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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : eine Differentialgleichung...


zeitgenosse
05.06.07, 22:57
In Physik und Technik bestimmen Differentialgleichungen den Ausgang eines Geschehens. Newton - Schöpfer der Fluxionsrechnung - wusste darum Bescheid.

Vermutlich haben die meisten unter uns schon einmal eine Differentialgleichung (DGL) gelöst ohne es überhaupt bewusst wahrzunehmen. Bspw. ist f'(x) = e^x eine DGL, wenn auch von extrem einfacher Form. Die Stammfunktion ist übrigens auch e^x, weil die Umkehrung der Ableitung einer Exponentialfunktion gleich ihrer Ableitung sein muss.

Mit anderen Worten: exponentielle Funktionen sind mittels einer DGL lösbar.

Dazu eine elementare Wachstumsfunktion. Gegeben sei eine Population, die sich ungestört vermehren kann. Wie sieht dieses Wachstum überhaupt aus?

Zur Zeit t hat die Population die Grösse P(t). Es ist nicht unvernünftig, anzunehmen, dass bei einer kleinen Zeitspanne ∆t die Vermehrung näherungsweise proportional zum Anfangsbestand P(t) und zur Zeitspanne ∆t sein wird. Somit wird die Population nach Ablauf der Zeitspanne ∆t eine Zuwachs um ∆P vorweisen können:

∆P ≈ α P(t) ∆t ; α ist eine positive Konstante

In Worten ausgedrückt wird sich die Population sowohl bei einer Verdoppelung ihres Bestandes P(t) als auch bei einer Verdoppelung der Zeitspanne ∆t jeweils verdoppeln. Die obige Beziehung beschreibt aber nur bei kleinem ∆t die Vermehrung einigermassen zutreffend; denn bei grossem ∆t wird sie unrealistisch, weil die neu hinzukommenden Mitglieder stetig zum Wachstum der Population beitragen.

Weil aber die Forderung nach einer kleinen Zeitspanne ∆t nicht unproblematisch ist, wird man die Relation umschreiben in der Art:

∆P/∆t ≈ α P(t)

Indem man nun ∆t --> 0 streben lässt (womit wir bereits bei der Differentialrechnung in Leibniz'scher Notation angekommen sind), gelangt man zur "ingenieurmässigen" Darstellung:

dP/dt = α P

in der berechtigten Hoffnung, nun das exakte Wachstumsgesetz der Population gefunden zu haben.

Dieses Wachstumsgesetz nun ist bereits eine DGL, weil sowohl die gesuchte Funktion als auch deren Ableitung darin vorkommen. Die DGL beschreibt somit das Aenderungsverhalten der Population im Kleinen, indem die zur Zeit t vorliegende Wachstumsgeschwindigkeit dP/dt der Population mit der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Populationsgrösse P(t) verknüpft wird.

Nun aber beginnt erst die eigentliche Aufgabe des Naturwissenschaftlers, indem diese DGL auch gelöst werden muss. Es gilt somit, alle diejenigen Funktionen zu finden, die dieser DGL genügen. Nach reiflicher Überlegung (man konsultiere ggf. den Bronstein) gelangt man schliesslich zur allgemeinen Lösung:

P(t) = C * e^αt ; mit einer beliebigen reellen Konstanten C

Besitzt die Population zum Zeitpunkt t_o = 0 die Grösse P_o folgt daraus:

P(t) = P_o * e^αt

Die Anfangsgrösse P_o und das lokale Wachstumsgesetz legen somit eindeutig die Grösse in jedem Zeitpunkt t ≥ 0 fest. Damit haben wir das Wachstumsgesetz im Grossen gefunden. Aus naheliegenden Gründen nennt man es ein "exponentielles Wachstumsgesetz".

