmechanik ein perfektes Insrument zur Bewchriebung der Beobachtung zur Verfügung steht, das gleichzeitig nichts über die Realität aussagt und das seinen eigenen Erfolg in keiner Weise erklären kann.

Ich werde dazu ein kleines Beispiel - angelehnt an Deutsch - in einem anderen Thread vorstellen.

TomS
26.08.18, 08:05
Vor allem in Beitrag #1 !
Das stimmt doch nicht!

Beitrag #1, die Texte von Everett, meine Erklärungen, ... enthalten sämtlich kein derartiges Postulat, die „Verzweigung“ ist eine unumstrittene mathematische Konsequenz der QM, insbs. der Dekohärenz.

Beitrag #1 u.a. enthalten lediglich anschauliche Interpretationen dieser Konsequenzen, jedoch sicher keine Postulate.

Wir drehen uns im Kreis, wenn du nicht das ernst nimmst, was formal korrekt und unwidersprochen da steht und was wir schon mehrfach besprochen hatten.

Timm
26.08.18, 08:48
Agnostische bzw. instrumentalistische Interpretation der QM:
Am Doppelspalt muss ich das Photon mathematisch als Superpositionszustand beschreiben, um die korrekten Vorhersagen für Messergebnisse und deren Wahrscheinlichkeiten zu erhalten; dass das reale Photon tatsächlich in einem derartigen Superpositionszustand existiert, kann ich nicht sicher wissen, da ich es nicht beobachte.
Diese Aussage ist nmM allgemein gültig und nicht beschränkt auf die "instrumentalistische Interpretation". Niemand beobachtet einen Superpositionszustand und so kann es niemand sicher wissen, weder Anhänger der KI noch solche der VWI. Darüberhinaus sind sich alle einig, daß die Superposition existiert. Z.b. Zeilinger beim Heisenberg Mikroskop: "Dieser verschränkte Zustand ist ebenfalls eine Superposition". Die Geister scheiden sich doch erst, wie konsequent man damit umgeht.
Physik betreiben bedeutet für mich, dass ich mathematisch Zugang zu einem Stück Realität erhalte, d.h. dass ich die Realität in ihrer Struktur zumindest in Teilen zutreffend modelliere und beschreibe.
Was meinst Du hier mit "Realität"? Doch nicht die nicht beobachtbaren Zweige?

TomS
26.08.18, 09:07
Die Geister scheiden sich doch erst, wie konsequent man damit umgeht.
Ja.

Darüberhinaus sind sich alle einig, daß die Superposition existiert.
Ich denke nicht, dass sich alle darin einig sind, was „existiert“ hier bedeutet und auf was es sich genau bezieht. Viele Physiker verstehen nicht mal die Notwendigkeit, sich über die Verwendung der Begriffe Rechenschaft abzulegen.

Was meinst Du hier mit "Realität"? Doch nicht die nicht beobachtbaren Zweige?
Doch, natürlich.

Plankton
27.08.18, 15:50
1. Die Quantenmechanik ist vollständig. Der Vektor |Ψ> mit dem das QM-System korreliert ist, bestimmt sämtliche objektiven Eigenschaften.
2. Vektoren im Hilbertraum unterliegen immer einer linearen zeitlichen Dynamik gemäß der SGL.
3. Messungen haben bestimmte definite Resultate.
So gesehen, wenn man Punkt 3 negiert, landet man bei der VWI. Bei anderen Punkten bei anderen Interpretationen.

soon
27.08.18, 19:04
Die Aufspaltung in Zeige bedeutet die Realisierung aller Möglichkeiten.

Die Möglichkeiten werden realisiert, und zwar nacheinander in einer Folge von Ereignissen, die zusammen genommen wieder eine Einheit bilden.

Vielleicht sollte man die Zweige und Ereignisse der VWI mal graphisch darstellen und dann die x- und y-Achse vertauschen. Es würde mich nicht wundern, wenn die Sache dann vertraut aussieht. http://1.1.1.4/bmi/www.quanten.de/forum/images/smilies/smile.gif

Timm
27.08.18, 19:40
Die Möglichkeiten werden realisiert, und zwar nacheinander in einer Folge von Ereignissen, die zusammen genommen wieder eine Einheit bilden.


Die zu einer Messung gehörenden Möglichkeiten werden instantan realisiert. Darüber hinaus wage ich keine Präzisierung.

TomS
27.08.18, 20:24
So gesehen, wenn man Punkt 3 negiert, landet man bei der VWI. Bei anderen Punkten bei anderen Interpretationen.
Stimmt.

Die Interpretationen sind natürlich nicht eindeutig. Insbs. die sogenannte „Kopenhagener Interpretation“ ist eher eine Familie von inkohärenten. Einzelmeinungen, keineswegs ein logisch geschlossenes Konstrukt.

TomS
27.08.18, 20:25
Die zu einer Messung gehörenden Möglichkeiten werden instantan realisiert. Darüber hinaus wage ich keine Präzisierung.
Stimmt.

Eine darüberhinausgehende Präzisierung ist dann ohnehin (fast) mit der Mathematik selbst identisch.

soon
27.08.18, 23:07
Die zu einer Messung gehörenden Möglichkeiten werden instantan realisiert.
Abseits der VWI kann ich ganze Messreihe als eine Messung betrachten.

Das unterscheidet sich, in gewisser Weise, gar nicht so sehr von der hier diskutierten VWI. Das erscheint nur deshalb banal, weil wir eine Nacheinander-Realisierung der Möglichkeiten gewohnt sind.

Timm
28.08.18, 07:49
Das unterscheidet sich, in gewisser Weise, gar nicht so sehr von der hier diskutierten VWI. Das erscheint nur deshalb banal, weil wir eine Nacheinander-Realisierung der Möglichkeiten gewohnt sind.
Ich bin nicht sicher, worauf du hinaus willst. Wenn nacheinander Teilchen durch den Doppelspalt gehen, dann erfolgen die Messungen nacheinander und jede Messung realisiert das Potential aller Möglichkeiten.

TomS
28.08.18, 08:05
Abseits der VWI kann ich ganze Messreihe als eine Messung betrachten.
Nein, das funktioniert aufgrund des Projektions- bzw. Kollapspostulates nicht.

Wenn du Messungen zu Zeiten t, t‘ > t, t‘‘ > t‘, ... durchführst und dabei die Observablen A, B, C, ... misst, dann musst du zwischen den Messungen die quantenmechanische Zeitentwicklung U(t‘-t), U(t‘‘-t‘), ... verwenden, für die Messungen der Observablen A mit Messwert a selbst jedoch den Projektor Pa, B,C analog.

Timm
28.08.18, 17:59
Wie interpretieren wir die nun folgende Verkomplizierung?


Zuvor macht er ein Experiment. Er' findet Spin up, Er'' Spin down. Er' und Er'' teilen dieselbe Erinnerung.
Wer bezweifelt, daß Er' und Er'' real aber akausal getrennt existieren, sollte sie bitte begründen.

Nach der Messung wählt die Schwester seine Nummer. Mit wem spricht sie, mit ihm' oder mit ihm''? Wahl zufällig? Mit wem sie auch spricht, aus Gründen der Konsistenz hat sie in aller Zukunft immer mit ihm' Kontakt, falls Er' am Telefon war. Bei künftigen Anrufen sollte demnach nur sein' Telefon klingeln. Demnach entscheidet das erste Telefonat mit wem sie es künftig zu tun hat. Einspruch?

soon
29.08.18, 08:40
...Nach der Messung wählt die Schwester seine Nummer. Mit wem spricht sie, mit ihm' oder mit ihm''? ...

