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zeitgenosse
19.05.07, 21:36
Wem sagt die folgende Gleichung etwas?

∆v = c * ln(m_o/m_b)

In der Literatur findet sich auch folgende Schreibweise:

v(t) = v_g * ln(m_o/m(t))

Der Klammerausdruck wird gelegentlich als Massenquotient bezeichnet.

Die Gleichung wurde 1903 von einem nahezu tauben und visionären Autodidakten, Mathematiklehrer und Schriftsteller publiziert. Sie besitzt eine enorme Bedeutung für einen bestimmten Zweig der Hochtechnologie.

Gr. zg

Marco Polo
20.05.07, 01:16
Wem sagt die folgende Gleichung etwas?

∆v = c * ln(m_o/m_b)

In der Literatur findet sich auch folgende Schreibweise:

v(t) = v_g * ln(m_o/m(t))

Hallo zeitgenosse,

es handelt sich um die Raketengleichung von Konstantin Ziolkowski. Sie gilt allerdings nur für Geschwindigkeiten << c.

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
20.05.07, 12:20
es handelt sich um die Raketengleichung von Konstantin Ziolkowski. Sie gilt allerdings nur für Geschwindigkeiten << c.

Völlig richtig (Hut ab)! Wie bist du darauf gekommen?

Dass die Gleichung nur für Geschwindigkeiten << c gilt, macht nichts; denn mir ist derzeit kein technisches Raumgefährt bekannt, welches sich in die Nähe von c beschleunigt.

Zum Umfeld der Gleichung (und darum geht es mir eigentlich):

Ziolkowski hat um das Jahr 1903 die obige Raketengrundgleichung entwickelt. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Seine letzten Publikationen waren "Album der kosmischen Reisen" (1932) und "Die höchste Geschwindigkeit bei Raketen" (1935). Er dachte bereits an Mehrstufenraketen. Die Realisierung seiner Ideen erblickte er aber nicht mehr.

Ein Obelisk in Kaluga erinnert an diesen Visionär. Darauf finden sich die hehren Worte:

"Die Menschheit wird nicht ewig auf der Erde bleiben!"

Hohmann hat 1925 den Übergang von einer Kreisbahn in eine andere unter dem Aspekt der minimalen Energie berechnet. Die Hohmann-Transferbahn ist jene Ellipse, welche sich tangential an die die beiden Kreisbahnen anschmiegt.

Oberth übte durch seine zwei Bücher "Die Rakete zu den Planetenräumen" (1923) und "Die Wege zur Raumschiffahrt" (1929) einen grossen Einfluss auf die kommende Generation aus. Im selben Jahr führte er erste und erfolgreiche Versuche mit der "Kegeldüse" durch.

Ziolkowski, Hohmann und Oberth befassten sich mehr mit den theoretischen Aspekten der Raumfahrt, während Goddard, Paulet (liquid-fueled rocket engine), Winkler, v. Braun (V2, Mercury, Gemini, Apollo), Sänger (Hochdruckbrennkammern, Ramjet, Raumfähre), Stuhlinger, Gröttrup, Thiel und viele andere sich vorwiegend den technischen Aspekten zuwandten. Aber so scharf lässt sich das Ganze nicht trennen. Goddard besass 214 Patente. Er entwickelte und testete Raketen mit Flüssigtreibstoff.

Interessant ist, dass die phantasievolle Literatur des 19. Jahrhunderts einen nicht unbedeutenden Einfluss auf manche dieser Pioniere ausübte. Oberth wurde durch Jules Vernes Bücher "Von der Erde zum Mond" und "Reise um den Mond" angeregt. Bei Sänger war es der Roman "Auf zwei Planeten" von Kurd Laßwitz. Als Fritz Lang seinen Stummfilm "Frau im Mond" drehte, wurde er von Oberth beraten.

Viele der späteren Rakteningenieure in White Sands waren in die USA "emigrierte" Deutsche (Operation Paperclip). Man darf ohne Übertreibung sagen: Ohne deutsche Wissenschaftler wäre es nicht zum Mondflug von 1969 gekommen. Aber wirklich begonnen hatte alles mit der Ziolkowski-Raketengleichung.

Gr. zg

MCD
20.05.07, 19:59
Völlig richtig (Hut ab)! Wie bist du darauf gekommen?


