Quanten.de Diskussionsforum

Quanten.de Diskussionsforum (http://www.quanten.de/forum/index.php5)
-   Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik (http://www.quanten.de/forum/forumdisplay.php5?f=15)
-   -   Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren? (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=3384)

Timm 01.08.18 19:55

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 88281)
Soweit ich weiss, diskutiert Zeh nicht die "KI ohne Kollaps", sondern verfolgt einen anderen Ansatz: "Herauskristallisierung" der klassischen Eigenschaften eines Systems aufgrund permanenter Wechselwirkungen mit der Umgebung ("Dekohärenz"), oder meinst du etwas anderes?

----

Mir kommt vor, dass der Verzicht auf den Kollaps bei der KI Konsequenzen für Beobachtungen hätte ... von der Art, wie Tom sie oben beschrieb: die gemessene Observable hätte nach einer Messung keinen "scharfen Zustand", was im Prinzip leicht überprüfbar wäre durch nachfolgende Messungen derselben Observablen und sicher im Widerspruch zu Beobachtungen stünde? Ich weiss nicht, ob und wie Zeh so einen Widerspruch vermeidet?

Aus Zeilinger's Einsteins Schleier:

S. 166 "Die Kopenhagener Interpretation sagt nun, dass es sinnlos sei, von Eigenschaften zu reden, die wir gar nicht kennen können."

S. 194 "Es gibt keinerlei Notwendigkeit für die Annahme, daß sich die Wellenfunktion tatsächlich im Raum ausbreitet. Es reicht, sie sich als mentale Konstruktion vorzustellen. Klarerweise hat in dem Moment, in dem wir das Teilchen an einem Ort nachgewiesen haben, die Kugelwelle überhaupt keinen Sinn mehr, denn die Wahrscheinlichkeit, es woanders zu finden, ist dann ja null. ... Dieser Kollaps der Wellenfunktion ist dann aber nicht etwas, was im wirklichen Raum stattfindet. Sondern er ist eine ganz simple Denknotwendigkeit, da ja die Wellenfunktion nichts anderes ist als unser Hilfsmittel zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten."

Ich denke nicht, daß man Zeilinger vorwerfen kann, die konsistente Anwendung der QM nicht verstanden zu haben. Ob sein Verständnis des Kollapses als simple Denknotwendigkeit "eine Projektion des Zustandsvektors" ist, wie Tom das sieht, weiß ich nicht.

Seine Experimente zur Dekohärenz zeigen mit der Temperatur der Quantenobjekte (C70 Fullere) zunehmende Verschränkung mit der Umwelt. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob er das Messresultat klassisch oder quasiklassisch (Verschränkung mit Detektor ist nicht wahrnehmbar) sieht.

Jedenfalls scheint Zeilinger's Position von der üblichen KI abzuweichen.

Timm 01.08.18 20:18

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88297)
D.h. man akzeptiert die durch Schrödingergleichung und Dekohärenz resultierende Auffächerung in makroskopisch getrennte Zweige.

Wenn Zeh etwas anderes sagt, dann ist das m.E. nicht Konsens innerhalb der Community sondern sozusagen eine Zwischenlösung. Zeh hat aber m.W.n. nie explizit pro Everett argumentiert, sondern eher pragmatisch auf Basis Dekohärenz.

Das müßte ich nochmal nachlesen.
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88275)
Die vielen Welten zu akzeptieren fällt sicher nicht leicht. Wenn ich jedoch einen Formalismus habe, der neben vielen anderen korrekten Vorhersagen zusätzlich noch diese eine macht, und wenn ich die Existenz der vielen Welten sogar explizit akzeptiere solange sie sich auf die mikroskopische Größenordnung beziehen, dann sollte ich jeder Argumentation skeptisch gegenüberstehen, die die Existenz der vielen Welten verbietet, ohne dies konsistent begründen zu können.

Das hatte ich so verstanden, daß gemäß VWI die vielen Welten real existieren, wie es auch Wikipedia schreibt. Falls nicht, was genau sagt die VWI hierzu?

TomS 01.08.18 22:12

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88303)
S. 166 "Die Kopenhagener Interpretation sagt nun, dass es sinnlos sei, von Eigenschaften zu reden, die wir gar nicht kennen können."

Es gibt sicher nicht „die“ Kopenhagener Interpretation, und demnach auch nicht unbedingt Konsens.

Ich denke, der kleinste und sicher gemeinsame Nenner innerhalb der instrumentalistischen Schule ist, dass es nicht notwendig ist, von Eigenschaften zu reden, die wir gar nicht kennen können.

Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88303)
S. 194 "Es gibt keinerlei Notwendigkeit für die Annahme, daß sich die Wellenfunktion tatsächlich im Raum ausbreitet. Es reicht, sie sich als mentale Konstruktion vorzustellen. Klarerweise hat in dem Moment, in dem wir das Teilchen an einem Ort nachgewiesen haben, die Kugelwelle überhaupt keinen Sinn mehr, denn die Wahrscheinlichkeit, es woanders zu finden, ist dann ja null. ... Dieser Kollaps der Wellenfunktion ist dann aber nicht etwas, was im wirklichen Raum stattfindet. Sondern er ist eine ganz simple Denknotwendigkeit, da ja die Wellenfunktion nichts anderes ist als unser Hilfsmittel zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten."

Wie schon gesagt, unter der Voraussetzung des Instrumentalismus entfällt die Notwendigkeit des realen Kollapses eines realen Objektes. Es bleibt lediglich die Projektion des Zustandsvektors.

Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88303)
Ich denke nicht, daß man Zeilinger vorwerfen kann, die konsistente Anwendung der QM nicht verstanden zu haben. Ob sein Verständnis des Kollapses als simple Denknotwendigkeit "eine Projektion des Zustandsvektors" ist, wie Tom das sieht, weiß ich nicht.

Ich denke schon.

Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88303)
Jedenfalls scheint Zeilinger's Position von der üblichen KI abzuweichen.

Was meinst du mit „der Position von der üblichen KI“?

Ich denke, dass insbs. Bohr hier sehr vorsichtig war, und dass Zeilinger eine nahe verwandte Sichtweise vertritt.

Der „reale Kollaps“ ist inkonsistent und insbs. nicht notwendig. Das hat sich schon herumgesprochen:-)

Wahrscheinlich ist es aber so, dass viele Physiker sehr unsauber argumentieren, wenn es um diese Interpretation geht, weil das nicht ihr Tagesgeschäft ist.

Zitat:

Die Kopenhagener Deutung in ihrer ursprünglichen Version von Niels Bohr verneint nun die Existenz jeglicher Beziehung zwischen den Objekten des quantentheoretischen Formalismus einerseits und der „realen Welt“ andererseits, die über dessen Fähigkeit zur Voraussage von Wahrscheinlichkeiten von Messergebnissen hinausgeht. Einzig den durch die Theorie vorhergesagten Messwerten, und damit klassischen Begriffen, wird eine unmittelbare Realität zugewiesen. In diesem Sinne ist die Quantenmechanik eine nichtreale Theorie.
Zitat:

Die Kopenhagener Deutung wird oft, sowohl von einigen ihrer Anhänger wie von einigen ihrer Gegner, dahingehend missdeutet, als behaupte sie, was nicht beobachtet werden kann, das existiere nicht. Diese Darstellung ist logisch ungenau. Die Kopenhagener Auffassung verwendet nur die schwächere Aussage: ‚Was beobachtet worden ist, existiert gewiss; bezüglich dessen, was nicht beobachtet worden ist, haben wir jedoch die Freiheit, Annahmen über dessen Existenz oder Nichtexistenz einzuführen.‘ Von dieser Freiheit macht sie dann denjenigen Gebrauch, der nötig ist, um Paradoxien zu vermeiden.
(Carl Friedrich von Weizsäcker)

TomS 01.08.18 22:22

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88305)
Das hatte ich so verstanden, daß gemäß VWI die vielen Welten real existieren, wie es auch Wikipedia schreibt. Falls nicht, was genau sagt die VWI hierzu?

Ich denke nicht, dass es „die“ VWI gibt; aber so wie ich maßgebliche Physiker verstanden habe, erscheint ihnen die reale Existenz tatsächlich das logisch geringste Übel zu sein.