Die Schwester hat vor der Messung einen Brief verschickt, wer erhält nach der Messung den Brief? Er' erhält Brief' von Schwester'. Er'' erhält Brief'' von Schwester''.

Die Ereignisfolgen, die zu Er' und Er'' führen, reichen rückwärts betrachtet bis zum Urknall zurück und waren von Anfang an minimal unterschiedlich, imho.

Mich würde trotzdem interessieren, was die VWI zu der Rückwärtsverfolgung der Ereignisse meint. Aus einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung bei der Zusammenführung von "Zweigen" entstehen wiederum Verzweigungen, oder nicht?


Edit: [Sollte wir das nicht besser in der Plauderecke diskutieren?]

Timm
29.08.18, 10:21
Die Schwester hat vor der Messung einen Brief verschickt, wer erhält nach der Messung den Brief? Er' erhält Brief' von Schwester'. Er'' erhält Brief'' von Schwester''.
Ich bin bisher davon ausgegangen, daß der Everett'sche Formalismus strikt in die Zukunft gerichtet ist, sodaß eine Messung keine Verzweigung in der Vergangenheit auslösen kann.

Vielleicht kann Tom diese Frage klären.

Allerdings führt der Brief (wie auch das Telefonat) ohne die Annahme von Schwester' und Schwester'' zu einem logischen Widerspruch.
Kann man den Standpunkt einnehmen, es gebe nicht mehr als die Verzeigung (Ergebnis Spin up ) und (Ergebnis Spin down)? Nein, derjenige der die Messung durchgeführt hat, sieht beide Ergebnisse, ist also in die Verzeigung inbegriffen. Und dem hat hier auch bis jetzt niemand widersprochen.
Wie löst sich dieser Widerspruch auf?

Ja, vielleicht ist dieser Thread in der Plauderecke besser aufgehoben. Mir ist das egal.

soon
29.08.18, 11:24
Ich bin bisher davon ausgegangen, daß der Everett'sche Formalismus strikt in die Zukunft gerichtet ist, sodaß eine Messung keine Verzweigung in der Vergangenheit auslösen kann.


Eigentlich will ich auf die Frage hinaus, ob man eine Messung auch in der Vorwärtsbetrachtung als "Zusammenführung" von "Zweigen"/Objekten, die zuvor nichts miteinander zu tun hatten, ansehen kann.

TomS
29.08.18, 20:44
Eine mikroskopische Verzeigung ist ohnehin angelegt und unumstritten:

(α|↑> + β|↓>) ⊗ |0> ⊗ |0> ⊗ |0>

Dabei markieren die Farben von links nach rechts das mikroskopische Quantensystem, das Messgerät, den Beobachter sowie den Empfänger der Botschaft mit dem Ergebnis der Beobachtung.

Wenn wir sinnvollerweise die Sortierung der makroskopischen Subsysteme von links nach rechts entsprechend der Entfernung bzw. der Reihenfolge der jeweiligen Beobachtung ansetzen, dann beobachtet sozusagen immer das rechts stehende Subsystem das jeweils links daneben stehende Subsystem. Damit setzt sich die Verzweigung von links nach rechts fort, d.h. man erhält jeweils durch physikalische Propagation der Information

(α|↑> ⊗ |misst ↑> + β|↓> ⊗ |misst ↓>) ⊗ |0> ⊗ |0>

(α|↑> ⊗ |misst ↑> ⊗ |beobachtet ↑> + β|↓> ⊗ |misst ↓> ⊗ |beobachtet ↓>) ⊗ |0>

...

Dabei habe ich der Übersichtlichkeit halber auf diverse |...> Terme verzichtet, die die Umgebungsfreiheitsgrade bezeichnen, die jeweils mit den Subsystemen verschränkt werden was die eigtl. makroskopische Verzweigung gemäß der Dekohärenz bewirkt, und ich habe diverse ... Terme der Form α|↑> ⊗ |misst ↓> weggelassen, die aufgrund der Dekohärenz um viele Größenordnungen unterdrückt sind.

Die beiden „Zweige“ sind innerhalb der Klammern (... + ...) durch das Pluszeichen getrennt, z.B.

(α|↑> ⊗ |misst ↑> ⊗ |beobachtet ↑> + β|↓> ⊗ |misst ↓> ⊗ |beobachtet ↓>)

Für die außerhalb der Klammer stehenden Terme wie z.B. |0> hat noch keine Verzweigung stattgefunden.

Die Verzeigung propagiert natürlich durch direkte Beobachtung, aber auch durch die Umgebungsfreiheitsgrade. Nehmen wir an, der Empfänger empfängt eine Botschaft, die keine Information über das Messergebnis enthält. Allerdings erreichen ihn außerdem Photonen - d.h. Umgebungsfreiheitsgrade |...> die ich hier nicht notiere - die mit dem Messgerät verschränkt wurden. Dann propagiert die Verzeigung alleine durch die Photonen, d.h. auch das rechts stehende |0> wird in die Zweigstruktur mit einbezogen. Diese Propagation ist sogar die Regel, weil man sie spätestens bei der Verwendung eines makroskopischen Messgerätes nicht verhindern kann.

In der Praxis bedeutet dies z.B. im Falle von Schrödingers Katze im Kasten, dass alleine die Verschränkung der Luftmoleküle im Kasten mit der Katze, sowie die weitere Verschränkung der Luftmoleküle außerhalb des Kastens die Verzeigung auf einen Beobachter induzieren. Erst recht gilt dies für einen gläsernen Kasten und Photonen, was eine Verzweigung des Beobachters induziert, auch wenn dieser die Augen geschlossen hält - er verzweigt nicht durch das Empfangen eines Bildes oder Bewegungssignals von der Katze sondern alleine durch seine Verschränkung mit den von der „leben und toten Katze“ ausgesandten Photonen.

Wenn die Kommunikation der links mit den rechts stehenden Subsystemen schneller als die Propagation der Verzeigung funktioniert, d.h. z.B. Kommunikation per Licht und Propagation durch Luft, jedoch Empfänger weit entfernt, dann ist auch eine weitere Kommunikation mit einem weiterhin unverzeigten Subsystem möglich.

TomS
29.08.18, 21:23
Eigentlich will ich auf die Frage hinaus, ob man eine Messung auch in der Vorwärtsbetrachtung als "Zusammenführung" von "Zweigen"/Objekten, die zuvor nichts miteinander zu tun hatten, ansehen kann.
Nein, das funktioniert praktisch nicht, und zwar wegen der Verschränkung mit den Umgebungsfreiheitsgraden. Eine „Zusammenführung“ wäre eine Entwicklung von

(α|↑> ⊗ |misst ↑> + β|↓> ⊗ |misst ↓>)

nach

(α|↑> + β|↓>) ⊗ |0>

Nun müssen wir doch die bisher nicht notierten Umgebungsfreiheitsgrade |...> wie Luft, Licht etc. mit einbeziehen; das wäre dann eine Entwicklung von

