Quanten.de Diskussionsforum

Quanten.de Diskussionsforum (http://www.quanten.de/forum/index.php5)
-   Quantenmechanik, Relativitätstheorie und der ganze Rest. (http://www.quanten.de/forum/forumdisplay.php5?f=3)
-   -   Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum (http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=2194)

Timm 18.03.12 10:45

Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi,

Als Einstieg mag dieses Zitat von Tamara Davis aus ihrem Artikel "Verliert das Universum Energie", Spektrum 11/2010, dienen:

Zitat:

Unser Bild des expandierenden Luftballons veranschaulicht zwar die Expansion ganz gut, darf aber nicht allzu wörtlich genommen werden:

Der leere Raum hat keine physikalische Realität. Wenn Galaxien sich voneinander entfernen, steht es uns darum frei, diese Relativbewegung wahlweise als "Expansion des Raums" oder als "Bewegung durch den Raum" zu betrachten.
Das ist nicht mainstream, es gibt aber durchaus einige Kosmologen, die diese Haltung teilen.

Wir hatten schon mal über die mathematische Geichwertigkeit des leeren FRW Models (Raum expandiert, ohne kosmologische Konstante!) mit dem Milne Modell (hier gilt die SRT, masselose Testpartikel bewegen sich durch den Raum) gesprochen. Zur Koordinatentransformation und Näherem dazu, s. Thesis von Davis, Chapter 4 The empty universe.

Was passiert nun, wenn Materie hinzu kommt? Die einfache Koordinatentrafo ist hinfällig, weil es die flache Minkowski Raumzeit nicht mehr gibt. Deshalb muß aber die "Bewegung durch den Raum" doch wohl nicht hinfällig sein. Demnach gäbe es zum massehaltigen FRW Modell ein gleichwertiges "kinematisches" Modell, in dem die Gravitation zu berücksichtigen ist . Angenommen das ist so. Wie kann man dann diese beiden Modelle ineinander umrechnen? Oder ist das grundsätzlich nicht möglich?

Gruß, Timm

Bauhof 18.03.12 12:57

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67356)
Als Einstieg mag dieses Zitat von Tamara Davis aus ihrem Artikel "Verliert das Universum Energie", Spektrum 11/2010, dienen:
Zitat:

Unser Bild des expandierenden Luftballons veranschaulicht zwar die Expansion ganz gut, darf aber nicht allzu wörtlich genommen werden: Der leere Raum hat keine physikalische Realität. Wenn Galaxien sich voneinander entfernen, steht es uns darum frei, diese Relativbewegung wahlweise als "Expansion des Raums" oder als "Bewegung durch den Raum" zu betrachten.

Hallo Timm,

der Fehler in der Überlegung von Tamara Davis begründet sich m.E. damit, dass dem leeren Raum eine physikalische Realität abgesprochen wird.

In der ART interagieren die Massen mit der Raumzeit und damit auch mit dem leeren Raum. Wenn man der Raumzeit keine physikalische Realität zuspräche, dann wäre die Beschreibung der Gravitation durch die ART eine sinnleere Illusion.

Für den Fall, dass man dem leeren Raum keine physikalische Realität zugesteht, dann kann es auch keine Bewegung 'durch den Raum' geben. Denn wie kann sich etwas durch etwas hindurchbewegen, wenn letzteres etwas physikalisch gar nicht existiert?

M.f.G. Eugen Bauhof

EMI 18.03.12 13:17

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67361)
der Fehler in der Überlegung von Tamara Davis begründet sich m.E. damit, dass dem leeren Raum eine physikalische Realität abgesprochen wird.

Hallo Bauhof,

leeren Raum ohne Materie gibt es nicht. Raumzeit und Materie (Raum-Zeit-Materie) sind seit der ART eine Union, bedingen sich einander.

Gruß EMI

PS.: Auch die Raumzeit zwischen den Galaxien ist mit Materie "gefüllt".
Ein Universum nur aus Raumzeit ohne Materie ist keine physikalische Realität, so etwas kann es nicht geben.

Timm 18.03.12 14:05

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo Eugen,

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67361)
der Fehler in der Überlegung von Tamara Davis begründet sich m.E. damit, dass dem leeren Raum eine physikalische Realität abgesprochen wird.

Wenn sich etwas von A nach B bewegt, muß dazwischen etwas sein. Man nennt es Raum.
Was aber meint sie mit physikalischer Realität?

Ein Versuch:
Du bist in Physik beschlagen, weißt aber nichts vom Universum und dessen Entwicklung. Nun siehst Du im leeren Raum rotverschobene Objekte, je lichtschwächer desto rotverschobener. Wenn nun der Raum eine physikalische Realität hat, sollte es doch möglich sein, durch ein Experiment die Bewegung der Objekte durch den Raum oder eine Dehnung des Raums zu fasifizieren, wenn die eine Interpretation richtig, die andere aber falsch ist. Wie machst Du das?

Gruß, Timm

Bauhof 18.03.12 16:20

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67367)
Nun siehst Du im leeren Raum rotverschobene Objekte, je lichtschwächer desto rotverschobener. Wenn nun der Raum eine physikalische Realität hat, sollte es doch möglich sein, durch ein Experiment die Bewegung der Objekte durch den Raum oder eine Dehnung des Raums zu fasifizieren, wenn die eine Interpretation richtig, die andere aber falsch ist. Wie machst Du das?

Hallo Timm,

ich selbst weiß das leider nicht, wie ich bei der Universum-Expansion zwischen einer Raumdehnung und einer Bewegung der Objekte im Raum unterscheiden könnte. Aber Bernulf Kanitscheider hat dazu eine Information. Er schreibt auf Seite 226 seines Buches [1]:
Zitat:

Wäre die kosmologische Rotverschiebung tatsächlich ein Geschwindigkeitseffekt und kein Expansionseffekt, so würde der Energiefluss S, der von einer Galaxie der Leuchtkraft L auf der Erde gemessen wird, nicht

S = L / [4(PI)R²(1+z)²],

sondern

S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]

betragen.

S = Energiefluss einer Galaxie, der auf der Erde gemessen wird
L = Leuchtkraft einer Galaxie, die auf der Erde gemessen wird
PI = Kreiszahl
z = Rotverschiebung
R = kosmischer Skalenfaktor
r = vermutlich der Galaxien-Abstand zur Erde (ist im Buch nicht spezifiziert)
Kanitscheider belegt das mit folgendem Literaturhinweis:
Misner C.H. / Thorne K. / Wheeler, J.: Gravitation. San Francisco 1973.
S. 794, Exercise 29.5

Mit freundlichen Grüßen
Eugen Bauhof

[1]Kanitscheider, Bernulf
Kosmologie.
Stuttgart 1991 (2. Auflage)
ISBN=3-15-008025-8

Timm 18.03.12 17:53

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67369)
ich selbst weiß das leider nicht, wie ich bei der Universum-Expansion zwischen einer Raumdehnung und einer Bewegung der Objekte im Raum unterscheiden könnte. Aber Bernulf Kanitscheider hat dazu eine Information. Er schreibt auf Seite 226 seines Buches [1]:

Interessante Info und danke für den Buch Tipp, ich habe den Kanitschneider gerade bestellt, Eugen.

Könnte mit 4pi*R² bzw. 4pi*r² die Kugeloberfläche gemeint sein, auf der sich die Galaxien befinden, die im Zentrum der Kugel beobachtet werden?
Mit dem Energiefluß als Leuchtkraft/Fläche hätte man die scheinbare Helligkeit demnach als Unterscheidungskriterium zwischen Raumdehnung und Bewegung, wenn ich das richtig verstehe. Aber müßte man denn nicht die absolute Leuchtkraft kennen? Gut, mit den Supernova Ia Standardkerzen hätte man das im Prinzip.

Gruß, Timm

Bauhof 18.03.12 18:46

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67370)
Könnte mit 4pi*R² bzw. 4pi*r² die Kugeloberfläche gemeint sein, auf der sich die Galaxien befinden, die im Zentrum der Kugel beobachtet werden?

Hallo Timm,

mit R ist der kosmische Skalenfaktor gemeint.
Im Falle eines geschlossenen Universums kann er als Radius einer vierdimensionalen Kugel angesehen werden. Die dreidimensionale "Oberfläche" dieser 4-D-Kugel ist dann das Universum. Auch beim flachen oder beim hyperbolischen Universum wird der Begriff Skalenfaktor verwendet, nur kann er da nicht mehr so anschaulich interpretiert werden.

M.f.G. Eugen Bauhof

P.S.
Fall du gut englisch kannst, ist das Buch
Misner C.H. / Thorne K. / Wheeler, J.: Gravitation. San Francisco 1973.
zu empfehlen. Unter den Rezensionen ist auch eine deutschsprachige Rezension dabei:
Zitat:

Es ist ganz einfach: Dieses Werk ist das beste, was je über die allgemeine Relativitätstheorie geschrieben wurde. Es hat mir die mathematische Beschreibung von Weltmodellen ermöglicht. Den Autoren bin ich zu tiefem Dank verpflichtet.
Leider gibt es davon keine deutsche Übersetzung, sonst hätte ich dieses Buch schon lange in meinem Besitz.

