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Eyk van Bommel 15.11.22 18:09

Relativistische Thermodynamik
 
Habe mich „zwangsweise“ damit beschäftigt. Schon interessant, dass es auch nach >100 Jahren nicht geklärt ist, ob die Temperatur Lorenzinvariant ist oder nicht. Insbesondere, wenn die Entropie und Druck als gesichert Lorenzinvariant gilt. Die Temperatur zudem als ein Skalar-Feld aufgefasst werden kann…
Hat jemand eine Meinung dazu?
What is the temperature of a moving body?

TomS 16.11.22 07:53

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Ich denke, es ist nicht ausreichend, das Problem rein auf Basis thermodynamischer Größen zu analysieren.

Betrachtet man die statische Mechanik und dabei z.B. das kanonische Ensemble, so erkennt man, dass Größen wie S, U, p usw. aus der Zustandssumme Z abgeleitet werden, während T in der Definition als Parameter enthalten ist.

Ein zweites Problem ist, dass bereits scheinbar unproblematische Begriffe wie „Vakuum“ und „Gleichgewicht“ problematisch sein können, wenn man sie in verschiedenen Bezugsystemen untersucht. So zeigt z.B. der Unruh-Effekt, dass zwar alle nicht-beschleunigten Beobachter darin übereinstimmen können, einen Vakuumzustand zu messen, während ein beschleunigter Beobachter eine thermische Strahlung misst. Dies ist alleine mit Lorentz-Transformationen nicht erklärbar. Das interessante ist jedoch, dass hier keine Temperatur als Parameter vorausgesetzt werden muss, sie erscheint als abgeleitete Größe.

Interessant ist dieser Artikel, der ein stark vereinfachtes bzw. spezielles Problem löst, nämlich den Temperaturbegriff eines eindimensionalen Gases durch „Messung“, also durch „Konstruktion eines Thermometers“ zu definieren. Anführungszeichen, da es sich um Simulationen handelt. Wiederum erscheint Temperatur nicht als fundamentale sondern als abgeleitete Größe. https://www.pro-physik.de/nachrichte...d-relativitaet

Im Endeffekt wird es darauf hinauslaufen, Methoden zur Definition von Temperatur u.a. thermodynamischer Größen zu klassifizieren. Möglicherweise läuft das auf unterschiedliche Temperaturbegriffe hinaus, die im nicht-relativistischen Grenzfall übereinstimmen.

Das Thema ist übrigens nicht „jenseits der Standardphysik“.

Hawkwind 16.11.22 12:43

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Hier gibt es eine Herleitung der Transformation der Temperatur mit Hilfe der kinetischen Theorie idealer Gase:
https://arxiv.org/abs/physics/0506214

Das Resultat ist in "qualitativer Überenstimmung" mit Otts Formel, nach der ein bewegtes Objekt heißer als ein ruhendes erscheint.


Zitat:

Zitat von Conclusions
The transformation derived here using the kinetic theory, applies to an ideal gas. This result is true for all potentials which depend only on position (see eq. (12)), and predicts that moving objects appear hotter to stationary observers. This is in agreement with Ott’s view.
At the present time no temperature transformation has been agreed upon. To reach consensus, it seems necessary that firm experimental evidence is obtained.


Timm 16.11.22 19:49

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 101468)
...erscheint

dürfte genau der Punkt sein, denn mittels Relativgeschwindigkeit bringt man Wasser nicht zum kochen.

Hawkwind 16.11.22 23:47

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 101470)
dürfte genau der Punkt sein, denn mittels Relativgeschwindigkeit bringt man Wasser nicht zum kochen.

Einstein und Planck waren ja noch zum gegenteiligen Ergebnis gekommen: ein bewegtes System erscheint kühler.

Ich frage mich eh, wie sinnvoll eine solche Transformation der Temperatur ist. Damit zusammen hängt, wie man denn die Temperatur eines bewegten Systems überhaupt definieren und messen will.

Dieses Paper
The zeroth law of thermodynamics in special relativity

beschäftigt sich mit dieser Frage. Daraus

Zitat:

Zitat von Conclusions
We have shown that the presence of other constants of motion apart from the energy in a thermodynamic system can lead to a fundamental ambiguity in the definition of the temperature. The Planck-Ott imbroglio has been explained to arise as a direct consequence of this problem, produced
by the need of requiring the conservation of the total linear momentum.

We have explained that the zeroth law of thermodynamics plays a crucial role in selecting the appropriate experimental setting which defines a temperature measurement,removing all the ambiguities. However, we have seen that
the standard notion of thermal equilibrium invoked in classical thermodynamics refers to experimental conditions which break the covariance of the theory at a fundamental level and therefore has to be revisited to be applicable to the case of moving bodies in special relativity.


TomS 17.11.22 08:11

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 101471)
Ich frage mich eh, wie sinnvoll eine solche Transformation der Temperatur ist. Damit zusammen hängt, wie man denn die Temperatur eines bewegten Systems überhaupt definieren und messen will.