Ohne das Fachwissen Marco Polos in Frage stellen zu wollen, aber alternativ hätte auch der Hinweis auf den "Massenquotienten" in Kombination mit einer Suchmaschine (google o.ä.) ausgereicht, um den "gordischen Knoten" zu lösen... Hut ab :D

Gr.
MCD

Marco Polo
20.05.07, 20:40
Völlig richtig (Hut ab)! Wie bist du darauf gekommen?


Na ja, das war nicht sonderlich schwer, da ich die Formel kannte. Die Raumfahrt war das Steckenpferd meines damaligen Physikprofessors.

Er hatte immer gerne Aufgaben zu diesem Thema in die Klausuren eingeflochten. Über den Impulserhaltungssatz kommt man dann zur
Raketengleichung.

Das die aber überhaupt "Raketengleichung" heisst und von "Konstantin Ziolkowski" ist, musste ich mir auch erst ergoogeln.

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
20.05.07, 22:17
aber alternativ hätte auch der Hinweis auf den "Massenquotienten" in Kombination mit einer Suchmaschine (google o.ä.) ausgereicht, um den "gordischen Knoten" zu lösen

Ganz richtig. Ich habe bewusst ein paar Hinweise eingestreut, um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren.

Gr. zg

zeitgenosse
20.05.07, 23:52
Über den Impulserhaltungssatz kommt man dann zur Raketengleichung.

Nun aber konkret. Die Raketengleichung ist das eine, Vis-Viva (Energiegleichung) das zweite:

E_kin + E_pot = const. --> (1/2)v^2 - my/r = eps = const.
{Koeffizient my := (G*M)}

Für eine Keplerellipse mit grosser Halbachse a gilt: v^2 = my((2/r) - (1/a))

Für eine Kreisbahn gilt: v = sqrt(my/r)

Nun soll von einer niedrigeren Kreisbahn auf eine geostationäre Bahn (GEO) gewechselt werden (Hohmann-Transfer). Welche Schubmanöver sind dazu sinnvoll?

Gr. zg

Marco Polo
21.05.07, 02:53
Nun aber konkret. Die Raketengleichung ist das eine, Vis-Viva (Energiegleichung) das zweite:

E_kin + E_pot = const. --> (1/2)v^2 - my/r = eps = const.
{Koeffizient my := (G*M)}

Für eine Keplerellipse mit grosser Halbachse a gilt: v^2 = my((2/r) - (1/a))

Für eine Kreisbahn gilt: v = sqrt(my/r)

Nun soll von einer niedrigeren Kreisbahn auf eine geostationäre Bahn (GEO) gewechselt werden (Hohmann-Transfer). Welche Schubmanöver sind dazu sinnvoll?

Das ist ein sehr interessantes Gebiet. Wusste gar nicht, dass die GEO eine Bahnneigung zum Äquator von 0° hat und immer kreisförmig ist. Aber wenn man das weiss, weiss man auch, warum viele Satelliten genau auf diese Bahn geschossen werden.

Da Satelliten auf dieser Bahn die gleiche Winkelgeschwindigkeit wie die Erde haben, kann man z.B. bei einem Kommunikationssatelliten eine Antenne auf der Erde fest auf diesen ausrichten.

Zum Hohmann-Transfer zwei interessante Links:

http://www.bernd-leitenberger.de/orbits.shtml

http://www.de.wikipedia.org/wiki/hohmannbahn

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
21.05.07, 15:54
Die Hohmann-Transferbahn ist Teil einer Ellipse, welche sich an die zwei Kreisorbitale anschmiegt.

Deshalb werden prinzipiell zwei Schubmanöver benötigt, um den Satelliten auf die höhere Umlaufbahn zu bringen:

Zunächst wird im Perigäum auf die Keplerellipse eingeschwenkt (1. Schubmanöver); danach wird im Apogäum die Bahngeschwindigkeit nochmals verändert (2. Schubmanöver), um auf den GEO zu gelangen.

Es sind somit zwei Geschwindigkeitsänderungen nötig, um von der einen Kreisbahn auf die andere zu gelangen:

1) delta v1 (Kreisbahn --> Ellipse) := v_per - v_circ_1

2) delta v2 (Ellipse --> GEO) := v_cir_2 - v_apo

Mit den im Vorbeitrag angegebenen Gleichungen können Kreisbahngeschwindigkeit wie Momentangeschwindigkeit auf der Keplerellipse (im Apogäum und Perigäum) berechnet werden, wenn der entsprechende Bahnradius bekannt ist. Ein passendes Zahlenbeispiel findet sich im Wiki-Link "Hohmannbahn".

