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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wellenfunktion vs. Feynmans Pfadintegrale (und Stringtheorie)


kawa
18.01.09, 14:39
Um zu verstehen, wie man die 'Verschwommenheit' der QM in die Stringtheorie bekommt, muß man zuerst einmal wissen, was es mit Feynmans Methode der Pfadintegrale auf sich hat. Ohne die zu kennen, hat man auch keinen Zugang zu der Frage. Aber die Pfadintegral-Methodik ist ja ganz allgemein für die QM interessant, daher sollte jeder, der sich für QM interessiert, zumindest prinzipiell wissen, worum es geht.

Allgemein: Wer Zeit hat und Englisch kann, der sollte sich auf jeden Fall einmal das hier anschauen: http://www.vega.org.uk/video/subseries/8 (4 Videos vom 'Meister' persönlich, eher populärwissenschaftlich gehalten, aber prinzipiell korrekt).

Aber ich versuche es mal kurz in eigenen Worten:

Die QM läßt sich in vielerlei Arten und Weisen formulieren. Alle haben ihre Vor- und Nachteile. Die bekannteste Formulierung dürfte die sein, bei dem Quanten über eine sogenannte 'Wellenfunktion' dargestellt werden, wobei das Absolutquadrat dieser Wellenfunktion die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilches angibt. Da die Wellenfunktion nun über einen Raumbereich verschmiert sein kann und gleichzeitig Wellencharakteristik hat (daher ja auch der Name), bekommt man so eine Erklärung für Effekte wie z.B. Tunneln oder Interferenz (Doppelspalt).

Nun hat dieses Bild einen großen Nachteil: Wenn man Systeme aus vielen wechselwirkenden Teilchen betrachten will, dann wird das mathematisch sehr aufwendig (bzw. unmöglich), weil man immer mit allen möglichen Permutationen von Produkten der Wellenfunktionen der einzelnen Teilchen rechnen muß. Die Zahl der Terme 'explodiert' also recht schnell, was dann die mathematische Behandlung unmöglich macht. Daher ist es auch schwer, Prozesse wie die Erzeugung und Vernichtung von Teilchen zu beschreiben (denn dazu müßte man für die zu erzeugenden Teilchen Wellenfunktionen 'auf Vorrat' definieren, was dann automatisch zu einen Vielteilchensystem führt).

Aus diesem Problem gibt es nun zwei typische Auswege: Die sog. "zweite Quantisierung" und die "Pfadintegralmethode".

Die "zweite Quantisierung" basiert auf der 'normalen' QM, benutzt aber einen recht komplizierten mathematischen Formalismus um Wellenfunktionen nicht mehr direkt, sondern über die Anwendung sog. Erzeugung- und Vernichtungsoperatoren zu beschreiben. Man hat hier also weiter eine Wellenfunktion, allerdings wird die durch den Formalismus so weit 'versteckt', das man mit den genannten Operatoren rechnen kann und nicht mehr direkt mit der extrem komplexen WF.

Mir geht es hier aber um Feynmans Pfadintegralmethode. Diese benutzt eine völlig andere Herangehensweise, indem sie keine Wellenfunktion mehr benutzt, sondern wieder ins pure Teilchenbild zurückgeht. Die Idee ist folgende: Man nimmt ALLE möglichen Wege, auf denen sich ein Teilchen von A nach B bewegen könnte (die 'Pfade'), berechnet jeweils die Länge dieser Pfade und daraus dann die Phase des Teilchens, die es hätte, wenn es über diesen Pfad am Punkt B angekommen wäre.

http://s298.photobucket.com/albums/mm280/msimmond/path_integral.jpg
Hier sieht man eine kleine Auswahl der möglichen Pfade, die ein Teilchen zwischen zwei Punkten (A bezeichnet das 'klassische Bild', B das Bild mit Pfadintegralen) zurücklegen kann. Tatsächlich sind es bei B unendlich viele Möglichkeiten (was aber etwas schwer zu zeichnen ist).