Philipp Wehrli 18.03.12 21:15

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67367)
Hallo Eugen,


Wenn sich etwas von A nach B bewegt, muß dazwischen etwas sein. Man nennt es Raum.
Was aber meint sie mit physikalischer Realität?

Ein Versuch:
Du bist in Physik beschlagen, weißt aber nichts vom Universum und dessen Entwicklung. Nun siehst Du im leeren Raum rotverschobene Objekte, je lichtschwächer desto rotverschobener. Wenn nun der Raum eine physikalische Realität hat, sollte es doch möglich sein, durch ein Experiment die Bewegung der Objekte durch den Raum oder eine Dehnung des Raums zu fasifizieren, wenn die eine Interpretation richtig, die andere aber falsch ist. Wie machst Du das?

Gruß, Timm

Wenn die Rotverschiebung durch die Geschwindigkeit verursacht ist, hängt sie nur von der Quelle zum Zeitpunkt der Emission und vom Empfänger zum Zeitpunkt der Absorbtion ab. Wird sie durch die Expansion des Raumes verursacht, spielt die ganze Reisezeit eine Rolle. Das Ballonmodell führt daher zu grundsätzlich anderen Aussagen als das Geschwindigkeitsmodell.

Leider können wir die Geschwindigkeiten und Entfernungen ferner Galaxien nur definieren, wenn wir ein Modell voraussetzen. Ich habe die Zahlen nie selber studiert. Aber meines Wissens ist es so, dass das Ballonmodell besser mit den Daten übereinstimmt. Das Geschwindigkeitsmodell ist nur haltbar, wenn wir im Zentrum des Geschehens stehen. Für Beobachter, die nicht im Zentrum sind, wären die Galaxien auf der einen Seite näher beieinander als auf der anderen.

Timm 19.03.12 10:00

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo Eugen,

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67372)
mit R ist der kosmische Skalenfaktor gemeint.

Du hast es jetzt bestätigt. Mein Problem ist: Wo bleibt die Vergleichbarkeit der beiden Formeln, wenn R und r etwas unterschiedliches bedeuten?

Ich hatte es zunächst so verstanden: Gegeben seien 2 Galaxien mit gleicher Rotverschiebung. Dann sollte deren scheinbare Helligkeit modellabhängig sein.

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67372)

Über den MTW habe ich schon viel Gutes gehört. Allein die befürchtete Mathematik (nicht Sprach-) -Barriere, hatte mich abgehalten, ihn zu erwerben. Aber jetzt habe ich mir den "Ruck" gegeben.

Gruß, Timm

Ich 19.03.12 10:05

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi alle,


Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67356)
Das ist nicht mainstream, es gibt aber durchaus einige Kosmologen, die diese Haltung teilen.

Da wär' ich mir gar nicht sicher, ob das nicht doch mainstream ist, zumindeste unter Kosmologen. Aber es ist ziemlich sicher (noch) nicht mainstream in der populärwissenschaftlichen Literatur. Woran Davis durchaus Mitschuld trägt mit ihren früheren Veröffentlichungen. Es war wohl das Paper von Bunn & Hogg, das sie kuriert hat. Zumindest gibt sie es als Literaturhinweis an.

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67361)
Für den Fall, dass man dem leeren Raum keine physikalische Realität zugesteht, dann kann es auch keine Bewegung 'durch den Raum' geben. Denn wie kann sich etwas durch etwas hindurchbewegen, wenn letzteres etwas physikalisch gar nicht existiert?

Die Formulierung von Davis ist vielleicht überzogen oder missverständlich. Was aber sicher richtig ist: dem leeren Raum kann an keinem Punkt eine ausgezeichnete Geschwindigkeit zugesprochen werden. Das ist das Relativitätsprinzip, das lokal ja in der ART absolut gültig ist.
Deswegen kann man auch nicht von einer "Geschwindigkeit relativ zum Raum" reden, wenn man damit irgendetwas physikalisch ausgezeichnetes meint.
Das zeigt sich daran, dass in der ART nur die Raumzeit etwas "abslutes" ist. Was "Raum" ist, kann nach Belieben definiert werden, und daher kommen auch all die vermeintlichen Widersprüche:
In der Kosmologie definiert man mitbewegte Objekte gerne als "ruhend" und damit den Raum als expandierend. Während man normalerweise zueinander ruhende Objekte als ruhend definiert, und damit den Raum als statisch (soweit möglich). Dass der große Unterschied zwischen beiden Konzepten einfach in dieser der Definition, also dem verwendeten Koordinatensystem liegt, ist vielfach unbekannt.

Zu Kanitscheider:
Zitat:

Zitat von Kanitscheider/Bauhof
Wäre die kosmologische Rotverschiebung tatsächlich ein Geschwindigkeitseffekt und kein Expansionseffekt, so würde der Energiefluss S, der von einer Galaxie der Leuchtkraft L auf der Erde gemessen wird, nicht

S = L / [4(PI)R²(1+z)²],

sondern

S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]

betragen.

S = Energiefluss einer Galaxie, der auf der Erde gemessen wird
L = Leuchtkraft einer Galaxie, die auf der Erde gemessen wird
PI = Kreiszahl
z = Rotverschiebung
R = kosmischer Skalenfaktor
r = vermutlich der Galaxien-Abstand zur Erde (ist im Buch nicht spezifiziert)

Das ergibt keinen Sinn. Der Skalenfaktor kann nicht anstelle einer Entfernung in dieser Formel auftauchen. Das R müsste für die sog. "Angular Size Distance" zum Zeitpunkt der Lichtaussendung stehen, dann deckt sich die Formel mit der Literatur und ergibt Sinn. Bist du sicher, dass das R nicht doch etwas in die Richtung bedeutet? Und man muss auch noch wissen, was "r" bedeutet. Es geht ja genau um die Unterschiede in den Definitionen.
Ich habe MTW auch nicht daheim. Weiß jemand, was da gerechnet wird?


Zitat:

Zitat von Philipp Wehrli (Beitrag 67375)
Wenn die Rotverschiebung durch die Geschwindigkeit verursacht ist, hängt sie nur von der Quelle zum Zeitpunkt der Emission und vom Empfänger zum Zeitpunkt der Absorbtion ab. Wird sie durch die Expansion des Raumes verursacht, spielt die ganze Reisezeit eine Rolle. Das Ballonmodell führt daher zu grundsätzlich anderen Aussagen als das Geschwindigkeitsmodell.

Das ist sicher richtig. Wenn Gravitation vorhanden ist, muss man ihren Effekt auf die Rotverschiebung natürlich berücksichtigen. Wie Timm schon sagte, funktioniert eine reine "Geschwindigkeitsbetrachtung" nur im leeren Raum - oder auf kurze Distanzen.

Timm 19.03.12 10:45

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Philipp Wehrli (Beitrag 67375)
Wenn die Rotverschiebung durch die Geschwindigkeit verursacht ist, hängt sie nur von der Quelle zum Zeitpunkt der Emission und vom Empfänger zum Zeitpunkt der Absorbtion ab. Wird sie durch die Expansion des Raumes verursacht, spielt die ganze Reisezeit eine Rolle. Das Ballonmodell führt daher zu grundsätzlich anderen Aussagen als das Geschwindigkeitsmodell.

Ja, so wird argumentiert. Etwa von Harrison in seinem Buch "Kosmologie", 1984. Dort schreibt er sinngemäß, daß, wenn Emission und Absorption ohne Relativbewegung (keine Dopplerverschiebung) stattfinden, die Wellenlänge gedehnt wird, falls der Raum expandiert, während das Photon "unterwegs" ist.

Dagegen argumentieren Bunn & Hogg jedoch in "The kinematic origin of the cosmological redshift", 2009, http://arxiv.org/PS_cache/arxiv/pdf/...808.1081v2.pdf mit dem Paralleltransport der 4-Geschwindigkeit auf der Bahn dieses Photons. Schau Dir hierzu auch die bildliche Darstellung von Davis in dem erwähnten Spektrum Artikel an.

Zitat:

Zitat von Philipp Wehrli (Beitrag 67375)
Das Geschwindigkeitsmodell ist nur haltbar, wenn wir im Zentrum des Geschehens stehen. Für Beobachter, die nicht im Zentrum sind, wären die Galaxien auf der einen Seite näher beieinander als auf der anderen.

Auf diese Idee kommt man zuerst mal. Beim leeren Universum ist es nicht so. Davis, Seite 59 (The empty universe):

Zitat:

Importantly, the Milne universe obeys the cosmological principle: it looks the same to every observer.
Zu Milne wird man durch googeln reichlich fündig. Das Geschwindigkeitsmodell gehorcht auch nach Hinzufügen von Masse dem kosmologischen Prinzip. Der Unterschied ist: Die Rotverschiebung ist nicht mehr ausschließlich Doppler Effekt (wie im Milne Modell), sondern enthält eine gravitative Komponente. So besagte Autoren, die ich gerne noch auflisten kann.

Gruß, Timm

Ich 19.03.12 11:08

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Timm,

Zitat:

Paralleltransport der 4-Geschwindigkeit auf der Bahn dieses Photons
Richtig, damit geht's auch. Dann ist alles mit der so definierten Relativgeschwindigkeit erschlagen.