Gr. zg

Marco Polo
21.05.07, 18:35
Zunächst wird im Perigäum auf die Keplerellipse eingeschwenkt (1. Schubmanöver); danach wird im Apogäum die Bahngeschwindigkeit nochmals verändert (2. Schubmanöver), um auf den GEO zu gelangen.

Es sind somit zwei Geschwindigkeitsänderungen nötig, um von der einen Kreisbahn auf die andere zu gelangen:

1) delta v1 (Kreisbahn --> Ellipse) := v_per - v_circ_1

2) delta v2 (Ellipse --> GEO) := v_cir_2 - v_apo

Genau. Auf der Wikiseite ist sehr schön zu sehen, wie sich die Keplerellipse im Perigäum und Apogäum an die beiden Kreisbahnen anschmiegt.
Die beiden Schubmanöver finden wie bereits erwähnt an diesen beiden Punkten statt.

Jetzt haben wir ja bei der GEO eine Inklination von 0 Grad. Welche Manöver wären denn jetzt nötig um eine Inklination von 90 Grad zu erreichen, der Satellit also die Pole überfliegen soll?

Natürlich wäre es am günstigsten, direkt mit der entsprechenden Inklination zu starten, wie bei unserem Ausgangsbeispiel. Dennoch würde mich interessieren, welche Manöver nötig sind um den Inklinationswinkel zu ändern und wie man diese berechnet.

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
21.05.07, 22:11
Jetzt haben wir ja bei der GEO eine Inklination von 0 Grad. Welche Manöver wären denn jetzt nötig um eine Inklination von 90 Grad zu erreichen, der Satellit also die Pole überfliegen soll?

GEO (rund 36'000 km Höhe über Aequator) ist für Telekommunikationssatelliten von grossem Vorteil. Erderkundungssatelliten hingegen bewegen sich oft im SSO (700 - 1000 km Höhe), also auf polnahen Umlaufbahnen mit einer Inklination von etwas mehr als 90°. Sie laufen deshalb leicht rückwärts.

Anm.: Unregelmässigkeiten des Erdkörpers verursachen immer Bahnstörungen, die korrigiert werden müssen.

Eine Pol-zu-Pol-Umlaufbahn in 250 x 900 km Höhe bspw. kostet bis zur Erreichung des Orbits einiges an Treibstoff (denke ich zumindest). Mit Vorteil startet man ja auf der geographischen Breite in Richtung Ost, wobei in nördlicher oder südlicher Richtung die Inklination korrigiert werden kann.

Zunächst muss der Satellit auf seiner Aufstiegsbahn eine Mindesthöhe erreichen, um nicht durch die oberen Atmosphärenschichten abgebremst zu werden und schliesslich entlang einer Abwärtsspirale zu verglühen. Der Verlauf des Aufstieges ist deshalb zuerst ziemlich vertikal, um dann in die Horizontale und schliesslich in eine Umlaufbahn überzugehen.

Nun aber soll die Inklination eines im "Clarke Belt" umlaufenden Satelliten derart angehoben werden, dass ein Polüberflieger resultiert. Der Winkel, um den sich die Inklination dabei verändert, beträgt also 90° bzw. pi/2.

Die dazu nötige Geschwindigkeitsdifferenz berechnet sich zu:

∆ v = 2 * v_geo * sin(phi/2) = sqrt(2) * 3,1 km/s = 4,4 km/s

Dies entspricht einer Inklinationsänderung mit starkem Impulsmanöver:

- Bahnenergie bliebt konstant.
- Bahnform (Kreisbahn) bleibt erhalten.
- Schubimpulse normal zum Geschwindigkeitsvektor und zur Bahnebene (v x r || F).

Für den vorliegenden Sonderfall einer zu erzielenden Polarbahn gleicher Höhe resultiert im "Geschwindigkeitsdreieck" ein |∆ v| von sqrt(v1^2 + v2^2).

