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Thom_B 14.09.12 10:58

Eleganz physikalischer Formeln
 
Hallo Zusammen,

ich möchte mal ein paar Gedanken formulieren, die in dem von d_mittmann aufgemachten Thema zur "Neuformelierung" der Geschwindigkeit anklingen. Es geht dabei um eine tatsächliche oder vermeintliche Elegenz physikalischer Formeln, und ob eine solche Eleganz als Kriterium für die Richtigkeit einer Formel angesehen werden kann. Ich möchte diese Annahme anhand eines Beispiels bezweifeln.

Viele Physiker sind der Meinung, dass die fundamentalsten Formeln, die letztendlich unsere Welt beschreiben, einfach und elegant sein müssen. Der Gedanke ist natürlich attraktiv, unsere gesamte Welt mit ein paar einfachen Annahmen und Prinzipien komplett erklären zu können. Ich möchte, wie gesagt mit einem Beispiel dagegenhalten.

Nehmen wir das einfachste bekannte Atom, Wasserstoff. Wie jeder weiss, gibt es für das Elektron stationäre Quantenzustände, die wir der Einfachheit halber mit einer Quantenzahl n durchnummerieren wollen. Die Energiedifferenz zwischen solchen stationären Zuständen (geteilt durch die Planck-Konstante) kann als Resonanzfrequenz in der Absorbtion und Emission von Licht gemessen werden. Was ist jetzt die Energiedifferenz E(n1)-E(n2) zwischen zwei Zuständen n1 und n2? Das Bohr'sche Atommodell und die Schrödinger Gleichung sind sich einig und sagen

E(n1)-E(n2) = K*[ (1/n1)^2 - (1/n2)^2], (*)

wobei die Konstante K im Detail erstmal unwichtig ist. Wow, das ist einfach und elegant, auch wenn es ohne LaTeX nicht so aussieht. Wenn ich die Energiedifferenz zwischen E(n1) und E(n2) kenne, (oder, was äquivalent ist, die Konstante K) kann ich ohne viel Aufwand die Energiedifferenz zwischen beliebigen Wasserstoffzuständen ausrechnen. Die Sache hat nur einen Haken. Je genauer man misst, desto weniger stimmen die Vorhersagen von Gleichung (*) mit den Messungen überein. Je genauer man
misst, desto mehr Korrekturterme muss man berücksichtigen (relativistische Effekte, Spin-Bahn Kopplung, Feinstruktur, Hyperfeinstruktur, Quantenelektrodynamische Korrekturen). Am Ende kann man (ich nicht) die gemessenen Frequenzen tatsächlich theoretisch auch berechnen und Messung und Rechnung stimmen mit der höchsten derzeit möglichen Präzision (15 - 16 Stellen) überein. Die Quantenelektrodynamik kann sich daher zurecht als die am besten bestätigte physikalische Theorie rühmen. Schön, nur, diese Rechnungen sind jetzt weder einfach noch elegant sondern nur noch verdammt kompliziert. Sogar so kompliziert, dass es weltweit nur eine handvoll Leute gibt, die das auch tatsächlich rechnen können (und in den Rechnungen der Kollegen eventuelle Fehler finden können).

Was heisst das jetzt?

Position 1: Das zeigt, dass die Quantenelektrodynamik keine fundamentale Theorie zur Beschreibung der Natur ist. So ähnlich, wie zu Zeiten des geozentrischen Weltbildes Epizyklen herhalten mussten, um die gemessenen Positionen der Himmelskörper zu berechnen müssen wir uns mit diesen quantenelektrodynamischen Korrekturtermen herumschlagen, wenn wir erstmal die letztendlich gültige Theorie haben, wird auch alles wieder einfach.

Position 2: (meine Position) Die Welt ist nicht einfach. Warum sollte sie es auch sein? Selbst wenn wir eine Theorie finden, die manche Phänomäne vereinheitlicht und auf ein gemeinsames einfaches Prinzip zurückführt, so wird man neue Phänomäne entdecken, die nicht in dieses elegante Schema passen. Unser menschlicher Begriff von Eleganz und Einfachheit ist zu beschränkt für diese Welt.

Was ist eure Meinung?

schöne Grüße
Thom_B

Bauhof 14.09.12 12:11

AW: Eleganz physikalischer Formeln
 
Zitat:

Zitat von Thom_B (Beitrag 69367)
Was heisst das jetzt?

Position 1: Das zeigt, dass die Quantenelektrodynamik keine fundamentale Theorie zur Beschreibung der Natur ist. So ähnlich, wie zu Zeiten des geozentrischen Weltbildes Epizyklen herhalten mussten, um die gemessenen Positionen der Himmelskörper zu berechnen müssen wir uns mit diesen quantenelektrodynamischen Korrekturtermen herumschlagen, wenn wir erstmal die letztendlich gültige Theorie haben, wird auch alles wieder einfach.