Was versteht man unter 'Phase des Teilchens'? Man kann sich das so vorstellen, das jedes Teilchen durch einen Pfeil der Länge 1 beschrieben wird und sich abhängig vom zurückgelegten Weg dreht. Der Winkel diese Pfeils ist die 'Phase'. Da sich das Ding dreht, bekommt man nach einem gewissen Weg wieder den Anfangszustand.

Man hat nun also für jeden Pfad eine Phase die das Teilchen hätte, wenn es diesen Pfad benutzt hätte. Um nun zu berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, das ein Teilchen sich von A nach B bewegt, summiert man die 'Pfeile' jedes Weges auf und erhält so eine resultierenden Pfeil. Die Länge dieses Pfeils ist dann die Wahrscheinlichkeit, das das Teilchen sich von A nach B bewegt hat. Das sieht dann etwa so aus:

http://www.overcomingbias.com/images/2008/04/16/feynman1.png

(ganz unten im Bild sieht man, wie der resultierende Pfeil durch Summation der Einzelpfeile entsteht. Man bedenke aber, das tatsächlich unendlich viele Pfeile beitragen, was man aber schlecht zeichnen kann)

Am besten kann man das verstehen, wenn man sich den oben verlinkten Vortrag anschaut, Feynman malt da einige Bilder an die Tafel, die den Vorgang verdeutlichen.

Nun klingt das erst einmal ziemlich seltsam - und das ist es eigentlich auch: Teilchen die alle möglichen Wege gleichzeitig gehen? Wie kann man sich sowas vorstellen? Am besten gar nichts. Denn interessanterweise bekommt man so exakt dieselben Ergebnisse, die man auch bei der Behandlung via Wellenfunktion bekommen würde. Der Grund liegt darin, das die Wellenfunktion ja auch eine 'Phase' hat (die WF ist 'komplexwertig' und komplexe Zahlen bestehen aus einer Amplitude und einer Phase) und als Welle über einen Raumbereich verschmiert ist (also an allem möglichen Orten gleichzeitig ist). Beides sind also einfach verschiedene Beschreibungen für den selben physikalischen Sachverhalt - auch wenn sie am Anfang völlig unterschiedlich aussehen.

Aber: Man muß beide Vorstellungen immer auseinanderhalten! Wenn man mit Pfadintegralen arbeitet, dann gibt es keine WF, dafür aber Teilchen die alle möglichen Pfade gleichzeitig nehmen (wozu im übrigen auch viele 'verbotenen' Pfade, also z.B. solche auf denen sich das Teilchen mit mehr als Lichtgeschwindigkeit bewegen müßte). Wenn man mit WF rechnet, dann gibt es erst mal gar keine Teilchen, sondern nur WFen von Teilchen, aus denen sich Teilchen am Schluß bei einer Messung mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit ergeben.

Bei einfachen Vorgängen (wie dem Doppelspalt-Experiment) sind beide Beschreibungen nun gleich gut. Der Vorteil der Pfadintegral-Methode kommt aber zum Vorschein, wenn man Vielteilchen-Systeme betrachtet. Oder Systeme in denen Erzeugung und Vernichtung von Teilchen möglich sind.

Denn man kann ja neben den 'normalen' Pfaden nun auch Pfade wie diese hier berücksichtigen:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/ca/Feynmandiagram.svg/250px-Feynmandiagram.svg.png

Wichtig: Dieses nette Bild beschreibt wieder unendlich viele Pfade! Es steht symbolisch für alle Pfade, die zwei Elektronen zurücklegen können, wenn sie 'zwischendrin' ein Photon austauschen und dadurch ihre Richtung ändern. Es steht auch für alle möglichen Wege, die das Photon zurücklegen kann. Wenn man nun also berechnen will, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Elektronen von den Orten A1 und A2 zu den Orten B1 und B2 kommen, dann summiert man wieder über alle Pfade, die entsprechend diesem Bild ein Photon austauschen.