Für mich eine der überzeugendsten Darstellungen:

Why the Many-Worlds Formulation of Quantum Mechanics Is Probably Correct

Bernhard 02.08.18 07:39

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88307)
Für mich eine der überzeugendsten Darstellungen:

Sorry, aber für mich ist das reine Ansichtssache, genauso wie der nicht nachvollziehbare Verzicht auf exakte Eigenzustände. Zwingend oder überzeugend wirkt das auf mich nicht, eher im Gegenteil. Die Idee einer globalen Wellenfunktion finde ich da schon interessanter. Allerdings glaube ich, dass man diese auch nach den herkömmlichen Gesetzen der QM interpretieren kann.

TomS 02.08.18 10:13

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88308)
Sorry, aber für mich ist das reine Ansichtssache ...

So einfach ist das nicht.

Wie ich schon mehrfach ausgeführt habe, ist der Startpunkt für eine Interpretation der Quantenmechanik natürlich subjektiv. Wenn ich jedoch diesen Startpunkt festgelegt und mein Axiomensystem definiert habe, dann sind die daraus folgenden Konsequenzen nicht mehr Ansichtssache sondern hoffentlich logische Schlussfolgerungen.

Und diesbzgl. ist Carroll's Artikel lesenswert, da er sich Mühe gibt, die intrinsische Logik der Everett-Interpretation - ergänzt um die Dekohärenz - darzustellen. Das gelingt ihm m.E. deutlich besser als Zeh.

Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88308)
... genauso wie der nicht nachvollziehbare Verzicht auf exakte Eigenzustände.

Warum ist das nicht nachvollziehbar?

Es gibt genau ein Postulat, nämlich den Kollaps bzw. das Projektionspostulat, aus dem überhaupt exakte Eigenzustände folgen. Wenn ich also auf den Kollaps verzichte und ausschließlich eine unitäre Zeitentwicklung betrachte, dann besteht überhaupt kein Grund, warum exakte Eigenzustände auftreten sollten; im Gegenteil, sie werden nicht auftreten.

Nehmen wir der Einfachheit halber an, die Energie eines Gesamtsystems sei erhalten und es liege diesbzgl. ein Eigenzustand vor. Nun messe ich Observablen eines Teilsystems, z.B. dessen Energie oder dessen Spin. Diese Observablen vertauschen i.A. nicht mit dem Hamiltonoperator des Gesamtsystems, und damit resultiert diesbzgl. kein Eigenzsutand. Das ist logisch nachvollziehbar und völlig unstrittig - unabhängig von jeglicher Interpretation.

Wie gesagt, erst eine spezielle Interpretation unter Verwendung des Projektionspostulates erzwingt exakte Eigenzustände.

Offensichtlich sind exakte Eigenzustände auch unnötig, denn die Dekohärenz führt mathematisch nachvollziehbar auf näherungsweise Eigenzustände, die messtechnisch nicht unterscheidbar sind und aus denen korrekte Vorhersagen abgeleitet werden können

Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88308)
Zwingend oder überzeugend wirkt das auf mich nicht, eher im Gegenteil.

Dann sollten wir Carroll's Darstellung evtl. nochmal diskutieren.

Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88308)
Die Idee einer globalen Wellenfunktion finde ich da schon interessanter. Allerdings glaube ich, dass man diese auch nach den herkömmlichen Gesetzen der QM interpretieren kann.

Natürlich kann man das auch anders interpretieren, das habe ich nie bestritten.


Mein Eindruck ist, dass du Everett ausgehend von der der Haltung "... aber das kann doch nicht sein, weil in der QM ist doch ..." kritisierst. Diese Haltung musst du aufgeben! Du musst Everett ernst nehmen, die logischen Schlussfolgerungen nachvollziehen bzw. auf Lücken überprüfen und zunächst mal für sich alleine bewerten; was Bohr., Heisenberg u.v.a.m. gesagt und interpretiert haben ist zunächst völlig egal. Anschließend kannst du beide Theorien vergleichen (*) Dabei wirst du feststellen, dass Everett falsifizierbare Aussagen macht - vergleichbar zur orthodoxen QM, und dass beide im Rahmen der erzielbaren Messgenauigkeit übereinstimmen. Zuletzt kannst du dir dann überlegen, welche eher philosophische Position du zur Anwendung bringen möchtest - das - aber erst das - ist dann Geschmacksache.

*) letztlich liegt bei Everett tatsächlich eine eigenständige Theorie vor, da sich das Axiomensystem unterscheidet.


Der wichtigste Absatz steht m.E. am Ende:

Zitat:

Zitat von Carroll
Sadly, most people who object to EQM do so for the silly reasons, not for the serious ones. But even given the real challenges of the preferred-basis issue and the probability issue, I think EQM is way ahead of any proposed alternative. It takes at face value the minimal conceptual apparatus necessary to account for the world we see, and by doing so it fits all the data we have ever collected. What more do you want from a theory than that?


Bernhard 02.08.18 12:00

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88310)
Zitat:

Zitat von Carrol
Sadly, most people who object to EQM do so for the silly reasons, not for the serious ones.


Falls Carrol motivieren will, so ist das schon ziemlich unglücklich formuliert :p .

TomS 02.08.18 12:24

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88319)
Falls Carrol motivieren will, so ist das schon ziemlich unglücklich formuliert :p .

Es ist aber die Wahrheit.

:D

Ich habe wenige physikalische Ideen gesehen, die so radikal sind wie die Everettsche QM und an der noch so viel auszusetzen wäre. Sie ist zunächst mathematisch an einigen Stellen noch nicht wasserdicht, z.B. existiert sicher kein allgemein akzeptierter Beweis für Beweis für die Ableitung der Bornschen Regel. Und sie ist bzgl. der Interpretation noch umstritten, insbs,. warum Amplituden von Komponenten als Wahrscheinlichkeiten zu interpretieren sind.

Die meisten Argumente, die ich gegen Everett lese, sind jedoch lediglich Vorurteile auf Basis einer mindestens ebenso halbgaren und in sich unschlüssigen KI.

Und Carroll hat eben genau das auf den Punkt gebracht.

Nexus 02.08.18 14:17

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Tom Schrieb: Kannn man die VWI "auf den Nenner" bringen,
dass es zu jedem System (inklusive Messapparatur) eine
Wellenfunktion gibt, die das System realistisch im Sinne des
Punktes 1 von hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Bellsc...Lokalit%C3%A4t beschreibt?


Bell vertritt offensichtlich einen ontologischen Realismus ohne den
vernünftigerweise keine wissenschaftliche oder philosophische Untersuchung
der Natur der Dinge möglich wäre.
Während aber in der Welt der „klassischen Wirklichkeit“ ein Isomorphismus
zwischen Messerwartung und - Ergebnis besteht gibt es in der Quantenmechanik (QM)
keine vor der Messung präexistierende singuläre (reale) Messgröße, da (isolierte)
Quantengrößen (wie z. B. Spin) als eine potentiell nahezu unendliche Zahl von
Quantenbits einer Superposition vorliegen. Bei Messungen von Quantenzuständen
sind daher nur probabilistische Voraussagen („realer“ Werte) , d. h. Messwahrscheinl-
ichkeiten - P(λ) = <v|Pλ|v> - möglich.
Da aber alle unitäre Vektoren im Hilbertraum äquivalent sind, müssten auch alle
möglichen Quantenzustände bei einerMessung real werden und simultan existieren
können. (VWI).
Ob es „zu jedem System …eine Wellenfunktion gibt, die das System realistisch
beschreibt“ hängt letztlich davon ab, wie die Frage der „Wahrscheinlichkeit“ eines
Quanten Zweiges beantwortet wird.
Eine VWI müsste also einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab über alle (dekohärenten)
Ergebnisse, die realisiert sind, zur Verfügung stellen.
Gilt z. B. beim „Abzählen“ für N Spins: Ψ: ⊗Ni=1 Ψi, wenn diese in einem identischen
Zustand präpariert sind (Ψi = c+|+>i + c_ |->i) dann werden alle Möglichkeiten (
Messergebnisse) realisiert, auch, wenn alle Spins im Zustand + gemessen werden:
Ψ: ~ | + + + … +> Ist |c+| klein, so ist dieses Ergebnis nach der Born Regel sehr
niedrig. Aber unabhängig vom Wert von c+ beinhaltet er einen der 2N möglichen
Ergebnisse. Jedes der Ergebnisse impliziert die Existenz eines Beobachter
mit jeweils eigenen Bewusstsein.
Ist N hinreichend groß und |c+| ≠ |c_|, kann gezeigt werden, [Buniy und Hsu] ,
dass die große Mehrheit der 2N realisierten Beobachter,
wenn man alle Beobachter gleich zählt, nach der Born Regel ein sehr
unwahrscheinliches Ergebnis sehen (Maeverick Welten). Das Abzählen
möglicher Ergebnisse hängt nicht von c+ bzw. c_ ab, bei Anwendung der
Born Regel hingegen hängen die Ergebnisse von |
c+ + c-| |2 ab, bei N  ∞ .
W. Zureks neuer Ansatz einer Envarinanz - determinierten Ableitung
der Born Regel scheint dieses Dilemma zwischen „abgezählten“ Everett-
Verzweigungen (Maeverick Welten) und der der Anwendung der
Born Regel zu Gunsten der Born Regel überwunden zu haben. Aber die
Diskussion des Quantendarwinismus ist noch im Gange. Daher
scheint eine eindeutige Beantwortung Deiner Frage meiner Meinung
noch nicht möglich.

