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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Was ist eine Observable?


Timm
09.01.19, 09:15
Vielleicht müsste man, um einer Antwort ohne Spekulation näher zu kommen, ein paar Grundlagenfragen erörtern, wie z.B. ist die „Zeit“ wirklich real existent, unabhängig von unserer Mathematik (oder allgemeiner: vom menschlichen Bewusstsein).
Es dürfte Übereinstimmung darin geben, daß Zeit keine Observable ist. Wenn man die Schwingungen eines Pendels oder den Fall eines Apfels beobachtet, beobachtet man ein Phänomen, nicht die Zeit. Billigt man einem Phänomen reale Existenz zu, dann gilt das für die Zeit nicht.

Hawkwind
09.01.19, 09:40
Es dürfte Übereinstimmung darin geben, daß Zeit keine Observable ist. ...


Sind das nicht "Vorurteile" aus der pre-relativistischen Ära der Quantenphysik?

Die Spezielle Relativität betont doch die symmetrische Behandlung von Raum und Zeit: es gibt Vierer-Vektoren mit 3 räumlichen und einer zeitichen Komponente. Ich habe das immer als eine Art Widerspruch zur besonderen Stellung der Zeit in der nicht-rel. Quantenmechanik empfunden.

Es gibt anscheinend durchaus Ansätze, die Zeit als Observable zu verstehen:
TIME AS A QUANTUM OBSERVABLE (https://www.worldscientific.com/doi/abs/10.1142/S0217751X0703724X)
kostenloses pdf: https://arxiv.org/ftp/quant-ph/papers/0605/0605069.pdf

TomS
09.01.19, 11:49
Es dürfte Übereinstimmung darin geben, daß Zeit keine Observable ist. Wenn man die Schwingungen eines Pendels oder den Fall eines Apfels beobachtet, beobachtet man ein Phänomen, nicht die Zeit. Billigt man einem Phänomen reale Existenz zu, dann gilt das für die Zeit nicht.
Koordinatenzeit ist zunächst mal keine Observable; dies wird sie dadurch, dass ich sie mit der einer Eigenzeit eines Beobachters identifizieren kann. Die Eigenzeit ist eine Observable, zumindest im formalen Sinn der ART, und sie ist es auch praktisch, so wie Eigenlänge, Frequenz, ...

Die Zeit in der nicht-relativistischen Schrödingergleichung ist formal keine Observable im Sinne der Quantenmechanik, aber das ist eher ein Problem der nicht-relativistischen Quantenmechanik.

Timm
09.01.19, 16:13
Koordinatenzeit ist zunächst mal keine Observable; dies wird sie dadurch, dass ich sie mit der einer Eigenzeit eines Beobachters identifizieren kann. Die Eigenzeit ist eine Observable, zumindest im formalen Sinn der ART, und sie ist es auch praktisch, so wie Eigenlänge, Frequenz, ...
Wenn die Eigenzeit eine Observable ist, sollte sie ein physikalisches Phänomen sein, das wie das Gerinnen von Eiweiß beobachtbar ist. Wenn Zeit selbst ein physikalisches Phänomen ist - unabhängig davon, was gerade passiert - wie würdest du es charakterisieren?

Timm
09.01.19, 16:24
Sind das nicht "Vorurteile" aus der pre-relativistischen Ära der Quantenphysik?

Es gibt anscheinend durchaus Ansätze, die Zeit als Observable zu verstehen:
TIME AS A QUANTUM OBSERVABLE (https://www.worldscientific.com/doi/abs/10.1142/S0217751X0703724X)
kostenloses pdf: https://arxiv.org/ftp/quant-ph/papers/0605/0605069.pdf
Ich schaue mir das an, werde aber vermutlich nicht mitreden können. Meine Überlegungen schließen die QM nicht ein. Ich bin auch nicht sicher, ob es hier wirklich um Physik geht oder vielleicht eher um Definitionen. Was genau ist eine Observable und trifft das auf die “Zeit” zu?

JoAx
10.01.19, 08:21
Ich bin auch nicht sicher, ob es hier wirklich um Physik geht oder vielleicht eher um Definitionen. Was genau ist eine Observable und trifft das auf die “Zeit” zu?
Diselbe Frage könnte man dann auch für "Raum" stellen. Auch Raum erfahren wir nicht "an sich", sondern über Phänomene - (Stab-) Länge bsw. als raumartiges Pendant zur zeitartigen (Schwingungs-) Dauer.