(α|↑> ⊗ |misst ↑> ⊗ |... verschränkt mit Messung ↑> + β|↓> ⊗ |misst ↓> ⊗ |... verschränkt mit Messung ↓>)

nach

(α|↑> + β|↓>) ⊗ |0> ⊗ |... verschränkt mit noch nichts gemessen = 0>

Aufgrund der beteiligten Umgebungsfreiheitsgrade |...>, d.h. aller Luftmoleküle, Photonen etc. sind die beiden Zustände |... verschränkt mit Messung ↑> und |... verschränkt mit Messung ↓> extrem unterschiedlich. Der Zielzustand |... verschränkt mit noch nichts gemessen = 0> müsste jedoch für beide Zweige wieder identisch sein. Ein Gerät, das diese Rückwärtsentwicklumg ermöglicht, ist für makroskopische Apparate und deren Verschränkung mit makroskopischen Subsystemen |...> technisch nicht realisierbar, denn dazu müsste man alle Freiheitsgrade des Apparates sowie alle Umgebungsfreiheitsgrade gezielt kontrollieren und wieder in einen für beide Zweige identischen Zustand bringen. Da dies nicht realisierbar ist, funktioniert die Dekohärenz und damit die Verzeigung asymmetrisch und immer nur vorwärts in der Zeit; der umgekehrte Vorgang der „Zusammenführung von Zweigen“ ist makroskopisch unmöglich (für mikroskopische Systeme ist das natürlich möglich; eine derartige Zusammenführung von mikroskopischen Zweigen ist seit Jahrzehnten möglich und absoluter Standard, so dass man dabei überhaupt nicht von „Zusammenführung von mikroskopischen Zweigen“ spricht ... es ist triviales und elementares Handwerkszeug).

Prinzipiell wäre dies aber natürlich genau der Weg, wie man die VWI gezielt experimentell überprüfen könnte: man führt eine normale Messung mit „scheinbarem Kollaps“ durch; man manipuliert nach Messung und Beobachtung alle involvierten Freiheitsgrade dergestalt, dass sie wieder in einen identischen Zustand überführt werden, d.h. man eliminiert insbs. die Dekohärenz durch die Umgebungsfreiheitsgrade und „führt die Zweige zusammen“. Gemäß der Kollapsinterpretation ist dies nicht möglich, da aufgrund des Kollapses nur ein Zweig übrigbleibt. Gemäß der VWI ist dies dagegen prinzipiell möglich! Leider ist dies jedoch praktisch unmöglich, d.h. man kann die KI sowie die VWI rein praktisch nicht voneinander unterscheiden: wo für mikroskopische Systeme derartige Experimente praktisch durchführbar sind, machen beide Theorien die selben Vorhersagen, weil für mikroskopische und insbs. unbeobachtete Systeme sowohl KI als auch VWI keinen Kollaps vorhersagen; wo für makroskopische und insbs. beobachtete Systeme die KI einen Kollaps postuliert, die VWI dagegen nicht, sind derartige Experimente praktisch undurchführbar.

Es ist also falsch, der VWI vorzuwerfen, sie wäre nicht falsifizierbar. Zunächst sind beide - sowohl KI als auch VWI - falsifizierbar, indem man ein System entdeckt, das nicht der Schrödingergleichung gehorcht. Dann sind KI und VWI prinzipiell experimentell unterscheidbar, indem man nämlich
i) die KI (VWI) dadurch verifiziert (falsifiziert), dass man den Kollaps nachweist bzw. die theoretische Zusammenführung makroskopischer Zweige experimentell widerlegt, oder
ii) die VWI (KI) dadurch verifiziert (falsifiziert), dass man den Kollaps widerlegt bzw. die theoretische Zusammenführung der Zweige experimentell nachweist.
Leider sind derartige Experimente praktisch absolut undurchführbar; die Dekohärenzzeit für makroskopische Systeme sind so kurz und die Verzeigung so schnell und effizient, dass die Verzweigung gemäß VWI nie von einem Kollaps unterschieden werden kann.

Ein Experiment, das diese Frage löst, würde mich fast mehr interessieren als eine Lösung für die Quantengravitation.

soon
29.08.18, 22:03
Vielen Dank für die ausführlichen Antworten.

soon
05.09.18, 09:35
Vielleicht muss man die Sichtweise ändern.

Hier ein Versuch eines Vorschlags dazu:

Doppelspaltexperiment und das Ziegenproblem

Analogien:

Beobachter entspricht Kandidat.

Messung beim Doppelspaltexperiment: ein Einschlag auf dem Detektorschirm entspricht
Messung beim Ziegenproblem: ein Tor wird geöffnet.

Zu messendes Objekt beim Doppelspaltexperiment: das fertige Interferenzmuster entspricht
zu messendes Objekt beim Ziegenproblem: die Anordnung von Auto und Ziegen hinter den geschlossenen Toren.

Das Interferenzmuster steht bereits fest (Determiniertheit) entspricht
die unveränderbare Anordnung von Auto und Ziegen.

Fazit:

Die Wahrscheinlichkeiten ändern sich durch die Messung und zählen ausschliesslich zu den Eigenschaften des Beobachters.

Das Messobjekt ist bereits fertig vorhanden und liegt für den Beobachter hinter noch verschlossenen Toren gleichbedeutend mit in der Zukunft.

Eine Verzweigung bei der Messung, wenn man es so nennen will, findet ausschliesslich beim Beobachter statt, - in den alten und den neuen, veränderten Beobachter.

TomS
06.09.18, 10:49
Ich verstehe wirklich nicht, was du mit einem Wechsel der Perspektive meinst und was das mit dem Ziegenproblem zu tun hat.

soon
06.09.18, 12:25
... Wechsel der Perspektive ...
Beim Ziegenproblem wechselt der Kandidat in die Perspektive des Moderators, der die Anordnung hinter den Toren kennt.

Beim Doppelspaltexperiment wechselt der Beobachter in die Perspektive der Natur, die das fertige Interferenzmuster aufgrund der Determiniertheit kennt.

Die VWI bekommt diesen Perspektivwechsel nicht zustande und argumentiert nur aus der Sicht des Beobachters, dass sich eine Anordnung Auto/Ziege/Ziege erst nach und nach realisiert.

TomS
06.09.18, 12:34
Beim Ziegenproblem wechselt der Kandidat in die Perspektive des Moderators, der die Anordnung hinter den Toren kennt.

Beim Doppelspaltexperiment wechselt der Beobachter in die Perspektive der Natur, die das fertige Interferenzmuster aufgrund der Determiniertheit kennt.
Ich sehe nicht, was das miteinander zu tun hat oder dass uns das weiterbringt.

Die VWI bekommt diesen Perspektivwechsel nicht zustande und argumentiert nur aus der Sicht des Beobachters, ...
Die VWI argumentiert zunächst gerade nicht aus Sicht eines realen Beobachters, der nämlich "Bestandteil" des betrachteten Quantenzustandes ist, sondern aus einer hypothetischen Sicht, die den Gesamtzustand inkl. Beobachter als Ganzes in den Blick nimmt. Diese Sicht ist mathematisch trivial, hat aber nichts damit zu tun, was ein realer Beobachter tatsächlich erlebt.

Der Perspektivwechsel zum realen Beobachter als Teil des Systems ist gerade der Kern der Arbeit von Everett et al., und diesen Perspektivwechsel bekommt die VWI natürlich hin. Es ist dies der hinsichtlich der Interpretation schwierige Teil, der die Auffächerung des Quantenzustandes einschließlich einer Auffächerung des Beobachters beschreibt:

Der Gesamtzustand lautet

|ψ> = |nicht zerfallen> ⊗ |lebende Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet lebende Katze> + |zerfallen> ⊗ |tote Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet tote Katze> + ...

