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-   -   Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=2733)

TomS 18.04.15 15:44

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Dummerweise führen wir diese (sehr interessante) Diskussion jetzt in zwei Threads parallel.

Zu TheoC weitgehende - aber nicht vollständige - Zustimmung.

Die Stringtheorie ist heute noch nicht mathematisch fundiert. Im Gegensatz zu anderen Hypothesen (z.B. Supersymmetrie, Schleifenquantengravitation) existiert kein fundamentaler Satz von Axiomen, Definitionen oder Gleichungen, von denen man behaupten könne, das diese die Stringtheorie definieren. Die Stringtheorie ist außerdem eher eine Metatheorie oder ein Konstruktionsprinzip für Theorien, wie z.B. "die Eichtheorie".

Das Multiversum und die Viele-Welten-Intepretation der QM haben gemein, dass sie prinzipiell nicht-beobachtbare Entitäten enthalten. Ansonsten haben sie letztlich nichts gemeinsam!

Das Multiversum ist eine Kosnequenz aus der Hypothese der "ewigen Inflation".

Die Viele-Welten-Interpretation ist dagegen keine Interpretation der QM im eigentlichen Sinn, sondern eine mathematische inäquivalente Variante der QM, also letztlich eine eigenständige Theorie! Die VWI verzichtet auf ein Axiom der orthodoxen QM (Projektionspostulat, Bornsche Regel); und sie ist damit physikalisch inäquivalent, denn sie postuliert dass die unitäre Zeitentwicklung immer gilt, während die orthodoxe QM behauptet, diese gelte nicht für Messprozesse.

TomS 18.04.15 15:54

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Die wesentliche Erkenntnis der Stringtheorie ist, dass sie (möglicherweise!) auf Prinzipien oder Axiomen beruht (die man heute noch nicht kennt), aus denen eine Konstruktionsvorschrift supersymmetrischer Eichtheorien einschließlich der Gravitation folgt, wobei diese nicht wie im Standatdmodell unverbunden nebeneinander stehen, sondern sozusagen aus den Lösungen der Theorie selbst folgen.

In etwa wäre das vergleichbar mit dem Standardmodell, aus dem die Existenz verschiedener Materieformen folgt (Wasser, Eisen, Plasma, ein Neutronenster, Schweinebraten, ...). Die Stringtheorie ist jedoch noch nicht weit genug entwickelt, um diese Schlussfolgerung beweisen zu können.

RoKo 18.04.15 17:41

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Hallo TomS,

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 77015)
..
Die Viele-Welten-Interpretation ist dagegen keine Interpretation der QM im eigentlichen Sinn, sondern eine mathematische inäquivalente Variante der QM, also letztlich eine eigenständige Theorie! Die VWI verzichtet auf ein Axiom der orthodoxen QM (Projektionspostulat, Bornsche Regel); und sie ist damit physikalisch inäquivalent, denn sie postuliert dass die unitäre Zeitentwicklung immer gilt, während die orthodoxe QM behauptet, diese gelte nicht für Messprozesse.

Durch den Verzicht auf die Bornsche Regel vezichtet man jedoch zugleich auf den empirischen Erfolg der QM. Solange sich die Bornsche Regel nicht als Theorem aus den verbliebenen Axiomen ergibt, steht die VWI wissenschaftstheoretisch auf tönernen Füssen.

M.E. könnte man es mal mit einem weniger strittigen 4.Axiom:
"Es gelten die Erhaltungssätze für Energie und Ladung" versuchen.

Bauhof 18.04.15 19:12

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 77015)
Dummerweise führen wir diese (sehr interessante) Diskussion jetzt in zwei Threads parallel.

Hallo TomS,

ich kann die Moderatoren bitten, beide Threads zusammenzuführen. Mein Vorschlag:

Den Thread "Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode" zum Unterforum "Wissenschaftstheorie" verschieben und dann danach alle Beiträge des Threads "Theorien und der Umgang mit fehlender experimenteller Bestätigung" in den Thread "Frontalangriff..." kopieren.