Gr. zg

Uli
05.06.07, 23:12
dP/dt = α P

...
Nun aber beginnt erst die eigentliche Aufgabe des Naturwissenschaftlers, indem diese DGL auch gelöst werden muss. Es gilt somit, alle diejenigen Funktionen zu finden, die dieser DGL genügen. Nach reiflicher Überlegung (man konsultiere ggf. den Bronstein) gelangt man schliesslich zur allgemeinen


Das geht hier noch ganz elementar mit dem Standard-Verfahren "Separation der Variablen", d.h. alle P's auf die eine Seite und die t's auf die andere bringen. Wo das geht, hat man gute Chancen, eine Lösung zu finden. Ist hier trivial:

dP/P = a dt

und nun kann man direkt integrieren (Stammfunktion von 1/P ist ja der natürliche Logarithmus)

ln P - ln Po = a (t - to)

Nach Exponentiation

P/Po = exp [a (t - to)]

P = Po exp [a (t - to)]

Dabei steht ln für den natürlichen Logarithmus und Po für P zur Zeit to - die sog. Anfangsbedingung.


Lösung:

P(t) = C * e^αt ; mit einer beliebigen reellen Konstanten C

Besitzt die Population zum Zeitpunkt t_o = 0 die Grösse P_o folgt daraus:

P(t) = P_o * e^αt

Die Anfangsgrösse P_o und das lokale Wachstumsgesetz legen somit eindeutig die Grösse in jedem Zeitpunkt t ≥ 0 fest. Damit haben wir das Wachstumsgesetz im Grossen gefunden. Aus naheliegenden Gründen nennt man es ein "exponentielles Wachstumsgesetz".

Gr. zg

zeitgenosse
05.06.07, 23:30
Das geht hier noch ganz elementar mit dem Standard-Verfahren "Separation der Variablen", d.h. alle P's auf die eine Seite und die t's auf die andere bringen. Wo das geht, hat man gute Chancen, eine Lösung zu finden. Ist hier trivial

Genau. Aber wie sieht es z.B. bei der folgende DGL aus:

y' = tan(xy) ?

Gr. zg

zeitgenosse
06.06.07, 00:13
In diesem Thread sollen nur gewöhnliche Differentialgleichungen (ordinary differential equation's) angesprochen werden, also solche die sich mit einer einzigen Ableitung einer Funktion begnügen.

Allg. lässt sich zu den DGL-ungen sagen:

1) Jede Gleichung, die eine oder mehrere Ableitungen der gesuchten Funktion enthält, heißt eine Differentialgleichung.

2) Jede Funktion, welche die Differentialgleichung erfüllt, ist eine Lösung oder ein Integral der Differentialgleichung.

3) Tritt in einer Differentialgleichung die n-te Ableitung der gesuchten Funktion als höchste Ableitung auf, so nennt man die Differentialgleichung von n-ter Ordnung.

4) Die allgemeine Lösung einer Differentialgleichung n-ter Ordnung enthält genau n unbestimmte Integrationskonstanten.

Nicht alle Typen von gewöhnlichen DGL lassen sich analytisch exakt lösen. Etwas komplizierter wird es bei den partiellen DGL (partial differential equation), solchen also, in denen partielle Ableitungen vorkommen. Bspw. sind viele physikalische Vorgänge u(x, t) sowohl vom Ort als auch von der Zeit abhängig:

Die partielle Ableitung ∂u(x, t)/∂t gibt an, wie stark sich die Funktion in der Zeit ändert. Entsprechendes gilt für die Aenderung der Funktionswerte in der Ortsvariablen ∂u(x, t)/∂x.

Eine mögliche Lösung wäre z.B.:

u(x, t) = f(x + t) mit einer beliebigen Funktion f

Nur für wenige PDGL existieren exakte Lösungen. Ansonsten wird man eine numerische Lösung anstreben müssen.

p.s.
Ein früher beliebtes Lehrmittel für den Einsteiger war der "Kampke" (aber ich weiss nicht, ob es den im Buchhandel noch gibt).

Gr. zg

Uli
06.06.07, 01:22
Genau. Aber wie sieht es z.B. bei der folgende DGL aus:

y' = tan(xy) ?

Gr. zg

Schon unangenehmer. Ich würde eine Substitution versuchen
z(x) = x y(x)
dann y' mittels Quotientenregel durch z' und x ausdrücken.

Aber wie's dann weitergeht, sehe ich zu dieser späten Stunde zumindest nicht mehr.
Weisst du, wie's geht ?

Gruss, Uli

zeitgenosse
06.06.07, 01:43
Weisst du, wie's geht ?