Everetts relative state interpretation - so hat er sie bezeichnet - befasst sich damit, wie man das, was ein realer Beobachter sieht - z.B. die tote Katze - aus dem Gesamtzustand herauspräpariert; d.h. Everett betrachtet auch die einzelnen Komponenten (Zweige)

|nicht zerfallen> ⊗ |lebende Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet lebende Katze>

und

|zerfallen> ⊗ |tote Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet tote Katze>

Alle Interpretation der QM befassen sich mit dem Gesamtzustand - und müssen dies tun - da die QM rein mathematisch immer mit dem Gesamtzustand operiert. Die Interpretationen unterscheiden sich diesbzgl. nicht. Und Sie befassen sich immer mit dem Perspektivwechsel - und müssen dies tun - da sie ansonsten nichts über unsere Beobachtungen aussagen könnten, die ja offensichtlich nicht direkt dem Gesamtzustand entsprechen. Sie unterscheiden sich jedoch darin, wie sie den Perspektivwechsel vornehmen, d.h. wie sie von

|ψ> = |nicht zerfallen> ⊗ |lebende Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet lebende Katze> + |zerfallen> ⊗ |tote Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet tote Katze> + ...

z.B. zu

|nicht zerfallen> ⊗ |lebende Katze> ⊗ |Beobachter beobachtet lebende Katze>

gelangen.

Die Kollapsinterpretation postuliert ad hoc und ohne weitere Erklärung das Verschwinden der andere Komponente. Everett / die VWI akzeptiert die weitere Existenz der anderen Komponenten entsprechend der Vorhersage der Schrödingergleichung und erklärt, warum dennoch ein Perspektivwechsel folgt, der mit unseren Beobachtungen übereinstimmt; genauer, warum daraus die Perspektivwechsel folgen, die mit sämtlichen Beobachtungen im Zuges des Auffächerns des Beobachters je Komponente (Zweig) übereinstimmen.

Beide Interpretationen - und auch alle weitere - sind nicht vollumfänglich zufriedenstellen und keineswegs allgemein akzeptiert. Die Kollapsinterpretation hat die wesentliche Schwäche, dass sie den Perspektivwechsel nicht erklären kann, sondern ihn zusätzlich postulieren muss; dies ist extrem unbefriedigend. Bei der VWI ist noch unklar, ob alle Details des Perspektivwechsels tatsächhlich erklärt werden, insbs. ist die Erklärung des Auftretens von Wahrscheinlichkeiten strittig.

soon
06.09.18, 13:07
Die VWI argumentiert zunächst gerade nicht aus Sicht eines... Beobachters, ... , sondern aus ... Sicht, die den Zustand ...als Ganzes in den Blick nimmt.

In der VWI geht es um Realisierung von Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten.

Diese Wahrscheinlichkeiten vor einer Messung gibt es aber nur für den Beobachter und nicht für den Zustand als Ganzes. Genau das wollte ich mit dem Ziegenproblem-Beispiel verdeutlichen.

TomS
06.09.18, 13:20
In der VWI geht es um Realisierung von Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten.

Diese Wahrscheinlichkeiten vor einer Messung gibt es aber nur für den Beobachter und nicht für den Zustand als Ganzes.
Das ist das zentrale Problem der VWI: es ist unklar bzw. umstritten, ob die Argumente, dass bzw. wie Wahrscheinlichkeiten folgen können, logisch schlüssig und vernünftig sind.

Aufgrund der Struktur der VWI ist es sinnlos, Wahrscheinlichkeiten zu postulieren; damit würde man die grundlegende Idee der Theorie zerstören (stell dir vor, du möchtest, dass ein demokratisches System in gewissen Situationen nicht durch ein nicht-entscheidungsfähiges Parlament blockiert wird, und führst daher einen Artikel in die Verfassung ein, die in diesem speziellen Fall erlaubt, dass sich einer zum Alleinherrscher ernennt; das wäre dann keine Demokratie mehr - oder?)

Daher muss man andere Axiome oder Annahmen finden, die es erlauben, in vernünftiger Weise zu argumentieren, dass aus der Theorie subjektive Wahrscheinlichkeiten folgen, obwohl die Theorie selbst objektiv deterministisch ist.

Diese Axiome, Annahmen und Argumente sind tatsächlich kompliziert und umstritten.

Timm
18.09.18, 18:07
Die Schwester hat vor der Messung einen Brief verschickt, wer erhält nach der Messung den Brief? Er' erhält Brief' von Schwester'. Er'' erhält Brief'' von Schwester''.


Dieses Beispiel wurde hier (https://www.physicsforums.com/threads/question-regarding-the-many-worlds-formulation.955486/) im Rahmen der VWI in bemerkenswerter Klarheit beschrieben, incl. der Antworten auf den Brief an die Schwester.

TomS
19.09.18, 06:00
Ja, das ist sinnvoll.

Die Messung des Spins induziert eine makroskopische „Verzweigung“ des Beobachters. Dies gilt natürlich auch für die Schwester, falls sie einen Brief erhält, in dem das Messergebnis steht.

Die Dynamik ist dabei kausal, d.h. die „Verzweigung“ propagiert sozusagen durch den Hilbertraum, und damit auch durch die Raumzeit.

TheoC
20.09.18, 11:34
Ja, das ist sinnvoll.

Die Messung des Spins induziert eine makroskopische „Verzweigung“ des Beobachters. Dies gilt natürlich auch für die Schwester, falls sie einen Brief erhält, in dem das Messergebnis steht.

Die Dynamik ist dabei kausal, d.h. die „Verzweigung“ propagiert sozusagen durch den Hilbertraum, und damit auch durch die Raumzeit.

Wenn die Schwester keine Info hat über das Ereignis, wird sie in allen Welten gleich sein...
Wie überhaupt imho die überwiegende Anzahl von Quantenereignisse den Lauf der Welt nicht verändern.
Einzig die experimentellen Quantenphysiker spalten sich des öftern auf :)

Nachdem mein Bewusstsein die Umwelteinflüsse "mittelt", dh aus einer "ungefähren" Umweltinformation mein konkretes Weltbild konstruiert, wird sich mein Sein nicht ändern, wenn sich kein "offensichtlicher Impakt" ergibt.
Genau so wenig denke ich ändert sich (merklich) der Zustand der Sonne, oder von sonst einem realen Ding, aufgrund von irgendwelchen Quantenereignissen.

Es mag dann zwar eine (nahezu) unendliche Anzahl von Welten geben, die unterscheiden sich aber nicht merklich voneinander.

Führen also nur Quantenentscheidungen die zu Änderungen in der Makrowelt führen (wie eben ein Messergebnis im Labor) zu einer "neuen Welt", weil die anderen für nichts und niemanden unterscheidbar sind?

lg
Theo


lg
Theo

TomS
20.09.18, 17:55
Wenn die Schwester keine Info hat über das Ereignis, wird sie in allen Welten gleich sein...
Wie überhaupt imho die überwiegende Anzahl von Quantenereignisse den Lauf der Welt nicht verändern.
Einzig die experimentellen Quantenphysiker spalten sich des öftern auf :)

Nicht nur, aber besonders häufig :-)

Nachdem mein Bewusstsein die Umwelteinflüsse "mittelt", dh aus einer "ungefähren" Umweltinformation mein konkretes Weltbild konstruiert, wird sich mein Sein nicht ändern, wenn sich kein "offensichtlicher Impakt" ergibt.
Wobei es da schon interessante Fälle gibt.

Man stelle sich vor, dass ein Kind aufgrund eines radioaktiven Zerfalls nicht gesund zur Welt kommt - und in einer anderen „Welt“ eine bedeutende weltpolitische Rolle spielt.

Es mag dann zwar eine (nahezu) unendliche Anzahl von Welten geben, die unterscheiden sich aber nicht merklich voneinander.
Ich denke, es gibt eher ein Quasi-Kontinuum von „Welten“, in denen jeweils alles quantenmechanisch erlaubte auch realisiert ist.