EMI 20.03.12 01:59

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67384)
Richtig, damit geht's auch. Dann ist alles mit der so definierten Relativgeschwindigkeit erschlagen.

Schon sehr seltsam...;),

genau so isses!

EMI

JoAx 20.03.12 09:08

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von EMI (Beitrag 67387)
Schon sehr seltsam...;),

genau so isses!

Warum ist es setsam, EMI? :)

Timm 20.03.12 10:42

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67380)
In der Kosmologie definiert man mitbewegte Objekte gerne als "ruhend" und damit den Raum als expandierend. Während man normalerweise zueinander ruhende Objekte als ruhend definiert, und damit den Raum als statisch (soweit möglich). Dass der große Unterschied zwischen beiden Konzepten einfach in dieser der Definition, also dem verwendeten Koordinatensystem liegt, ist vielfach unbekannt.

Stephen Lee (mir nicht bekannt) schreibt hierzu:

http://www.chronon.org/articles/milne_cosmology.html
Zitat:

A critical density model

The above considerations show how cosmological coordinates can be transformed to SR coordinates when we know that special relativity holds true. However we can follow the same procedure for other models of the universe. Recent observations suggest that our universe actually has the critical density, although the majority of this is made up of dark energy - i.e. a non-zero cosmological constant. For simplicity we'll look at the case of a critical density, matter dominated, model with zero cosmological constant. In this case we have

a (τ)=(9C/4) 1/3τ 2/3

A similar argument to that above then gives:

t = τ+3τ 1/3ψ 2 and x = 3τ 2/3ψ+ψ 3

So you see that the possibility of choosing 'Special Relativity' type coordinates isn't only possible in a universe with no spacetime curvature.
Könntest Du das kommentieren? Bin gerade zufällig darauf gestoßen.

Interessant scheint mir die Frage nach dem Anteil der kinematischen Komponente an der kosmologischen Rotverschiebung. Zumindest wenn man erst mal die kosmologische Konstante ignoriert, sollte es einen direkten Zusammenhang zwischen diesem Anteil und der (zeitabhängigen) Materiedichte geben, oder? Und er sollte wohl mit abnehmender Materiedichte asymptotisch gegen 100% gehen. Müßte der Anteil der kinematischen Komponente bei sehr weit entfernten Galaxien wegen der damals größeren Materiedichte entsprechend kleiner sein? Zu diesen Fragen habe ich nichts konkretes gefunden.

Über diese kinematische Komponente wird viel geschrieben, aber doch relativ vage. Sollte es im Prinzip nicht sogar möglich sein, sie für Omega(m) = 0.27, Omega (lambda) = 0.73 zu berechen, oder zumindest abzuschätzen? Eine "einfache" Koordinatentransformation wird wohl nicht möglich sein, sobald Materie im Spiel ist!?

Gruß, Timm

Bauhof 20.03.12 12:53

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67392)
Über diese kinematische Komponente wird viel geschrieben, aber doch relativ vage.

Hallo Timm,

meinst du mit "kinematischer Komponente" die gravitativen Eigenbewegungen der Galaxien?

M.f.G. Eugen Bauhof

Timm 20.03.12 15:25

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo Eugen,

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67394)
meinst du mit "kinematischer Komponente" die gravitativen Eigenbewegungen der Galaxien?

Nein, in diesem "Bewegungsmodell" setzt sich die kosmologische Rotverschiebung aus einem der Gravitation geschuldeten Anteil und einem Doppleranteil zusammen. In diesem Modell bewegen sich die Galaxien durch den Raum, deshalb Doppleranteil (Raum dehnt sich nicht). Im masselosen "Bewegungsmodell Modell" (= Milne Modell) gibt es nur den Dopplereffekt.
Im Raumexpansionsmodell, das durch mitbewegte Koordinaten beschrieben wird, beruht die kosmologische Rotverschiebung auf der Raumdehnung Galaxien ruhen im Raum).

Mehr dazu steht in The kinematic component of the cosmological redshift. Da wird auch einiges gerechnet, wie ich gerade sehe. Vielleicht erledigt sich meine Frage an 'Ich'. Aber dessen input ist auf jeden Fall willkommen.

Gruß, Timm

P.S. Der Kanitscheider ist schon da, Eugen. Guter Zustand für 4.50 €, kann man nichts sagen.

Ich 20.03.12 15:36

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Timm,

ich kenne Stephen Lee flüchtig von physicsforums, wo er sporadisch als "Chronon" schrieb. Ich stimme natürlich weitgehend mit ihm überein, insbesondere der letzte Abschnitt seiner Arbeit hier ist beachtenswert.
Zitat:

Könntest Du das kommentieren? Bin gerade zufällig darauf gestoßen.
Das war mir auch neu, ich habs jetzt mal angeschaut. Lee führt "Radar-Koordinaten" ein, d.h. ausgehend von einem Beobachter am Ursprung schickt er Lichtpulse aus, die reflektiert werden. Die Hälfte der Laufzeit definiert er als x-Abstand, und das Reflexionsereignis setzt er gleichzeitig zu (t1+t0)/2, also Einsteinsche Synchronisation.
Diese Koordinaten sind im leeren Raum identisch mit Minkowskikoordinaten. Mit Materie wird's komplizierter: Weil es da gravitative Zeitdilatation gibt, ist die Lichtlaufzeit nicht mehr identisch mit der "wahren" Entfernung, die man dur Anlegen ruhender Maßsäbe erhielte (oder mit der Kette, von der ich hier schrieb). Man kann beide Definitionen verwenden, ich persönlich tendiere zu letzterer, da ist man näher an Normalkoordinaten.
Zitat:

Interessant scheint mir die Frage nach dem Anteil der kinematischen Komponente an der kosmologischen Rotverschiebung.
Die kinematische ist proportional zum Abstand, die Gravitationsverschiebung ist proportional zum Quadrat des Abstands. Deswegen funktioniert Bunn & Hoggs Ansatz, bei kleinen Entfernungen nur die kinematische komponente zu berücksichtigen. Die beiden werden in einer gewissen Entfernung gleich groß.
Aber vorsichtig verwenden: diese Aufteilung in Doppler und Gravitation ist nur solange eindeutig möglich, solange man die Rotverschiebung als Funktion der Entfernung noch gut mit a*x+b*x² nähern kann bzw. das Potential statisch genug ist. Bei größeren Entfernungen und Lichtlaufzeiten verschwimmt der Unterschied, und man tut sich schwer mit dieser Aufteilung.
In erster Näherung ist:
Doppler: z=H/c * r
Gravitation: z=2/3*pi*G/c²*rho * r²
Zitat:

Eine "einfache" Koordinatentransformation wird wohl nicht möglich sein, sobald Materie im Spiel ist!?
Ja, es sind dann keine geschlossen darstellbaren Transformationen verfügbar. Ferner hast du, wie oben angedeutet, das Problem, dass das Gravitationspotential nicht statisch ist - und damt die Metrik, und damit der Begriff von "in Ruhe", den man sich macht. Da kann man sicher was lustiges definieren, aber mit der Problematik habe ich mich noch nicht tiefer beschäftigt.
Was immer geht ist die (post-)Newtonsche Näherung, wo man sich eine flache Hintergrundmetrik denkt. Auf die beziehen sich die Formeln oben. Was auch immer geht sind statische Potentiale wie im exponentiell expandierenden Universum (de Sitter).

EDIT: Timm, Bauhof: Was steht denn da jetzt im Kanitscheider? Wirklich "Skalenfaktor"?

Bauhof 20.03.12 18:48

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Liste der Anh?nge anzeigen (Anzahl: 1)
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67399)
Timm, Bauhof: Was steht denn da jetzt im Kanitscheider? Wirklich "Skalenfaktor"?

Hallo Ich,

so ist es.
Den Skalenfaktor R(t) erklärt Kanitscheider einige Seiten vorher, und zwar auf Seite 198. Siehe hierzu den PDF-Anhang [1]. Dort erklärt er auch r als eine "dimensionslose Radialkonstante", die für jede Galaxis konstant ist.

M.f.G. Eugen Bauhof

[1] Den PDF-Anhang bitte mit der rechten Maustaste herunterladen. Danach mit dem Adobe Reader öffnen.

Ich 20.03.12 19:51

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Bauhof,

danke für die Seite.

Aber irgendwie wird's dadurch nicht wirklich klarer. Oben schreibt er mal von R0 als dem Abstand zweier "Fundamentalpunkte" zur Zeit t0. Wenn jetzt diese Fundamentalpunkte Sender und Empfänger des fraglichen Lichts wären, dann wäre seine erste Formel wenigstens normal falsch. Mit der Deutung als Krümmungsradius, die auch auf dieser Seite vorkommt, ist sie aber ziemlich weit daneben, da wäre der Strahlungsfluss unabhängig vom Abstand, und auch noch für der nächste Nachbar sähe aus wie in Milliarden Lichtjahren Entfernung.
Wenn wir die Buchstaben von dieser Seite in die Formeln übernehmen wollen, gibt's gleich das nächste Problem: r wäre dann dimensionslos, womit auch die Formel für den Geschwindigkeitseffekt unbrauchbar wäre.

Also bin ich leider noch nicht schlauer, was er gemeint haben könnte.

