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RoKo 02.12.15 11:05

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Hallo TomS,

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79598)
..
Es geht um die widersprüchlichen erscheinenden Aussagen, dass
1) gemäß der Axiome der QM der physikalische Zustand eines Systems vollständig im Zustandsvektor kodiert ist
2) der Zustandsvektor alleine keine physikalische Bedeutung hat, da alle separablen Hilberträume isomorph, d.h. letztlich identisch sind und die physikalische Struktur eines Systems nicht im Zustandsvektor alleine kodiert sein kann, sondern dass zumindest die Observablenalgebra des Systems benötigt wird, um etwas physikalisch Relevantes über das System aussagen zu können.

Ich möchte ungern (1) als Axiom der QM bestreiten, aber ich bin mir absolut sicher, dass ich mit (2) recht habe. Ich möchte dazu ein Beispiel bringen, dass einen Ausweg aufzeigt (obwohl ich diesen in der QM so noch nicht vollständig verstehe).

Richtig ist sicherlich, dass ohne physikalische Interpretation ein Vektor im Hilbertraum lediglich ein mathematisches Konstrukt ist. In der Standard-QM folgt i.d.R. dann ein Axiom über Observable.

In der deBroglie-Bohm-Theorie wird klar, dass es sich bei den Observablen nicht um Eigenschaften des betrachteten Quantensystems handelt. Die Observablenmathematik wird als überflüssig betrachtet. Andererseits spielt der Zustandsvektor eine völlig andere Rolle - die Wellenfunktion wird als Führungsfunktion betrachtet.

Hawkwind 04.12.15 08:42

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von LydiaBevi (Beitrag 79628)
Ich bekomme viele Erkenntnisse.

So geht's einem hier.

Timm 04.12.15 10:04

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79501)
Unabhängig von Superposition oder nicht interpretiert die KI den Zustand im Wesentlichen instrumentalistisch, die VWI dagegen im Wesentlichen realistisch. Instrumentalistisch bedeutet, dass der Zustand als ausreichendes Werkzeug verstanden wird, experimentell überprüfbare Vorhersagen abzuleiten. Realistisch bedeutet, dass der Zustand in gewisser Weise die objektiv existitierende, reale Welt repräsentiert (und genau daher stammt die VWI; wenn ich diesen Anspruch des Realismus habe, dann muss ich an die Zweige glauben, die mathematisch auftreten; s.o. Maudlin-Trilemma)

Dazu noch ein paar Fragen.

Insbesondere mit "realistisch" habe ich ein Problem. Du sagst: "Realistisch bedeutet, dass der Zustand in gewisser Weise die objektiv existierende, reale Welt repräsentiert" Was bedeutet "in gewisser Weise" physikalisch?
In der "objektiv existierenden realen Welt" ist das Teilchen lokalisiert und hat Eigenschaften.
Wie kann der Zustand die reale Welt repräsentieren, bevor die Entscheidung über die reale Welt, über Eigenschaften und Ort des Teilchens bei der Messung gefallen ist?

Gleicht der Zustand vor der Lokalisierung dem einer realen Welle, die sich im Raum ausbreitet und in der (genauer im Zustandsvektor) die Information über das Teilchen kodiert ist.
Die mathematische Beschreibung dieser Welle ist die Wellenfunktion.

Transportiert die Welle Energie von A (wo das Teilchen emittiert wird) nach B (wo es lokalisiert wieder auftaucht)? Und überträgt es einen Impuls auf B?

TomS 04.12.15 23:25

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 79614)
Richtig ist sicherlich, dass ohne physikalische Interpretation ein Vektor im Hilbertraum lediglich ein mathematisches Konstrukt ist. In der Standard-QM folgt i.d.R. dann ein Axiom über Observable.

Ein Axiom über die Observablen (eigenstate-eigenvalue link) liefert jedoch noch keine Interpretation des Hilbertraumvektors i.A., sondern höchstens im Kontext der Messung, d.h. nicht unabhängig von der Messung. Das Problem ist jedoch, dass "Messung" (außer in der VWI) nicht wirklich definiert ist.

Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 79614)
In der deBroglie-Bohm-Theorie wird klar, dass es sich bei den Observablen nicht um Eigenschaften des betrachteten Quantensystems handelt. Die Observablenmathematik wird als überflüssig betrachtet. Andererseits spielt der Zustandsvektor eine völlig andere Rolle - die Wellenfunktion wird als Führungsfunktion betrachtet.

Die dBB-Interpretation liefert eine einigermaßen vernünftige Ontologie der nicht-rel. QM. Sie ist jedoch nicht auf die QED u.a. rel. QFTs anwendbar und daher für mich letztlich untauglich.