Führen also nur Quantenentscheidungen die zu Änderungen in der Makrowelt führen (wie eben ein Messergebnis im Labor) zu einer "neuen Welt", weil die anderen für nichts und niemanden unterscheidbar sind?
Das hängt von deiner Definition des Begriffs „Welt“ ab. Wenn wir darunter makroskopische, untereinander wechselweise dekohärente und somit „entkoppelte“ Komponenten des Zustandes verstehen, dann ja. Aber diese Verzweigung ist ja bereits mikroskopisch angelegt, nur dass wir diese weiterhin kohärenten und interferenzfähigen Zweige nicht als „Welten“ bezeichnen.

Hawkwind
20.09.18, 18:00
Wenn die Schwester keine Info hat über das Ereignis, wird sie in allen Welten gleich sein...
Wie überhaupt imho die überwiegende Anzahl von Quantenereignisse den Lauf der Welt nicht verändern.
Einzig die experimentellen Quantenphysiker spalten sich des öftern auf :)

Nachdem mein Bewusstsein die Umwelteinflüsse "mittelt", dh aus einer "ungefähren" Umweltinformation mein konkretes Weltbild konstruiert, wird sich mein Sein nicht ändern, wenn sich kein "offensichtlicher Impakt" ergibt.
Genau so wenig denke ich ändert sich (merklich) der Zustand der Sonne, oder von sonst einem realen Ding, aufgrund von irgendwelchen Quantenereignissen.


Ich bin sicher, Quantenentscheidungen haben Einfluss auf die makroskopische Welt. Denk z.B. an die Bildung und Ausbeitung von Rissen in Materialien oder auch bei Erdbeben.

Es ist reine Spekulation, dass der Zustand der Sonne unabhängig von Quantenereignissen sein soll.

Wie ist es mit den Entscheidungsprozessen in unseren Gehirnen?
https://en.wikipedia.org/wiki/Quantum_brain_dynamics
https://www.newscientist.com/article/mg22830500-300-is-quantum-physics-behind-your-brains-ability-to-think/
etc.

TheoC
20.09.18, 19:16
Ich bin sicher, Quantenentscheidungen haben Einfluss auf die makroskopische Welt. Denk z.B. an die Bildung und Ausbeitung von Rissen in Materialien oder auch bei Erdbeben.

Es ist reine Spekulation, dass der Zustand der Sonne unabhängig von Quantenereignissen sein soll.

Wie ist es mit den Entscheidungsprozessen in unseren Gehirnen?
https://en.wikipedia.org/wiki/Quantum_brain_dynamics
https://www.newscientist.com/article/mg22830500-300-is-quantum-physics-behind-your-brains-ability-to-think/
etc.


Jeder physikalisch instabile Prozess wird letztendlich von einer einzigen kleinen Quantenentscheidung "in die eine Richtung" oder eben "die andere Richtung" gesteuert. Diese Entscheidung hat natürlich einen merkbaren Impakt.

Und natürlich könnte es eine Welt geben, in der die Dinos noch leben, weil der Meteroit aufgrund einer winzigen kleinen Entscheidung eine andere Richtung genommen hat.

Der Großteil der Quantenprozesse wird im Allgemeinen aber im "Rauschen" untergehen, und die Welten die dadurch entstehen könnten, werden sich nicht merklich unterscheiden...

Spannend ist der Ansatz mit dem "Brain", weil ich selbst mich dann bei jeder neuronalen Q-Entscheidung die zu einer Änderung füht, in alle Variationen aufspalte.... gibt es dann keine "freie Entscheidung" weil so und so alle Entscheidungen realisiert werden?? Oder ist es eine freie Entscheidung in welchem Pfad ich mich wiederfinde?

Ist alles reichlich spekulativ, ich wollte nur auf den Umstand hinweisen das der Begriff "VWI- Welt" nicht losgelöst vom Konzept "Wahrnehmung" betrachtet werden kann.


lg Theo

Timm
21.09.18, 13:37
Es mag dann zwar eine (nahezu) unendliche Anzahl von Welten geben, die unterscheiden sich aber nicht merklich voneinander.


Das erscheint mir wenig wahrscheinlich, denn der Verzweigung in die Sub-Systeme sind keine Grenzen gesetzt und damit auch nicht merklich voneinander verschiedenen Welten.

A.Waken
13.05.20, 07:37
VWI im Alltag

Truth is stranger than fiction, but it is because Fiction is obliged to stick to possibilities; Truth isn‘t.

Die Wahrheit ist merkwürdiger als die Erzählungen, weil die Erzählungen sich an den Wahrscheinlichkeiten orientiert; die Wahrheit tut das nicht.
(Mark Twain, eigene Übersetzung)

Fiction wird abgeleitet von der Realität oder genauer formuliert von der scheinbar geltenden Realität über die Konsens in der Gesellschaft besteht. Deshalb wird der Schriftsteller sich an den bekannten Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten orientieren.
Und im scheinbar logischen Rahmen bleiben.
Die Wahrheit braucht das nicht zu leisten. Wenn es nur genügend Welten gibt, kann das gesamte Spektrum, von dem was es geben könnte, existieren. In der VWI gilt daher die Devise: Alles was passieren kann, wird passieren.
Bei einem einzigen vorhandenen Universum gilt das nicht.
Kann das wirklich so offensichtlich sein und schon seit 200 Jahren erkannt?
Und vor diesem Hintergrund schauen wir uns unsere Welt mal an und bewerten die Merkwürdigkeiten und Absurditäten die es gibt, neu.
Beispiele fallen wohl jedem ein.
Anlass für diese Analyse ist der 2006 erschiene Film „Schräger als Fiktion“, Original: „Stranger than Fiction“.
Der Protagonist, ein Langweiler, wie er im Buche steht, Steuerbeamter, von Zahlen und vom Zählen geradezu besessen, hört eines Morgens eine weibliche Stimme, die von seinem Leben erzählt, wie es sich gerade abspielt.
Diese Stimme gehört einer Autorin, die sich in einer Schreibblockade befindet, aber deren Werke sich dadurch auszeichnen, dass am Ende ihrer Geschichten der jeweilige Protagonist jeweils stirbt.
Ein überaus sehenswerter Film.
Nach vielen gelesenen Rezensionen stieß ich auf den Zusammenhang mit dem obigen Zitat.

Timm
13.05.20, 08:43
In der VWI gilt daher die Devise: Alles was passieren kann, wird passieren.
Bei einem einzigen vorhandenen Universum gilt das nicht.
Das erste ja, das zweite ist ein Missverständnis. Alles was passieren kann, passiert in einem Universum.

Marco Polo
13.05.20, 18:11
Alles was passieren kann, passiert in einem Universum.

Nur wenn es unendlich gross ist

Timm
14.05.20, 14:00
Nur wenn es unendlich gross ist
Das denke ich nicht. Weshalb sollte die bei einer Messung stattfindende Verzweigung Rücksicht auf die Größe des Universums nehmen?

Du meinst wahrscheinlich die unendlich vielen Kopien nach Tegmark.

A.Waken
15.05.20, 04:01
Zitat: In der VWI gilt daher die Devise: Alles was passieren kann, wird passieren.
Bei einem einzigen vorhandenen Universum gilt das nicht.

Der zweite Satz bezieht sich auf „das“ Universum nach klassischer (Kopenhagener) Lesart.

Völlig richtig ist, dass alles, was hier passieren kann, nur dann passiert, wenn dieses Universum unendlich groß wäre (dann müssten nämlich Parallelwelten einer anderen Klassifikation vorhanden sein). Hat aber mit VWI nichts zu tun.