Infolge der konstant bleibenden Orbitalgeschwindigkeit |v1| = |v2| somit:

|∆ v| = sqrt(2) * v_geo = 1,41 * v_geo

{Vergessen wir somit eine DGL :D , es geht auch einfacher vektoriell.}

Bei einem schubschwachen und kontinuierlichen Bahnmanöver hingegen verschlechtert sich die Geschwindigkeitsbilanz jedoch etwas wegen:

|∆ v| = v_geo * delta phi ; phi in [rad] = pi/2 --> |∆ v| = 1,57 * v_geo

Auf die diesbezüglichen Zwischenrechnungen wird hier gerne verzichtet.

Gr. zg

Marco Polo
21.05.07, 22:28
GEO (rund 36'000 km Höhe über Aequator) ist für Telekommunikationssatelliten von grossem Vorteil. Erderkundungssatelliten hingegen bewegen sich oft im SSO (700 - 1000 km Höhe), also auf polnahen Umlaufbahnen mit einer Inklination von etwas mehr als 90°. Sie laufen deshalb leicht rückwärts.

Hallo Zeitgenosse,

danke für die Aufklärung und auch für die Berechnung.
Das Telekommunikationssatelliten am besten auf eine geostationären Umlaufbahn geschosen werden ist nachvollziehbar.

Es ist auch logisch, dass sich der Abschussort möglichst in der Nähe des Äquators (Inklination 0 Grad) befinden sollte. Es gibt da ja glaube ich eine Abschussrampe auf dem Meer.

Weisst du, wie in der Praxis bei Wettersatelliten (SSO) vorgegangen wird?

Werden die auch zuerst auf GEO geschossen und nachträglich die Inklination entsprechend geändert, was wahrscheinlich recht viel Treibstoff verbraucht, oder schiesst man diese direkt mit der entsprechenden Inklination ab, was allerdings den Vorteil der Erdumdrehung, wie beim GEO-Abschuss nehmen würde.

Was ist da bezüglich des Treibstoffverbrauches günstiger?

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
22.05.07, 00:52
@ Marco Polo

Neben den erwähnten Hohmann-Uebergängen (Zwei-Impuls-Manöver) werden zur Erreichung eines höheren Orbitals auch Drei-Impuls-Uebergänge (bi-elliptischer Transfer) durchgeführt, weil für grosse r2/r1 Verhältnisse (mit r2 --> oo) günstiger als der Hohmann-Transfer:

1) Erster Schub auf der niedrigeren Kreisbahn --> 1. Uebergangsellipse (ε ≈ 0, parabolische Bahn)

2) Zweiter Schub im Apogäum --> 2. Uebergangsellipse (v ≈ 0, parabolische Bahn)

3) Dritter Schub mit Verzögerung auf Kreisbahngeschwindigkeit --> Einschwenken auf neue Kreisbahn mit v = sqrt(μ/r2)

Im Manöver 2) kann dadurch mit sehr kleinem ∆v-Aufwand auch die Inklination verändert oder sogar eine retrograde Bahn erzielt werden.

Ferner werden als Orbitalübergang gelegentlich auch Aufwärtsspiralen (Manöver mit kleinem konstanten Schub) angewandt. Der Raketenmotor wird in Flugrichtung gezündet. Daraus resultiert eine sich aufweitende Spiralbahn. Der Antriebsbedarf ∆v ist in diesem Fall gleich der Differenz der beiden Kreisbahngeschwindigkeiten. Der Schub erhöht nur die potentielle Energie (E_kin = const).

Im Unterschied zum Hohmann-Transfer ist die Aufwärtsspirale energetisch ungünstiger (zudem ist die Transferzeit länger), hat aber infolge des geringen Schubes den Vorteil, dass elektrische Triebwerke eingesetzt werden können (dadurch Treibstoffersparnis). Ein Beispiel dazu ist die ESA-Sonde SMART 1, die mit einem Hall-Ionentriebwerk arbeitet. Ausgangsbahn ist ein Kreisorbit mit 400 km und einer Kreisbahngeschwindigkeit von 7'673 m/s.