Timm 20.03.12 21:27

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Kanitscheider verweist bei den angegebenen Formeln auf dem MTW, wie Eugen schon schrieb. Der könnte morgen bei mir eintreffen. Dann wird sich der Nebel wahrscheinlich lichten,

Gruß, Timm

Timm 21.03.12 14:51

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67369)
Aber Bernulf Kanitscheider hat dazu eine Information. Er schreibt auf Seite 226 seines Buches [1]:
Zitat:

Wäre die kosmologische Rotverschiebung tatsächlich ein Geschwindigkeitseffekt und kein Expansionseffekt, so würde der Energiefluss S, der von einer Galaxie der Leuchtkraft L auf der Erde gemessen wird, nicht

S = L / [4(PI)R²(1+z)²],

sondern

S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]

betragen.

S = Energiefluss einer Galaxie, der auf der Erde gemessen wird
L = Leuchtkraft einer Galaxie, die auf der Erde gemessen wird
PI = Kreiszahl
z = Rotverschiebung
R = kosmischer Skalenfaktor
r = vermutlich der Galaxien-Abstand zur Erde (ist im Buch nicht spezifiziert)

Lt. MTW (der Wälzer wiegt 2.5 kg) Seite 783 ist R "the radius of curvature of the 2-sphere surrounding the emitter and passing through the receiver at the time of reception"
Wobei R kongruent zu a*Summe(Xr - Xe) ist. Mit Xe = 0 , weil die emittierende Galaxie im Ursprung ist und a dem Skalenfaktor. Das Produkt a*Summe () ist abhängig vom Wert des Krümmungsparameters k (-1, 0, +1).

r ist der Abstand Erde - Galaxie, wie Eugen geschrieben hat. Diese Formel gilt (MTW S. 794) für die flache Minkowski Raumzeit, sodaß die Rotverschiebung ausschließlich Dopplereffekt ist. Nun leben wir nicht in einem leeren Universum. Insofern dürfte der unterschiedliche Energiefluß nicht so unerwartet sein. Er ist zumindest, wenn ich es richtig verstehe, kein Argument gegen die hier diskutierte Gleichwertigkeit zweier Modelle gleicher Materiedichte aber unterschiedlicher Deutung der Galaxienflucht.

Gruß, Timm

Ich 21.03.12 20:55

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Timm, Bauhof,

ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, Kanitscheiders Fehler gefunden zu haben. Kurzversion: Er verwechselt den Abstand zum Zeitpunkt der Lichtaussendung mit dem zum Zeitpunkt des Empfangs.
Vor der Langversion noch ein Erratum: in meinem Beitrag #10 muss es statt "Angular Size Distance" "transverse Comoving Distance" heißen, ich hab da ein Quadrat falsch gelesen.
Und noch was: Ich werde jetzt ungefähr alle Entfernungsdefinitionen der Kosmologie verwenden, das ist das Schöne an Kanitscheiders Fehler. Zur Referenz bitte dieses Paper anschauen.

Kanitscheiders erste Formel ergibt Sinn, so wie sie im MTW steht. Das R darin ist aber weder der Skalenfaktor noch der Abstand ("Comoving Distance"), sondern "the radius of curvature of the 2-sphere surrounding the emitter and passing through the receiver at the time of reception", aka "transverse Comoving Distance" Rt. Das ist der Umfang dieser Fläche geteilt durch 2pi, analog zu dem "r" in der Schwarzschildmetrik. Unter statischen Bedingungen verteilt sich das Licht genau auf diese Fläche, da hieße es einfach
S = L / (4(PI)R²) = L / (4(PI)Rt²).
Im dynamischen Fall ist dieses R aber definitionsgemäß die "Luminosity Distance" RL, wobei gilt
RL = Rt * (1+z),
daher also die Formel
S = L / [4(PI)Rt²(1+z)²].

Kanitscheider stellt dem gegenüber die Formel
S = L / [4(PI)r²(1+z)^4],
die im Falle eines "Geschwindigkeitseffekts" gelten soll. Eine entsprechende Formel findet sich laut Timm im MTW; ich behaupte, dass sie sich auf einen anderen Fall bezieht, dazu später mehr.

Als erstes muss man natürlich zeigen, dass das "R" gleich dem "r" ist, sonst könnte man keinen Widerspruch konstruieren. Das ist nach der MTW-Definition auch tatsächlich der Fall, weil auch in Minkowskikoordinaten gilt r=U/2pi. Nach Kanitscheiders Definitionen ginge das übrigens nicht.

Dann betrachten wir den Fall
"the radius of curvature of the 2-sphere surrounding the emitter and passing through the receiver at the time of reception"
in SRT-Koordinaten. Wir gehen also ins System des Emitters. Der schickt Licht aus, das den Beobachter im Abstand r erreicht. Ruhte der Beobachter, sähe er also
S = L / (4(PI)r²).
Da er sich aber wegbewegt, muss man zwei Effekte berücksichtigen:
Erstens sind die Photonen alle rotverschoben, haben also um 1/(1+z) geringere Energie.
Zweitens kommen die Photonen gemäß der Rotverschiebung auch in geringerer Rate 1/(1+z) an, also nochmal weniger Fluss.
Gibt in Summe
S = L / [4(PI)Rt²(1+z)²],
mithin dasselbe Ergebnis wie beim "Expansionseffekt".

Was macht Kanitscheider stattdessen? Ich tippe mal, das von ihm zitierte Szenario im MTW lautet sinngemäß "Eine wegfliegende Galaxie im Abstand r hat den Fluss S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]".

Wir gehen dazu ins System des Empfängers. Der sieht die Galaxie natürlich zu dem Zeitpunkt, da sie das Licht aussendet. Das "r" in diesem Fall ist also auch die "transverse Comoving Distance" zum Zeitpunkt der Emission, nicht Rezeption. Was im flachen Raum stimmigerweise die "Angular Size Distance" ist, entsprechend der tatsächlich beobachteten Winkelgröße der Galaxie.
Hier sind wieder die beiden oben beschriebenen Effekte zu berücksichtigen, die den Fluss um 1/(1+z)² schwächen.
Zusätzlich kommt aber noch der "Headlight Effect" ins Spiel: die Galaxie strahlt nur in ihrem Ruhesystem in alle Richtungen gleichmäßig. Wenn sie sich bewegt, erscheint das Licht, das entgegen der Bewegungsrichtung ausgesandt wird, wegen der Aberration für den ruhenden Beobachter auf einen größeren Winkel verteilt, also mit geringerem Fluss. (Kann man relativ einfach nachrechnen bei Bedarf.) Der entsprechende Faktor ist 1/(1+z)², womit wir auf die von Kanitscheider angegebenen
S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]
kommen - allerdings bedeutet diesmal das r etwas anderes, die "Angular Size Distance" DA nämlich. Ein Blick ins Paper zeigt, dass es passt: Die Luminosity Distance ist tatsächlich
DL = DA*(1+z)².

Also, meine These: Kanitscheider verwendet im zweiten Fall ein Szenario, das nicht zum ersten Fall passt. Der Unterschied ist der Zeitpunkt, zu dem "r" gemessen wird: bei Emission oder bei Rezeption. Und das ist auch der einzige Unterschied zwischen den Formeln. Es kann da auch kein echter Widerspruch sein, weil ja beide Beschreibungen im leeren Raum durch eine Koordinatentrafo ineinander übergehen.

Timm 22.03.12 10:47

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi 'Ich',

Kanitscheider übernimmt eigentlich nur was im MTW steht, ohne weitere Erklärung und ohne R und r zu definieren.

Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67419)
Zusätzlich kommt aber noch der "Headlight Effect" ins Spiel: die Galaxie strahlt nur in ihrem Ruhesystem in alle Richtungen gleichmäßig. Wenn sie sich bewegt, erscheint das Licht, das entgegen der Bewegungsrichtung ausgesandt wird, wegen der Aberration für den ruhenden Beobachter auf einen größeren Winkel verteilt, also mit geringerem Fluss. (Kann man relativ einfach nachrechnen bei Bedarf.) Der entsprechende Faktor ist 1/(1+z)², womit wir auf die von Kanitscheider angegebenen
S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]
kommen - allerdings bedeutet diesmal das r etwas anderes, die "Angular Size Distance" DA nämlich. Ein Blick ins Paper zeigt, dass es passt: Die Luminosity Distance ist tatsächlich
DL = DA*(1+z)².

Also, meine These: Kanitscheider verwendet im zweiten Fall ein Szenario, das nicht zum ersten Fall passt. Der Unterschied ist der Zeitpunkt, zu dem "r" gemessen wird: bei Emission oder bei Rezeption. Und das ist auch der einzige Unterschied zwischen den Formeln. Es kann da auch kein echter Widerspruch sein, weil ja beide Beschreibungen im leeren Raum durch eine Koordinatentrafo ineinander übergehen

r bezieht sich auf die Emission. Damit es keine Mißverständnisse gibt, zitiere ich aus dem MTW, S. 794:
Zitat:

Exercise 29.5 Dopplershift Versus Cosmological Redshift

(a) Consider, in flat spacetime, a galaxiy moving away from the Earth with velocity v, and emitting light that is received at Earth. Let the distance between Earth and galaxy, as measured in the Erth's Lorentz frame at some specific moment of emission, be r; and let the Dopplershift of the radiation when it is eventually received be z = Δ λ / λ. Show that the flux of energy S received at the Earth is related to the galaxy's intrinsic luminosity L by

S = L / [4(PI)r²(1+z)^4] (29.37)

(b) Compare this formula for the flux with with formula (29.27), where the redshift is of cosmological origin. Why is the number of factors of (1-z) different for the two formulas? [Mathematical answer: equation (6.28a of Ellis (1971).]
Den Ellis "Relativistic Cosmology" habe ich nicht. Könnte der von Dir ins Spiel gebrachte "Headlight Effect" gemeint sein?

