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-   -   Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren? (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=3384)

TomS 31.07.18 12:17

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Literatur zu welchem Thema genau?

Bernhard 31.07.18 12:31

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88254)
Literatur zu welchem Thema genau?

Na zu den Axiomen der Everettschen Sichtweise, falls solche von Everett jemals ausreichend klar formuliert wurden. Sonst spekulieren wir doch noch "in 100 Jahren" über die everettschen Arbeiten.

soon 31.07.18 13:07

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Ausreichend klare Formulierungen kann es vielleicht nicht geben ohne eine zufriedenstellende Definition des Begriffs 'quantenmechanische Messung'.

TomS 31.07.18 13:26

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Ich suche dir einige Quellen zusammen.

mMn versteht man heute im Kern folgende Axiome als grundlegend:

1. Die Beschreibung eines Quantensystems erfolgt im Rahmen eines separablen Hilbertraumes
2. Der Zustand eines einzelnen Quantensystems wird durch einen normierten Vektor als Element dieses Hilbertraumes beschrieben.
3. Die Zeitentwicklung eines einzelnen isolierten Quantensystems wird durch einen unitären Zeitentwicklungsoperator U(t) = exp[-iHt] beschrieben
(H entspricht dabei dem Hamiltonoperator; dieses Axiom ist äquivalent zur
Schrödingergleichung)

TomS 31.07.18 13:31

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von soon (Beitrag 88256)
Ausreichend klare Formulierungen kann es vielleicht nicht geben ohne eine zufriedenstellende Definition des Begriffs 'quantenmechanische Messung'.

Richtig.

Das ist sicher ein wesentliches Defizit der orthodoxen Quantenmechanik.

Nach Everett entspricht eine Messung lediglich einer speziellen Wechselwirkung mit einem speziellen makroskopischen Objekt - dem Messgerät - das eine möglichst präzise Korrelation zwischen den Zuständen des zunächst isolierten Quantensystems und den Zuständen des makroskopischen Zeiger des Messgerätes herstellt.

JoAx 31.07.18 13:46

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88252)
Man geht davon aus, dass die Bornsche Regel im Zuge der Everettschen Interpretation als Theorem aus anderen Axiomen ableitbar ist. Das hat bereits Everett versucht, allerdings besteht bis heute keine Einigkeit, ob und wie diese Argumentation funktionieren kann und ob derartige Ableitungen nicht alle irgendwie zirkulär wären.
...
Bisher sind alle Herleitungen recht verzwickt und werden immer wieder als zirkulär kritisiert, im Sinne von "wenn wir irgendetwas annehmen, was implizit bzw. versteckt irgendwas enthält, was irgendwie entfernt mit Wahrscheinlichkeiten zu tun hat, dann folgt irgendwie eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation sowie die Bornsche Regel".

Das erinnert mich jetzt an die Geschichte mit dem 5. Postulat der Euklidischen Geometrie. :)
Und wie sollen Wahrscheinlichkeiten rauspurzeln, wenn sie nicht "händisch" eingebaut werden?

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88252)
1) Warum resultiert aus der Everettschen Interpretation überhaupt eine Wahrscheinlichkeit? Immerhin ist die Theorie explizit deterministisch.

Ich weiss, dass du mich jetzt wieder dafür kritisieren wirst, aber ich sehe die Lösung darin, dass man "Deterministik" und "Statistik" nicht als widersprüchlich/konkurierend ansieht.

Klar, wir lernen die Statistik an Beispielen lernen, wo man die Ursache für unterschiedliches Ergebnis im eigentlich ungleichen Ablauf vermuten kann. Aber muss deswegen jede Wahrscheinlichkeit eine (tiefere) Ursache haben. Ich persönlich sehe die Tatsache, dass QM die Bell'sche Ungleichung verletzt, als ein starkes Argument dafür, das es keine Ursache gibt.

So tickt es bei mir gerade.

TomS 31.07.18 14:25

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von JoAx (Beitrag 88259)
Und wie sollen Wahrscheinlichkeiten rauspurzeln, wenn sie nicht "händisch" eingebaut werden?

Das ist die Frage.

Zitat:

Zitat von JoAx (Beitrag 88259)
Ich weiss, dass du mich jetzt wieder dafür kritisieren wirst, aber ich sehe die Lösung darin, dass man "Deterministik" und "Statistik" nicht als widersprüchlich/konkurierend ansieht.

Das ist sogar im wesentlichen die Sicht von Everett et al.

Während ein Beobachter nur das wahrnimmt, was ihm die Dekohärenz "innerhalb seines Zweiges zu beobachten gestattet", bleibt der "sich auffächernde" Quantenzustand weiterhin streng deterministisch.

Stell dir ein Quantenexperiment vor, bei dem ein Zustand beschrieben durch κ|1> + ζ|2> mit einer Münze verschränkt wird, so dass der Gesamtzustand dem resultierenden Vektor κ|1,K> + ζ|2,Z> + ... entspricht. Dies erfolgt streng deterministisch. Das Auffächern dieses Zustandes einschließlich deiner selbst als Beobachter resultiert in dem Vektor

κ|1,K, B beobachtet K> + ζ|1,Z, B beobachtet Z> + ...