Hawkwind 02.08.18 15:19

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88308)
Sorry, aber für mich ist das reine Ansichtssache, genauso wie der nicht nachvollziehbare Verzicht auf exakte Eigenzustände.

Diesen Gedanken finde ich noch naheliegend. Ein gemessener Wert hat in der Praxis ja unvermeidbar eine Fehlertoleranz, wogegen eine Eigenfunktion 100%ig einen scharfen Wert für eine Messung vorhersagt. Wenn 2 aufeinanderfolgende Messungen derselben Observablen an einem System in unerschiedlichen, aber innerhalb der Fehlertoleranz liegenden, Werten resultieren, dann ist das kein Widerspruch.
Es ist deshalb m.E. naheliegend, davon auszugehen, dass die 1. Messung eine Superposition von Eigenfunktionen um den Messwert herum - mit einer der Fehlertoleranz entsprechenden Breite - präpariert hatte, oder?

Bernhard 02.08.18 15:57

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 88333)
Es ist deshalb m.E. naheliegend, davon auszugehen, dass die 1. Messung eine Superposition von Eigenfunktionen um den Messwert herum - mit einer der Fehlertoleranz entsprechenden Breite - präpariert hatte, oder?

Oftmals mag das zutreffen. Bei den atomaren Spektren sieht es eventuell schon etwas anders aus. Dort kann man auch den Wert mit sehr hoher Präzision messen, womit wir letztlich bei Vorhersagen durch die VWI wären.

Solange die VWI keine konkreten und überprüfbaren Vorhersagen macht, bleibt alles wohl eher "heiße Luft".

Timm 02.08.18 17:23

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88306)
Was meinst du mit „der Position von der üblichen KI“?

Zeilinger spricht definitiv nicht von einer Reduktion der Wellenfunktion. Dieser Begriff scheint in der KI zentral zu sein. Und wie erwähnt schon gar nicht von einem Kollaps. Aus Copenhagen interpretation
Zitat:

3. During an observation, the system must interact with a laboratory device. When that device makes a measurement, the wave function of the systems is said to collapse, or irreversibly reduce to an eigenstate of the observable that is registered.[13]
Zum Artikel von Sean Caroll. Er erwähnt Kritiken. Ich sehe aber nicht, daß er auf Zeilinger's Sichtweise eingeht: Es gibt ein Teilchen in der Superposition |up> + |down> und eine Messung mit dem Resultat |up> oder |down>. Dafür liefert die WF eine Wahrscheinlichkeit von 50%, fertg. Wurde dieses eine Teilchen mit |up> gemessen, muß man nicht ein zweites mit |down> in einer anderen Welt vermuten.

TomS 02.08.18 19:06

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 88333)
Es ist deshalb m.E. naheliegend, davon auszugehen, dass die 1. Messung eine Superposition von Eigenfunktionen um den Messwert herum - mit einer der Fehlertoleranz entsprechenden Breite - präpariert hatte, oder?

Eine Messung im Sinne der KI präpariert immer exakte Eigenfunktionen; das ist ein fundamentales Postulat.

TomS 02.08.18 19:08

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88335)
Solange die VWI keine konkreten und überprüfbaren Vorhersagen macht, bleibt alles wohl eher "heiße Luft".

Die Everettsche QM macht im Rahmen der erreichbaren Messgenauigkeit die selben Vorhersagen wir die orthodoxe QM.

Warum ist das nun deiner Meinung nach ein Argument gegen Everett, nicht aber gegen die orthodoxe QM?

TomS 02.08.18 19:13

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88336)
Zum Artikel von Sean Caroll. Er erwähnt Kritiken. Ich sehe aber nicht, daß er auf Zeilinger's Sichtweise eingeht: Es gibt ein Teilchen in der Superposition |up> + |down> und eine Messung mit dem Resultat |up> oder |down>. Dafür liefert die WF eine Wahrscheinlichkeit von 50%, fertg. Wurde dieses eine Teilchen mit |up> gemessen, muß man nicht ein zweites mit |down> in einer anderen Welt vermuten.

Das ist keine der Kritiken, die Carroll meint, sondern lediglich eine andere Interpretation.

Andersherum: Es gibt ein Teilchen in der Superposition |up> + |down> und eine Messung mit dem für mich sichtbaren Resultat |up>. Außerdem sagt mir die SGL, dass der andere, unsichtbarer Zweig mit |down> bestehen bleibt. Daher muss man keinen Kollaps im Zuge einer Messung vermuten, wenn man nicht mal sagen kann, was eine Messung von einer gewöhnlichen Wechselwirkung unterscheidet.

Timm 02.08.18 22:22

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88340)

Andersherum: Es gibt ein Teilchen in der Superposition |up> + |down> und eine Messung mit dem für mich sichtbaren Resultat |up>. Außerdem sagt mir die SGL, dass der andere, unsichtbarer Zweig mit |down> bestehen bleibt.

Und genau hier scheiden sich die Geister. Vielleicht sollte man mal festhalten, daß zahlreiche prominente Physiker der VWI zuneigen. Andere, wie v. Weizsäcker und offenbar auch Zeh, relativieren den weinig erträglichen Aspekt der realen Existenz dieser Welten. Vielleicht scheiden sich hier theoretische Physiker, für die die konsistente Anwendung der QT entscheidend ist, von den eher pragmatischen Experimentalphysikern.
Was ich nicht mag, ist wenn die eine oder die andere Sicht als Unsinn abgetan wird.

TheoC 02.08.18 22:41

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Nexus (Beitrag 88326)
Tom Schrieb: Kannn man die VWI "auf den Nenner" bringen,
dass es zu jedem System (inklusive Messapparatur) eine
Wellenfunktion gibt, die das System realistisch im Sinne des
Punktes 1 von hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Bellsc...Lokalit%C3%A4t beschreibt?



Da aber alle unitäre Vektoren im Hilbertraum äquivalent sind, müssten auch alle
möglichen Quantenzustände bei einerMessung real werden und simultan existieren können. (VWI).
....
Eine VWI müsste also einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab über alle (dekohärenten)
Ergebnisse, die realisiert sind, zur Verfügung stellen.
Gilt z. B. beim „Abzählen“ für N Spins: Ψ: ⊗Ni=1 Ψi, wenn diese in einem identischen
Zustand präpariert sind (Ψi = c+|+>i + c_ |->i) dann werden alle Möglichkeiten (
Messergebnisse) realisiert, auch, wenn alle Spins im Zustand + gemessen werden:
Ψ: ~ | + + + … +> Ist |c+| klein, so ist dieses Ergebnis nach der Born Regel sehr
niedrig. Aber unabhängig vom Wert von c+ beinhaltet er einen der 2N möglichen
Ergebnisse. Jedes der Ergebnisse impliziert die Existenz eines Beobachter
mit jeweils eigenen Bewusstsein.
Ist N hinreichend groß und |c+| ≠ |c_|, kann gezeigt werden, [Buniy und Hsu] , dass die große Mehrheit der 2N realisierten Beobachter,
wenn man alle Beobachter gleich zählt, nach der Born Regel ein sehr
unwahrscheinliches Ergebnis sehen (Maeverick Welten).


Die Wahrscheinlichkeit in der VWI wird doch umgepolt in die Frage in welcher Welt mein „ich“, also mein mit einer konkreten Erinnerung bestimmtes Wesen, sich befindet, in der Up oder der Down Welt.