Ich verstehe leider viel zu wenig davon, meine erste Reaktion, die kosmologische Rotverschiebung bezöge sich auf ein materiehaltiges Universum (wegen des des Hinweises auf den Krümmungsparameter) war wohl falsch. Allerdings kommt S. 785 noch ein Vergleich mit Beobachtungen. Geht es stattdessen um ein leeres FRW Universum? Aber dann müßte die unumstrittene Äquivalenz der Modelle doch auch den Energiefluß beinhalten (weil kovariant), oder?

Gruß, Timm

Marco Polo 22.03.12 12:05

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67428)
Ich verstehe leider viel zu wenig davon....

Von wegen. Wegen dir tun meine Operationsnarben höllisch weh, Timm... :)

Ich 22.03.12 12:58

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Timm,


Zitat:

Zitat von Timm
r bezieht sich auf die Emission.

Eben. Und R auf die Rezeption. Was dann auch Frage (b) beantwortet.

Zitat:

Könnte der von Dir ins Spiel gebrachte "Headlight Effect" gemeint sein?
Nein, es kann keinen physikalisch messbaren Unterschied geben. Der Headlight Effect gehört zur SRT und muss berücksichtigt werden, und das Ergebnis muss mit dem Ergebnis der kosmologischen Sichtweise übereinstimmen.
Es können eigentlich nur unterschiedliche Entfernungsdefinitionen gemeint sein. Wie gezeigt liefern beide Sichtweisen natürlich dasselbe Ergebnis, also DL = Dt*(1+z) = Da*(1+z)² (Dt ist diese transverse Comoving Distance). Da gibt's keine Unterschiede - außer man verwendet einmal die eine Entfernung und das andere mal die andere und merkt's nicht.
Dt entspricht der Entfernung zum Zeitpunkt der Rezeption, DA ist die Entfernung zur Zeit der Emission. Der Unterschied (1+z) zwischen beiden entspricht in kosmologischen Koordinaten dem unterschiedlichen Skalenfaktor: a(rez)/a(em) = 1+z.
Zitat:

Ich verstehe leider viel zu wenig davon, meine erste Reaktion, die kosmologische Rotverschiebung bezöge sich auf ein materiehaltiges Universum (wegen des des Hinweises auf den Krümmungsparameter) war wohl falsch.
Das ist nicht der Krümmungsparameter des Universums, das ist einfach der "Radius" der beschriebenen Kugel, d.h. deren Umfang durch 2pi.
Zitat:

Allerdings kommt S. 785 noch ein Vergleich mit Beobachtungen. Geht es stattdessen um ein leeres FRW Universum? Aber dann müßte die unumstrittene Äquivalenz der Modelle doch auch den Energiefluß beinhalten (weil kovariant), oder?
Was steht da? Wenn die Beobchtungen ergeben, dass das Universum nicht leer ist, dann kann man dem durchaus glauben. Meine Rechnungen hier beziehen sich natürlich auf eine flache Raumzeit, ist ja von MTW hier (29.5) so vorgegeben.

Timm 22.03.12 15:54

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67431)
Eben. Und R auf die Rezeption. Was dann auch Frage (b) beantwortet.

Danke, verstanden. Hätte ich nur gründlich gelesen. Offensichtlich ist das Kanitscheider auch entgangen, was zu seiner falschen Folgerung führte:
Zitat:

Wäre die kosmologische Rotverschiebung tatsächlich ein Geschwindigkeitseffekt und kein Expansionseffekt, so würde der Energiefluss S, der von einer Galaxie der Leuchtkraft L auf der Erde gemessen wird, nicht

S = L / [4(PI)R²(1+z)²],

sondern

S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]

betragen.
Gruß, Timm

Timm 22.03.12 16:04

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
:(
Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 67430)
Von wegen. Wegen dir tun meine Operationsnarben höllisch weh, Timm... :)

Oh je Marc, jetzt quälen mich aber Gewissensbisse. :mad:

Aber daß Du Dich in alter Frische meldest ist ein gutes Zeichen und ich wünsche Dir schnelle Genesung.

Gruß, Timm

Timm 23.03.12 13:43

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Ich greife mal aus Deinem reichhaltigen Beitrag diesen Teil heraus, denn er berührt den Kern des Themas:

Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67399)
Die kinematische ist proportional zum Abstand, die Gravitationsverschiebung ist proportional zum Quadrat des Abstands. Deswegen funktioniert Bunn & Hoggs Ansatz, bei kleinen Entfernungen nur die kinematische komponente zu berücksichtigen. Die beiden werden in einer gewissen Entfernung gleich groß.
Aber vorsichtig verwenden: diese Aufteilung in Doppler und Gravitation ist nur solange eindeutig möglich, solange man die Rotverschiebung als Funktion der Entfernung noch gut mit a*x+b*x² nähern kann bzw. das Potential statisch genug ist. Bei größeren Entfernungen und Lichtlaufzeiten verschwimmt der Unterschied, und man tut sich schwer mit dieser Aufteilung.
In erster Näherung ist:
Doppler: z=H/c * r
Gravitation: z=2/3*pi*G/c²*rho * r²

Bedeutet "Verschwimmen" bei größeren Entfernungen, daß es die Beiträge Gravitation und Doppler nach wie vor gibt, sie sich aber mathematisch nicht mehr darstellen lassen? Oder macht die Theorie keine klaren Aussagen für diesen Fall?

Nochmal die Formel (16) aus Peacock's "A Diatribe on expanding space":

1 + z = [(1+v/c)/(1-v/c)]^1/2*(1 + ΔΦ/c²)

mit ΔΦ = -2πGρr²/3 und daraus z = -2πGρr²/3c²

Mit diesem Newton'schen Ansatz (Birkhoff's Theorem) ergibt sich demnach Blauverschiebung (z < 0) für den Fall v = 0, was im Bild mitbewegter Koordinaten einer Pekuliargeschwindigkeit des Senders in Richtung Empfänger entspricht.
D.h. mit einem bestimmten Wert x für v (der Relativgeschwindigkeit mit der der Sender sich vom Empfänger entfernt) ist abhängig vom Gravitationspotential z = 0, und für v > x wird z > 0.

Um nun auf die Frage "verschwimmt" zurückzukommen, was passiert mit (16), wenn die Kugel immer größer gedacht wird, sodaß mehr und mehr die ART berücksichtigt werden muß. Du hast ja auf die Schwierigkeiten schon hingewiesen. Ich verstehe Peacock so, daß auch für kosmologische Distanzen die Rotverschiebung sich aus den beiden Anteilen (Gravitation, Kinematik) zusammensetzt. Er schreibt "to second order".
Müßte man aber nicht erwarten, daß sich deren Verhältnis verschiebt, je mehr die Art hinzu kommt? Und zwar in Richtung des gravitativen Anteils?

Oder, um hoffentlich etwas weniger verschwommen zu fragen:
Gegeben seien Rotverschiebungen von z =1 bis z = 1000 und die Entwicklung des Universums nach heutigem Wissen. Nun trage ich z gegen den prozentualen Anteil der kinematischen Komponente an z auf. Ich mag es überlesen haben, bin jedoch nirgends auf so eine Abschätzung gestoßen. Wie siehst Du das?

Gruß, Timm

Bauhof 23.03.12 19:57

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67445)
Gegeben seien Rotverschiebungen von z =1 bis z = 1000 und die Entwicklung des Universums nach heutigem Wissen. Nun trage ich z gegen den prozentualen Anteil der kinematischen Komponente an z auf. Ich mag es überlesen haben, bin jedoch nirgends auf so eine Abschätzung gestoßen.

Hallo Timm,

mir ist immer noch nicht klar, was du mit "kinematischer Komponente" meinst. Dazu habe bislang noch nie etwas (in deutschsprachigen Büchern) gelesen. Mit der "kinematischen Komponente" kann doch nur die Summe der gravitativen Rotverschiebungen plus Pekulariarbewegungen der Galaxien gemeint sein.

Und die Summe dieser beiden Komponenten ist vernachlässigbar klein gegenüber dem "Hubble-Fluss", der allein auf der Dehnung des Raumes beruht und nicht auf kinematische Komponenten. So entnehme ich es jedenfalls seit 30 Jahren aus meinen Büchern.

Ist ein 'Paradigmenwechsel' zu erwarten?

M.f.G. Eugen Bauhof

Timm 24.03.12 11:26

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo Eugen,

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67446)
mir ist immer noch nicht klar, was du mit "kinematischer Komponente" meinst. Dazu habe bislang noch nie etwas (in deutschsprachigen Büchern) gelesen. Mit der "kinematischen Komponente" kann doch nur die Summe der gravitativen Rotverschiebungen plus Pekulariarbewegungen der Galaxien gemeint sein.