In etwa. Ich bin zu folgender Lösung vorgestossen:

int [0 bis y] e^(t^2/2) cos(xt)dt = C * e^(x^2/2)

p.s. Ich kann's wenden wie ich will. Immer kommen bei mir Exponentialfunktionen vor. ;)

Jetzt aber muss ich auch in die Federn!

Gr. zg

richy
06.06.07, 02:29
p.s. Ich kann's wenden wie ich will. Immer kommen bei mir Exponentialfunktionen vor.

Deswegen verwendet man ja auch oft den komplexen Exponentialansatz.
Wenn du eine linaeare DGL mit konstanten Koeffizienten betrachtest.
Die kannst du schematisch immer mittels La Placetransformation loesen.
Gegebenenfalls ist eine Partialbruchzerlegung zur Ruecktransformation notwendig. In den meisten Faellen ergibt sich daraus eine Funktionen komplexer Exponentialfunktionen der Partialbruchterme.
(Koennte man im Bronstein nachschlagen)
Bei PDE's hilft oft ein Produktansatz weiter. Im Bronstein gibt es auch
eine Methode ueber die Einhuellende.

y' = tan(xy) ?

@uli
Dein Vorschlag scheint mir vielversprechend. Aber ob es ueberhaupt eine geschlossene Loesung gibt ?
Wird auf jeden Fall kompliziert.
Hmm ... Stichwort exkte DGL koennte weiterhelfen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Exakte_Differentialgleichung
integrierender Faktor faellt mir noch ein. Das funktioniert aber nicht immer.

Zwar spaet, aber ich probiers mal:
dy/dx=tan(xy)
dy=tan(xy)*dx
dy-tan(xy)*dx=0
dy-sin(xy)/cos(xy)*dx=0
cos(xy)*dy-sin(xy)*dx=0

P(x,y)=-sin(xy), dP/dy=-x*cos(xy)
Q(x,y)=cos(xy), dQ/dx=-y*sin(xy)

hmm so wird das nicht exakt:
Ganz anderer Ansatz:
Fuer y'(x)=F(y/x) gibt es eine Substitution. z=y/x, y'=z+x*z'
Fuehrt diese zum auch bei F(y*x) zum Ziel ? Ulis Ansatz ?

richy
06.06.07, 03:13
doppelt .......

rene
06.06.07, 06:44
Ich habe bei y'=tan(x*y) keine geschlossene Form gefunden Diese DGL lässt sich implizit ausdrücken in komplexer Form:

C * (erf(1/2*sqrt(2)*(x Iy)))^2 = 0

mit dem Gauss'schen Fehlerintegral
erf(x) = 2/sqrt(Pi) * int(exp(-t^2), t=0..x)

Grüsse, rene

richy
06.06.07, 12:09
Hi
Wie weit kommt man mit Ulis Ansatz ?

dy/dx=tan(xy)
z=x*y(x)
dz/dx=1*y+x*dy/dx => dy/dx=(dz/dx-y)/x

y muss ich ersetzen durch z/x damit ich ein f(x) erhalte
dy/dx=(dz/dx-z/x)/x

einsetzen :
(dz/dx-z/x)/x=tan(z)
(dz/dx-z/x)=x*tan(z)
dz/dx=z'=x*tan(z)+z/x

Das waere eine Form
z'=x*f(z)+z*g(x)
Da komme ich aber nicht weiter :-(

Hamilton
06.06.07, 15:51
Nicht jede DGL muss eine analytische Lösung haben.
Außerdem gewinnt man über die Lösung nicht immer interessante Informationen.

In diesem Fall würde ich mal ganz einfach die Fixpunkte ausrechnen:
y' = tan(xy) = 0
aha, also Stillstand für xy= n Pi
Ok, jetzt muss noch mal gecheckt werden, welche FPs stabil sind und welche nicht. Also gucken, wo y' > 0 und wo <0 in der Nähe des FPs. Die Dinger, wo das System drauf zu läuft sind stabil, die anderen nicht.
Bei tan(z) sind die jeweils abwechselnd stabil.

Bei dieser Art DGL in erster Ordnung in der Zeit (wenn ich mal x als Zeit interpretiere) muss das System auf einen Fixpunkt laufen.