Im Einzelfall egal, aber bei einer Abfolge von 100 Entscheidungen (je 50:50) erlebe ich, mit meinem in „diesem Zweig“ befindlichen Bewusstsein doch eine „zufällige“ Reihenfolge dieser Entscheidungen.

Nach der VWI spaltet sich mein Bewusstsein in alle Möglichkeiten mit auf, als zentrales Postulat, weil ich ja ein Teil des Messapparates bin.

Aus der Sicht des Über- Ichs, also der Summe aller meiner postulierten Existenzen gibt es dann aber keine Wahrscheinlichkeit im Außen, alles was passieren kann, passiert, und ich bin in allen diesen Welten gleich enthalten.

Müsste ich (oder irgendwer anderer) dann nicht viel öfters auch völlig unwahrscheinlichste Ereignisse erleben, da diese sich ja nicht von den wahrscheinlicheren unterscheiden, wenn alle Ereignisse so und so passieren, und ich auch in allen diesen Welten vorhanden bin???


Ich bin nicht sicher ob ich meinen Gedanke richtig formulieren kann, aber es erscheint mir unlogisch, dass ich in einer Welt lebe, die sich hochgradig wahrscheinlich verhält, wenn ich sehr viel öfter in Welten existieren müsste, die sehr unwahrscheinlich sind.

Die Reduktion auf eine ausgezeichnete Welt, und das Verschwinden aller anderen, hat doch auch den philosophischen Vorteil, dass ich dann eben logischerweise in einer „wahrscheinlichen“ Welt lebe.

lg
Theo

PS: Ich hab natürlich keine Ahnung wie sich diese Welten voneinander unterscheiden, so ist der Lauf der Dinge ja in der Regel von einzelnen Quantenentscheidungen NICHT abhängig, völlig egal wie sich ein einzelnes Photon der Sonne entscheidet, wird sich das zB Wetter nicht ändern... vielleicht sind sich ja fast alle Welten der VWI so ähnlich???

Dh in der Makrowelt, der realen Physik hängt doch kaum was von einzelnen Quantenentscheidungen ab, da müssten doch die ganzen Welten so und so nahezu ununterscheidbar sein.

TomS 02.08.18 23:09

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88343)
Was ich nicht mag, ist wenn die eine oder die andere Sicht als Unsinn abgetan wird.

Ich denke, das tun wir nicht.

Was ich jedoch als Problem sehe ist, dass Everett für Dinge kritisiert wird, die er so nicht sagt, oder dass Kritik gegen Everett trivialerweise gegen die orthodoxe QM umgedreht werden kann:
- Verzicht auf die Eigenzustände? ja warum denn nicht?
- Verzicht auf den Kollaps? ja warum denn nicht, insbs. wenn die Dekohärenz ihn überflüssig macht?
- Glauben die Existenz diverser Zweige? ja warum denn nicht, insbs. wenn wir dies für mikroskopische ohnehin tun
- keine überprüfbaren Vorhersagen? doch, in etwa die selben wie die orthodoxe QM

Ich habe einige Kritikpunkte an Everett geäußert, und es gibt diverse weitere, die es sich zu diskutieren lohnt. Auf die sollten wir eingehen.

TomS 02.08.18 23:55

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TheoC (Beitrag 88344)
Aus der Sicht des Über- Ichs, also der Summe aller meiner postulierten Existenzen gibt es dann aber keine Wahrscheinlichkeit im Außen, alles was passieren kann, passiert, und ich bin in allen diesen Welten gleich enthalten.

Müsste ich (oder irgendwer anderer) dann nicht viel öfters auch völlig unwahrscheinlichste Ereignisse erleben, da diese sich ja nicht von den wahrscheinlicheren unterscheiden, wenn alle Ereignisse so und so passieren, und ich auch in allen diesen Welten vorhanden bin???

Das ist z.B. eine wichtige Frage, und die können wir heute nicht wirklich beantworten.

Zitat:

Zitat von TheoC (Beitrag 88344)
Die Reduktion auf eine ausgezeichnete Welt, und das Verschwinden aller anderen, hat doch auch den philosophischen Vorteil, dass ich dann eben logischerweise in einer „wahrscheinlichen“ Welt lebe.

Zunächst mal muss die Everettsche QM die korrekten Wahrscheinlichkeiten reproduzieren, andernfalls wäre das kein philosophischer Nachteil sondern sie wäre schlicht falsch.

Tatsache ist, dass die Everettsche QM sämtliche mathematische Strukturen zur Berechnung der korrekten Wahrscheinlichkeiten liefert, jedoch kein Argument, warum wir diese so verwenden und interpretieren sollten.

Betrachten wir einen Würfel mit sechs Seiten, Augenzahlen 1 .. 6 und Augensumme 21. Die Wahrscheinlichkeit je Seite gemäß Abzählen der Seiten liefert jeweils 1/6. Kein Mensch käme auf die Idee, due Wahrscheinlichkeit entsprechend der Augenzahlen mit 1/21, 2/21, 3/21 = 1/7, ... 6/21 = 2/7 zu berechnen.

In gewisser Weise geschieht jedoch genau das in der Everettschen QM!

Nehmen wir einen Zustand

α|a> + β|b>

mit

α² + β² = 1

Triviales Abzählen liefert zwei Zustände, also die Wahrscheinlichkeiten

p(a) = p(b) = ½

Falsch! Die korrekte Wahrscheinlichkeit folgt natürlich aus

p(a) = α²
p(b) = β²

Aber warum ist das so? warum liefert der Vorfaktor eine Wahrscheinlichkeit? warum sollte er als eine solche interpretiert werden?

Wir wissen natürlich aufgrund unserer Experimente, dass dies so sein muss; wir können beweisen, dass dies ein konsistentes Wahrscheinlichkeitsmaß darstellt, und dass dies sogar eindeutig ist, d.h. das einzig zulässige, konsistente Wahrscheinlichkeitsmaß auf einem Hilbertraum (Gleason‘s Theorem).

Aber nur weil etwas ein konsistentes Wahrscheinlichkeitsmaß sein könnte, bedeutet das natürlich noch lange nicht, dass es dies in der Realität auch ist. Zurück zum Würfel: 1/21, 2/21, 3/21 ... liefert ein konsistentes Wahrscheinlichkeitsmaß, jedoch keines, das für einen Würfel realisiert wäre. Oder zu meinem Geldbeutel: die Beschriftung der Scheine liefert keine Wahrscheinlichkeit für das zufällige Herausgreifen eines Scheines.

Die Frage kann zweigeteilt werden:
Warum überhaupt Wahrscheinlichkeiten?
Wenn Wahrscheinlichkeiten, welches Wahrscheinlichkeitsmaß?

Die Antwort auf die zweite Frage ist nach Gleason eindeutig beantwortet, und sie entspricht mit

p(a) = α²
p(b) = β²

genau der bekannten Bornschen Regel.

Die Antwort auf die erste Frage ist auch nach Gleason offen bzw. zumindest sehr umstritten. Everett et al. liefern noch keine allgemein akzeptierte Erklärung (die orthodoxe QM natürlich auch nicht; sie hat lediglich ein Postulat zu bieten, jedoch keine Erklärung).

Nach Everett folgen also die korrekten Wahrscheinlichkeiten p(a), p(b) aus dem Formalismus, insbs. auf Basis der Schrödingergleichung ohne weitere, künstliche oder ad hoc Postulate. Aber dass überhaupt Wahrscheinlichkeiten folgen, ist noch offen.

Zitat:

Zitat von TheoC (Beitrag 88344)
Müsste ich (oder irgendwer anderer) dann nicht viel öfters auch völlig unwahrscheinlichste Ereignisse erleben, da diese sich ja nicht von den wahrscheinlicheren unterscheiden, wenn alle Ereignisse so und so passieren, und ich auch in allen diesen Welten vorhanden bin???

Nein.

Sobald wir verstanden haben, warum wir überhaupt Wahrscheinlichkeiten in den Formalismus hineininterpretieren dürfen oder müssen (?) folgen die korrekten Wahrscheinlichkeiten. Diese zweite Frage ist geklärt.

soon 03.08.18 06:56

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88346)
... Warum überhaupt Wahrscheinlichkeiten? ...

Weil wir nur schwer (oder garnicht?) von der Mensch-ist-Mittelpunkt-der-Welt-Betrachtung loskommen.

