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-   -   Zeitsymmetrie in der Physik (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=1452)

Timm 18.02.10 18:01

Zeitsymmetrie in der Physik
 
Hallo allerseits!

Abgesehen von der beim Kaon-Zerfall festgestellten CP-Verletzung, gelten alle fundamentalen physikalischen Gesetze als zeitsymmetrisch, angefangen von Gesetzen der Mechanik, ueber die Maxwellschen Gleichungen bis hin zur ART. Sie sind demnach invariant gegenueber Zeitinversionen.

Aber die alltaegliche Welt sieht anders aus. Und nicht nur diese. Richard Feynman soll bis an sein Lebensende darueber nachgesonnen haben, weshalb sich elektromagnetische Wellen ausschliesslich ausgehend von der Quelle ausbreiten. Die gleiche Ueberlegung trifft auf Gravitationswellen ebenso zu.

Die Bahn eines Kometen erfuellt auch zeitinvers die Gesetze der Himmelsmechanik (Uli hat in einem anderen Thread kuerzlich darauf hingewiesen). Unter speziellen Umstaenden kann ein Komet von einem anderen Himmelskoerper jedoch eingefangen werden und schon ist es vorbei mit der Zeitsymmetrie. Das nun wirklich alltaegliche Beispiel ist der sprichwoertliche Apfel, der vom Baum faellt.

Die Gesetze der Physik schreiben der Natur keinen Zeitpfeil vor. Aber er existiert doch, unter gewissen Umstaenden.

Weshalb ist das so?
Kann man von einer Verletzung dieser Gesetze sprechen?
Sind sie etwa nicht vollstaendig?

Gruss, Timm

EMI 18.02.10 18:25

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 48700)
Abgesehen von der beim Kaon-Zerfall festgestellten CP-Verletzung, gelten alle fundamentalen physikalischen Gesetze als zeitsymmetrisch...

Hallo Timm,

die Verletzung der CP-Symmetrie gibt's nur ohne Zeitumkehr.
Die CPT (Ladung, Parität, Zeit) ist voll symmetrisch.

Gruß EMI

richy 18.02.10 18:41

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Die Maxwellgleichungen sind aufgrund des Ohmschen Gesetzes J=kappa*E nicht zeitumkehrbar. Im Grunde recht einsichtig.
Der Spannungsabfall an einem ohmschen Widerstand fuehrt zu thermischen Verlusten und damit zu einer Verknuepfung mit der Entropie. Ein weiteres Kriterium, dass einen Prozess nicht zeitumkehrbar macht duerfte das Durchlaufen eines Gravitationspotentials sein.
Letztendlich gibt es noch ein mathematisches Kriterium. Nichtlineare Prozesse sind in der Regel nicht zeitumkehrbar, da die Umkehrfunktion nicht eindeutig ist.
Gruesse

Timm 19.02.10 17:56

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Zitat:

Zitat von richy (Beitrag 48705)
Die Maxwellgleichungen sind aufgrund des Ohmschen Gesetzes J=kappa*E nicht zeitumkehrbar. Im Grunde recht einsichtig.
Der Spannungsabfall an einem ohmschen Widerstand fuehrt zu thermischen Verlusten und damit zu einer Verknuepfung mit der Entropie.

Hi richy,

wie Du von Maxwell schen Gleichungen auf das Ohmsche Gesetz kommst, ist mir nicht einsichtig. Schau hier:

http://books.google.com/books?id=oCW...age&q=&f=false

Zitat:

Zitat von richy (Beitrag 48705)
Ein weiteres Kriterium, dass einen Prozess nicht zeitumkehrbar macht duerfte das Durchlaufen eines Gravitationspotentials sein.
Letztendlich gibt es noch ein mathematisches Kriterium. Nichtlineare Prozesse sind in der Regel nicht zeitumkehrbar, da die Umkehrfunktion nicht eindeutig ist.

Aber hast Du jetzt nicht meine Frage auf Deine Weise neu gestellt? Niemand bezweifelt ja, dass der Apfel nur in einer Richtung faellt, oder dass der Komet von einem Planeten eingefangen werden kann und dann statt der Sonne diesen umkreist, was nicht zeitumkehrbar ist. Aber es bezweifelt auch Niemand, dass die ART zeitsymmetrisch ist. Folglich verbietet sie etwas nicht, was offensichtlich physikalisch nicht moeglich ist. Das ist im Kern meine Frage.

Es kann natuerlich sein, dass ich einer trivialen Sache aufsitze oder gar in metaphysisches Fahrwasser geraten bin, aber ich wuesste es halt gern.

