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Astrophysiker.Danial 11.03.16 12:18

Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Hallo User des Quantenforums,

Ich möchte eine sehr umstrittene Diskussion einleiten. Es geht um die Interpretation der Quantenmechanik und der Heisenbergschen Unschärferelation.

Aus der indeterministischen Kopenhagener Interpretation (angeführt von ''Wellen-Fanatiker'' wie Niels Bohr) kommen viele Konzepte hervor, die sich dem ''normalen menschlichem Verstand'' entgehen.
Quantenobjekte sind, je nachdem ob man sie beobachtet, Welle oder Teilchen, sie können an mehreren Orten gleichzeitig sein und alles in der Natur verhält sich ''statistisch''.

Eine (meiner Meinung nach viel verständnisvolleren) deterministische Interpretation der Quantenmechanik ist die Bohmsche Mechanik.
Sie beschreibt, dass Teilchen bei der Durchquerung der Raumzeit genau einen Ort und eine Geschwindigkeit haben, sie bewegen sich auf ''Trajektoren'', sozusagen auf Wellenbahnen, die aus der Schrödinger-Gleichung hervorgehen. Alle vermeintlichen Widersprüche der Kopenhagener Interpretation lassen sich elegant durch die Bohmsche Mechanik beschreiben.

Bell hat gezeigt, dass eine Beschreibung der Quantenmechanik nicht durch eine ''klassische'' Theorie möglich ist, da eine Interpretation der Quantenmechanik entweder Kausalität, Lokalität oder beides gleichzeitig verletzt.
Das heißt, eine Interpretation der Quantenmechanik kann nur eine Theorie sein, die

1.) indeterministisch, lokal
2.) indeterministisch, non-lokal (Kopenhagener Interpretation)
3.) deterministisch, non-lokal (Bohmsche Mechanik)

ist.

Das Problem bei der Bohmschen Mechanik: ein experimenteller Nachweis der Theorie wäre aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation nicht möglich.

Viele würden an dieser Stelle sagen ,,Dann hat es überhaupt gar keinen Sinn, darüber zu diskutieren''. Dem möchte ich widersprechen.
Es ist mehr eine ''erkenntnistheoretische'' Frage als eine ''wissenschaftliche''. Für die ''Wissenschaft'' mag es vielleicht wertlos sein, über eine Theorie zu diskutieren, die aufgrund eines Naturgesetzes nicht experimentell bestätigt werden kann. Aber für die Erkenntnistheorie ist die Frage, ob wir in einer deterministischen Welt leben oder nicht fundamental.

Wenn wir wirklich in einer statistischen Welt leben, wo der ''Zufall'' entscheidet, dann haben wir die fundamentalen Kriterien jedes physikalischen Prinzips über Bord geworfen: Ursache und Wirkung.

Wenn alles zufällig geschiet, so gibt es Phänomene, die keine Ursache haben.
Alle Naturwissenschaften basieren auf dem Prinzip, Naturereignisse zu Beobachten und ihre Ursachen zu ergründen. Ein Naturereigniss, welches keine Ursache hat sondern einfach ''zufällig'' entsteht, kann sich durch keine Naturwissenschaft beschreiben.

Hier noch ein paar empfehlenswerte Links:
- offizielle Website der größten Anhängergemeinschaft der bohmschen Mechanik:
http://www.bohmian-mechanics.net/

- YouTube Kanal der Münchner LMU Forschungsgruppe für bohmsche Mechanik:
https://www.youtube.com/channel/UC_v...L6vnvm1bv1IiGQ

- hier ein kurzes, zusammenfassendes Video zur bohmschen Mechanik:
https://www.youtube.com/watch?v=rbRVnC92sMs


Ich hoffe, der Text ist nicht all zu lang und ich hoffe, ich werde nun nicht von allen Seiten verbal ''gesteinigt'' :D

Ich freue mich auf Rückmeldungen.
Mit freundlichem Gruß
Danial

TomS 12.03.16 00:33

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zunächst mal hast du in vielem Recht.

Ich habe einen wesentlichen Einwand gegen die deBroglie-Bohm-Interpretation: es ist bisher nicht gelungen, sie für eine relativistische Quantenfeldtheorie zu konstruieren.

Marco Polo 12.03.16 00:48

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zitat:

Zitat von Astrophysiker.Danial (Beitrag 81133)
Es geht um die Interpretation der Quantenmechanik und der Heisenbergschen Unschärferelation.

Ohne auf die Thematik deines Beitrages einzugehen, würde mich mal interessieren, warum die beiden Begriffe Unschärferelation und
Unbestimmtheitsprinzip scheinbar gleichberechtigt nebeneinander existieren.

Hat das historische Gründe? Falls nicht, dann ist der Begriff Unschärferelation ganz einfach irreführend.

Suggeriert er doch, dass wir lediglich unscharf messen. Dass also unsere Messmethoden mangelhaft wären. So ein Unsinn, oder?

Hawkwind 12.03.16 13:17

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 81139)
Ohne auf die Thematik deines Beitrages einzugehen, würde mich mal interessieren, warum die beiden Begriffe Unschärferelation und
Unbestimmtheitsprinzip scheinbar gleichberechtigt nebeneinander existieren.