Wir behandeln tatsächlich nicht die Ereignisse, sondern die Befindlichkeit/Situation/Eigenschaft des Beobachters.

Wenn die Folge der Ereignisse eines Systems/Objekts (z.b. eines Würfelexperiments) bekannt ist, dann stellt sich die Frage nach Wahrscheinlichkeiten nicht bzw. ist für jedes Ereignis 1.

Die Länge der Folge der Ereignisse, die ein Objekt ausmachen, ist dann auch bekannt. (Du hast die Frage, ob überhaupt ein nächstes Ereignis eintritt, weggelassen)

TomS 03.08.18 09:31

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS
... Warum überhaupt Wahrscheinlichkeiten? ...

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88347)
Weil wir nur schwer (oder garnicht?) von der Mensch-ist-Mittelpunkt-der-Welt-Betrachtung loskommen.

Wir behandeln tatsächlich nicht die Ereignisse, sondern die Befindlichkeit/Situation/Eigenschaft des Beobachters.

Das ist nicht der Punkt.

Zunächst mal sind wir uns einig, dass wir insbs. im Kontext der QM über Wahrscheinlichkeiten sprechen; das steht außer Frage.

Die orthodoxe Interpretation nimmt die Wahrscheinlichkeiten in ihre fundamentalen Postulate auf. Das solltest du im Zuge dieser Diskussion komplett vergessen.

Die Everettsche QM tut genau dies aus guten Gründen nicht! Zunächst ist dies nicht sinnvoll, denn in dem Moment, wo der Kollaps nicht gefordert wird, wird es sinnlos, dem aus dem Kollaps hervorgehenden Zielzustand eine bestimmte Wahrscheinlichkeit zuordnen zu wollen. D.h. zunächst hat die Everettsche QM keinen Platz für Wahrscheinlichkeiten auf fundamentaler Ebene. Darüberhinaus ist eine schlichte Forderung der Bornschen Regel im Kontext der Everettschen QM nicht sinnvoll, da diverse mathematischen Details der Bornschen Regel tatsächlich aus den reduzierten Axiomen eindeutig abgeleitet werden können und daher nicht postuliert werden sollten (siehe oben - Gleason's Theorem).

Daher besteht heute die Ansicht, dass es zusätzlich zu dem - im Vergleich zur orthodoxen QM reduzierten - Axiomensatz ohne Kollaps und ohne die Bornsche Regel neue, vernünftige Axiome geben muss, mittels derer die Notwendigkeit der Wahrscheinlichkeitsinterpretation im Kontext der Everettsche QM logisch begründbar wird. Allerdings besteht heute über diese neue, vernünftigen Axiome und die Ableitung der Wahrscheinlichkeitsinterpretation keine Einigkeit!

D.h. wir haben einen reduzierten, axiomatisch schlankeren Startpunkt ohne Wahrscheinlichkeiten; wir können beweisen, dass eine mögliche Wahrscheinlichkeitsinterpretation mathematisch eindeutig definiert ist. Wir haben das Ziel, auf Basis weitere Axiome zu verstehen, warum aus der Everettschen QM eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation folgen muss; das ist wesentlich ambitionierter als in der orthodoxen QM, die hier nichts zu einem tieferen Verständnis beiträgt; aber das ist noch nicht abgeschlossen.

soon 03.08.18 12:40

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88348)
Das ist nicht der Punkt. ...

Das kann schon sein.

Anderseits kann es auch sein, dass man weiter ausholen muss.

Na ja, und genau genommen sehe ich keine wirklich konkrete Formulierung einer Problemstellung, ausser vielleicht 'Was ist eine quantenmechanische Messung?', aber diese zentrale Frage wird gar nicht diskutiert.

Bemühungen z.B. um konkretere Voraussagen zu dem nächsten Einschlag auf dem Detektorschirm brächten mehr voran, imho, als die Fragen nach dem 'tieferen Verständnis' und dem 'Warum'.

Insofern halte ich den grossen Aufwand um die Frage 'Kopenhagener Deutung oder Everettsche QM?' für nicht angemessen, - es sei denn man hat eine Leidenschaft für Philosophie.

Die Schlussfolgerung "Wenn nicht Kopenhagener Deutung dann Everettsche QM." schliesst neue Erkenntnisse aus.

TomS 03.08.18 13:19

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88349)
Na ja, und genau genommen sehe ich keine wirklich konkrete Formulierung einer Problemstellung, ausser vielleicht 'Was ist eine quantenmechanische Messung?', aber diese zentrale Frage wird gar nicht diskutiert.

Diese Frage wird im Rahmen der orthodoxen QM per Postulat ausgeblendet und ist nicht mal diskutierbar. Im Rahmen der Everettsche QM ist sie trivialerweise gelöst.

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88349)
Bemühungen z.B. um konkretere Voraussagen zu dem nächsten Einschlag auf dem Detektorschirm brächten mehr voran ...

Diese Fragen sind gelöst.

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88349)
... als die Fragen nach dem 'tieferen Verständnis' und dem 'Warum'.

Aber nur darum geht es, wenn man Interpretationen der QM diskutiert.

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88349)
Insofern halte ich den grossen Aufwand um die Frage 'Kopenhagener Deutung oder Everettsche QM?' für nicht angemessen, - es sei denn man hat eine Leidenschaft für Philosophie.

Wenn du ein Anhänger einer pragmatischen Richtung bist, dann interessieren dich derartige Fragestellungen natürlich nicht.

Unangemessen ist dieser Aufwand eher nicht; Einstein, Bohr, Schrödinger, Heisenberg, Weizsäcker, ... Wheeler, de Witt, ... Hartle, ... Carroll, ... mach(t)en sich die Mühe, das zu verstehen.

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88349)
Die Schlussfolgerung "Wenn nicht Kopenhagener Deutung dann Everettsche QM." schliesst neue Erkenntnisse aus.

Habe ich das so geschrieben? Welche neuer Erkenntnisse wären das?

Hawkwind 03.08.18 15:15

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88338)
Eine Messung im Sinne der KI präpariert immer exakte Eigenfunktionen; das ist ein fundamentales Postulat.

Nun ja, bei der KI geht es eben um "idealisierte Messungen", die es in der Praxis nicht gibt. Ich habe mal gelernt, die Angabe eines Messwertes ohne zugehörige Fehlerabschätzung ist wertlos.

TomS 03.08.18 17:22

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 88354)
Nun ja, bei der KI geht es eben um "idealisierte Messungen", die es in der Praxis nicht gibt. Ich habe mal gelernt, die Angabe eines Messwertes ohne zugehörige Fehlerabschätzung ist wertlos.

Es gibt aber im Rahmen der KI keine Definition einer realen Messung - oder hast du da eine Quelle? Aber es gibt das Postulat der Reduktion (Projektion) des Zustandes auf einen der Eigenvektoren der zu messenden Observablen oder erweiterter Formalismen wie POVM. Das hat alles nichts mit dem realen Messprozess und fehlenden Fehlerabschätzungen zu tun.

https://en.wikipedia.org/wiki/Mathem...of_measurement

Fakt ist, dass die Messung nicht den Regeln der unitären Zeitentwicklung folgt, und dass Messungen und die dabei anzuwendenden Projektionen sozusagen künstlich eingeführte Präparationen sind.

Ausgangspunkt war die Frage nach den Eigenzuständen: ohne Projektionspostulat existiert kein Grund, warum es diese geben sollte. Und gemäß Dekohärenz und Everett sind sie nicht notwendig.

Man kann also sehr wohl auf sie verzichten.

TomS 03.08.18 18:01

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Ich weiß nicht, ob ihr vernünftige Darstellungen gelesen habt, z.B. die von Carroll (nicht Zeh, da zu unklar). Ich habe den Eindruck, dass wir hier immer nur Bruchstücke diskutieren und der Zusammenhang bzw. Überblick fehlt.

Täuscht mich dieser Eindruck?

Sollen wir die Diskussion mal auf eine vernünftige Grundlage stellen?

Damit bleiben natürlich immer noch genügend strittige Punkte - aber es wären wenigsten die wichtigen Punkte, keine Scheinprobleme.

Bernhard 03.08.18 18:27

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88346)
Sobald wir verstanden haben, warum wir überhaupt Wahrscheinlichkeiten in den Formalismus hineininterpretieren dürfen oder müssen (?) folgen die korrekten Wahrscheinlichkeiten. Diese zweite Frage ist geklärt.