I) Nützliche Links zum Thema "Orbitalmechanik":

- http://www.sat-steve.de/physik.htm

- http://www.braeunig.us/space/orbmech.htm

II) Nützliche Books zum Thema Raumfahrt:

Messerschmid/Fasoulas:
Raumfahrtsysteme. Eine Einführung mit Übungen und Lösungen
Springer

Steiner/Schagerl:
Raumflugmechanik. Dynamik und Steuerung von Raumfahrzeugen
Springer

Gr. zg

Marco Polo
22.05.07, 01:02
Neben den erwähnten Hohmann-Uebergängen (Zwei-Impuls-Manöver) werden zur Erreichung eines höheren Orbitals auch Drei-Impuls-Uebergänge (bi-elliptischer Transfer) durchgeführt, weil für grosse r2/r1 Verhältnisse (mit r2 --> oo) günstiger als der Hohmann-Transfer:

1) Erster Schub auf der niedrigeren Kreisbahn --> 1. Uebergangsellipse (ε ≈ 0, parabolische Bahn)

2) Zweiter Schub im Apogäum --> 2. Uebergangsellipse (v ≈ 0, parabolische Bahn)

3) Dritter Schub mit Verzögerung auf Kreisbahngeschwindigkeit --> Einschwenken auf neue Kreisbahn mit v = sqrt(μ/r2)

Im Manöver 2) kann dadurch mit sehr kleinem ∆v-Aufwand auch die Inklination verändert oder sogar eine retrograde Bahn erzielt werden.

Ferner werden als Orbitalübergang gelegentlich auch Aufwärtsspiralen (Manöver mit kleinem konstanten Schub) angewandt. Der Raketenmotor wird in Flugrichtung gezündet. Daraus resultiert eine sich aufweitende Spiralbahn. Der Antriebsbedarf ∆v ist in diesem Fall gleich der Differenz der beiden Kreisbahngeschwindigkeiten. Der Schub erhöht nur die potentielle Energie (E_kin = const).

Im Unterschied zum Hohmann-Transfer ist die Aufwärtsspirale energetisch ungünstiger (zudem ist die Transferzeit länger), hat aber infolge des geringen Schubes den Vorteil, dass elektrische Triebwerke eingesetzt werden können (dadurch Treibstoffersparnis). Ein Beispiel dazu ist die ESA-Sonde SMART 1, die mit einem Hall-Ionentriebwerk arbeitet. Ausgangsbahn ist ein Kreisorbit mit 400 km und einer Kreisbahngeschwindigkeit von 7'673 m/s.

I) Nützliche Links zum Thema "Orbitalmechanik":

- http://www.sat-steve.de/physik.htm

- http://www.braeunig.us/space/orbmech.htm

II) Nützliche Books zum Thema Raumfahrt:

Messerschmid/Fasoulas:
Raumfahrtsysteme. Eine Einführung mit Übungen und Lösungen
Springer

Steiner/Schagerl:
Raumflugmechanik. Dynamik und Steuerung von Raumfahrzeugen
Springer

Vielen Dank, da habe ich ja erst mal genug Lesestuff.

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
22.05.07, 22:54
Nun muss es nicht immer eine Grössengleichung (wie die Ziolkowski-Gleichung) sein. Auch das Erkennen einer Funktion - und der damit verbundenen Problemstellung - ist für uns von Nutzen, z.B.:

y(x) = a * ln(a + sqrt(a^2 - x^2)/x) - sqrt(a^2 - x^2)

Was könnte das sein?

Die Problematik soll übrigens auf Claude Perrault zurückgehen.

Gr. zg

zeitgenosse
23.05.07, 23:18
Es gab da diese Geschichte um eine silberne Taschenuhr und eine Schleppkurve...

Leibniz nun - genial wie er war - (im Einfachen liegt die Genialität keimartig verborgen) zog die an einer Kette befestigte Taschenuhr an einer Tischkante entlang derart, dass die Kettenlinie zunächst senkrecht zur Kante auf dem Tisch lag. Die dadurch sich ergebende Kurve heisst "Schleppkurve":

http://www.fh-lueneburg.de/u1/gym03/expo/jonatur/wissen/mathe/kurven/traktrix.htm

Die Zugkette nun ist zur Schleppkurve immer tangential. Damit erhalten wir die Gleichung:

y' = - sqrt(a^2 - x^2)/x

Offensichtlich ist dies eine extrem einfache Differentialgleichung der gesuchten Funktion. Die elementare Integralrechnung lehrt uns ferner, dass alle Funktionen

y(x) := [- Int (sqrt(a^2 - x^2/x) dx + C] dieser DGL genügen.

Integration ergibt:

y(x) := a * ln(a + sqrt(a^2 - x^2)/x) - sqrt(a^2 - x^2) + C

Wegen der Anfangsbedingung y(a) = 0 muss auch die Konstante C = 0 sein.