Nur frage ich mich was das soll?
Was ist das für ein Modell y'=tan(xy) ?
Hast Du dir das ausgedacht?

Achja, man könnte, um eine "richtige" Lösung zu finden das Ding fouriertransformieren, dann wird y' zu "ik F(k)" oder "iω F(ω)" und die rechte Seite überlass ich Zg.
Dann kann man versuchen das Teil algebraisch zu lösen und wieder zurück zu transformieren.

Hamilton
06.06.07, 15:55
da fällt mir übrigens auf, dass das Teil gar nicht stetig ist, weil der Tangens bei Pi/2 einen Sprung macht. Also wars das mit der Existenz von geschlossenen Lösungen.

richy
06.06.07, 21:54
@Hamilton
Das mit den Fixpunkten ist recht aufschlussreich.
Ob die DGL nun einen physikalischen Hintergrund hat finde ich weniger tragisch.
Kreuzwortraetsel haben ja auch weniger einen physikalischen Hinterpunkt.
Mich wuerde schon interessieren wie man formell auf die von zg und rene angegebenen Loesungen kommt.
Andere Moeglichkeit waere natuerlich eine Naeherung mit Potenzreihen oder
einemTeil solcher fuer tan(xy)
Fuer die rechte Seite wollte ich nicht die Laplace Fouriertransformierte berechnen.

Was anderes.
Erinnerst du dich noch an den Thread mit den Wurzeln komplexer Zahlen.
Also Loesungen der Gleichung x^a=-1 zum Beispiel-
Ich bin da auf Unstimmigkeiten gekommen wenn a nicht Ganzzahlig ist.
An der Umformung ueber den ln stimmt irgendwie etwas nicht.
Die Probe funktioniert nicht.
Haettest du oder jemand anderes nochmal Interesse an dem Thema ?
Mir waere es recht wichtig.
ciao

rene
07.06.07, 18:02
Mich wuerde schon interessieren wie man formell auf die von zg und rene angegebenen Loesungen kommt.


Für die linke Differentialgleichung y' hängt die rechte Seite tan(x*y) nicht explizit von x ab. Folglich sind Lösungen translationsinvariant, d.h. für jede Lösung y(x) ist y(x+c) mit C http://img9.imagevenue.com/loc1044/th_35515_Symbol_von_Element_122_1044lo.jpg {R} ebenfalls eine Lösung.

Ist u(t)exp(-a*t) auf [0, ∞] stetig integrierbar, so kann die inverse Laplace-Transformation durch u(t)=1/(I 2pi) * int(U(s)*exp(s*t)*ds, b-∞..b+∞) mit b≥a berechnet werden.

Für die Laplace-Transformation gilt nach der Verschieberegel
U_0(s) = 1/s^2 - exp(-s)/s^2 - exp(-s)/s und kann mit der Regel für die Transformation periodischer Funktionen in U(s)=U_0(s)/(1-exp(-s)) = s/s^2 - exp(-s)/(s*(1-exp(-s))) überführt werden.

Grüsse, rene

Hamilton
07.06.07, 18:25
hm? e^iπ = -1
was genau meinst du?

Uli
07.06.07, 21:03
Für die linke Differentialgleichung y' hängt die rechte Seite tan(x*y) nicht explizit von x ab. Folglich sind Lösungen translationsinvariant, d.h. für jede Lösung y(x) ist y(x+c) mit C http://img9.imagevenue.com/loc1044/th_35515_Symbol_von_Element_122_1044lo.jpg {R} ebenfalls eine Lösung.
...
Grüsse, rene

Rene, du bist der Absicht, wenn du eine Lösung
(a) y = f(x) gefunden hast,
dann ist
(b) y = g(x) = f(x+c)
ebenfalls eine Lösung ?

Sehe nicht, wie das aus der Dgl folgen soll.

Gruss, Uli

rene
07.06.07, 21:48
Hi Uli

Stimmt. Aus dem Richtungsfeld lässt sich nur das qualitative Verhalten von Lösungen unmittelbar erkennen und kann wie du richtig bemerkst nicht gleichgesetzt werden. Das ist aber zu Beginn eine wertvolle Hilfe.