Das ist eine wirklich interessante Problemstellung.

1) Man kann sich dabei zuerst überlegen, inwieweit eine globale Wellenfunktion + Hamilton-Funktion ein determiniertes System bildet. Wie die Gravitation in der Hamilton-Funktion dabei genau berücksichtigt werden soll, ist dabei auch noch nicht eindeutig geklärt und könnte deshalb für Überraschungen sorgen.

2) Überall dort, wo man gemäß Wellenfunktion + Hamilton-Funktion ein determiniertes System hat, kann man Teilsysteme betrachten. Wenn sich nun beispielsweise die globale Wellenfunktion in gewissen Raumbereichen stark ähnelt, so könnte man die Zeitentwicklung dieser Bereiche untersuchen und versuchen daraus einen Wahrscheinlichkeitsbegriff oder sogar die bornsche Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktion abzuleiten.

Es stellen sich damit einige recht abstrakte und schwer zu beantwortende Fragen, die aber gerade dadurch auch sehr interessant sind.

Bernhard 03.08.18 18:30

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88356)
Sollen wir die Diskussion mal auf eine vernünftige Grundlage stellen?

Wenn Du dazu Ideen hast nur her damit. Am besten in ein neues Thema, beispielsweise im Bereich "Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik".

Marco Polo 03.08.18 21:23

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88356)
Sollen wir die Diskussion mal auf eine vernünftige Grundlage stellen?

Sehr gerne. Deine lehrreichen Beiträge sind hier stets willkommen. :)

TomS 03.08.18 21:36

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88358)
Wenn Du dazu Ideen hast nur her damit. Am besten in ein neues Thema, beispielsweise im Bereich "Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik".

Ich denke darüber nach.

Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 88360)
Sehr gerne. Deine lehrreichen Beiträge sind hier stets willkommen.

Vielen Dank.

Am spannendsten wäre es, das gemeinsam zu entwickeln.

TomS 03.08.18 21:41

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88357)
Überall dort, wo man gemäß Wellenfunktion + Hamilton-Funktion ein determiniertes System hat, kann man Teilsysteme betrachten ... so könnte man die Zeitentwicklung dieser Bereiche untersuchen und versuchen daraus einen Wahrscheinlichkeitsbegriff oder sogar die bornsche Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktion abzuleiten.

So in etwa geht ja Everett vor, wobei er nicht den Ortsraum sondern ausschließlich den Hilbertraum zugrunde legt.

Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88357)
Es stellen sich damit einige recht abstrakte und schwer zu beantwortende Fragen, die aber gerade dadurch auch sehr interessant sind.

Sie sind sicher abstrakt und sicher schwierig. Das erkennt man schon daran, dass sie seit fast 100 Jahren im Raum stehen und immer noch offen sind.

soon 04.08.18 06:24

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88350)
Zitat:

Zitat von soon
Bemühungen z.B. um konkretere Voraussagen zu dem nächsten Einschlag auf dem Detektorschirm brächten mehr voran ...
Diese Fragen sind gelöst.

Gelöst und verneint ist lediglich die Frage, ob man durch 'welcher-Weg-Experimente' zu neuen Erkenntnissen kommen kann.

Eine ganz andere Frage ist z.B., ob man durch Analyse, Aufbereiten und Weiterrechnen von Detektordaten zu Vorhersagen über den weiteren Verlauf des Experiments kommen kann, die mehr Details bieten als ein Interferenzmuster.


Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88350)
Einstein, Bohr, Schrödinger, Heisenberg, Weizsäcker, ... Wheeler, de Witt, ...

Keiner dabei, vermutlich, der 100 Jahre Philosophie nicht eintauschen würde gegen ein einziges neuartiges Experiment.


Aber du hast recht, das Thema hier ist Interpretationen der QM.

TomS 04.08.18 07:09

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88363)
Eine ganz andere Frage ist z.B., ob man durch Analyse, Aufbereiten und Weiterrechnen von Detektordaten zu Vorhersagen über den weiteren Verlauf des Experiments kommen kann, die mehr Details bieten als ein Interferenzmuster.

Das ist mir zu unkonkret.

Man kann Experimente, bei denen das Teilchen oder der Zustand nicht „zerstört“ werden und die somit nachfolgende Messungen am selben System erlauben, im Rahmen der Quantenmechanik beschreiben. Dabei werden - wie üblich - alle Vorhersagen der Quantenmechanik bestätigt; das müssen nicht nur Interferenzmuster sein.

Darüberhinaus existieren keine weiteren Vorhersagen, weil kein über die Quantenmechanik hinausgehender Formalismus bekannt ist, der diese Vorhersagen liefern könnte.

Auf was genau willst du hinaus?

Bernhard 04.08.18 08:17

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88364)
Darüberhinaus existieren keine weiteren Vorhersagen, weil kein über die Quantenmechanik hinausgehender Formalismus bekannt ist, der diese Vorhersagen liefern könnte.

Denkbar sind Was-wäre-wenn-Situationen. Beim Doppelspalt könnte man bei sehr genauer Kenntnis des Versuchs eventuell angeben, wo ein zusätzlicher Detektor im linken oder rechten Weg angesprochen hätte. Das ändert aber nichts am Interferenzmuster beim ungestörten Versuch. Der Welle-Teilchen-Dualismus wird also bleiben und mit ihr große Teile der QM.

Bei der bornschen Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellenfunktionen gibt es dann schon mehr Möglichkeiten für Weiterentwicklungen und Begründungen.

Ich fände es auch wünschenswert, wenn anstelle des Begriffes "Viele-Welten-Interpretation" eher "everettsche Quantenmechanik" verwendet werden würde.
"Viele-Welten-Interpretation" ist gemäß den Beiträgen in diesem Thema ein extrem missverständlicher Begriff.

soon 04.08.18 08:20

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88364)
Das ist mir zu unkonkret.

...

Auf was genau willst du hinaus?

Das wäre zu sehr offtopic. Vielleicht ein anders Mal.

Gruss

Bernhard 04.08.18 08:22

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
@Tom:

im WP-Artikel Interpretationen der Quantenmechanik findet man im Abschnitt Viele-Welten-Interpretation den folgenden Satz:
Zitat:

Während in der orthodoxen Interpretation die Wellenfunktion die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten verschiedener möglicher Messergebnisse beschreibt, von welchen dann bei Durchführung einer Messung nur eines realisiert wird, geht die Viele-Welten-Interpretation davon aus, dass alle physikalisch möglichen Ereignisse tatsächlich stattfinden.
Findet man das auch bei den Arbeiten von Everett?

Timm 04.08.18 10:54

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88367)
@Tom:

im WP-Artikel Interpretationen der Quantenmechanik findet man im Abschnitt Viele-Welten-Interpretation den folgenden Satz:

Findet man das auch bei den Arbeiten von Everett?

Dazu schrieb Tom:
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88179)
Das ist m.E. das grundlegende Missverständnis: Everett postuliert keine neue Welten, er akzeptiert lediglich das Ergebnis der Schrödingergleichung als Beschreibung der Realität. Für mikroskopische Skalen stimmen hier alle Physiker überein; für makroskopische Skalen oder “Messungen” postulieren viele einen Kollaps, führen also ad hoc ein zusätzliches Element ein, um bestimmte Konsequenz zu vermeiden. Everett akzeptiert die Konsequenzen auch bzgl. makroskopischer Systeme, vermeidet den ad hoc Kollaps und nimmt damit der Messung und dem Beobachter ihren Sonderstatus.

Zitat aus Wikipedia:

Zitat:

Everett formulierte relative quantenmechanische Zustände im Jahre 1957. Der US-Physiker Bryce DeWitt verbreitete diese Theorie in den 1960er und 1970er Jahren unter Viele-Welten und bezeichnete damit die unterschiedlichen Zustände des Quantensystems nach einer Messung.
Ich denke "Viele Welten" meint grundsätzlich dasselbe wie "relative quantenmechanische Zustände". Letzteres vermeidet gewisse Emotionen. Dem Physiker wird's wurscht sein.

Bernhard 04.08.18 12:59

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88371)
Ich denke "Viele Welten" meint grundsätzlich dasselbe wie "relative quantenmechanische Zustände".