Und die Summe dieser beiden Komponenten ist vernachlässigbar klein gegenüber dem "Hubble-Fluss", der allein auf der Dehnung des Raumes beruht und nicht auf kinematische Komponenten. So entnehme ich es jedenfalls seit 30 Jahren aus meinen Büchern.

Ist ein 'Paradigmenwechsel' zu erwarten?

Als Pararadigmenwechsel würde ich es nicht bezeichnen, denn die Vorstellung vom expandierenden Raum, wobei die Galaxien im Raum ruhen, ist ja nicht falsch. Offensichtlich gibt es aber eine alternative Betrachtungsweise, bei der sich die Galaxien durch den Raum bewegen. Das ist mit "kinematisch" gemeint. Und ja, dieses kinematische Modell ist in der populärwissenschaftlichen Literatur nahezu unbekannt. Ich kenne hierzu deutschsprachig nur diesen besagten Artikel der Kosmologin Davis:
Zitat:

Tamara Davis in Spektrum 11/2010:
Der leere Raum hat keine physikalische Realität. Wenn Galaxien sich voneinander entfernen, steht es uns darum frei, diese Relativbewegung wahlweise als "Expansion des Raums" oder als "Bewegung durch den Raum" zu betrachten.
Wenn die Bewegung durch den Raum alles wäre, dann könnte man die kosmologische Rotverschiebung mit dem relativistischen Dopplereffekt beschreiben, also 1 + z = [(1+v/c)/(1-v/c)]^1/2, wie das für lokale Pekuliarbewegungen zutrifft.
Auf gößeren Skalen muß man die Massendichte berücksichtigen, was Peacock unter Anwendung des Birkhoff Theorems gemacht hat. Demnach setzt sich die Rotverschiebung weit entfernter Galaxien aus einem Bewegungs- und einem Gravitationsterm (1 + ΔΦ/c²) zusammen, sodaß

1 + z = [(1+v/c)/(1-v/c)]^1/2*(1 + ΔΦ/c²) ist.

Dabei ist ΔΦ die Differenz des Gravitationspotentials zwischen Beobachter und Galaxie (s. Birkhoff's Theorem).
Der erste Term ist die "kinematische Komponente". Sie bleibt als einzige übrig, wenn die Massendichte Null und die Raumzeit damit flach wird.

Nun beruht aber Birkhoff's Theorem auf einer Newton'schen Analyse. Peacock's Formel zeigt, daß es prinzipiell diese beiden Komponenten der Rotverschiebung gibt. Kommt auf kosmologischen Skalen die Art hinzu, wird es erheblich komlizierter, worauf schon 'Ich' hingewiesen hat, der sich ziemlich eingehend mit diesen Fragen beschäftigt hat. Daß es aber auch dann diese beiden Komponenten der Kosmologischen Rotverschiebung gibt, ist ziemlich sicher. Weshalb sollte sich das ändern, wenn Newton durch die ART ersetzt wird?

Es geht also letztlich um die Wahl der Koordinaten. Wählt man mitbewegte Koordinaten, dann expandiert der Raum. Im kinematischen Modell ist das nicht der Fall, eine Definition der Koordinaten (die wohl quasi starr sind), scheint bisher aber nicht möglich zu sein.

Gruß, Timm

Marco Polo 24.03.12 11:52

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo Timm,

wobei aber anzumerken ist, dass sich nur im Modell des expandierenden Raumes, Galaxien theoretisch mit Überlichtgeschwindigkeit von uns entfernen können.

Gruss, Marco Polo

JoAx 24.03.12 12:17

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 67454)
wobei aber anzumerken ist, dass sich nur im Modell des expandierenden Raumes, Galaxien theoretisch mit Überlichtgeschwindigkeit von uns entfernen können.

Und vermutlich nur dort die "ÜLG" der Galaxien überhaupt vorkommt. :cool: :confused:


Gruß und schönen Samstag allen!
Johann

EMI 24.03.12 12:24

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67451)
...wenn die Massendichte Null und die Raumzeit damit flach wird.

Hallo Timm,

flach ist die Raumzeit bei der sogenannten kritischen Dichte.

Gruß EMI

EMI 24.03.12 12:49

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von JoAx (Beitrag 67455)
Und vermutlich nur dort die "ÜLG" der Galaxien überhaupt vorkommt.

Stichwort: optischer Horizont JoAx.

Gruß und ein sonniges Wochenende

EMI

Bauhof 24.03.12 13:01

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67451)
Es geht also letztlich um die Wahl der Koordinaten. Wählt man mitbewegte Koordinaten, dann expandiert der Raum. Im kinematischen Modell ist das nicht der Fall, eine Definition der Koordinaten (die wohl quasi starr sind), scheint bisher aber nicht möglich zu sein.

Hallo Timm,

aus der Literatur kenne ich die kinematische Kosmologie von Edward Milne. Der Milne-Kosmos ist eine Folge von Räumen negativer Krümmung und expandiert linear in der kosmologischen Zeit. (R = c•t). Der Urknall des Milne-Kosmos beginnt nicht überall im Raum, sondern startet nur in einem Punkt.

Ist der Milne-Kosmos das Modell, das du beschreibst? Wenn nicht, durch was unterscheidet sich dein Modell vom Milne-Kosmos?

M.f.G. Eugen Bauhof

Timm 24.03.12 13:26

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Marco Polo (Beitrag 67454)
wobei aber anzumerken ist, dass sich nur im Modell des expandierenden Raumes, Galaxien theoretisch mit Überlichtgeschwindigkeit von uns entfernen können.

Zitat:

Zitat von JoAx (Beitrag 67455)
Und vermutlich nur dort die "ÜLG" der Galaxien überhaupt vorkommt. :cool: :confused:

Genau, diese Überlichtgeschwindigkeiten sind ein ein Artefakt der mitbewegten Koordinaten dieses Modells.

Gruß, Timm

Timm 24.03.12 13:32

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo EMI,

Zitat:

Zitat von EMI (Beitrag 67456)
flach ist die Raumzeit bei der sogenannten kritischen Dichte.

Ja, und dazu gibt es Kommentare einiger Kosmologen hinsichtlich unseres Themas. Die habe ich nicht präsent, müßte nachschauen.
Aber die Minkowski Raumzeit der Energiedichte Null, um die es hier ging, ist auch flach.

Gruß, Timm

Timm 24.03.12 14:16

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67458)
aus der Literatur kenne ich die kinematische Kosmologie von Edward Milne. Der Milne-Kosmos ist eine Folge von Räumen negativer Krümmung und expandiert linear in der kosmologischen Zeit. (R = c•t). Der Urknall des Milne-Kosmos beginnt nicht überall im Raum, sondern startet nur in einem Punkt.

Wo hast Du das her, Eugen? Ich kenne es so und könnte das auch belegen, daß das Milne Modell ein SRT Modell ist, also flache Minkowski Raumzeit. Es hat damals großes Aufsehen erregt, daß dieses Explosionsszenario dem kosmologischen Prinzip genügt, jeder Beobachter sieht das gleiche. Wie beim Raumdehnungsmodell beginnt auch bei Milne der Urknall nicht aus einem Punkt, sondern aus einer beliebig kleinen Region.

Zitat:

Zitat von Bauhof (Beitrag 67458)
Ist der Milne-Kosmos das Modell, das du beschreibst? Wenn nicht, durch was unterscheidet sich dein Modell vom Milne-Kosmos?

Das Milne Modell (kinematisches Modell) ist lehrreich, weil es durch eine Koordinaten Transformation in ein FRW Modell (expandierendes Modell) der Energiedichte Null transformiert werden kann. Diese Modelle sind insofern äquivalent.
Eugen, ich spreche nicht von "meinem Modell", sondern versuche die Arbeiten einiger Kosmologen nachzuvollziehen. Einen großen input hat auch 'Ich' gegeben.
Das kinematische Modell unseres Universums und das Milne Modell haben die Bewegung durch den Raum gemeinsam, wobei es im Milne Modell masselose Testpartikel sind. Im Unterschied zu Milne muß eben beim kinematische Modell unseres Universums die Massendichte berücksichtigt werden, die - und das macht es nicht leichter - mit dem Entwicklungsstadium des Universums korreliert.

Gruß, Timm

Bauhof 24.03.12 16:22

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67462)
Wo hast Du das her, Eugen? Ich kenne es so und könnte das auch belegen, daß das Milne Modell ein SRT Modell ist, also flache Minkowski Raumzeit. Es hat damals großes Aufsehen erregt, daß dieses Explosionsszenario dem kosmologischen Prinzip genügt, jeder Beobachter sieht das gleiche. Wie beim Raumdehnungsmodell beginnt auch bei Milne der Urknall nicht aus einem Punkt, sondern aus einer beliebig kleinen Region.