TomS 04.12.15 23:34

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 79631)
Du sagst: "Realistisch bedeutet, dass der Zustand in gewisser Weise die objektiv existierende, reale Welt repräsentiert" Was bedeutet "in gewisser Weise" physikalisch?
In der "objektiv existierenden realen Welt" ist das Teilchen lokalisiert und hat Eigenschaften.

Nein, hier drehst du die Interpretation gerade um. Das Teilchen an sich ist nicht objektiv lokalisiert, sondern nur subjektiv im Kontext einer Messung. Es trägt auch nur im Kontext einer Messung diese Eigenschaften. D.h. du lässt das, was passiert, wenn gerade nicht gemessen wird, völlig außen vor. Damit gelangst du aber nicht zu einer realistischen Interpretation der

"Realistisch" bedeutet hier nicht, dass du die gemessenen bzw. wahrgenommenen Entitäten auf den Formalismus überträgst, sondern dass du den Formalismus vollumfänglich realistisch interpretierst, auch ohne dass eine Messung stattfindet.

(du musst das nicht tun; aber wenn du es nicht tust, dann solltest du deine Interpretation nicht "realistisch" nennen, weil diese Bezeichnung eben schon vergeben ist)

Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 79631)
Wie kann der Zustand die reale Welt repräsentieren, bevor die Entscheidung über die reale Welt, über Eigenschaften und Ort des Teilchens bei der Messung gefallen ist?

Indem du annimmst, dass die reale Welt bereits vor der Messung dem entspricht, was der Zustandsvektor sagt. Die reale Welt ist nicht nur das, was du beobachtest, sondern mehr als das.

Trenne dich zunächst von dem Begriff "Messung"; dieser ist als Begriff nicht sauber definiert, und er umfasst nur einen kleinen Ausschnitt der Realität.

Timm 05.12.15 15:48

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79635)
"Realistisch" bedeutet hier nicht, dass du die gemessenen bzw. wahrgenommenen Entitäten auf den Formalismus überträgst, sondern dass du den Formalismus vollumfänglich realistisch interpretierst, auch ohne dass eine Messung stattfindet. ...

Indem du annimmst, dass die reale Welt bereits vor der Messung dem entspricht, was der Zustandsvektor sagt. Die reale Welt ist nicht nur das, was du beobachtest, sondern mehr als das.

Das macht klar, was die VWI unter realistisch versteht.
Ist aber schwer zu schlucken, denn ich verbinde "realistisch" mit einem beobachtbaren Phänomen. Dann aber kommt das Argument mit dem Geschehen innerhalb des Schwarzschild Radius. Wir hatten das schon. M.E. kann in diesem Kontext die klassische Physik kein Argument liefern.

Danke für dir Antwort.

RoKo 05.12.15 15:56

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Hallo TomS,
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79634)
Ein Axiom über die Observablen (eigenstate-eigenvalue link) liefert jedoch noch keine Interpretation des Hilbertraumvektors i.A., sondern höchstens im Kontext der Messung, d.h. nicht unabhängig von der Messung. Das Problem ist jedoch, dass "Messung" (außer in der VWI) nicht wirklich definiert ist.

Wenn du damit richtig liegst, dann ist die gesamte QM axiomatisch nicht sauber.
Zitat:

Die dBB-Interpretation liefert eine einigermaßen vernünftige Ontologie der nicht-rel. QM. Sie ist jedoch nicht auf die QED u.a. rel. QFTs anwendbar und daher für mich letztlich untauglich.
Die Verfechter von dBB weisen diese Kritik zurück; voll übrzeugt hat es mich jedoch nicht. Dennoch halte ich die dBB-Ontologie für vernünftiger als die VWI-Ontologie. Dies vor allem deshalb, weil letztere nach wie vor unklar ist.

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79635)
"Realistisch" bedeutet hier nicht, dass du die gemessenen bzw. wahrgenommenen Entitäten auf den Formalismus überträgst, sondern dass du den Formalismus vollumfänglich realistisch interpretierst, auch ohne dass eine Messung stattfindet.

Kannst Du dies an Hand von Gleichungen näher erläutern?

TomS 06.12.15 09:40

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 79637)
Das macht klar, was die VWI unter realistisch versteht.
Ist aber schwer zu schlucken, denn ich verbinde "realistisch" mit einem beobachtbaren Phänomen.

Das ist nicht VWI-spezifisch, sondern ganz allgemein eine Position des wissenschaftlichen Realismus.

Wie beantwortest du die Frage, ob und wie der Mond existiert, auch wenn keiner hinschaut? Normalerweise gehen wir doch davon aus, dass er existiert, und zwar unabhängig davon, wer ihn wie beobachtet. Wir glauben sogar, dass wir unabhängig von der Beobachtung seine Existenzweise kennen.