Man weiß es nicht, aber ich gehe nicht von Unendlichkeit in diesem Zusammenhang aus.

Wichtig in der ursprünglichen Textpassage war mir, dass die verschiedenen Interpretationen der QM zu verschiedenen Wahrscheinlichkeiten im Alltag führen könnten.
Und die Personen, die überwiegend am extremen Rande von Zufallskurven ihre Erfahrungen machen, könnten überlegen, ob eine Kette von unwahrscheinlichen Ereignissen (wie bei mir) nicht ihre Ursächlichkeit in der VWI haben könnte.

Tut mir leid, dass die unpräzise Formulierung in der ursprünglichen Passage zu diesen Missverständnissen führte, ich versuche das in Zukunft besser zu machen.

Quantor
15.05.20, 07:44
Nicht das Universum verzweigt sich, sondern die Erkenntnis darüber.
Es gibt eine Wellenfunktion des Großen & Ganzen. Jeder Beobachter reduziert sie jedoch auf die Teile seiner Beobachtung. Da die Wellenfunktion real ist, existieren auch alle möglichen Beobachter in eigenen Zweigen. Aus Sicht des großen Beobachters existieren alle Möglichkeiten am selben Ort zur selben Zeit.

Timm
15.05.20, 09:34
Wichtig in der ursprünglichen Textpassage war mir, dass die verschiedenen Interpretationen der QM zu verschiedenen Wahrscheinlichkeiten im Alltag führen könnten.
Und die Personen, die überwiegend am extremen Rande von Zufallskurven ihre Erfahrungen machen, könnten überlegen, ob eine Kette von unwahrscheinlichen Ereignissen (wie bei mir) nicht ihre Ursächlichkeit in der VWI haben könnte.

"die verschiedenen Interpretationen der QM" führen zu vielen Welten oder bleiben bei einer Welt, z.B. Kopenhagen. Insofern führen die verschiedenen Interpretationen nicht zu verschiedenen Wahrscheinlichkeiten. Bei der KI beschreibt die Bornsche Regel die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Messwertes.

Ja, sie könnten das überlegen. Aber "eine Kette von unwahrscheinlichen Ereignissen" kann kein Indiz für die VWI sein, denn die Verzweigungen führen zu akausal voneinander getrennten Welten.

Ein Tip, die Zitat Funktion verbessert die Übersichtlichkeit.

Timm
15.05.20, 18:59
Aus Sicht des großen Beobachters existieren alle Möglichkeiten am selben Ort zur selben Zeit.
Nicht ganz. Dieser Beobachter müßte im Hilbertraum die vielen Welten überblicken und damit die vielen Orte in diesen Welten.

Mirko Buschhorn
19.08.21, 09:25
Das erste ja, das zweite ist ein Missverständnis. Alles was passieren kann, passiert in einem Universum.

Und doch begeht Max Tegmark in unserem Universum keinen Quantenselbstmordversuch z. B. als Russisches Roulette. Anscheinend ist er doch nicht überzeugt, in einem anderen Universum sicher zu überleben.

Timm
19.08.21, 10:29
Oder er hat den Anspruch, keiner seiner Kopien Schaden zuzufügen.

Mirko Buschhorn
19.08.21, 10:40
Oder er hat den Anspruch, keiner seiner Kopien Schaden zuzufügen.

Guter Punkt. Nehmen wir deshalb an, Max Tegmark hat 1000 begeisterte Anhänger, die allesamt Quantenphysiker sind. Mindestens ein Egoist sollte darunter sein, dem seine Kopien egal sind (Psychologen vermuten sicher eine höhere Zahl). Warum hat sich bisher keiner die Pistole an den Kopf gehalten?

Timm
19.08.21, 21:10
Warum hat sich bisher keiner die Pistole an den Kopf gehalten?
Weshalb sollte der Glaube an die vielen Kopien den Selbsterhaltungstrieb aushebeln? Jeder Kopie liegt ein “Selbst” zugrunde.

Mirko Buschhorn
20.08.21, 10:42
Weshalb sollte der Glaube an die vielen Kopien den Selbsterhaltungstrieb aushebeln? Jeder Kopie liegt ein “Selbst” zugrunde.

Ich dachte das "Selbst" ist ein Produkt des Gehirns. Eine Kopie hätte ein zu 100% identisches Gehirn. Müsste dann nicht auch das "Selbst" identisch sein?

Hawkwind
20.08.21, 12:50
Nun ja, sie sind ja in verschiedenen Welten; ihre Gehirne entwickeln sich aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen unterschiedlich. Das Hirn ist ja nichts statisches Unveränderliches:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuronale_Plastizit%C3%A4t

Timm
20.08.21, 14:56
Ich meinte das anders. Selbst wenn man identische Gehirnzustände der raumartig voneinander entfernten Kopien voraussetzt, ist sich das "Selbst" jeder Kopie am nächsten. Etwa so: wenn ich mir Schaden zufüge, nützt es mir nichts, dass meine Kopien wohlauf sind.

Nur am Rande, bei Tegmark geht es nicht um die Vielen Welten der QM, sondern um die parallelen Welten (https://www.spektrum.de/magazin/parallel-universen/830044) seines Multiversums.

Mirko Buschhorn
16.09.21, 13:55
Nur am Rande, bei Tegmark geht es nicht um die Vielen Welten der QM, sondern um die parallelen Welten (https://www.spektrum.de/magazin/parallel-universen/830044) seines Multiversums.

Er hat 4 Level definiert, wozu auch die Vielen Welten der QM gehören, siehe

https://en.wikipedia.org/wiki/Multiverse#Level_III:_Many-worlds_interpretation_of_quantum_mechanics

unter der Überschrift "Max Tegmark's four levels"

Timm
16.09.21, 21:06
Er hat 4 Level definiert, wozu auch die Vielen Welten der QM gehören, siehe

https://en.wikipedia.org/wiki/Multiverse#Level_III:_Many-worlds_interpretation_of_quantum_mechanics

unter der Überschrift "Max Tegmark's four levels"
Ja, er erwähnt sie. Die Everett's VW der QM sind allerdings eine ganz andere Kategorie. Gemeinsam ist das Fehlen von Kausalität zwischen den "Kopien".

TomS
16.09.21, 22:07
An welchen Stellen soll den die Kausalität fehlen?

Geku
17.09.21, 08:24
Gemeinsam ist das Fehlen von Kausalität zwischen den "Kopien".

Nicht nur bei der Kausalitat sehe ich Probleme, sondern auch mit der Erhaltung von Masse und Energie. Wie teilen sich diese auf die einzelnen Welten. Wird die Energie und Masse pro Welt immer weniger?

TomS
17.09.21, 09:34
Es gibt bei der MWI weder ein Problem mit der 1) Kausalität, noch mit der 2) Energieerhaltung.


Zu 1)

In einer relativistischen Formulierung der Quantenmechanik ist die Schrödingergleichung inklusive Zeitentwicklungs- und Hamiltonoperator verträglich mit der Poincare-Algebra und damit der Kausaltruktur bzw. den Lichtkegeln der RT; in der Quantenfeldtheorie erkennt man die Mikrokausalität explizit an der Lichtkegelstruktur der Propagatoren.

Das nichts damit zu tun, dass verschiedenen Zweige dynamisch entkoppelt sind; dabei handelt es sich um Einselection (https://en.wikipedia.org/wiki/Einselection) = environment-induced superselection. Dieser Mechanismus ist perfekt verträglich mit der Kausalität.