Position 2: (meine Position) Die Welt ist nicht einfach. Warum sollte sie es auch sein? Selbst wenn wir eine Theorie finden, die manche Phänomäne vereinheitlicht und auf ein gemeinsames einfaches Prinzip zurückführt, so wird man neue Phänomäne entdecken, die nicht in dieses elegante Schema passen. Unser menschlicher Begriff von Eleganz und Einfachheit ist zu beschränkt für diese Welt.

Was ist eure Meinung?

schöne Grüße
Thom_B

Hallo Thom_B,

Zustimmung, die Welt ist nicht einfach.
Meine Meinung: Die Quantenelektrodynamik (allgemeiner: die Quantenmechanik) ist eine fundamentale Theorie zur Beschreibung dessen, was wir von der Natur wissen können. Ich denke, so ähnlich formulierte es Nils Bohr.

M.f.G. Eugen Bauhof

Hawkwind 14.09.12 17:24

AW: Eleganz physikalischer Formeln
 
Zitat:

Zitat von Thom_B (Beitrag 69367)
misst, desto mehr Korrekturterme muss man berücksichtigen (relativistische Effekte, Spin-Bahn Kopplung, Feinstruktur, Hyperfeinstruktur, Quantenelektrodynamische Korrekturen). Am Ende kann man (ich nicht) die gemessenen Frequenzen tatsächlich theoretisch auch berechnen und Messung und Rechnung stimmen mit der höchsten derzeit möglichen Präzision (15 - 16 Stellen) überein. Die Quantenelektrodynamik kann sich daher zurecht als die am besten bestätigte physikalische Theorie rühmen. Schön, nur, diese Rechnungen sind jetzt weder einfach noch elegant sondern nur noch verdammt kompliziert. Sogar so kompliziert, dass es weltweit nur eine handvoll Leute gibt, die das auch tatsächlich rechnen können (und in den Rechnungen der Kollegen eventuelle Fehler finden können).

Nun gut, konkrete Rechnungen für Vorhersagen mögen reichlich kompliziert werden - besonders dann, wenn man genau sein will.
Dennoch sehe ich hinter all diesen Bestrebungen, vereinheitlichte Theorien zu finden, ganz stark das Vorurteil oder die Erwartung, dass eine fundamentale Theorie "einfach" formuliert werden kann.
Das ist natürlich ein unerhörter Optimismus; keiner weiss, ob es wirklich so ist.

d_mittmann 14.09.12 17:40

AW: Eleganz physikalischer Formeln
 
Sicher sind viele Rechnungen sehr komplex je genauer ihre physikalischen Vorhersagen werden sollen. Was dabei an Schönheit verbleiben kann sind die erhaltenen geometrischen Verhältnisse.

z.b:
Die Thermodynamischen Prozesse Beim Gefrieren von Wasser sind unheimlich komplex, können jedoch in zahrleichen sehr schön anmutenden Eiskristallen münden.

fossilium 14.09.12 21:12

AW: Eleganz physikalischer Formeln
 
Hi Tom,
Zitat:

Zitat von Thom_B (Beitrag 69367)
Wow, das ist einfach und elegant.

ist es nicht. Die Dynamik der Wechselwirkung zwischen Materie und der Elektronenhülle eines Atoms ist äussert kompliziert und der Vorgang ist letzendlich unverstanden. Das Beispiel eignet sich nicht.
Zitat:

Zitat von Thom_B (Beitrag 69367)
Die Quantenelektrodynamik kann sich daher zurecht als die am besten bestätigte physikalische Theorie rühmen.

kann sie nicht. Die Übereinstimmung der Vorhersagen der Theorie mit den Messergebnis ist kein Kriterium für die Richtigkeit der Theorie (s. konurrierende Theorien Bohmsche und Bohrsche Quantenmechanik, sagen beide dasselbe voraus). Damit eine Theorie stimmt, muss zusätzlich Konsistenz (Freiheit von inneren Widersprüchen) hinzukommen. Das ist bei allen quantenphysikalischen Theorien nicht gegeben.
Zitat:

Zitat von Thom_B (Beitrag 69367)
Die Welt ist nicht einfach. Warum sollte sie es auch sein?