Die gegenteilige Auffassung kennt man insbs. von Berkeleys's esse est percipi; Berkeley sagte, dass das Existieren immer von der Beobachtung abhängig ist. Bei ihm stellt Gott die Existenz der Welt dadurch sicher, da er sie immer im Blick hat.

Zurück zur QM: Ich verstehe schon, dass du mit der Existenzweise des Elektrons immer eine Beobachtung verknüpft siehst, dass du nicht unbedingt weißt, wie es denn existiert, wenn du es nicht beobachtest (die VWI besagt, dass es genau so existiert, wie der Zustandsvektor dies besagt). Aber du bezweifelst doch sicher nicht, dass es existiert, oder?

TomS 06.12.15 10:10

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 79638)
Wenn du damit [dass der Begriff der "Messung" nicht sauber definiert ist] richtig liegst, dann ist die gesamte QM axiomatisch nicht sauber.

Ja, natürlich, das ist das Hauptargument für die VWI und gegen die KI. Und diese Kritik wird als Messproblem von vielen Physikern geteilt.

Die VWI bietet einen realistischen Ausweg; die meisten Interpretationen wie KI / orthodox, modal, informationsorientiert usw. finden einen anderen, nicht-realistischen Ausweg.

Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 79638)
Die Verfechter von dBB weisen diese Kritik zurück; voll übrzeugt hat es mich jedoch nicht.

Dazu müsste es eine entsprechende Umformulierung der QED existieren. Nur Argumente reichen nicht.

Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 79638)
]Dennoch halte ich die dBB-Ontologie für vernünftiger als die VWI-Ontologie. Dies vor allem deshalb, weil letztere nach wie vor unklar ist.

Ersteres ist Geschmacksache (ich sehe das anders). Warum die Ontologie der VWI unklar sein sollte, ist mir nicht klar. Sie ist nur dann unklar, wenn sie in klassischen Begriffen formuliert wird; das ist aber den Begriffen anzulasten.

Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 79638)
Kannst Du dies an Hand von Gleichungen näher erläutern?

Ja, das ist ganz einfach.

Die VWI behauptet zunächst - in Übereinstimmung mit der orthodoxen von-Neumannschen Axiomatik - dass ein System bestehend aus zunächst isolierten Entitäten wie z.B. Elektron, Messgerät, Beobachter und Umgebung durch einen quantenmechanischen Zustandsvektor |u> in einem Hilbertraum mit Tensorproduktstruktur beschrieben wird. Die VWI behauptet desweiteren, dass das System immer der unitären Zeitentwicklung unterliegt, unabhängig davon ob gemessen wird oder nicht.

|u,t> = U(t,0) |u,0>

U(t,0) = exp(-iHt)

Die VWI behauptet also, dass auch die Messung selbst im Hamiltonoperator H kodiert ist, der Wechselwirkungsterme umfasst (dies ist mathematisch problemlos möglich, ggf. eben etwas komplizierter). Die VWI verzichtet darauf, eine Regel einzuführen, die besagt, dass und wann U nicht anwendbar ist.

Die VWI besagt also, dass die reale, tatsächliche Existenzweise des o.g. Quantensystems immer durch den Zustandsvektor |u,t> repräsentiert wird.

Mehr Gleichungen gibt es dazu nicht. Die VWI ändert weder die mathematische Struktur, nich führt sie eine Umformulierung ein.

Bauhof 06.12.15 10:35

AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79643)
Wie beantwortest du die Frage, ob und wie der Mond existiert, auch wenn keiner hinschaut? Normalerweise gehen wir doch davon aus, dass er existiert, und zwar unabhängig davon, wer ihn wie beobachtet. Wir glauben sogar, dass wir unabhängig von der Beobachtung seine Existenzweise kennen.

Hallo TomS,

Existenz kann man m.E. nur einem Objekt zuschreiben, wenn es wenigstens prinzipiell wahrnehmbar ist. Sind die Objekte der Viele-Welten-Interpretation in unserem Wahrnehmungsbereich prinzipiell wahrnehmbar? Nein.

Dass die besagten Objekte in einem anderen Wahrnehmungsbereich (einem anderen Zweig des Universums) wahrnehmbar sein könnten, ist kein rational nachvollziehbarer Grund, diesen Objekten eine Existenz zuzusprechen.

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 79643)
Die gegenteilige Auffassung kennt man insbs. von Berkeleys's esse est percipi; Berkeley sagte, dass das Existieren immer von der Beobachtung abhängig ist.

Man könnte Berkeleys's esse est percipi so umformulieren, dass Existieren davon abhängt, ob ein Objekt wenigstens prinzipiell beobachtbar ist.

M.f.G. Eugen Bauhof


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