Hallo Timm,

ich habe das aus dem Buch [1] von Dierck-Ekkehard Liebscher. Hier die beiden Quellen auf den Seiten 106 und 214. Liebscher schreibt auf Seite 106:
Zitat:

Im Grenzfall verschwindender Massendichte sind nicht nur die Raumschnitte, sondern die Welt selbst homogen. Diese Kosmen heißen nach Willem deSitter. Wir wollen Sie jetzt untersuchen. Zunächst orientieren wir uns an dem Fall expandierender Pseudokugeln. Wie im Fall positiver Krümmung, wo die Welt als zeitliche Folge immer größer (nach Fläche und Krümmungsradius) werdender Kugeln darzustellen ist, ist die Welt nun eine Folge immer größer (nach Krümmungsradius) werdender Pseudokugeln.

Der Krümmungsradius ist identisch mit der verstrichenen Zeit. Im Grunde haben wir die pseudoeuklidische Welt vor uns, in der wir nur neue Koordinaten gewählt haben. Die kosmologische Zeit ist auf einer Zeitschale fest, und auf der Zeitschale wählen wir Koordinaten, die sich mit der Expansion nicht verändern, etwa Polarkoordinaten.

Wir nennen die Funktion a[t], die hier einfach a[t] = c•tau ist, den Expansions-Parameter.

Der spezielle Kosmos, den wir jetzt konstruiert haben, heißt Milne-Kosmos. Er ist eine Folge von Räumen negativer Krümmung und expandiert linear in der kosmologischen Zeit. Lokal unterscheidet ihn geometrisch nichts von der Minkowski-Welt, die ihrerseits eine Folge ungekrümmter und nicht expandierender Räume ist. Global existiert schon ein Unterschied: der Milne-Kosmos ist nur ein Teil der Minkowski-Welt, die einen Rand (den Kegelmantel und eine Singularität (die Spitze) hat.
Liebscher schreibt weiter auf Seite 214:
Zitat:

Die Minkowski-Welt zeigt einen Raum der Krümmung Null ohne Expansion. Der Milne-Kosmos ist ein Raum negativer Krümmung in linearer Expansion. Er entsteht aus der Minkowski-Welt durch eine andere Wahl und Interpretation der Koordinaten, hat aber dieselbe abstrakte Metrik.

Der deSitter-Kosmos ist die Oberfläche einer Pseudokugel. Je nach Koordinatenwahl kann er als ungekrümmter exponentiell expandierender Raum, als positiv gekrümmter kontrahierender Raum oder als negativ gekrümmter explodierender Raum angesehen werden. Bei einer anderen Wahl der zeitartigen Richtung entsteht der Anti-deSitter-Kosmos, eine Raum mit negativer Krümmung, der sich aufbläht und wieder in sich zusammenstürzt.
Mit freundlichen Grüßen
Eugen Bauhof

[1] Liebscher, Dierck-Ekkehard
Einsteins Relativitätstheorie und die Geometrien der Ebene.
Illustration zum Wechselspiel von Geometrie und Physik.

Leipzig 1999. ISBN=3-519-00278-7

Timm 24.03.12 17:28

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo Eugen,

Zitat:

Zitat von Liebscher: Der Milne-Kosmos ist ein Raum negativer Krümmung in linearer Expansion. Er entsteht aus der Minkowski-Welt durch eine andere Wahl und Interpretation der Koordinaten, hat aber dieselbe abstrakte Metrik.
Mit anderer Wahl und Interpretation der Koordinaten kann Liebscher nur das FRW Modell mit Energiedichte Null meinen. Dieses expandiert und ist mathematisch mit dem Milne-Kosmos äquivalent. Er schmeißt beide in einen Topf, was ja wegen der Äquivalenz nicht falsch ist, allerdings Verwirrung auslösen kann.

http://en.wikipedia.org/wiki/Milne_model
Zitat:

Milne developed this model independent of general relativity but with awareness of special relativity. As he initially described it, the model has no expansion of space, so all of the redshift (except that caused by peculiar velocities) is explained by a recessional velocity associated with the hypothetical "explosion". However, the mathematical equivalence of the zero energy density () version of the FLRW metric to Milne's model implies that a full general relativistic treatment using Milne's assumptions would result in an increasing scale factor and associated metric expansion of space with the unique feature of a linearly increasing scale factor for all time since the deceleration parameter is uniquely zero for such a model.
Milne's Modell war ursprünglich ein SRT Universum, ohne Raumexpansion. Erst später kam die Überraschung, daß es mit einem expandierenden ART Grenzfall mathematisch äquivalent ist.

Gruß, Timm

Ich 24.03.12 20:29

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi alle,

hier ist ja was los. Lasst mich erstmal eine Sache klären:
Die Raumzeit ist genau dann flach, wenn die Energiedichte überall Null ist (und keine Gravitationswellen und so vorliegen).
Der Raum ist ein Schnitt durch die Raumzeit. Ein krummer Schnitt durch eine flache Raumzeit ergibt einen krummen Raum. Ein krummer Schnitt durch eine gekrümmte Raumzeit kann einen flachen Raum ergeben.

Beispiel Milne-Modell / leeres FRW-Universum. Die Raumzeit ist da definitiv flach. Ein nach der üblichen SRT-Definition gebildeter Raum ist auch flach. Der nach der FRW-Definition gebildete kosmologische Raum ist negativ gekrümmt.
Der kosmologische Raum beruht auf einer anderen Definition von Gleichzeitigkeit: nicht die Zeit zueinander ruhender Uhren ist die Koordinatenzeit, sondern die Zeit zueinander bewegter (also mitbewegter) Uhren. Während also die erste Definition für z.B. t=1 Jahr (ich unterdrücke mal eine Dimension) eine Ebene aus der Raumzeit schneidet, schneidet die zweite ein Hyperboloid aus.
Oder anschaulicher erklärt: bei FRW misst man Entfernungen mit mitbewegten Maßstäben. Bewegte Maßstäbe sind in Bewegungsrichtung kürzer und messen deswegen eine größere Länge - das ist die Radialkoordinate. Quer dazu bleibt alles gleich. Also ist der Radius eines Kreises in diesem Raum größer als U/2pi, was negative Krümmung bedeutet.
Dieser Effekt ist bei allen FRW-Raumzeiten da. Eine Raumzeit, die homogen mit Materie gefüllt ist, ist positiv gekrümmt, ebenso der dort mit Normalkoordinaten gebildete Raum. Wenn die Expansionsgeschwindigkeit aber genau dazu passt, dann wird der FRW-Raum durch den genannten Effekt - negative Krümmung - geradegebogen und ist in Summe flach.

Nochwas: Paradigmenwechsel sicher nicht. Echte Fachleute in der ART hatten noch nie ein Problem mit Koordinatentrafos, für die ändert sich nichts. Unter allen anderen (auch Kosmologen, das sind nicht immer Fachleute in der ART) ist aber dieses "Denkverbot Relativgeschwindigkeit" immer noch recht dominant. Ich selber hab's auch noch vor ein paar Jahren vertreten, bis ich durch ein paar Zufälle herausgefunden habe, dass man es nicht so streng sehen sollte, wenn man was verstehen will. Es wird mit dieser "Raumexpansion" schon wahnsinnig viel vollkommen unnötiger Mystizismus betrieben.

Hi Timm,

lass mich zu deiner Frage vor drei Seiten erstmal an einer Stelle zurückrudern:
Ich habe geschrieben, dass der gravitative Anteil irgendwann so groß wird wie der kinematische. Das ist nicht immer so, sondern nur in der Newtonschen Näherung. Der kinematische Effekt hat auch einen quadratischen Anteil, den man nur dann vernachlässigen kann, wenn viel Materie da ist und wenig Expansionsgeschwindigkeit. Das ist z.B. in unserem Universum nicht der Fall.
Ferner ist der gravitative Anteil (mit dem Beobachter im Zentrum) in einem gebremst expandierenden Universum eine Blauverschiebung, da kann Gleichheit also bestenfalls nach dem Betrag entstehen.

Zitat:

Zitat von Timm (Beitrag 67445)
Bedeutet "Verschwimmen" bei größeren Entfernungen, daß es die Beiträge Gravitation und Doppler nach wie vor gibt, sie sich aber mathematisch nicht mehr darstellen lassen? Oder macht die Theorie keine klaren Aussagen für diesen Fall?