Das glaube ich eher weniger und habe mir nun die zugehörige Arbeit von Everett aus dem Jahr 1957 (endlich) besorgt. Scheinbar hat sich da über die Jahrzehnte etwas entwickelt, das mit dem Original nur noch wenig zu tun hat. Diese Erkenntnis sollte in der WP viel deutlicher dargestellt werden.

TomS 04.08.18 14:25

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88365)
Ich fände es auch wünschenswert, wenn anstelle des Begriffes "Viele-Welten-Interpretation" eher "everettsche Quantenmechanik" verwendet werden würde.
"Viele-Welten-Interpretation" ist gemäß den Beiträgen in diesem Thema ein extrem missverständlicher Begriff.

Das tue ich zumeist.

Häufig spreche ich von Everett-Interpretation. Everettsche Quantenmechanik weist noch deutlicher darauf hin, dass sie - betrachtet man die Axiome - zur orthodoxen Quantenmechanik mathematisch nicht-äquivalent ist.

TomS 04.08.18 14:30

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88367)
Im WP-Artikel Interpretationen der Quantenmechanik findet man im Abschnitt Viele-Welten-Interpretation den folgenden Satz:

Zitat:

Während in der orthodoxen Interpretation die Wellenfunktion die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten verschiedener möglicher Messergebnisse beschreibt, von welchen dann bei Durchführung einer Messung nur eines realisiert wird, geht die Viele-Welten-Interpretation davon aus, dass alle physikalisch möglichen Ereignisse tatsächlich stattfinden.
Findet man das auch bei den Arbeiten von Everett?

Ich weiß nicht, ob Everett das genau so schreibt, aber im Kern ist das natürlich genau die anschauliche Formulierung dessen, was uns sein Formalismus sagt.

TomS 04.08.18 14:31

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88372)
Das glaube ich eher weniger und habe mir nun die zugehörige Arbeit von Everett aus dem Jahr 1957 (endlich) besorgt. Scheinbar hat sich da über die Jahrzehnte etwas entwickelt, das mit dem Original nur noch wenig zu tun hat. Diese Erkenntnis sollte in der WP viel deutlicher dargestellt werden.

Everett könnte noch nicht auf die Dekohärenz zurückgreifen. Diese untermauert seine Ideen natürlich.

TomS 04.08.18 14:40

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Nochmal zu der Aussage, dass gemäß der Everettschen Quantenmechanik alle Ereignisse tatsächlich auftreten.

Zunächst möchte ich auf eine Verwandte Aussage hinweisen: Ein wesentliche Erkenntnis ist das sogenannte Maudlin-Trilemma. Maudlin zeigt, dass die folgenden drei Aussagen zusammengenommen inkonsistent sind:
1) Der Zustandsvektor beschreibt das System vollständig (insbs. keine verborgenen Variablen)
2) Der Zustandsvektor folgt immer einer linearen Zeitentwicklung (Schrödingergleichung).
3) Messungen haben immer ein definiertes Ergebnis (im Sinne einer definierten Eigenschaft bzgl. einer Observablen)

Die KI lehnt (2) ab und postuliert ad hoc einen Kollaps.

Die Everettsche Quantenmechanik hält an (1 - 2) fest und lehnt (3), d.h. das Kollapspostulat bzw. den sog. eigenvector-eigenvalue-link, ab. Damit bleibt die realistische Interpretation des nicht-kollabierten Zustandsvektors auch im Zuge einer Messung erhalten. Letztere führt aber nicht mehr zu einem einzigen, definierten Ergebnis, stattdessen sind alle quantenmechanisch zulässigen Messergebnisse in je einem eigenen Zweig, d.h. einer Komponente, des Zustandsvektors erfüllt. Diese Zweigstruktur steht im Einklang mit der Schrödingergleichung und deren unitärer Zeitentwicklung (2) des wechselwirkenden Gesamtsystems.


Betrachten wir ein Photon, das durch einen Strahlteiler läuft, und anschließend zwei Wege einschlagen kann. Der entsprechende Zustand sei

α|1,0> + β|0,1>

α² + β² = 1

Die Notation besagt, dass ein Photon im ersten |1,0> bzw. zweiten |0,1> Weg existiert.

In diese Wege bringen wir je ein Atom |a>, das durch das Photon zu |a*> angeregt wird. Bevor das Photon eines dieser Atome erreichen kann, liegt der Zustand

(α|1,0> + β|0,1>) ⊗ |a,a>

vor

Nach der Wechselwirkung - letztlich bestimmt durch die Lichtlaufzeit - liegt

α|0,0> ⊗ |a*,a> + β|0,0> ⊗ |a,a*> = |0,0> ⊗ (α|a*,a> + β|a,a*>)

vor.

Das Photon wurde absorbiert, die beiden Atome sind miteinander verschränkt.

Bisher ist das Standard-Textbuch-QM, alle stimmen darin überein, tausende von Physikern benutzen das tagtäglich ohne große Worte zu verlieren.

Nun ersetzen wir die beiden Atome |a,a> durch zwei makroskopischen Detektoren |A,A>; falls ein Detektor das Photon registriert, zeigt er dies am Display an; diesen Zustand bezeichne ich als |A*>. Außerdem beinhalte dieser Zustand noch die Verschränkung mit weiteren Freiheitsgraden im Labor sowie dem Beobachter, d.h. in |A*> beobachtet ein Beobachter anhand des Displays die Registrierung Photons.

Gemäß der Schrödingergleichung inkl. der Dekohärenz erhalten wir wieder einen Zustand

|0,0> ⊗ (α|A*,A> + β|A,A*>)


Nun folgt das große Schisma der Quantenmechanik:


Anhänger der orthodoxen Quantenmechanik postulieren - im Widerspruch zur Schrödingergleichung - die stochastische Reduktion des Zustandes auf eine der beiden klassischen Detektor-, Display- und Beobachterzustände, d.h. z.B.

|A*,A>

mit Wahrscheinlichkeit p = α².

Der erste Detektor zeigt die Registrierung der Photons an, der zweite nicht.


Anhänger der Everettschen Quantenmechanik akzeptieren die Weiterexistenz der beiden verschränkten Detektoren - in Übereinstimmung mit der Schrödingergleichung - d.h. es gilt weiterhin

|0,0> ⊗ (α|A*,A> + β|A,A*>)

wobei der Beobachter mit einer Wahrscheinlichkeit p = α² „in“ |A*,A> die Detektion am erste Detektor sieht, sowie mit der jeweils anderen Wahrscheinlichkeit p = 1 - α² „in“ |A,A*> die Detektion am zweiten Detektor.

Gewissermaßen verzweigen sich Detektoren und Beobachter. Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend, da diese Verzweigung bereits in

(α|1,0> + β|0,1>) ⊗ |A,A>

angelegt war.

Beide Positionen sind liefern korrekte Vorhersagen bzgl. der möglichen und tatsächlichen Messergebnisse.

Die erste Position führt ein ad hoc Postulate ein - ich hoffe das ist klar geworden. Die zweite Position verzichtet auf dieses unnötige und in gewisser Weise logisch inkonsistente Postulat, akzeptiert dafür jedoch die Existenz wechselweise orthogonaler und dynamisch separierter Sektoren im Hilbertraum, den wechselweise unbeobachtbaren Zweigen.

Timm 04.08.18 15:10

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88377)
Die Everettsche Quantenmechanik hält an (1 - 2) fest und lehnt (3), d.h. das Kollapspostulat bzw. den sog. eigenvector-eigenvalue-link ab. Damit bleibt die realistische Interpretation des nicht-kollabierten Zustandsvektors auch im Zuge einer Messung erhalten. Letztere führt aber nicht mehr zu einem einzigen, definierten Ergebnis, stattdessen sind alle quantenmechanisch zulässigen Messergebnisse in je einem eigenen Zweig, d.h. einer Komponente des Zustandsvektors erfüllt. Diese Zweigstruktur steht im Einklang mit der Schrödingergleichung und deren unitärer Zeitentwicklung (2) des wechselwirkenden Gesamtsystems

Für mich klingt das ebenso gut nach VWI: Die Frage war Everett vs Viele Welten. Was - falls überhaupt etwas- macht den Unterschied?

TomS 04.08.18 15:18

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 88378)
Für mich klingt das ebenso gut nach VWI: Die Frage war Everett vs Viele Welten. Was - falls überhaupt etwas- macht den Unterschied?

Zunächst ist das nur ein durch de Witt geprägter Name. Die heutige Physik greift außerdem zur Untermauerung auf die Dekohärenz zurück, die eine mathematische Ableitung der Everettschen „Zweige“ gestattet.