Ob du nun der "B beobachtet K" oder "B beobachtet Z" bist, ist rein zufällig.

Das alles ist mathematisch unstrittig; es ist absolute Standard-Quantenmechanik und wird von Tausenden von Physikern im Rahmen von unzähligen Berechnungen und Experimenten täglich verwendet.

Strittig wird es erst, wenn man erwähnt, dass eine Messung stattfindet, bei der ein Beobachter B im Spiel ist.

Anhänger von Everett werden behaupten, dass der Zustand, beschrieben durch

κ|1,K, B beobachtet K> + ζ|1,Z, B beobachtet Z> + ...

real existent bleibt.

Diejenigen Physiker, die die Everettsche Interpretation ablehnen, werden eine neue Regel erfinden, derzufolge nach Beobachtung von "K" nur noch der Zustand real existiert, der durch |1,K> beschrieben wird. Man beachte, dass diese Regel in allen anderen Fällen explizit inkonsistent mit der Schrödingergleichung ist, während Everetts Regel universell gültig und sonst nie umstritten ist.

Man beachte außerdem, dass Everett mittels der Schrödingergleichung den Zustandsvektor

κ|1,K, B beobachtet K> + ζ|1,Z, B beobachtet Z> + ...

einschließlich der korrekten Amplituden κ, ζ berechnen kann.

Was Everett et al. jedoch bisher nicht zeigen können ist, warum aus κ, ζ mittels

p(K) = |κ|²
p(Z) = |ζ|²

die Wahrscheinlichkeiten für Kopf oder Zahl folgen.

Versuche bitte zu verstehen, dass die orthodoxe QM sowie die QM nach Everett in fast allen Punkten mathematisch übereinstimmen. Versuche bitte auch zu verstehen, dass es sowohl der Kollaps als auch der nicht-Kollaps nicht weiter hinterfragbare Postulate sind. Während die Everett-Anhänger laut ihren Gegnern etwas unsinniges postulieren, tun die Everett-Gegner laut der Everett-Anhänger dies ebenfalls. Je nach persönlichen Vorlieben kann man beide Ansichten teilen oder ablehnen.

Bernhard 31.07.18 15:22

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88257)
mMn versteht man heute im Kern folgende Axiome als grundlegend:

1. Die Beschreibung eines Quantensystems erfolgt im Rahmen eines separablen Hilbertraumes
2. Der Zustand eines einzelnen Quantensystems wird durch einen normierten Vektor als Element dieses Hilbertraumes beschrieben.
3. Die Zeitentwicklung eines einzelnen isolierten Quantensystems wird durch einen unitären Zeitentwicklungsoperator U(t) = exp[-iHt] beschrieben
(H entspricht dabei dem Hamiltonoperator; dieses Axiom ist äquivalent zur
Schrödingergleichung)

Wie sieht es mit Operatoren auf dem Hilbertraum aus?

TomS 31.07.18 15:40

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von Bernhard (Beitrag 88261)
Wie sieht es mit Operatoren auf dem Hilbertraum aus?

Die mathematische Existenz der Operatoren ist natürlich durch den Hilbertraum gegeben. Dass bestimmte Operatoren physikalischen Observablen entsprechen, bleibt weiterhin gültige Konvention.

Die Eigenwerte dieser Operatoren werden jedoch nicht mehr per Postulat als mögliche Messwerte eingeführt. Es ist eher umgekehrt so, dass eine Messung bzw. ein Messgerät gerade so konstruiert sind, dass eine Korrelation aus diesen Eigenzuständen mit ihren Eigenwerten sowie den makroskopischen Zeigerzuständen folgt.

D.h. wenn du z.B. den Spin s messen möchtest, dann musst du eine Messgerät konstruieren, so dass dessen Zeigerzustände |S> gerade mit den Eigenzuständen |s> korreliert sind, so dass du genau damit eine diesbzgl. Auffächerung |s,S> auszeichnest; dieses Messgerät bewirkt genau diese Auffächerung des Zustandes in jeweils stabile sowie wechselweise unsichtbare Zweige.

Es handelt sich nicht mehr um ein Postulat, sondern eher um einen Leitsatz zur Konstruktion geeigneter Messgeräte. Im Zuge der orthodoxen Quantenmechanik ist in keinster Weise klar, dass zu jedem selbstadjungierten Operator überhaupt eine physikalisch mögliche Messung existiert. Der Zusammenhang zwischen Messgerät und Observablen bleibt offen. Nach Everett ist klar, warum dies offen bleibt: die Eigenschaft der Messung bzw. des Messgerätes einer bestimmten Observablen hängt am Hamiltonoperator, der die WW des Quantensystems mit dem Messgerät beschreibt.

Bernhard 31.07.18 15:47

AW: Kann man Everetts "reine Quantenmechanik" noch weiter ignorieren?
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 88262)
so dass du genau damit eine diesbzgl. Auffächerung |s,S> auszeichnest;

… und mit Auffächerung ist dann obige Korrelation von Zuständen im Hilbertraum gemeint?


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