Grüsse, rene

richy
09.06.07, 23:57
.................................................. ...................

richy
10.06.07, 17:37
:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: :::::::::::::

richy
11.06.07, 18:00
.................................................. ........................................

Hamilton
12.06.07, 21:43
du suchst die z, die die Gleichung z^(n/m) -z0 = 0 erfüllen !?

Dann mach doch z0 = r * exp(iφ)
Dann kannst Du schreiben:

z = r^(m/n) * exp{ i m/n ( φ + 2πk) }

wobei k jetzt alle Ganzen Zahlen sind.
φ = arg(z0) und r = |z0|

wenn k = n/m ist, hast Du alle verschiedenen Lösungen, wenn das nie passiert, gibt es ein paar mehr ;)

richy
13.06.07, 15:49
Maple Kann Nix ! :)

zeitgenosse
13.06.07, 23:10
Nachdem richy seine temporären Selbstzweifel überwunden und Maple als garstigen Rechenknecht überführt hat, kann ich meinen Teil fortsetzen. Zwischendurch habe ich auch noch nach weiteren Lösungen für die "unphysikalische" Dgl. y' = tan(xy) gesucht, aber ausser der von mir angegebenen keine gefunden.

Zurück also zu der Wachstumsfunktion P(t) = P_o * e^(αt), welcher die Dgl. dP/dt = αP zugrunde lag. Die gewissermassen umgekehrte Funktion F^-1 ist diejenige des radioaktiven Zerfalls:

n(t) = n_o * e^(-λt)

Man erkenne die formale Aehnlichkeit, die sich nur durchs Vorzeichen im Exponenten unterscheidet. Dementsprechend sieht auch die diesbezügliche Dgl. aus:

dn/dt = -λn

Als Halbwertszeit wird diejenige Zeitspanne bezeichnet, nach welcher sich n(t) - also die Anzahl radioaktiver Atome - um die Hälfte vermindert:

τ = ln 2/λ

Das exponentielle Zerfallsgesetz ist empirisch gut bestätigt.

Gegeben sei das Isotop Kalium 42. Dessen Halbwertszeit beträgt 12,45 Std. Wieviel Prozent der Ausgangssubstanz sind nach bspw. 10 Std. noch vorhanden?

Gr. zg

zeitgenosse
13.06.07, 23:49
Um nochmals auf das exponentielle Wachstum zurückzukommen:

In der Natur beobachtet man einen anderen Verlauf, denn das exponentielle Wachstum führt theoretisch zu einer Vermehrung ohne Grenzen gemäss:

lim t-->oo P(t) = lim t-->oo P_o * e^(αt) = oo

Es gibt keine bekannte Population, welche eine derartig hemmungslose (und zudem hemmunglos beschleunigte) Vermehrung auf Dauer vorzeigt. Ansonsten müsste die Erdbevölkerung im Jahre 2501 eine Bevölkerungszahl von rund 149 Bill. erreicht haben, d.h. mit anderen Worten, dass jeder Quadratmeter Erdland durch einen Menschen besetzt würde. Für unsereins ein "Horror", habe ich doch bereits heute in der Schweiz das beengende Gefühl, von Menschenmassen erdrückt zu werden.

Man hat sich deshalb schon relativ früh Gedanken darüber gemacht und ein "logistisches Wachstum" gefunden. Im Jahre 1838 wurde von Verhulst vorgeschlagen, anstelle τP den Term τP^2 zu verwenden, wodurch folgende Dgl. resultiert:

dP/dt = γP - τP^2

Man könnte auch argumentieren, dass wegen der begrenzten Ressourcen eine bestimmte Population eine Maximalgrösse K nicht überschreiten wird:

dP/dt = λP(K - P)

Bereits nach Überschreiten der Hälfte des möglichen Maximalbestandes K/2 - nachdem eine Phase beschleunigten Wachstums durchlaufen wurde - nimmt die Zuwachsrate stetig ab. Die Wachstumskurve geht dann letztendlich in eine Stagnation über (graphisch eine S-Kurve).

Gr. zg

Hamilton
14.06.07, 00:30
Das ist ja alles schön und gut, aber was willst Du uns damit eigentlich sagen?