Dazu kommen dann aber noch die Pfade, bei denen kein Photon ausgetauscht wird. Und dann noch alle Pfade, bei denen zwei Photonen ausgetauscht werden. Und die, bei denen drei Photonen ausgetauscht werden, usw. usf. Man hat also viel zu rechnen, genaugenommen gibt es ja unendlich viele 'Prozesstypen', für die jeder wieder unendlich viele Pfade hat. Glücklicherweise ist es nun aber so, das Prozesse umso stärker zu der ganzen Rechnerei beitragen, je weniger 'Vertices' sie haben. Ein 'Vertex' ist dabei ein Knotenpunkt wie der, bei dem das Elektron ein Photon aussendet und dabei seine Richtung ändert. Daher tragen Prozesse, bei denen ein Photon ausgetauscht wird stärker bei als welche, bei denen zwei Photonen ausgetauscht werden usw. Man spricht dabei auch von 'Prozessen höherer Ordnung'. Wenn man sich überlegt, was für Prozesse in '2. Ordnung' möglich sind, dann bekommt man die hier:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/0/0e/2nd_order_ee_ww.png/250px-2nd_order_ee_ww.png

(auch hier steht jedes Bildchen wieder für unendlich viele Pfade, die Bildchen sind aber praktisch um die möglichen Pfade zu kategorisieren. Sie beschreiben also nur die sog. Topologie der Pfade, nicht aber ihre konkrete Form).

Je nach gewünschter Genauigkeit der Berechnung kann man sich aber Prozesse ab einer bestimmten Ordnung sparen, da diese das Endergebnis zunehmen weniger beeinflussen. Wenn man also nur den im ersten Bild angegebenen Prozess und den trivialen Prozess (wo sich die Elektronen also ohne ein Photon auszutauschen, bewegen) berücksichtigt, dann bekommt man schon ein recht gutes Ergebnis. Aber je genauer man es möchte, desto mehr der 'bizarren' Prozesse muß man berücksichtigen und destro schwerer wird das ganze zu berechnen.


Uff, das erstmal zum Einstieg. Wenn man das obige einigermaßen verstanden hat, sollte klar sein, wie man also gleichzeitig mit Teilchen rechnen kann und trotzdem die 'Verschwommenheit' der QM bekommt.

Gruß, Karsten.

kawa
18.01.09, 14:44
Hat man nun die Grundidee der Pfadintegralmethode verstanden, kann man sich auf dieser Basis nun auch an die Stringtheorie machen:

Bei der Stringtheorie benutzt man prinzipiell dieselbe Methodik - nur halt nicht für Teilchen, sondern für 'Strings'. Man hat nun als alle möglichen Wege auf denen sich ein String vom Ort A zum Ort B bewegen kann. Dabei werden dann noch zusätzlich die jeweiligen Vibrationsmöglichkeiten des String berücksichtigt (sowas haben Teilchen ja nicht) und so kann man sich leicht vorstellen, das das eine wirklich abartig komplizierte Rechnerei wird. Denn anstatt einfacher Linienpfade hat man ja nun Flächen zu berücksichtigen.

Wenn man sich also überlegt, wie die Pfade zweier direkt wechselwirkender Teilchen/Strings nun einmal als Teilchen und einmal als String aussieht, dann bekommt man folgendes Bild:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/25/World_lines_and_world_sheet.svg/300px-World_lines_and_world_sheet.svg.png

So wie links sähe das mit Teilchen aus, so wie rechts mit Strings. Auch hier wurde wieder nur exemplarisch ein möglicher Pfad herausgepickt, tatsächlich steht das Bild, wie vorher schon beschreiben, für alle möglichen Pfade dieser Topologie!