Hawkwind
10.01.19, 09:02
Diselbe Frage könnte man dann auch für "Raum" stellen. Auch Raum erfahren wir nicht "an sich", sondern über Phänomene - (Stab-) Länge bsw. als raumartiges Pendant zur zeitartigen (Schwingungs-) Dauer.

Was erfahren wir denn "an sich": Bauchschmerzen etc.?

Timm
10.01.19, 11:25
Diselbe Frage könnte man dann auch für "Raum" stellen. Auch Raum erfahren wir nicht "an sich", sondern über Phänomene - (Stab-) Länge bsw. als raumartiges Pendant zur zeitartigen (Schwingungs-) Dauer.
Nochmal anders gefragt, wie kann Zeit selbst eine Observable sein, wenn eine Observable eine Funktion eines zeitabhängigen physikalischen Zustands ist?

JoAx
10.01.19, 12:01
wenn eine Observable eine Funktion eines zeitabhängigen physikalischen Zustands ist?
Ist es das immer? Es gibt zeitabhängige und zeitunabhängige Funktionen/Zustände.

Bernhard
10.01.19, 12:28
Nochmal anders gefragt, wie kann Zeit selbst eine Observable sein, wenn eine Observable eine Funktion eines zeitabhängigen physikalischen Zustands ist?
Observable steht erst mal synonym für Messwert. Wenn Du an einer Uhr die Uhrzeit abliest, misst Du in diesem Sinne die Zeit und erhältst auch einen bestimmten Wert.

JoAx
10.01.19, 12:41
Ist vlt. ein interessantes Thema zum Verständnis.

Ist es sinnvoll ausserhalb der QM von Observablen zu reden?

Bernhard
10.01.19, 13:16
Ist es sinnvoll ausserhalb der QM von Observablen zu reden?
Der Begriff Observable wurde im Kernbereich der QM geprägt und damit ist die Verwendung dieses Begriffes eigentlich festgelegt. Innerhalb der QM ist zudem ausreichend genau definiert, was eine Observable ist, d.h. ein hermitescher Operator auf dem Hilbertraum aller möglichen quantenmechanischen Zustände.

Timm
10.01.19, 13:52
Observable steht erst mal synonym für Messwert. Wenn Du an einer Uhr die Uhrzeit abliest, misst Du in diesem Sinne die Zeit und erhältst auch einen bestimmten Wert.
Der Begriff “Messwert” scheint hier womöglich nicht hinreichend.

Wikipedia schreibt hierzu:

In physics, an observable is a physical quantity that can be measured. Examples include position and momentum. In systems governed by classical mechanics, it is a real-valued function on the set of all possible system states.
Trifft Letzteres auf “Zeit” zu?

Vorschlag: Diskussion ab “Observable” in den neuen thread verfrachten.

JoAx
10.01.19, 14:07
Erledigt...

Timm
10.01.19, 15:38
Ich denke schlicht und einfach, daß eine Observable die messbare Eigenschaft eines Systems bezeichnet. Je nach dessen Zustand misst man unterschiedliche Werte der Observablen. Andere Observable bezeichnen Eigenschaften anderer Systeme. In diesem Sinne ist Zeit keine Observable, denn sie bezeichnet nicht irgendein System und verstreicht unabhängig davon, ob man gerade irgendein System misst oder nicht.

TomS
10.01.19, 20:24
Die Begriffe werden oft nicht sauber definiert.

1) Eine Observable O ist zunächst mal eine real messbare Größe.

2) Im Kontext einer bestimmten Theorie entspricht dieser Observablen dann ein mathematisches Objekt O. Oft wird für dieses mathematische Objekt ebenfalls der Begriff „Observable“ verwendet, aber das ist letztlich unsauber.

(1) ist unabhängig von der konkreten Theorie, (2) dagegen nicht.

Im Rahmen der QM entspricht (2) einem selbstadjungierten und eichinvarianten Operator O. Dabei sagt einem das mathematische Objekt O nichts darüber, ob und wie eine Messmethode für O angegeben werden kann bzw. genaunfunktioniert. Es ist nicht mal klar, ob zu jedem O auch ein zugehöriges O existiert. Das „eichinvariant“ wird gerne vergessen! Z.B. ist das elektromagnetische Viererpotential A in der QED zwar ein selbstadjungierter Operator, jedoch nicht eichinvariant. Eichinvariant wäre nach Eichfixierung F ein Objekt A / U(1) = [A], was einem Schnitt G[A] = 0 einer Faser in einem U(1) Faserbündel entspricht. Dieses [A] könnte nun ein reales [A] repräsentieren, wobei ich keine Messmethode dafür kenne.