Somit erhalten wir die Gleichung der Leibniz'schen Traktrix:

y(x) = a * ln(a + sqrt(a^2 - x^2)/x) - sqrt(a^2 - x^2)

Damit betritt man das Gebiet der nicht-algebraischen Kurven. Algebraische Kurven sind simpel gesagt Kurven, die sich durch ein Polynom ausdrücken lassen. Sie lassen sich ggf. auch mit Zirkel und Lineal konstruieren. Nicht-algebraische Kurven hingegen sind transzendenter Natur.

Lässt man die Traktrix um die y-Achse rotieren, entsteht eine Pseudosphäre (also ein Körper mit konstanter negativer Krümmung). Ein Gebiet der nichteuklidischen Geometrie übrigens.

Interessant ist zudem, dass die "Evolute" (Krümmungsmittelpunktskurve) der Traktrix auch ihre "Enveloppe" (Hüllkurve) ist. Als Ausgangskurve wiederum ist die Traktrix selbst eine "Evolvente" (Abwicklungkurve) der Evolute.

Kurven übrigens müssen nicht in jedem Punkt differenzierbar sein. Es gibt sogar solche, die zwar überall stetig, aber nirgends differenzierbar sind wie die Koch-Kurve (Koch'sche Schneeflocke). Damit betritt man aber die Gallerie der mathematischen Monster!

Noch weitere Kurven sind im Nexus der Traktrix zu diskutieren. Sie spielen in der Physik (Kinematik, Himmelsmechanik, Prinzip der minimalen Wirkung) eine bestimmte Rolle.

Gr. zg

Marco Polo
23.05.07, 23:51
Nun muss es nicht immer eine Grössengleichung (wie die Ziolkowski-Gleichung) sein. Auch das Erkennen einer Funktion - und der damit verbundenen Problemstellung - ist für uns von Nutzen, z.B.:

y(x) = a * ln(a + sqrt(a^2 - x^2)/x) - sqrt(a^2 - x^2)

Was könnte das sein?

Die Problematik soll übrigens auf Claude Perrault zurückgehen.

Gr. zg

Ha, mit deinem Schleppkurven-Hinweis habe ich was gefunden.

http://de.wikipedia.org/wiki/traktrix

Kann ich mir darauf jetzt etwa was einbilden? Nö. :)

Grüssle,

Marco Polo

zeitgenosse
24.05.07, 00:23
Kann ich mir darauf jetzt etwa was einbilden?

Nur, wenn du es "schnallst".

Siehe den modifizierten Beitrag:

http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?p=882#poststop

Gr. zg

zeitgenosse
26.05.07, 02:54
Abschliessend zu der behandelten Funktionsgleichung der Traktrix möchte ich noch zwei weitere Kurven erwähnen, die in der Mechanik eine gewisse Bedeutung besitzen: Zykloide und Kettenlinie.

Eine Zykloide (Rollkreis) entsteht beim Abrollen eines Kreises, wenn dabei der Weg eines fixen Punktes auf dem Kreisumfang beobachtet wird (mit der Zykloide assoziiert ist auch die Brachistochrone, dazu später mehr):

http://www.geogebra.org/de/upload/files/dynamische_arbeitsblaetter/lwolf/zykloiden/zykloiden.html

Die (gemeine) Zykloide schreibt sich in Parameterdarstellung und Radiantmaß (b = Bogenlänge) als:

x = r(b - sin b) | y = r(1 - cos b)

Diese Kurve spielt in der angewandten Wissenschaft eine historische Rolle (obwohl zunehmends in Vergessenheit geraten). So hat bereits Huygens ein Zykloidenpendel gebaut. Damit lässt sich eine "tautochrone Bewegung" realisieren. Die Tautochrone ist Teil der Zykloide:

http://schulen.eduhi.at/riedgym/physik/unterhaltsam/zykloide/tautochronie.htm

Ein Massenpunkt, der sich allein unter dem Einfluss der Schwerkraft und reibungslos bewegt, gelangt auf der Tautochrone immer in derselben Zeit zum tiefsten Punkt - unabhängig davon, wo der Startpunkt gewählt wird.