Vergleicht das mit dem einfachen Fall zweier Beobachter, die sich Bälle zuwerfen und dadurch Impuls austauschen. Wenn sie sich nur sehr sehr selten winzig kleine Bälle zuwerfen, so dass sich ihr Bewegungszustand nicht merklich ändert, ist das immer noch verträglich mit der Kausalität.

Übertragen auf die MWI: die kausale Verknüpfung und Wechselwirkung zwischen den Zweigen ist dergestalt, dass die Zweigstruktur dadurch nicht zerstört wird.


Zu 2)

Die Gesamtenergie des Zustandes ψ über alle Zweige erhalten, da

dH / dt = 0

E = 〈ψ|H|ψ〉

und damit

dE / dt = 0

Die je zweig-lokalem Beobachter sichtbare Energie

E(ζ) = 〈ψ|PHP|ψ〉 / 〈ψ|P|ψ〉

mit dem Projektor

P = P(ζ)

auf den Zweig ζ und der geeigneten Normierung erscheint ebenfalls erhalten.


Es ist richtig, dass sich die Energie auf immer mehr Zweige verteilt, aber das ist unproblematisch.

Man erkennt das anhand eines Beispiels. Betrachten wir ein Photon in einem Experiment mit Strahlteiler, bei dem das Photon anschließend mit sich selbst zur Interferenz gebracht und je zweig-lokalem Beobachter in einem von zwei Detektoren gemessen wird; der Detektor messe außerdem die Energie.

Das Photon habe die Energie E = hf.

A) Nach der Verzweigung liegt in jedem Zweig die zweig-lokale Energie E/2 vor; in Summe also E/2 + E/2 = E. Ein Beobachter muss den Erwartungswert für die zu messende Energie berechnen. Ein globaler Beobachter berechnet E, ein zweig-lokaler Beobachter berechnet ebenfalls nach den Regeln der Quantenmechanik

E(ζ) = (E/2) / (1/2) = E

Deswegen übrigens nach Everett relative-state interpretation .

B) Vor der Verzweigung haben wir ein Photon verteilt auf zwei Zweige, d.h. zwei Komponenten eines Gesamtzustandes hinter dem Strahlteiler; niemand redet hier von Zweigen. Es gibt nur den normalen (globalen) Beobachter, der natürlich

E/2 + E/2 = E

berechnet.

Wenn er nun das Experiment dahingehend abändert, dass die Energie direkt hinter dem Strahlteiler und vor der Interferenz des Photons mit sich selbst gemessen wird, dann darf und wird er natürlich nicht E/2 ansetzen! Er weiß ja, dass er nur eine von zwei Komponenten des Gesamtzustandes betrachtet, d.h. er weiß, dass er stattdessen

(E/2) / (1/2) = E

berechnen muss.

(B) ist seit fast 100 Jahren bekannt.

Nach Everett wird für (A) exakt die selbe mathematische Regel verwendet. Es hat sich nichts geändert, außer dass der Beobachter nicht weiß, dass zwei Komponenten vorliegen, sondern dass er glaubt bzw. interpretiert, dass zwei Zweige vorliegen; das ist der Mathematik jedoch egal - alles prima ;-)

Timm
17.09.21, 09:44
An welchen Stellen soll den die Kausalität fehlen?
Bei den VW sind es die orthogonalen Zustände, bei den parallelen Welten die raumartigen Distanzen.

TomS
17.09.21, 09:47
Zur MWI siehe meinen letzten Beitrag, da gibt es keinen Verlust der Kausalität.

Beim Universum und den entsprechenden Blasen sind diese durch weiterhin expandierende Bereiche tatsächlich kausal entkoppelt, aber das ist unproblematisch.

Timm
17.09.21, 10:06
Zur MWI siehe meinen letzten Beitrag, da gibt es keinen Verlust der Kausalität.


Wir sprachen über die "Kopien". Du misst Spin up und deine Kopie in der anderen Welt Spin down. Kausalität bedeutet, dass Wechselwirkungen möglich sind. In diesem Sinne keine Kausalität zwischen dir und deiner Kopie.

TomS
17.09.21, 10:14
Wir sprachen über die "Kopien". Du misst Spin up und deine Kopie in der anderen Welt Spin down. Kausalität bedeutet, dass Wechselwirkungen möglich sind. In diesem Sinne keine Kausalität zwischen dir und deiner Kopie.
Natürlich gibt es diese Wechselwirkung, wenn auch verschwindend gering. Lies doch bitte meinen Beitrag.

Timm
17.09.21, 15:20
"Verschwinden gering" meine ich nicht, wenn ich von den besagten "Kopien" spreche.

https://www.quantamagazine.org/why-the-many-worlds-interpretation-of-quantum-mechanics-has-many-problems-20181018/

Parallel quantum worlds have split once they have decohered, for by definition decohered wave functions can have no direct, causal influence on one another.

Timm
17.09.21, 16:06
Nicht nur bei der Kausalitat sehe ich Probleme, sondern auch mit der Erhaltung von Masse und Energie. Wie teilen sich diese auf die einzelnen Welten. Wird die Energie und Masse pro Welt immer weniger?
Die einfache Erklärung ist, was es schon gab, geht nicht verloren. Die in einer Superposition befindlichen physikalischen Größen gibt es auch nach der Verzweigung in die Vielen Welten, daher keine Vermehrung.

Das ist noch dürftig, wenn ich mich recht erinnere, hat Sean Carroll etwas dazu geschrieben (?), einer der Physiker mit der Gabe komplexere Dinge verständlich ohne Formelwust darzustellen.

TomS
17.09.21, 16:21
"Parallel quantum worlds have split once they have decohered, for by definition decohered wave functions can have no direct, causal influence on one another.
Das ist im Sinne der Bedeutung von "causal" falsch.

Du hast einen Gesamtzustand ψ und einen Zeitentwicklungsoperator U = exp[-iHt]. Aus letzterem "folgen" die Zweige ζ von ψ.

Wenn H diagonal in der Orthonormalbasis ζ wäre, dann wären die Zweige exakt entkoppelt.

Aber weder bilden die Zweige eine exakte Orthonormalbasis, noch ist H diesbzgl. exakt diagonal. Noch schlimmer, die Familie Z aller ζ ist selbst zeitabhängig und keineswegs objektiv gegeben; Z hängt von der jeweiligen Beobachtung bzw. Messung ab, die im Hamiltonoperator H kodiert ist. Damit haben die ζ durchaus kausalen Kontakt, aber eben einen im Sinne der Dekohärenz vernachlässigbar kleinen.

Das ist aber alles gar nicht schlimm. Man streiche das Wort "kausal" und alles ist gut.

Hawkwind
17.09.21, 16:51
...
Aber weder bilden die Zweige eine exakte Orthonormalbasis, noch ist H diesbzgl. exakt diagonal.
...


Hm, deine Erklärungen überfordern mich doch etwas. :)

Was du "Zweige" nennst, sind die unterschiedlichen Ergebnisse der Messung einer Observablen (jede resultiert in einer eigenen Welt); es sind also Eigenfunktionen dieser Observablen. Warum sollten die nicht "orthonormal" sein?

TomS
17.09.21, 17:04
Hm, deine Erklärungen überfordern mich doch etwas. :)

Was du "Zweige" nennst, sind die unterschiedlichen Ergebnisse der Messung einer Observablen (jede resultiert in einer eigenen Welt); es sind also Eigenfunktionen dieser Observablen. Warum sollten die nicht "orthonormal" sein?
Weil dieses Postulat - Messwerte entsprechen Eigenwerten - nicht mehr gilt, sondern weil dies eine näherungsweise Konsequenz der Dynamik / Dekohärenz ist.