Hat das historische Gründe? Falls nicht, dann ist der Begriff Unschärferelation ganz einfach irreführend.

Suggeriert er doch, dass wir lediglich unscharf messen. Dass also unsere Messmethoden mangelhaft wären. So ein Unsinn, oder?

Finde ich persönlich jetzt nicht so irreführend, denn die Aussage betrifft ja Messungen, oder nicht?

Zuerst kamen Beobachtungen bzw. Messungen, deren Ergebnisse dann später zum Prinzip erhoben wurden im Sinne von "das muss immer so sein" (und dann via nicht-vertauschender Operatoren (oder Matrizen) in der Theorie implementiert wurden).

Eine andere Art und Weise, die Unbestimmtheit auszudrücken ist zu sagen "es existiert kein Messgerät, das Impuls und Ort zugleich scharf messen kann".

Bauhof 12.03.16 15:33

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 81145)
Eine andere Art und Weise, die Unbestimmtheit auszudrücken ist zu sagen "es existiert kein Messgerät, das Impuls und Ort zugleich scharf messen kann".

Hallo Uli,

da wird eine Abhängigkeit vom Messgerät suggeriert, so dass nur die gleichzeitige Messung von Ort und Impuls nicht möglich ist. Henning Genz schreibt in seinem Aufsatz [1] dazu folgendes:

Zitat:

Nicht also durch Ort und Impuls – wenn Penrose auch, für mich ein Widerspruch, die Unschärferelation so interpretiert, dass sie nur die gleichzeitige Messung von Ort und Impuls verbietet.

Nein, diese Werte »gibt« es nicht: Die Unschärferelation besagt letztlich, dass auf dem Niveau der Wellenfunktionen Ort und Impuls selbst in dem Sinn unscharf sind, dass diese keine genaueren Werte besitzen können, als die Unschärferelation zulässt.
M.f.G. Eugen Bauhof

[1] Genz, Henning
Was ist heute real?
Aufsatz in: Spektrum der Wissenschaft, März 2005

TomS 12.03.16 15:41

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Ich stimme Bauhof zu.

Zunächst wurde die Unschärfenrelation über die Messung veranschaulicht.

Tatsächlich ist es jedoch so, dass ein Quantenobjekt unabhängig von der Messung nicht zugleich beliebig präzise Werte für Ort und Impuls hat.

Marco Polo 12.03.16 16:21

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 81147)
Zunächst wurde die Unschärfenrelation über die Messung veranschaulicht.

Tatsächlich ist es jedoch so, dass ein Quantenobjekt unabhängig von der Messung nicht zugleich beliebig präzise Werte für Ort und Impuls hat.

Und deswegen finde ich den Begriff Unbestimmheitsprinzip passender wie den Begriff Unschärferelation. Kann man das so sehen?

Bauhof 12.03.16 17:07

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 81148)
Und deswegen finde ich den Begriff Unbestimmheitsprinzip passender wie den Begriff Unschärferelation. Kann man das so sehen?

Hallo Marc,

das sehe ich auch so, im Sinne von unbestimmt, nicht etwa in Sinne von unbestimmbar. Es ist ein Unterschied, ob das Messwertepaar unbestimmbar ist oder ob das Messwertepaar intrinsisch unbestimmt ist.

Ich gehe davon aus, dass ein exaktes Messwertepaar (Ort und Impuls) intrinsisch unbestimmt ist, dass es also gar nicht mit beliebig präzisen Werten für Ort und Impuls existieren kann.

Also, lieber Unbestimmtheitsprinzip als Unschärferelation.

M.f.G. Eugen Bauhof

Marco Polo 12.03.16 17:39

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 81145)
Eine andere Art und Weise, die Unbestimmtheit auszudrücken ist zu sagen "es existiert kein Messgerät, das Impuls und Ort zugleich scharf messen kann".

Wobei genau diese Formulierung suggeriert, dass uns lediglich die geeigneten Messgeräte fehlen. Die Unbestimmheit ist ja, wie du weisst, prinzipieller Natur. Auch ohne Messung.

Hermes 12.03.16 21:01

AW: Kopenhagener Interpretation vs. Bohmsche Mechanik
 
Hallo Astrophysiker.Danial,

ich bin Anhänger der VWI aber das soll hier nicht das Thema sein. Erkenntnistheoretische Fragen scheinen Dir wichtig zu sein. Was für ein Weltbild kannst Du aus der Bohmschen Mechanik ableiten? Geht es Dir vor allem um die Frage ob das Universum zufällig oder determiniert ist? Oder auch um die genauere Beschaffenheit, den 'mechanischen' oder sonstigen Grund warum das Universum sich zufällig oder eben nicht verhält?

Ich meine bei der Viele-Welten-Interpretation habe ich für mich die Erkenntnis daß es unendliche viele Variationen von allem inklusive mir selbst gibt usw.... Wie ist die "Beschaffenheit" des Universums der Bohmschen Mechanik? Was passiert mit den 'nicht verwirklichten' Ergebnissen der Schrödingergleichung? Offensichtlich läßt sich das Universum auch mit der Bohmschen Mechanik nicht exakt voraussagen, gleichzeitig scheint sie ein deterministischer Entwurf zu sein. Wie funktioniert das bzw wie kann das zufriedenstellend sein?


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