Im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie werden keine Operatoren verwendet. Allerdings weist die Theorie eine vergleichbare Symmetrie auf; es handelt es sich um die Diffeomorphismeninvarianz Diff(M) auf einer pseudo-Riemannschen Mannigfaltigkeit (M,g); [g] steht für die Metrik. Konkret können auf (M,g) überabzählbar viele Koordinatensysteme bzw. sogenannte Karten definiert werden. Eine Karte ist eine Abbildung φ : U ⊂ M → X ⊂ R wobei allen Punkten P aus einer Teilmenge U ⊂ M entsprechende Koordinaten x(P) in einer Teilmenge X ⊂ R (steht vier den 4-dim. Raum über den reellen Zahlen) zugeordnet werden. Die Diffeomorphismeninvarianz besagt insbs., dass es physikalisch irrelevant ist, welche Karten bzw. Abbildungen φ und damit welche Koordinaten x(P) verwendet werden.

Beispiel: die Koordinaten x(P) = (1, 7, 8, -3) haben für sich betrachtet keine physikalische Bedeutung; aber der Raumzeitpunkt P = „der Raumzeitpunkt, an dem die Mondlandefähre zuerst die Mondoberfläche berührt hat“ sind physikalisch relevant.

Der Eichsymmetrie von oben entsprechen Diffeomorphismen (https://en.m.wikipedia.org/wiki/Diffeomorphism) f, die sozusagen zwischen zwei Karten bzw. Koordinatensystemen f : X ⊂ R → X‘ ⊂ R transformieren. Konkret entspricht dies einer Funktion, die den alten Koordinaten die neuen Koordinaten gemäß x’ = f(x) zuordnet.

Ein mathematisches Objekt O zu einer Observablen O ist nun eine Größe, die invariant unter Diffeomorphismen ist. Aus den beiden Ereignissen bzw. Raumzeitpunkten P = „der Raumzeitpunkt, an dem die Mondlandefähre zuerst die Mondoberfläche berührt hat“ und Q = „der Raumzeitpunkt, an dem die Mondlandefähre zuletzt die Mondoberfläche berührt hat“ lässt sich die Observable T = „die Eigenzeit, die auf der Mondlandefähre zwischen Landung und Start vergangen ist“ ableiten und dafür eine entsprechende mathematische Größe definieren. Eine simple Differenz von Koordinaten ist dagegen i.A. physikalisch bedeutungslos, denn Koordinaten sind i.A. reine Rechengrößen. Allerdings können Koordinatensysteme so konstruiert werden, dass sie den Ruhesystemen beliebig bewegter Beobachter entsprechen. In diesem speziellen Fall entspricht die Koordinatenzeit dann gerade der Eigenzeit.

Ein weiteres Beispiel wären Impuls oder Frequenz. Der Vierervektor p eines Teilchens entspricht keiner Observablen; die Projektion (u₁, p) des Vierervektors p auf die Vierergeschwindigkeit u₁ eines Beobachters B₁ entspricht der Observablen “dem Impuls des Teilchens, den der Beobachter B₁ in seinem Ruhesystem misst“. Für die Frequenz funktioniert das analog. Man beachte, dass der Überhang zu einem anderen Beobachter B₂ kein Diffeomorphismus ist sondern tatsächlich eine andere Observable mit anderem Messwert und einem anderen mathematischen Ausdruck (u₂, p) erzeugt. Ein Diffeomorphismus f : u → u‘, p → p‘ ändert dagegen nichts an den Beobachtern und Messwerten; es gilt f : (u₁, p) → (u’₁, p‘) = (u₁, p), wobei sich die mathematischen Objekte u, p ändern, nicht jedoch die Invariante (u₁, p).

soon
10.01.19, 21:41
1) Eine Observable O ist zunächst mal eine real messbare Größe.

(1) ist unabhängig von der konkreten Theorie


Das kann ich mir nicht vorstellen. Sobald ich etwas messen, oder noch einfacher - abzählen kann, habe ich ein konkretes Modell.

Anders herum ja, ich kann mir eine Theorie z.B. zu dunkler Materie ausdenken ohne konkret etwas messen zu können.

Messen oder 'abzählen können', hingegen, bedingt eine Wiederholung, eine Wiederkehr erwarteter Ereignisse und das geht nicht ohne eine Modellvorstellung, imho.