Gruss, Timm

richy 19.02.10 18:50

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Hi Timm
Zu den Maxwellgleichungen gehoeren auch deren Materialgleichungen.
Die werden wie in deinem Link oefters auch mal weggelassen, vergessen.
Hier die vollstaendigen Gleichungen
http://de.wikipedia.org/wiki/Materia...llgemeine_Form
Zitat:

Unter Zeitumkehrung sind P und E gerade, aber M, B und J ungerade. Polarisation und Magnetisierung sind also mit Zeitumkehr verträglich und beschreiben somit umkehrbare Prozesse. Das ohmsche Gesetz ist nicht invariant unter Zeitumkehr und beschreibt somit irreversible Prozesse: Die Feldenergie des elektrischen Feldes geht über in Bewegungsenergie der Ladungen, die teilweise durch Stöße auf das Material als Joulesche Wärme übertragen wird. Dies führt zu einer Erhöhung der Entropie des Materials und diese ist nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik nicht umkehrbar.
Mein Prof in E-Dynamik hat auf diesen Umstand immer wieder sehr gerne aufmerksam gemacht.
Die von mir verwendete einfache Form :
http://de.wikipedia.org/wiki/Materia...einfachte_Form
J=Leitfaehigkeit*E ist die differntielle Form des Ohmschen Gesetzes.

Zeitumkehrbare Maxwellgleichungen sind somit eine Idealisierung.
Auf der anderen Seite koennte man sagen, dass unsere Realitaet nichts weiter darstellt, als themische Verluste :-) In den Maxwellgleichungen ist alles nur Schein, bis auf das Ohmsche Gesetz :-)
Was faellt sonst noch auf ? Gravitation und Entropie=manifestierte Information haengen wohl in irgendeiner Weise miteinander zusammen.

Gruesse

Uli 21.02.10 08:52

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Zitat:

Zitat von richy (Beitrag 48732)
Hi Timm
Zu den Maxwellgleichungen gehoeren auch deren Materialgleichungen.
Die werden wie in deinem Link oefters auch mal weggelassen, vergessen.
Hier die vollstaendigen Gleichungen
http://de.wikipedia.org/wiki/Materia...llgemeine_Form
Mein Prof in E-Dynamik hat auf diesen Umstand immer wieder sehr gerne aufmerksam gemacht.
Die von mir verwendete einfache Form :
http://de.wikipedia.org/wiki/Materia...einfachte_Form
J=Leitfaehigkeit*E ist die differntielle Form des Ohmschen Gesetzes.

Zeitumkehrbare Maxwellgleichungen sind somit eine Idealisierung.
Auf der anderen Seite koennte man sagen, dass unsere Realitaet nichts weiter darstellt, als themische Verluste :-) In den Maxwellgleichungen ist alles nur Schein, bis auf das Ohmsche Gesetz :-)

Gruesse

Diese Bemerkungen verdienen doch einen - hoffentlich klärenden - Kommentar.

Die Bewegungsgleichungen für das freie elektromagnetischen Feld (die "klassischen Maxwell-Gleichungen") sind bei Abwesenheit von Quellladungen selbstverständlich invariant unter Zeitumkehr.

Selbst bei vorhandenen elektrischen Ladungen sind sie das immer noch, vorausgesetzt die entsprechende Quellladungsdichte ist das auch.

Ist die Feldquelle jedoch ein Viel-Teilchen-System von Ladungen, dessen interne Dynamik die Zeitumkehr-Invarianz verletzt, so sind auch die Lösungen der Maxwell-Gleichungen nicht mehr zeitumkehr-invariant. Das ist ja wohl trivial.

Gruß,
Uli

Timm 21.02.10 10:04

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Hi Uli,

an Deinem Kommentar zu meiner Fragestellung waere mir gelegen,

Gruss, Timm

Uli 21.02.10 10:16

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 48730)
...
Niemand bezweifelt ja, dass der Apfel nur in einer Richtung faellt, oder dass der Komet von einem Planeten eingefangen werden kann und dann statt der Sonne diesen umkreist, was nicht zeitumkehrbar ist. Aber es bezweifelt auch Niemand, dass die ART zeitsymmetrisch ist.

Gruss, Timm

Hi Timm,

meinst du diese Frage ?

Ich denke nicht, dass du mit deiner Vermutung richtig liegst: warum sollte der Einfang eines Kometen im Sonnensystem aufgrund der Vielkörper-Physik nicht umkehrbar sein ?

Der Dynamik zugrunde liegt ein System gekoppelter Differentialgleichungen, die zwar nicht analytisch, sondern nur näherungsweise lösbar sind, aber dennoch zeitumkehr-invariant sind. Das muss dann auch für die Lösungen gelten, wie kompliziert diese auch sein mögen (wenn man denn keine Extrabedingungen einführt, die diese Invarianz brechen).

Ich meine auch, mich zu erinnern, dass man in Simulationen von Viel-Körper-Kepler-Problemen durchaus auch Fälle sieht, in denen ein Körper des Systems plötzlich ganz unvermutet aus dem System herauskatapultiert wird.

Gruß,
Uli

Timm 21.02.10 15:04

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Hi Uli,

Zitat:

Zitat von Uli (Beitrag 48761)
Ich denke nicht, dass du mit deiner Vermutung richtig liegst: warum sollte der Einfang eines Kometen im Sonnensystem aufgrund der Vielkörper-Physik nicht umkehrbar sein ?