Wolltest Du einfach mal aufschreiben was du weißt, oder welchen Zweck verfolgst Du damit, dass Du über Wachstumsgleichungen monologiesierst?

Meistens stellt hier jemand ne Frage, auf die man dann antworten kann, das hier sieht so'n bischen aus wie Jeopardy - also gut:

"Wie formuliert man eine Wachstumsgleichung und welche Lösung hat sie?"

krieg ich jetzt 100 Punkte?

richy
14.06.07, 00:39
@zg
Sorry ich dachte es waere mehr ein Plauderthread. Fand die Gelegenheit guenstig, weil den Thread wohl eher Experten lesen. Aber OT.
Schon korrigert :)

Gegeben sei das Isotop Kalium 42. Dessen Halbwertszeit beträgt 12,45 Std. Wieviel Prozent der Ausgangssubstanz sind nach bspw. 10 Std. noch vorhanden?

n(t) = n_o * e^(-λt), τ = ln 2/λ =>
n(t) = n_o * e^(-ln 2*t/τ)
n(t,τ)/n_o = e^(-ln 2*t/τ)
n(10,12,5)/n_o = e^(-ln 2*10/12.5)
57.4%

In der Natur beobachtet man einen anderen Verlauf, denn das exponentielle Wachstum führt theoretisch zu einer Vermehrung ohne Grenzen

Eine Karnickelpoulation, die sich so vermehrt, muesste sehr bald eine Kugelwelle bilden, die sich mit Ueberlichtgeschwindigkeit ins Weltall ausbreitet. Spaetestens da waere Schluss mit dem Expo-Wachtum.

@Hamilton
Die diskrete Verhulstgleichung auf die zg zusteuert ist ein mathematisches Monster.
krieg ich jetzt 100 Punkte?
Wenn du die Verhulst GL analytisch loesen kannst wahrscheinlich noch mehr :)

rene
14.06.07, 02:06
Der Ansatz über die Halbwertszeit T=12.45h und der verstrichenen Zeit t=10h lautet:

f(t,T)=0.5^(t/T)

und wird über das Logarithmengesetz

log_0.5{f(t,T)}=t/T umgeformt zu

ln(f(t,T))=ln(0.5)*t/T und mit e potentiert zu

f(t,T)=exp(ln(0.5)*t/T) oder

f(t,T)=exp(ln(-2)*t/T) und gibt

f(t,T)=0.5731 wenn man die vorgegebenen T=12.45 statt T=12.5 nimmt.

Grüsse, rene

zeitgenosse
14.06.07, 02:09
57.4%

Ein Weißbier ist dir sicher!

:D :p :D

Gr. zg

zeitgenosse
16.06.07, 17:50
Das ist ja alles schön und gut, aber was willst Du uns damit eigentlich sagen?

Denk' an Raupen, Motten, Feuerbrand. Ist gerade jetzt sehr aktuell! Auch dein Lerneifer verläuft in der Regel nach dem Verhulst'schen Kriterium.

Kernthema des Threads sind gewöhnliche Differentialgleichungen. Von diesen gibt es unzählige, aber einige sind von allg. Interesse, z.B.:

- Riccati-Dgl.
- Bernoulli-Dgl.
- d'Alembert-Dgl.
- Clairaut-Dgl.
- Eulersche Dgl.
- logistische Dgl.

usw.

Zudem spielen dabei oft Exponentialfunktionen eine unverzichtbare Rolle. Nicht nur in der Regelungstechnik. Diese elementaren Zusammenhänge ein wenig aufzuzeigen, war Zweck und Ziel meiner Wachstumsbeiträge. (Wenn es dich nicht interessiert, vergiss es einfach.) Es wäre aber schön, wenn jeder sachlich Kompetente einen nützlichen Beitrag zu bestimmten - vorerst wie gesagt "nur" gewöhnlichen - Differentialgleichungen in Physik, Technik, Chemie, Biologie, Astronomie et ultra beisteuern könnte. Auch ich möchte noch hinzu lernen.