Timm 04.08.18 19:34

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Also kein grundsätzlicher Unterschied. Das wäre bei in beiden Fällen konsistenter Auslegung der QT auch nicht zu erwarten.

JoAx 04.08.18 21:32

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
An die richtige Stelle verschoben.

Bernhard 04.08.18 21:34

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Vom ersten Überfliegen der Arbeit von 1957 habe ich den Eindruck bekommen, dass bei Everett absolut nichts von "Vielen-Welten" im Sinne einer Aufspaltung der Realität in verschiedene "Zweige" zu finden ist. Er muss lediglich und zwingenderweise verschiedene Subsysteme betrachten, weil man ausgehend von einer Realität unmöglich zu Wahrscheinlichkeiten kommen kann. Wer diese Teilsysteme als Aufspaltung deutet, hat meiner Meinung nach gar nicht verstanden, um was es in der Arbeit eigentlich geht.

Die Arbeit von 1957 skizziert eine Art Programm. Everett nennt es Meta-Theorie. Innerhalb dieses Programms Wahrscheinlichkeiten zu beschreiben ist dabei relativ ambitioniert, weil das System selbst nur sehr allgemein festgelegt ist. Trotzdem ist Everett bereits 1957 sehr weit gekommen und hat meiner Meinung nach bereits damals die grundlegende Idee der Dekohärenz zumindest vorgezeichnet.

TomS 04.08.18 22:50

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88383)
Vom ersten Überfliegen der Arbeit von 1957 habe ich den Eindruck bekommen, dass bei Everett absolut nichts von "Vielen-Welten" im Sinne einer Aufspaltung der Realität in verschiedene "Zweige" zu finden ist.

Siehe jedoch Fußnote Seite 15 in

http://jamesowenweatherall.com/SCPPR...ttComments.pdf

sowie Fußnote Seite 68 in

https://www-tc.pbs.org/wgbh/nova/man...ssertation.pdf

Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88383)
Wer diese Teilsysteme als Aufspaltung deutet, hat meiner Meinung nach gar nicht verstanden, um was es in der Arbeit eigentlich geht.

Everett schreibt „branches“ und „splitting“, jeweils in Anführungszeichen.

„Aufspaltung“ ist in der Tat irreführend; siehe

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88377)
|0,0> ⊗ (α|A*,A> + β|A,A*>)

...

Gewissermaßen verzweigen sich Detektoren und Beobachter. Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend, da diese Verzweigung bereits in

(α|1,0> + β|0,1>) ⊗ |A,A>

angelegt war.

Carroll schreibt:

Zitat:

The basic objection is that EQM postulates too many universes ... In EQM, that [measurements] is dealt with by saying that every measurement outcome “happens,” but each in a different “universe” or “world.” ... Why, this objection goes, would you ever think of inventing a huge — perhaps infinite! — number of different universes ... In classical mechanics, then, it’s quite a bit of work to accommodate extra universes ... That is not what happens in quantum mechanics. The capacity for describing multiple universes is automatically there. We don’t have to add anything ...

All of this exposition is building up to the following point: in order to describe a quantum state that includes two non-interacting “worlds”, we didn’t have to add anything at all to our description of the universe, unlike the classical case. All of the ingredients were already there!

Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88383)
Everett [hat] bereits 1957 die grundlegende Idee der Dekohärenz zumindest vorgezeichnet.

Everett analysiert die Struktur eines Quantenzustandes. Die Dynamik der Entstehung und der Eigenschaften diese Struktur verstehen wir erst durch die Dekohärenz; die kannte Everett noch nicht.

Entscheidender als die Begriffe ist die Tatsache, dass Everett vollständig auf einen Kollaps o.ä. verzichtet.

soon 06.08.18 07:06

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
https://physikunterricht-online.de/j...on-experiment/
Zitat:

Jedes durchgelassene Elektron kann genau in einem Detektor nachgewiesen werden. Die Elektronen treffen nacheinander so auf die Detektoren, dass sich mit der Zeit (bei einer entsprechend großen Anzahl an Elektronen) das bekannte Interferenzmuster ergibt.
Was ist korrekt, a) oder b) ?

a) die Anzahl der detektierten Elektronen plus die Anzahl der nicht-durchgelassen Elektronen ist gleich der Anzahl der abgeschossenen Elektronen.

b) die Anzahl der detektierten Elektronen plus die Anzahl der nicht-durchgelassen Elektronen ist kleiner als die Anzahl der abgeschossenen Elektronen. D.h. nacheinander durchgelassene Elektonen können sich irgendwie zu Null (kein Einschlag) aufaddieren.


Falls b) richtig ist, gibt es keine "Zweige", die nichts mehr miteinander zu tun haben.

TomS 06.08.18 07:20

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88387)
https://physikunterricht-online.de/j...on-experiment/
Was ist korrekt, a) oder b) ?

a) die Anzahl der detektierten Elektronen plus die Anzahl der nicht-durchgelassen Elektronen ist gleich der Anzahl der abgeschossenen Elektronen.

b) die Anzahl der detektierten Elektronen plus die Anzahl der nicht-durchgelassen Elektronen ist kleiner als die Anzahl der abgeschossenen Elektronen. D.h. nacheinander durchgelassene Elektonen können sich irgendwie zu Null (kein Einschlag) aufaddieren.


Falls b) richtig ist, gibt es keine "Zweige", die nichts mehr miteinander zu tun haben.

Zum ersten ist mir nicht klar, was du mit durchgelassenen und nicht durchgelassenen Elektonen meinst. Zum zweiten sollte dir bewusst sein, dass uns die Quantenmechanik lehrt, dass klassische Begriffe und Vorstellungen von Teilchen falsch sind bzw. zu falschen Schlüssen führen. Dann zum Begriff der “Zweige”: wie bereits oben angedeutet ist dieser Begriff problematisch; das gilt auch für “Welten”, “Aufspaltung” usw.

Letztlich ist jeder anschauliche Begriff irreführend bis falsch!

Deswegen lade ich dich ein, mein o.g. wesentlich einfacheres Beispiel zu betrachten und dabei zu versuchen, die Mathematik zu verstehen, d.h. insbs. den Ausdruck

U (α|1,0> + β|0,1>) ⊗ |A,A>) = |0,0> ⊗ (α|A*,A> + β|A,A*>)

Über diesen Ausdruck sind sich alle Physiker einig, er alleine ist präzise definiert, und aus ihm folgen korrekte Vorhersagen. Uneinigkeit herrscht alleine über seine Interpretation, insbs. die ontologische Bedeutung.

Gemäß dieses Ausdrucks folgen die „Zweige“ = Komponenten |A*,A> und |A,A*> beweisbar und unstrittig aus der unitären Zeitentwicklung U = exp[-iHt] gemäß der Schrödingergleichung. Gemäß der ebenfalls unstrittigen Dekohärenz sind diese beiden „Zweige“ „wechselweise unsichtbar“, d.h. wir sind nicht in der Lage, ein Experiment durchzuführen, das eine Interferenz zwischen beiden Zweigen herbeiführen kann. Der wesentliche Grund dafür ist die Struktur dieser Komponenten, die sich von |1,0> und |0,1>, für die Interferenz natürlich nachweisbar ist, grundlegend unterscheidet.

Die Physiker haben letztlich zwei Strategien entwickelt, um mit diesem Ausdruck umzugehen:stochastischer Kollaps zu entweder |A*,A> oder |A, A*>; oder Akzeptanz dieses Ausdrucks. Beide Strategien sind empirisch ununterscheidbar, führen jedoch zu unterschiedlichen Interpretationen.

Wenn du schreibst

Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88387)
Falls ... [dann] gibt es keine "Zweige" ...

dann musst du dir Rechenschaft darüber ablegen, was du mit „es gibt“ meinst. Im mathematischen Sinne „gibt“ es diese Zweige zweifelsfrei. Im physikalischen Sinne dürfen wir annehmen, dass sie real existieren, da dies erstens unmittelbar aus dem Formalismus folgt und zweitens mit unseren Beobachtungen übereinstimmt. Genauso dürfen wir den Formalismus um einen ad hoc Kollaps erweitern und die reale Existenz dieser Zweige ablehnen.


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 18:57 Uhr.

Powered by vBulletin® Version 3.8.8 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
ScienceUp - Dr. Günter Sturm