Hawkwind
10.01.19, 22:04
In der Quantenmechanik sind offenbar solche Größen Observablen, deren Operatoren selbstadjungiert sind. Die Probleme, die Zeit als Observable aufzufassen, haben wohl auch damit zu tun, dass der Zeit-Operator zwar hermitesch, aber nicht selbstadjungiert sei. Es gibt offenbar ein entsprechendes Theorem von Pauli aus dem Jahr 1958:
Pauli, W. (1958). Die allgemeinen Prinzipien der Wellenmechanik, Hanbuck der Physik, edited by S.Flügge, vol. V/1, p.60, Springer Verlag, Berlin.


In folgendem Papier
R.Giannitrapani: "Positive-operator-valued time observable in quantum mechanics", International Journal of Theoretical Physics, 1997, Vol 36, Issue 7, pp 1575–1584
https://arxiv.org/pdf/quant-ph/9611015.pdf

wird das entsprechende Theorem von Pauli erklärt:

Theorem 1 (Pauli) Given an observable (time) T with the following commutation relation with the hamiltonian
[H,T] = -i
then T cannot be a self-adjoint operator.


Das verlinkte Papier wird mir dann leider etwas zu formal und theoretisch.

Für mich waren - ehrlich gesagt - "selbstadjungiert" und "hermitesch" bislang Synonyme.

Bernhard
10.01.19, 22:31
Für mich waren - ehrlich gesagt - "selbstadjungiert" und "hermitesch" bislang Synonyme.
Siehe dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermitescher_Operator#Hermitescher_Operator . Der erste Satz dieses Abschnittes trifft es doch ganz gut.

Hawkwind
10.01.19, 22:54
Siehe dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermitescher_Operator#Hermitescher_Operator . Der erste Satz dieses Abschnittes trifft es doch ganz gut.

??? Der erste Satz besagt im wesentlichen, dass selbstadjungiert und hermitesch dasselbe sind, oder was meinst du?

TomS
11.01.19, 00:47
Das kann ich mir nicht vorstellen. Sobald ich etwas messen, oder noch einfacher - abzählen kann, habe ich ein konkretes Modell.
Evtl. habe ich das etwas zu drastisch formuliert.

Was ich meine ist folgendes: Betrachten wir den Drehimpuls. Dieser ist in der klassischen Mechanik als Vektor definiert, in der Quantenmechanik als Operator, in der RT als Volumenintegral über Felder, ... Gemessen wird aber immer eine Rotation oder ein Drehmoment; und das ist völlig unabhängig von der Definition.

Man kann also sagen, dass es soetwas sie eine Observable „Drehimpuls“ gibt, die in unterschiedlichen Theorien mathematisch unterschiedlich definiert wird, jedoch nicht unbedingt unterschiedlich gemessen.

TomS
11.01.19, 00:56
Siehe dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermitescher_Operator#Hermitescher_Operator . Der erste Satz dieses Abschnittes trifft es doch ganz gut.
Der Artikel ist m.E. gruselig!

Stattdessen:

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Self-adjoint_operator

Subtleties of the unbounded case
In many applications, we are led to consider operators that are unbounded; examples include the position, momentum, and Hamiltonian operators in quantum mechanics, as well as many differential operators. In the unbounded case, there are a number of subtle technical issues that have to be dealt with. In particular, there is a crucial distinction between operators that are merely symmetric (defined in this section) and those that are self-adjoint (defined in the next section). In the case of differential operators defined on bounded domains, these technical issues have to do with making an appropriate choice of boundary conditions ...

In the physics literature, the term Hermitian is used in place of the term symmetric. It should be noted, however, that the physics literature generally glosses over the distinction between operators that are merely symmetric and operators that are actually self-adjoint ...

Although the notion of a symmetric operator is easy to understand, it is not the "right" notion in the unbounded case. Specifically, the spectral theorem applies only to operators that are self-adjoint and not to operators that are merely symmetric. In particular, although the eigenvalues of a symmetric operator are necessarily real, a symmetric operator need not have any eigenvectors, let alone an orthonormal basis of them.

Bernhard
11.01.19, 08:03
Der Artikel ist m.E. gruselig!
In gewisser Weise trifft das auf die ganze WP zu.

Ich
11.01.19, 08:47
die Projektion (u₁, p) des Vierervektors p auf die Vierergeschwindigkeit u₁ eines Beobachters B₁ entspricht der Observablen “dem Impuls des Teilchens, den der Beobachter B₁ in seinem Ruhesystem misst“.Das wäre p-(u₁, p). u₁·p ist die Energie.

TomS
11.01.19, 18:59
Danke für die Richtigstellung- ich werd‘s noch korrigieren