Timm
17.09.21, 21:04
Schön und gut, nur ging es um derartige Spitzfindigkeiten (-> vernachlässigbar klein) nicht. Niemand glaubt im Ernst, dass die eine Welt mit der anderen kommunizieren kann.

TomS
17.09.21, 21:48
Schön und gut, nur ging es um derartige Spitzfindigkeiten (-> vernachlässigbar klein) nicht. Niemand glaubt im Ernst, dass die eine Welt mit der anderen kommunizieren kann.
Im Kontext der MWI ist das aber etwas völlig anderes als im Kontext der ART. Einmal haben wir zwei "Kopien" am selben Ort, ein anderes Mal kausal getrennte Ereignisse an verschiedenen Orten.

Meine einzige Anmerkung war, dass der Begriff "kausal" hier falsch verwendet wird.

TomS
18.09.21, 07:51
Hier ein paar Grafiken, die das Thema der Kausalität im Kontext der Everettschen Quantenmechanik zeigen:

http://www.godel-universe.com/many-worlds/

Betrachtet man einen räumlichen Bereich, in dem bereits eine Verzweigung stattgefunden hat, so erkennt man, dass beide Zweige nicht kausal entkoppelt sind; sie sind jedoch aufgrund der Dekohärenz dynamisch entkoppelt.

Hawkwind
18.09.21, 09:01
Schön und gut, nur ging es um derartige Spitzfindigkeiten (-> vernachlässigbar klein) nicht. Niemand glaubt im Ernst, dass die eine Welt mit der anderen kommunizieren kann.

Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Hinsicht keinen kompletten Konsens in der Literatur gibt: in der Mehrheit findet man deine Meinung, aber ich habe auch schon von "Interferenzen zwischen den Welten" gelesen, ohne wirklich versucht zu haben, es zu verstehen. Z.B. soeben gefunden:
Vaidman: "ON SCHIZOPHRENIC EXPERIENCES OF THE NEUTRON
OR WHY WE SHOULD BELIEVE IN THE MANY-WORLDS INTERPRETATION
OF QUANTUM THEORY"
https://arxiv.org/pdf/quant-ph/9609006.pdf

Klingt ganz lustig und halbwegs verständlich, vielleicht nehme ich mir doch mal etwas Zeit.

Timm
18.09.21, 09:46
Hier ein paar Grafiken, die das Thema der Kausalität im Kontext der Everettschen Quantenmechanik zeigen:

http://www.godel-universe.com/many-worlds/

Betrachtet man einen räumlichen Bereich, in dem bereits eine Verzweigung stattgefunden hat, so erkennt man, dass beide Zweige nicht kausal entkoppelt sind; sie sind jedoch aufgrund der Dekohärenz dynamisch entkoppelt.
Wenn man annimmt, dass AB im Vergangenheitslichtkegel der beiden Zweige 1/2AuB und 1/2AdB liegt, dann ja. Aber ist das so? Der Vergangenheitslichtkegel von Alice's Zweig beginnt mit Alice's Messungen. Die "up" Messung liegt nicht im Vergangenheitslichtkegel der "down" Messung. Dennoch, natürlich ist die Messung selbst die Ursache beider Zweige.

Aber ein Ereignis in einem Zweig liegt nicht im Vergangenheitslichtkegel eines anderen Zweigs. Nur davon hatte ich gesprochen und nur darauf nimmt obiges Zitat Bezug.

TomS
18.09.21, 13:12
Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Hinsicht keinen kompletten Konsens in der Literatur gibt: in der Mehrheit findet man deine Meinung, aber ich habe auch schon von "Interferenzen zwischen den Welten" gelesen, ohne wirklich versucht zu haben, es zu verstehen. Z.B. soeben gefunden …
Der Konsens ist die Dekohärenz, die die Interferenz EXTREM unterdrückt, jedoch nicht exakt auf Null reduziert. Konkrete Modelle und Berechnungen sind aber extrem schwierig, da gibt es sicher Spielraum.

Ihr könnt den Effekt selbst mal ausprobieren: würfelt zwei Zufallsvektoren auf dem N-dim. Einheitskugel und berechnet die Wahrscheinlichkeitsverteilung als Funktion des Zwischenwinkels mit N als Parameter.

TomS
18.09.21, 13:17
Aber ein Ereignis in einem Zweig liegt nicht im Vergangenheitslichtkegel eines anderen Zweigs. Nur davon hatte ich gesprochen und nur darauf nimmt obiges Zitat Bezug.
Das verstehe ich nicht.

Ein Ereignis ist ein Punkt P in der Raumzeit. Wenn P im Zukunftslichtkegel der Messung M liegt, dann liegt bei P eine Zweigstruktur bzgl. M vor; liegt P außerhalb desselben, dann existiert bzgl. M keine Zweigstruktur bei P.

Vereinfacht gesagt ändert die Messung oder generell die Quantenmechanik nichts an der Kausalstruktur der Raumzeit; diese ist fix. D.h. Q ist mit P kausal verbunden (oder nicht verbunden) egal welches quantenmechanische System oder welche Messung du betrachtest.

Timm
18.09.21, 18:55
Das verstehe ich nicht.


Ich deinen Punkt auch nicht.

Liegt ein Ereignis im Zweig A im Vergangenheitslichtkegel eines Zweiges B? Vollständige Dekohärenz (wir sprechen bei den erwähnten Kopien über makroskopische Objekte) vorausgesetzt.

Timm
18.09.21, 19:56
Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Hinsicht keinen kompletten Konsens in der Literatur gibt: in der Mehrheit findet man deine Meinung, aber ich habe auch schon von "Interferenzen zwischen den Welten" gelesen, ohne wirklich versucht zu haben, es zu verstehen. Z.B. soeben gefunden:
Vaidman: "ON SCHIZOPHRENIC EXPERIENCES OF THE NEUTRON
OR WHY WE SHOULD BELIEVE IN THE MANY-WORLDS INTERPRETATION
OF QUANTUM THEORY"
https://arxiv.org/pdf/quant-ph/9609006.pdf

Klingt ganz lustig und halbwegs verständlich, vielleicht nehme ich mir doch mal etwas Zeit.
Danke für den Link, schaue ich mir an. Ich denke Konsens für Kausalität ist, dass die Ursache einer Wirkung in deren Vergangenheitslichtkegel liegt. Wenn das auf die VW zutrifft, müsste im Prinzip ein in der einen Welt emittiertes Photon in einer andern registriert werden können.

TomS
19.09.21, 09:28
Danke für den Link, schaue ich mir an. Ich denke Konsens für Kausalität ist, dass die Ursache einer Wirkung in deren Vergangenheitslichtkegel liegt. Wenn das auf die VW zutrifft, müsste im Prinzip ein in der einen Welt emittiertes Photon in einer andern registriert werden können.
Genau, müsste im Prinzip.

Aber wenn dies erfolgt, liegen keine zwei dekohärenten Zweige vor.

Wenn es dagegen nicht passiert, dann liegt es an der Dekohärenz, da zwei Zweige vorliegen; das hat nichts mit Kausalität zu tun, sondern mit der o.g. Einselection. Kausalität besagt nur, dass es passieren könnte.

sirius
19.09.21, 22:46
"Verschwinden gering" meine ich nicht, wenn ich von den besagten "Kopien" spreche.

https://www.quantamagazine.org/why-the-many-worlds-interpretation-of-quantum-mechanics-has-many-problems-20181018/

Guter Artikel