Wenn die Regeln, nach denen die Welt funktioniert, kompliziert wären, würden die Entwicklung über längere Zeit in einen chaotischen Zustand münden. Die Tatsache, dass überhaupt erkennbare Strukturen und Ordnungen da sind, beweist,dass sie nach einfachen Prinzipen funktioniert.
Grüsse Fossilium

Hawkwind 14.09.12 22:22

AW: Eleganz physikalischer Formeln
 
Zitat:

Zitat von fossilium (Beitrag 69381)

kann sie nicht. Die Übereinstimmung der Vorhersagen der Theorie mit den Messergebnis ist kein Kriterium für die Richtigkeit der Theorie (s. konurrierende Theorien Bohmsche und Bohrsche Quantenmechanik, sagen beide dasselbe voraus).

Die Bohmsche Quantenmechanik kann nicht mit der QED konkurrieren; Bohm formulierte eine Version der "alten" nichtrelativistischen Quantenmechanik mit Pilotwellen (statt "Kopenhagener Kollaps"), welche dieselben Vorhersagen wie die nichtrelativistische Quantenmechanik macht. Eine relativistische Fassung von Bohms Quantenmechanik gibt es nicht ... ganz zu schweigen von einer relativistischen Quantenfeldtheorie wie der QED.

Was um Himmels Willen ist denn die "Bohrsche Quantenmechanik"? Meinst du, der hat auch nochmal was Separates formuliert? Die QED wurde unabhängig von Feynman, Schwinger und Tomonoga entwickelt; dafür wurden sie auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Du meinst wahrscheinlich die Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik; das ist überhaupt keine Theorie sondern pure Interpretation.

Hier geht es ein bisschen mit Theorie und Deutungen durcheinander. Diese Verwirrung hat nichts mit der ursprünglichen Frage zu tun.

ghostwhisperer 16.09.12 14:41

Theorien
 
Zitat:

Zitat von fossilium (Beitrag 69381)
kann sie nicht. Die Übereinstimmung der Vorhersagen der Theorie mit den Messergebnis ist kein Kriterium für die Richtigkeit der Theorie (s. konurrierende Theorien Bohmsche und Bohrsche Quantenmechanik, sagen beide dasselbe voraus). Damit eine Theorie stimmt, muss zusätzlich Konsistenz (Freiheit von inneren Widersprüchen) hinzukommen. Das ist bei allen quantenphysikalischen Theorien nicht gegeben.

Hallo! Dazu muss ich auch mal meinen Senf dazu geben :)
Eine Theorie kann nie richtig sein, denn sie ist immer nur ein MODELL der Welt, nicht die Welt selbst. Und ein Modell kann nur solange als gut verstanden werden, wenn es richtige Vorhersagen macht. Gibt es mehrere Modelle welche dasselbe vorhersagen, ist jene vorzuziehen welche die wenigsten Annahmen benötigt, gewissermassen am unkompliziertesten ist.
Treten Ereignisse auf, welche mit der Theorie nicht verstanden werden können, wird sie i.Allg. durch eine neue Theorie abgelöst.
Diese muss aber im Grenzfall die alte Theorie reproduzieren.
Was die mathematische Komplexizität angeht:
Es ist meist so, dass ein Modell mathematisch um so komplizierter ist, je einfacher die Grundannahmen sind.
Ein gutes Beispiel ist der Übergang von der newtonschen zur relativistischen Mechanik.

MFG Ghosti

Marco Polo 16.09.12 16:57

AW: Theorien
 
Zitat:

Zitat von ghostwhisperer (Beitrag 69393)
Eine Theorie kann nie richtig sein, denn sie ist immer nur ein MODELL der Welt, nicht die Welt selbst. Und ein Modell kann nur solange als gut verstanden werden, wenn es richtige Vorhersagen macht. Gibt es mehrere Modelle welche dasselbe vorhersagen, ist jene vorzuziehen welche die wenigsten Annahmen benötigt, gewissermassen am unkompliziertesten ist.
Treten Ereignisse auf, welche mit der Theorie nicht verstanden werden können, wird sie i.Allg. durch eine neue Theorie abgelöst.
Diese muss aber im Grenzfall die alte Theorie reproduzieren.

Stimmt. Eine neue Erkenntnis ist das jetzt aber irgendwie auch nicht. :rolleyes:

ghostwhisperer 16.09.12 18:26

AW: Theorien
 
Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 69396)
Stimmt. Eine neue Erkenntnis ist das jetzt aber irgendwie auch nicht. :rolleyes:

Sorry aba den Eindruck hatte ich nicht..

fossilium 16.09.12 19:06

AW: Theorien
 
Hi Gostwhisperer,
Zitat:

Zitat von ghostwhisperer (Beitrag 69393)
Es ist meist so, dass ein Modell mathematisch um so komplizierter ist, je einfacher die Grundannahmen sind.

was meinst Du damit ?
Je komplizierter die Grundannahmen, desto einfacher das Modell (der Natur ?) ?
Grüsse Fossilium


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