Mit Erstaunen habe ich gelesen, dass Melville in seinem literarischen Vermächtnis "Moby Dick" die Tautochroneneigenschaft der Zykloide erwähnt:

Auch für tiefsinnige mathematische Überlegungen ist dies der rechte Platz. Es war im linken Trankessel der "Pequod", wo mir, während ich emsig mit dem Seifenstein im Kreise herumfuhr, die bemerkenswerte Tatsache zum Bewußtsein kam, daß in der Geometrie alle Körper, die an einer Zykloide entlanggleiten, wie zum Beispiel mein Seifenstein, von jedem Punkt aus in der gleichen Zeit unten ankommen.

Bei Huygens ging es um die Frage, bei welcher Kurvenform die Schwingungsdauer unabhängig vom Auslenkwinkel wird. Huygens Zykloidenpendel war technisch aber nicht ausgereift. Erst 1839 baute der österreichische Ingenieur Stampfer in Lemberg eine Uhr mit funktionstüchtigem Zykloidenpendel (siehe Greiner, Theoretische Physik, Mechanik).

Zykloidenbögen werden auch für die Zahnflanken von Zahnrädern von Uhren verwendet (anstelle der sonst im Maschinenbau verwendeten Evolventen-Verzahnung):

http://www.schmuckunduhren.de/technik/zykloide.shtml

Fortsetzung folgt.

Gr. zg

zeitgenosse
27.05.07, 22:52
Nach der Tautochrone, soll auch die Brachistochrone (Kurve kürzester Fallzeit) nicht unerwähnt bleiben. Dazu gab es im im Jahre 1696 eine berühmte Aufgabenstellung von Joh. Bernoulli:

Welche Bahnkurve beschreibt ein Massenpunkt allein unter dem Einfluss der Schwerkraft, um in der kürzest möglichen Zeit von einem höher gelegenen Punkt zu einem tieferen zu gelangen, wenn der tiefere Punkt sich nicht direkt unter dem Ausgangspunkt befindet. Reibungskräfte werden vernachlässigt.

An der Lösung probierten sich erfolgreich Newton (anonym), Leibniz, l'Hospital, Tschirnhausen und natürlich die Gebr. Bernoulli selbst. Es geht die Rede, dass Newton das Brachistochrone-Problem innerhalb einer Nachtwache gelöst habe.

Joh. Bernoulli nahm zur Lösung Bezug auf das Fermat'sche Prinzip, wonach ein Lichtstrahl im Medium stets den kürzest möglichen Weg sucht. Ein Prinzip übrigens, das erneut in der ART auftaucht, wonach die Geodäte (bei Kräftefreiheit) der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten in der Raumzeit ist. Dazu legte Bernoulli einen Polygonzug an, welcher sich an die gesuchte Brachistochrone anschmiegte. Bernoullis Lösungsweg entsprach damit einem physikalisch-geometrischen Ansatz. In dazu verwandter Weise hatte sich bereits Galilei mit dieser Frage prinzipiell auseinandergesetzt (ohne allerdings exakt zur richtigen Kurve zu finden). Es war aber bekannt, dass die ideale Bahnkurve zu Beginn möglichst steil abfallen würde, um dann irgendwie auszulaufen.

Das detaillierte Vorgehen findet man hier beschrieben:

http://matheplanet.com/matheplanet/nuke/html/print.php?sid=353

http://www.matheraetsel.de/texte/FacharbeitChrBLP.pdf

Für uns ist im Kontext vor allem interessant, dass der direkte Weg (schiefe Ebene) zwischen zwei Punkten im Schwerefeld nicht der schnellste ist. Die zeitlich kürzeste Verbindung ist nur auf der Brachistochrone - die wiederum Teil der Zykloide ist - gegeben (das sollten sich die Konstrukteure der altmodischen "Kügelibahn" ins Stammbuch schreiben):

http://schulen.eduhi.at/riedgym/physik/unterhaltsam/zykloide/brachistochrone.htm

Den obigen Vorteil macht man sich auch bei der Halfpipe zunutze. ;)

p.s.
Und nun sage einer nochmals, dass es in der Physik nicht auch auf die Kenntnis und Anwendung elementarer Formeln ankomme. Selbstverständlich ist aber auch Intuition und Logik gefordert.

Deshalb folgt zur Anregung und Festigung der eigenen Fähigkeiten (Wusel, Uranor z.B.) die ultimative Schüleraufgabe:

Welche Endgeschwindigkeit besitzt ein reibungslos an einer Schraubenlinie herabgleitender Massenpunkt? Es genügt eine allg. Lösung ohne konkretes Zahlenbeispiel.