Einverstanden?

M.f.G. Eugen Bauhof

Joachim 19.04.15 07:05

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Ich sehe es genau anders herum. Dashalb hatte ich den neuen Thread begonnen. Das hier angesprochene Thema hat viele Aspekte, die unabhängige Aufmerksamkeit verdienen:
  • Die sprachliche Frage, wie die Begriffe Theorie, Hpothese, Vermutung abzugrenzen sind. Und ob es überhaupt nötig ist, klare Grenzen festzulegen.
  • Der Forschungspolitische Aspekt: Um Finanzierung zu bekommen, müssen Forscher ihr Fachgebiet motivieren. Dazu gehört es auch, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und mögliche Nutzen in der Zukunft zu schildern. Haben die Vertreter der Stringtheorien hier zu viel versprochen?
  • Die Inhaltlichen Aspekte: Über jede einzelne der hier kurz erwähnten Hypothesen, Interpretationen und Theorien ließe sich einiges Sagen.
  • Die Erkenntnistheorie: Wie kommt man auf physikalische Theorien und ist der Aspekt der mathematischen Eleganz eine vernünftige Forderung?

Es tut mir Leid, wenn mein neues Thema verwirrt hat. Aber es reicht doch, es einfach einschlafen zu lassen, wenn wir zur Erkenntnistheorie nichts zu diskutieren haben.

Gruß,
Joachim

TomS 19.04.15 07:33

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
ok, folgen wir Joachim

TomS 19.04.15 07:39

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 77023)
Durch den Verzicht auf die Bornsche Regel vezichtet man jedoch zugleich auf den empirischen Erfolg der QM. Solange sich die Bornsche Regel nicht als Theorem aus den verbliebenen Axiomen ergibt, steht die VWI wissenschaftstheoretisch auf tönernen Füssen.

Nein, das tut sie nicht, jedenfalls nicht mehr, als die orthodoxe QM.

Zunächst mal ist sie VWI solange völlig äquivalent, solange kein Kollaps erfolgt bzw. keine "Verzweigung" eintritt. Im Zuge einer Messung muss die orthodoxe QM zwei Dinge tun: sie muss "Messung" definieren, und zwar in Abgrenzung zur "normalen Wechselwirkung gemäß den Regeln der QM" - was sie nicht kann! und sie muss da hoc ein neues Postulat einführen. Die VWI muss die Bornsche Regel als Theorem ableiten.

Ich denke nicht, dass die VWI offensichtlich schlechter da steht. Es gibt einige Hinweise, dass diese Ableitung als Theorem gelingen könnte. Zunächst mal ist da Gleason's Theorem, das besagt, dass auf einem Hilbertraum genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß existieren kann, und zwar genau die Bornsche Regel. Dann gibt es einige Behauptungen, die Bornsche Regel bewiesen zu haben, die jedoch nicht unstrittig sind.

Zitat:

Zitat von RoKo (Beitrag 77023)
M.E. könnte man es mal mit einem weniger strittigen 4.Axiom:
"Es gelten die Erhaltungssätze für Energie und Ladung" versuchen.

Ich kenne das nicht als Axiom. Erhaltungssätze folgen aus dem Noether-Theorem.