Die logistische Wachstumsfunktion führt ab einem kritischen Wachstumswert geradewegs zur Bifurkation und ist somit für die Chaostheorie von Bedeutung. Dieses Thema überlasse ich aber gerne Kollega "Richardon" richy, der sich darüber weiterführende Gedanken gemacht hat als begnadeter "Experimentalmathematiker".

Gr. zg

richy
17.06.07, 20:02
Hi
Vielleicht sollte man zu Namensgebung der logistischen Funktion noch etwas sagen, damit es keine Verwechslung gibt.

Die DGL der modifizierte Wachstumsgleichung nennt sich in

a) kontinuierlicher Form :
******************
Logistische Differentialgleichung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Logistische_Funktion
Die logistische Differentialgleichung ist mittels Trennen der Variablen leicht loesbar. Lediglich Partialbruchzerlegung wird noch benoetigt. Die Loesung wird ab und zu auch als logistische Funktion bezeichnet. Das halte ich fuer etwas ungluecklich, denn

b) diskretisierte Form (Differenzengleichung) :
Die diskrete Form der logistischen Differentialgleichung nennt sich auch
- logistische Abblidung
- logistische Gleichung
- Verhulst Gleichung
y(k+1)=a*y(k)*(1-y(k))
Die Gleichung gilt allgemein als analytisch nicht loesbar.
http://de.wikipedia.org/wiki/Logistische_Gleichung
(Ich konnte ihr dennoch eine Loesung fuer a=2 entlocken :-)

Bakterien und Karnikel vermehren sich diskret. Die Population wird also durch die diskrete Form richtig beschrieben.
Beide Gleichungen haben im Loesungsverhalten nur wenig gemeinsam.
Warum verhalten sich beide so unterschiedlich ?
Es laesst sich zeigen, dass ein kontinuierliches System 2 Freiheitsgrade aufweisen muss um chaotisches Verhalten zu erzeugen.
Die Differntialgleichung des Modell muss 2.Grades sein. Eine DGL 1.ten Grades kann keine chaotischen Loesungen liefern.

Eine Differenzengleichung 1. Grades ist dazu jedoch in der Lage wie die Verhulstgleichung eindrucksvoll zeigt.

Kontinuierlich und Diskrete nichtlineare Systeme koennen also alleine aufgrund des Grenzwertes limit d->0 (der in der Natur eher nicht existiert (siehe Plankzeit,Planklaenge))
ein voellig anderes Verhalten aufweisen.

vorerst wie gesagt "nur" gewöhnlichen - Differentialgleichungen
Meinst du damit nicht partiell oder nicht diskretisiert ?
Warum ausgerechnet tan(x,y(x)) ?
Wie koennte eine chaotische Loesung einer Gleichung eigentlich aussehen ?
so z.B. y(t)=art(tan(c*2*Pi*t)) wobei c irrational ist.
ciao



.

zeitgenosse
17.06.07, 22:33
Meinst du damit nicht partiell oder nicht diskretisiert ?

Gewöhnliche Differentialgleichungen unterscheiden sich von den übrigen dadurch, dass nur Ableitungen nach der einen Veränderlichen vorkommen. Bei den partiellen Differentialgleichungen, deren Theorie noch nicht abgeschlossen ist, haben wir Ableitungen nach mehreren Variablen. Bekannte Beispiele sind die Poissongleichung, die Wellengleichung und die Diffusionsgleichung. Solche Gleichungen sind also nicht eigentliches Thema dieses Fadens.

Weitere Kriterien sind Ordnung und Linearität. Ferner ob es sich um deterministische oder stochastische Anwendungen handelt. Mehr oder weniger dicke Bücher wurden dazu geschrieben. Soweit wollte ich also noch gar nicht gehen.

Warum ausgerechnet tan(x,y(x)) ?Das kam mir gerade in den Sinn, als Uli die "Separation der Variablen" erwähnte. Ergänzend hinzufügen müsste man vollständigkeitshalber die "Variation der Konstanten".

Gr. zg

zeitgenosse
18.06.07, 14:26
@@ Zur Vertiefung und weiteren Erörterung seien für den Interessierten auch noch erwähnt: Richtungsfeld mit Integralkurven ... Lipschitz-Bedingung ... Lemma von Gronwall ... Satz von Picard-Lindelöf u.a.m. Gr. zg