Auf diese Art und Weise bekommt man also in der Stringtheorie dieselbe 'Unschärfe' wie auch in der normalen QM. Natürlich kann man das ganze nun auch mit anderen mathematischen Verfahren als der Pfadintegralmethode behandeln, aber ich denke, das sich so am einfachsten deutlich machen läßt, wie das ganze prinzipiell funktioniert und wie die Stringtheorie sich an die normale QM anschließt. Man braucht sich das obige Bild ja nur mal 'von weitem' anzuschauen und schon erkennt man, das für Abstände die relativ groß ggü dem Durchmesser eines geschlossenen String sind, das ganze recht nahtlos ins Teilchbild übergeht.

Gruß, Karsten.

Uli
18.01.09, 14:51
Hallo Karsten,

vielen Dank für deine interssante Erklärung.

Nun erweckt allerdings - zumindest in mir - das letzte Drittel deiner Erklärung den Eindruck, als wenn die Feynman-Diagramme aus Feynmans Pfadintegral-Methode resultieren. Das ist aber nicht der Fall: das ist ja "einfach" 2. Quantisierung + Störungstheorie wie z.B. "Standard-QED".

Gruß,
Uli

kawa
18.01.09, 15:04
Nun erweckt allerdings - zumindest in mir - das letzte Drittel deiner Erklärung den Eindruck, als wenn die Feynman-Diagramme aus Feynmans Pfadintegral-Methode resultieren.
Ich denke, das war ursprünglich auch der Fall (bzw. die Idee für die Diagramme resultierte aus der Pfadintegral-Methode).

Da nun aber Pfadintegral-Methode und zweite Quantisierung zwei unterschiedliche mathematische Herangehensweisen an das selbe Problem sind, kann man Feynman-Diagramme natürlich auch bei der zweiten Quantisierung benutzen (muß dann halt nur immer wissen, wie man sie in die jeweilige mathematische Sprache übersetzt).

Nun ist die 2. Quantisierung aber etwas, was sich IMO nur sehr schwer bildhaft erklären läßt, während die Pfadintegral-Methode da ja deutlich anschaulicher ist. Deshalb hielt ich auch die Verwendung der Pfadintegral-Methode für zweckmäßiger um die Frage von Slash anzugehen, wie man in der Stringtheorie die bekannten Quanteneffekte bekommt.

Gruß, Karsten.

zeitgenosse
18.01.09, 23:03
Als Feynman im Jahre 1948 während der Pocono-Konferenz seine neue Methode der Fachwelt vorstellte, verstand ihn ausser Dyson niemand. Heute ist das gottlob etwas besser. Bei Feynman erfüllte sich der Satz sprichwörtlich: "Das Genie kennt die Antwort vor der Frage."

Die Addition rotierender Zeiger und anschliessender Mittelwertbildung ist Feymans einzigartiger Genialität zu verdanken. Doch man muss es sich nicht unbedingt komplizierter als nötig machen. Obwohl der Pfadintegralismus unendlich viel Wege erlaubt, ist es letztlich nur ein Weg, den das Teilchen wählt. Oder anders formuliert trägt der klassische Pfad am meisten bei, weil bei ihm die Wirkung am wenigsten variiert. Feynmans Pfadintegral ist vereinfacht gesagt die Anwendung des Prinzips der minimalen Wirkung im Mikrokosmos. Wie in der geometrischen Optik gibt es viele Wege zum Ziel, aber nur einer erfüllt das Fermatsche Prinzip.

Somit haben wir als Werkzeuge die Matrizenmechanik, die Wellenmechanik und das Pfadintegral. Nicht zu vergessen auch die Gutzwiller'sche Spurformel für die Berechnung semiklassischer Spektren.


Das Leben ist ein Pfadintegral:
Nur Anfang und Ende sind fix.
(Gernot Pfanner)

Gr. zg

Slash
19.01.09, 18:56
Hallo Karsten,

vielen Dank! Gute Erklärung!
Hat mich dem Verständnis näher gebracht!

Slash