Der Dynamik zugrunde liegt ein System gekoppelter Differentialgleichungen, die zwar nicht analytisch, sondern nur näherungsweise lösbar sind, aber dennoch zeitumkehr-invariant sind. Das muss dann auch für die Lösungen gelten, wie kompliziert diese auch sein mögen (wenn man denn keine Extrabedingungen einführt, die diese Invarianz brechen).

Erst mal danke fuer Deine Antwort.

Ich hoffe, meine Vorstellung ist irrig. Nur wuesste ich gerne weshalb, vielleicht kannst Du mir helfen, das herauszufinden.

Solange der Komet um die Sonne kreist, habe ich mit der Zeitumkehr-Invarianz kein Problem, auch nicht mit der komplizierteren Bahn des Merkur.

Die Problematik beginnt mit der Stoerung der Bahn des Kometen durch einen Planeten, der diesen einfaengt. Ist die Behauptung nun falsch, dies sei ein neuer stabiler Zustand des 3 Koerper Systems, Sonne, Planet und eingefangener Komet? Und insbesondere, wie sollte diese Stoerung zeitumkehrbar sein? Gesetzt ein weiterer Himmelskoerper taucht auf und schubst den Kometen wieder in eine Bahn um die Sonne, so waere das ein Vorgang vorwaerts in der Zeit.

Irgendwo mag ich ja einem Denkfehler aufsitzen, aber welchem?

Zitat:

Zitat von Uli (Beitrag 48761)
Ich meine auch, mich zu erinnern, dass man in Simulationen von Viel-Körper-Kepler-Problemen durchaus auch Fälle sieht, in denen ein Körper des Systems plötzlich ganz unvermutet aus dem System herauskatapultiert wird.

Soweit mir bekannt, wurden solche Vorgaenge in Kugelsterhaufen beobachtet,

Gruss, Timm

Uli 21.02.10 17:14

AW: Zeitsymmetrie in der Physik
 
Hi Timm,

Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 48772)
Hi Uli,



Erst mal danke fuer Deine Antwort.

Ich hoffe, meine Vorstellung ist irrig. Nur wuesste ich gerne weshalb, vielleicht kannst Du mir helfen, das herauszufinden.

Solange der Komet um die Sonne kreist, habe ich mit der Zeitumkehr-Invarianz kein Problem, auch nicht mit der komplizierteren Bahn des Merkur.

Die Problematik beginnt mit der Stoerung der Bahn des Kometen durch einen Planeten, der diesen einfaengt. Ist die Behauptung nun falsch, dies sei ein neuer stabiler Zustand des 3 Koerper Systems, Sonne, Planet und eingefangener Komet?

Stabile Zustände als Lösungen (die Kegelschnitt-Bahnen) hat nur das Keplersche 2-Körper-Problem.

Ist das n-Körper-Problem aber derart, dass es sich in weitestgehend voneinander unabhängige 2-Körper-Probleme zerlegen lässt und sich dann der Einfluss der anderen Körper vielleicht als kleine Störungen behandeln lässt, so bekommt man näherungsweise die stabilen Bahnen des 2-Körper-Problems. Von der Art ist wohl das Problem Sonne + Planeten.

Wenn so eine Näherung aber nicht zu rechtfertigen ist, muss man durchaus damit rechnen, dass es mit der Stabilität eines 3-Körper-Problems nicht allzu weit her ist.


Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 48772)
Und insbesondere, wie sollte diese Stoerung zeitumkehrbar sein? Gesetzt ein weiterer Himmelskoerper taucht auf und schubst den Kometen wieder in eine Bahn um die Sonne, so waere das ein Vorgang vorwaerts in der Zeit.

Irgendwo mag ich ja einem Denkfehler aufsitzen, aber welchem?



Soweit mir bekannt, wurden solche Vorgaenge in Kugelsterhaufen beobachtet,

Gruss, Timm

Ich bin da nun alles andere als ein Experte, aber ich würde denken, da wo ein 3. Körper (Komet) eingefangen wird (was sicher selten genug geschieht - Normalfall ist ja eine annähernde Kegelschnittbahn mit der Sonne als Brennpunkt), da besteht im Prinzip auch die Möglichkeit, dass ein Körper aus dem System wieder herauskatapultiert wird (sicher ebenso eine Seltenheit).
Bei Doppelsternsystemen ist das Herauskatapultieren von Planeten aber anscheinend schon die Regel:
http://www.astronomia.de/index.htm?h...perproblem.htm

Berücksichtigung von ART-Effekten würden wohl nun dazu führen, dass auch die Lösungen des 2-Körper-Problems nur noch näherungsweise stabil sind, da das System unterm Strich Bewegungsenergie in Form von Gravitationswellenabstrahlung verliert. Aber das ist für das Sonnensystem ein vernachlässigbar kleiner Effekt.

Gruß,
Uli

PS in diesem Zusammanhang ist vielleicht auch interessant:
http://www.wissenschaft.de/sixcms/detail.php?id=285371


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