Gr. zg

zeitgenosse
28.05.07, 02:05
Weil ich nun gerade dabei bin (Nachts, wenn andere schlafen, habe ich meine beste Zeit dafür), soll abschliessend die Kettenlinie (Katenoide) untersucht werden.

Man hänge eine Kette an ihren Ende so auf, dass ein deutlicher Durchhang resultiert. Die Enden seien auf gleicher Höhe befestigt. Welche Kurve beschreibt die infolge ihres Eigengewichtes durchhängende Kette?

Galilei war noch der Überzeugung, dass es sich um eine Parabel handeln müsse. Was aber nicht richtig ist, wie Huygens im jungen Alter von 17 Jahren (!) zeigen konnte. Eine Normalparabel (Polynom 2. Grades) ist lediglich eine Näherungsfunktion an die gesuchte Kurve.

Gelöst wurde das Problem - wie konnte es auch anders sein - im Jahre 1690 durch Leibniz, Huygens und Joh. Bernoulli. Die Mächtigkeit des neuen Calculus (Differentialrechnung) zeitigte bereits erste Früchte, indem ansonsten unmöglich gewesene Aufgabenstellungen nun rasch und meist erfolgreich gelöst wurden.

http://www.mathematik.ch/anwendungenmath/kettenlinie/img/leibnitz.jpe
Skizze von Leibniz

Leibniz - Universalgelehrter wie er war - bemühte sich 1679 um die Verbesserung des Transportes im Harzer Bergbau durch verbesserte Förderketten. Es ist gut möglich, dass er dadurch zur Beschäftigung mit der Kettenlinie angeregt wurde. Auf den Bergbau im Harz hatte dies leider keine nachhaltigen Auswirkungen.

Es war zudem bewusst, dass die Kettenlinie in erster Linie nicht vom Gewicht der Kette, wohl aber von deren Länge abhing. Solches natürlich im Rahmen der zulässigen Zugfestigkeit der einzelnen Kettenglieder und unter der Voraussetzung, dass die Massenverteilung gleichmässig verlaufe und keine Biegemomente auftreten.

Die Kraft verändert sich in y-Richtung proportional zur durchlaufenen Kettenlänge s:

K(y) = c + q * s

Faktor q := Gewicht/Länge; c ist eine Konstante.

Weil nun Kraftrichtung und Kettenlinie dieselbe Steigung besitzen, ergibt sich als 1. Ableitung:

y'(x) = (c + q * s)/d

Als 2. Ableitung erhält man schliesslich:

y''(x) = k * sqrt(1 + y' * x^2)

Diejenige Stammfunktion (...horum integralia aequantur), welche obiger DGL gerecht wird, lautet dann:

y(x) = (1/a) cosh(a(x + b)) + c

Seilparameter a := H/q

Es führen bekanntlich viele Wege nach Rom, so dass obige Herleitung nicht die alleinig Seligmachende sein kann.

Obwohl die Kettenlinie keine Parabel ist, sollte man wissen, dass ein Seil unter konstanter Linienlast (z.B. bei nur schwachem Durchhang) näherungsweise die Form einer quadratischen Parabel annimmt - somit eine Funktion des Typs:

y(x) = (1/2)a * x^2 + bx + c

Die Tragseile von Hängebrücken besitzen diesen Verlauf.

Die Kettenlinie ist in der Statik auch deswegen bedeutsam, weil eine auf den Kopf gestellte Katenoide der Stützlinie eines freitragenden scherkräftefreien Bogens folgt. Nach diesem Vorbild wurde bspw. der "Gateway Arch" in St. Louis konstruiert.

Dazu der "grauen Zellen" wegen ein paar einfache Aufgaben:

1) Zwischen zwei gleich hohen Aufhängepunkten sei ein Seil befestigt. Die Spannweite betrage 10 m.

a) In welcher Höhe ist das Seil befestigt, wenn es am tiefsten Punkt 3 m über Boden verlaufen soll.

b) Wie gross ist der Durchhang (nur Eigengewicht wirksam)?

2) Eine Kette sei zwischen zwei Pfeilern befestigt. Spannweite 5 m. Ein einzelnes Kettenglied habe eine Länge von 1 cm. Wieviele Glieder sind insgesamt nötig?

3) Der Durchhang eines Tragseiles betrage 1 m (Seilenden auf gleicher Montagehöhe). Wie lang ist das Seil?

Gr. zg