TomS 19.04.15 07:50

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Zitat:

Zitat von Joachim (Beitrag 77035)
Ich sehe es genau anders herum. Dashalb hatte ich den neuen Thread begonnen. Das hier angesprochene Thema hat viele Aspekte, die unabhängige Aufmerksamkeit verdienen:
  • Die sprachliche Frage, wie die Begriffe Theorie, Hpothese, Vermutung abzugrenzen sind. Und ob es überhaupt nötig ist, klare Grenzen festzulegen.
  • Der Forschungspolitische Aspekt: Um Finanzierung zu bekommen, müssen Forscher ihr Fachgebiet motivieren. Dazu gehört es auch, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und mögliche Nutzen in der Zukunft zu schildern. Haben die Vertreter der Stringtheorien hier zu viel versprochen?
  • Die Inhaltlichen Aspekte: Über jede einzelne der hier kurz erwähnten Hypothesen, Interpretationen und Theorien ließe sich einiges Sagen.
  • Die Erkenntnistheorie: Wie kommt man auf physikalische Theorien und ist der Aspekt der mathematischen Eleganz eine vernünftige Forderung?

Ganz unwichtig ist der erste Punkt nicht. Es sollte schon klar sein, dass "Theorie" im Kontext Quantentheorie und im Kontext Stringtheorie etwas anderes bedeutet. Es gibt wohl keine exakt definierbaren Grenzen.

Der letzte Punkt ist interesant. Wege zu Theorien sind vielfältig, und mathematische Eleganz ist sicher nur eine Leitlinie. Zunächst glaubt die Physik an eine mathematische Naturbeschreibung. Ob jetzt elegant oder nicht ist nur noch ein untergeordneter Aspekt. Der Punkt ist: für die Stringtheorie existiert noch gar keine Formulierung, die die Theorie präzise definiert. Und das, was ich sehe, ist keineswegs elegant. Die Stringtheorie wird damit ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht.

Joachim 19.04.15 10:41

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Ja, keine Frage: Was alles in der Physik als Theorie durchgeht ist ein weites Feld. Und die Bezeichnungen sind immer auch historisch gewachsen. Es gibt ja einfach kein Gremium, das die Bezeichnungen festlegt. Die Stringtheorie heißt so, weil Anfangs die Hoffnung bestand, aus diesem Ansatz schnell eine Brauchbare Grand Unified Theory zu bekommen. Diese Hoffnung wurde enttäuscht, da sind wir uns wohl alle einig.

Wir haben es ja auch in anderen Bereichen mit unpassenden Bezeichnungen zu tun: Das Zwillingsparadoxon ist kein Paradoxon. Das Ohmsche Gesetz ist kein Gesetz. Radioaktive Strahlung ist nicht radioaktiv. Natürlich kann man versucht, hier gegenzulenken, indem man konsequent andere Bezeichnungen verwendet. Dazu braucht es Geduld und einflussreiche Kanäle. Letztlich entscheide ich mich meist, gebräuchliche Bezeichnungen zu benutzen auch wenn sie nicht korrekt sind. Einfach weil ich dann sofort verstanden werde.

Mir macht der Vorschlag, Stringhypothese statt Stringtheorie zu sagen, vor allem deshalb Bauchschmerzen, weil ich unter Stringhypothese etwas anderes verstehen würde. Nämlich die Hypothese, dass Elementarteilchen durch eindimensionale, vibrierende Strings darstellbar sind. Die Stringtheoretiker arbeiten aber an etwas anderes, nämlich an einer mathematisch formulierten Theorie, die auf (unter anderem) dieser Hypothese aufbaut.

Marco Polo 19.04.15 10:57

AW: Frontalangriff auf die wissenschaftliche Methode
 
Zitat:

Zitat von Joachim (Beitrag 77042)
Das Zwillingsparadoxon ist kein Paradoxon

Genau. Es ist lediglich eine Paradoxie. Weil aber viele nicht zwischen Paradoxon und Paradoxie unterscheiden können und sich in diesam Zusammenhang der Begriff "Paradoxon" quasi eingebürgert hat, ist es dann vielleicht sogar wirklich besser, von "Paradoxon" zu sprechen.

Du schriebst ja:

Zitat:

Letztlich entscheide ich mich meist, gebräuchliche Bezeichnungen zu benutzen auch wenn sie nicht korrekt sind. Einfach weil ich dann sofort verstanden werde.


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