Solange man keine Messung definieren kann, ist das ganze Konzept ohnehin inhaltsleer; dann kann man gerne verschiedene Temperaturbegriffe mit unterschiedlichen Transformationseigenschaften einführen, ohne dass ein Problem resultiert.

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 101462)
Im Endeffekt wird es darauf hinauslaufen, Methoden zur Definition von Temperatur u.a. thermodynamischer Größen zu klassifizieren. Möglicherweise läuft das auf unterschiedliche Temperaturbegriffe hinaus, die im nicht-relativistischen Grenzfall übereinstimmen.


Mal ein Beispiel zur Energie bzw. Frequenz eines Photons. Ist diese ein Skalar oder die Null-Komponente eines Vierervektors? Kommt darauf an!

(Ich setze c und h-bar gleich 1)

Ein Photon mit Viererimpuls p werde von einem Beobachter mit Vierergeschwindigkeit u detektiert. Die gemessene Energie E ergibt sich aus der Projektion

E = <u, p>

Im Ruhesystem

u = (1,0,0,0)

gilt

E = p°

D.h. wir haben tatsächlich zwei verschiedene Energiebegriffe mit unterschiedlichem Transformationsverhalten.

p° ist die Null-Komponente eines Vierervektors, aber

E[u] = <u, p>

ist ein Skalar bzgl. Lorentztransformation

u => u'
p => p'

Diese Transformation des Bezugsystems ist zu unterscheiden von einem Wechsel des Beobachters

u => v

Sowas muss man eben in der Thermodynamik auch betrachten.


Dass das so kompliziert ist, hätte ich nicht gedacht, bin dann aber vor ein paar Jahren auch auf dieses Problem gestoßen. Wie gesagt

Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 101462)
Betrachtet man die statische Mechanik und dabei z.B. das kanonische Ensemble, so erkennt man, dass Größen wie S, U, p usw. aus der Zustandssumme Z abgeleitet werden, während T in der Definition als Parameter enthalten ist.

Daraus ergeben sich offensichtlich mehrere für sich betrachtet konsistente Möglichkeiten, das Transformationsverhalten von T festzulegen. Nun muss man eben weitere Überlegungen anstellen, z.B. von T als reinem Parameter wegkommen, Messungen definieren, mikroskopische Dynamiken betrachten ...

Geku 17.11.22 08:30

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von Hawkwind (Beitrag 101471)
Ich frage mich eh, wie sinnvoll eine solche Transformation der Temperatur ist. Damit zusammen hängt, wie man denn die Temperatur eines bewegten Systems überhaupt definieren und messen will

Die Temperaturmessung eines bewegten System ist immer eine Fernmessung über die Strahlung. Es fehlt der Kontakt zum Messobjekt.

Die Temperatur des Messobjektes entsteht aufgrund der Bewegung von Atomen oder Molekülen.

TomS 17.11.22 08:35

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von Geku (Beitrag 101473)
Die Temperaturmessung eines bewegten System ist immer eine Fernmessung über die Strahlung. Es fehlt der Kontakt zum Messobjekt.

Warum?

Ich kann z.B. die Temperatur eines Flusses messen, indem ich ein Thermometer reinhalte. Ist eher die gängige Methode, nicht die mittels Strahlung :)


Außerdem löst das das o.g. Problem nicht. Nimm an, du möchtest die Temperatur T eines bewegten schwarzen Strahlers messen. Dazu misst du die Strahlungsdichte u(f,T) je Frequenz; die Lorentztransformation der Frequenz ist bekannt; T ist ein Parameter mit zunächst unbekanntem Transformationsverhalten, der den Stern charakterisiert. Wenn es so einfach wäre und man daraus ein eindeutiges Transformationsverhalten ableiten könnte, müsste man dazu etwas in der Literatur finden.

Hawkwind 17.11.22 09:18

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von Geku (Beitrag 101473)
Die Temperaturmessung eines bewegten System ist immer eine Fernmessung über die Strahlung. Es fehlt der Kontakt zum Messobjekt.

Wie willst du die Temperatur denn dann messen?
Indem du auf ein im bewegten System ruhendes Thermometer schaust?
Dann wäre die Temperatur offensichtlich ein Skalar. :)

Der Witz ist nach meinem Verständnis gerade, dass die Messung der Temperatur einen Kontakt voraussetzt und somit stellt sich die Frage nach thermischem Gleichgewicht etc..

Geku 17.11.22 09:27

AW: Relativistische Thermodynamik
 
Zitat:

Zitat von TomS (Beitrag 101474)
Ich kann z.B. die Temperatur eines Flusses messen, indem ich ein Thermometer reinhalte. Ist eher die gängige Methode, nicht die mittels Strahlung :)

Genau,
hier könnte z.B. bei einem Quecksilberthermometer dessen Atome von den Atomen des umgebenden Medium direkt angestoßen werden und so die Energie der "Wärme" übertragen.

Auch hier erfolgt die Übertragung durch elektrische Kräfte, aber aus unmittelbarer Nähe.


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