Der ART sind die Begriffe Gravitationsrotverschiebung, Dopplerverschiebung und kosmologische Rotverschiebung völlig Wurscht. Die arbeitet nicht mit diesen Begriffen. (Genausowenig wie die SRT mit Längenkontraktion und Zeitdilatation arbeitet, wenn das hier anbringen darf, sondern mit der Lorentztransformation.)
Wenn ich "Verschwimmen" schreibe, dann meine ich damit, dass die Definitionen dieser Begriffe immer unschärfer werden.
Gravitationsrotverschiebung setzt eine statische Raumzeit voraus. Das ist auch im Universum eine gute Näherung über relativ kurze Zeiten, sagen wir mal ~1 Mrd Jahre. Wenn sich aber das "Potential" über den betrachteten Zeitraum deutlich ändert, dann kann ich z.B. das Potential am Anfang nehmen oder das am Ende (oder irgendeins dazwischen), aber zwischen den beiden ist ein Unterschied. Je nachdem, welches ich wähle kommt eine anderer Wert raus, und ohne weitere Annahmen und Definitionen ist keiner von denen besser oder schlechter als der andere.
Ebenso mit dem Dopplereffekt, der setzt eine exakte Geschwindigkeitsdefinition voraus. Man kann Relativgeschwindigkeiten zweier voneinander entfernter Dinge zwar auch in der ART schön definieren, indem man den einen Geschwindigkeitsvektor zum anderen hin "parallel verschiebt", und dann direkt am selben Ort vergleicht. Nur: in gekrümmter Raumzeit ist das Ergebnis dieses Paralleltransports abhängig von dem Weg, auf dem ich verschiebe. Wieder bekommt man unterschiedliche Ergebnisse, und nur durch zusätzliche Definitionen kann ich eines davon als das "richtige" auszeichnen.
Chodorowski geht diesen Weg in dem von dir verlinkten Paper. Ich hätte das eher lesen sollen, da sind einige interessante Ergebnisse drin. Aber seine Definition ist nicht irgendwie zwingend, ich zum Beispiel würde eigentlich was anderes definieren.
Zum Anteil der kinematischen Komponente: ich habe das noch nicht zuende gedacht, aber zumindest nach Chodorowskis Definition bleibt die auch bei großen Entfernungen dominant. Wenn ich mich richtig erinnere (ich hab sowas ähnliche früher schon mal gerechnet), wird - unter allen ewig expandierenden Universen - der Gravitationsanteil nur bei de Sitter gleich groß. Bei wieder kollabierenden Universen ist er am Umkehpunkt der einzige Anteil, also sehr dominant.

Marco Polo 25.03.12 00:04

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hallo,

was mir noch nicht so recht klar ist: Es scheint doch unbestritten zu sein, dass die Galaxien in kosmischen Maßstäben gesehen eine umso größere Rotverschiebung aufweisen, je weiter sie von uns entfernt sind. Für mich deutet das auf eine Raumexpansion hin.

Wie liesse sich dieser Umstand mit einem kinematischen Modell erklären?

Sicher wurde die Antwort hierauf bereits hier gegeben und ich habs noch nicht geblickt?

Hat das was mit den mitbewegten Maßstäben zu tun die in Bewegungsrichtung kürzer sind und damit laut "Ich" eine größere Länge messen? Demnach wäre die Raumexpansion möglicherweise eine Illusion?

Grüsse, Marco Polo

Timm 25.03.12 17:32

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi 'Ich',

Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67466)
.
Dieser Effekt ist bei allen FRW-Raumzeiten da. Eine Raumzeit, die homogen mit Materie gefüllt ist, ist positiv gekrümmt, ebenso der dort mit Normalkoordinaten gebildete Raum. Wenn die Expansionsgeschwindigkeit aber genau dazu passt, dann wird der FRW-Raum durch den genannten Effekt - negative Krümmung - geradegebogen und ist in Summe flach.

Eine gute Erklärung, habe ich so noch nicht gelesen.

Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67466)
.Zum Anteil der kinematischen Komponente: ich habe das noch nicht zuende gedacht, aber zumindest nach Chodorowskis Definition bleibt die auch bei großen Entfernungen dominant. Wenn ich mich richtig erinnere (ich hab sowas ähnliche früher schon mal gerechnet), wird - unter allen ewig expandierenden Universen - der Gravitationsanteil nur bei de Sitter gleich groß. Bei wieder kollabierenden Universen ist er am Umkehpunkt der einzige Anteil, also sehr dominant.

Ich habe gerade mal mit Peacock's Gleichung

1 + z = [(1+v/c)/(1-v/c)]^1/2*(1 + ΔΦ/c²) (16)

mit dem Faktor 2 bei z und der Materiedichte gespielt. Die Werte sind natürlich rein willkürlich gewählt. Aber es soll nur ums Prinzip gehen. Wenn ich mich nicht verrechnet habe kommt heraus:

z = 1; ΔΦ/c² = -0.1 -> v = 0.37c
z = 1; ΔΦ/c² = -0.2 -> v = 0.43c

z = 2; ΔΦ/c² = -0.1 -> v = 0.54c
z = 2; ΔΦ/c² = -0.2 -> v = 0.58c

Im Newton'schen Fall nimmt demnach v mit zunehmender Materiedichte und zunehmender Distanz zu.

Muß grad mal weg.

Gruß, Timm

EDIT:

z = 1; ΔΦ/c² = -0.1 -> v = 0.66c
z = 1; ΔΦ/c² = -0.2 -> v = 0.72c

z = 2; ΔΦ/c² = -0.1 -> v = 0.83c
z = 2; ΔΦ/c² = -0.2 -> v = 0.86c

Ich hoffe, es stimmt jetzt so.

Ich 25.03.12 20:41

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Marco Polo,

Zitat:

was mir noch nicht so recht klar ist: Es scheint doch unbestritten zu sein, dass die Galaxien in kosmischen Maßstäben gesehen eine umso größere Rotverschiebung aufweisen, je weiter sie von uns entfernt sind. Für mich deutet das auf eine Raumexpansion hin.

Wie liesse sich dieser Umstand mit einem kinematischen Modell erklären?
Damit, dass sich alle Dinge voneinander fortbewegen, und zwar umso schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind.
In der Newtonschen Dynamik geht das ganz einfach: wenn sich alles von einem bestimmten Punkt mit einer Geschwindigkeit proportional zum Abstand wegbewegt, dann gilt das auch für jeden beliebigen Punkt.
In der SRT gilt das auch, man muss dann nur aufpassen, dass das Universum auch von jedem Punkt aus isotrop aussieht. Dazu muss man die Startbedingungen richtig setzen, aber es ist machbar. Es ist tatsächlich so, dass - ganz ohne Gravitation und ART - eine hinreichend heisse Explosion an einem bestimmten Ereignis etwas produziert, was für jeden mitexplodierten Schnipsel lokal genau wie ein expandierendes Universum aussieht. Der Unterschied kann erst auf größten Skalen erkennbar werden.

Zitat:

Hat das was mit den mitbewegten Maßstäben zu tun die in Bewegungsrichtung kürzer sind und damit laut "Ich" eine größere Länge messen? Demnach wäre die Raumexpansion möglicherweise eine Illusion?
Die Expansion des Universums ist sicher keine Illusion. Die "Expansion des Raumes" ist zumindest in kompakten Universen wohl kaum von der Hand zu weisen, da wirkt eine solche "kinematische" Beschreibung schnell ziemlich konstruiert.
Aber es ist nichts ungewöhnliches, dass ein zu jedem Zeitpunkt unendlicher Raum in einem begrenzten Volumen Platz hat, wie beim Milne Modell. Dort hat das Universum in den üblichen Koordinaten einen Durchmesser von c*t (t ist die Zeit seit dem Urknall), sieht im Raumzeitdiagramm also (zumindest mit zwei Raumdimensionen) aus wie ein Kegel. In FRW Koordinaten ist der "Raum" zu jedem Zeitpunkt wie gesagt ein nach oben offenes unendliches Hyperboloid. Das passt da rein, und dafür könnte man mit ein bisschen Händewedeln tatsächlich Längenkontraktion verantwortlich machen.

Aber darum geht's - mir zumindest - nicht. Mir geht es hauptsächlich darum, dass "expandierender Raum" zumindest für "kleine" Abstände überhaupt nichts anderes ist als Objekte, die sich voneinander fortbewegen. Das heißt, man darf sich durchaus die Expansion als Bewegung vorstellen, unf die Rotverschiebung als Dopplereffekt. Man soll sogar, wenn man z.B. den Einfluss den Expansion auf die lokale Physik verstehen will. Dieses verbreitete Denkverbot, man dürfe das alles nicht tun, ist falsch und extrem kontraproduktiv, da werden aus den einfachsten Dingen komplizierte, unverstandene, mystische Effekte.

Timm 27.03.12 10:01

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67490)
Aber darum geht's - mir zumindest - nicht. Mir geht es hauptsächlich darum, dass "expandierender Raum" zumindest für "kleine" Abstände überhaupt nichts anderes ist als Objekte, die sich voneinander fortbewegen. Das heißt, man darf sich durchaus die Expansion als Bewegung vorstellen, unf die Rotverschiebung als Dopplereffekt. Man soll sogar, wenn man z.B. den Einfluss den Expansion auf die lokale Physik verstehen will. Dieses verbreitete Denkverbot, man dürfe das alles nicht tun, ist falsch und extrem kontraproduktiv, da werden aus den einfachsten Dingen komplizierte, unverstandene, mystische Effekte.

Hmm, Du schreibst "*zumindest* für kleine Abstände".

Mein Eindruck ist, daß es für Peacock, Chodorowski und andere auch in kosmologischen Entfernungen, also für auch für große Abstände im "kinematischen Modell" keinen "expandierenden Raum" gibt. Wolltest Du das relativieren?

Gruß, Timm

Timm 27.03.12 18:09

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67466)
Oder anschaulicher erklärt: bei FRW misst man Entfernungen mit mitbewegten Maßstäben. Bewegte Maßstäbe sind in Bewegungsrichtung kürzer und messen deswegen eine größere Länge - das ist die Radialkoordinate. Quer dazu bleibt alles gleich. Also ist der Radius eines Kreises in diesem Raum größer als U/2pi, was negative Krümmung bedeutet..

Gilt wohl lokal. Das wäre dann bei einer sphärisch symmetrischen Masse vergleichbar damit, daß ein mit einem Maßstab gemessener radialer Abschnitt größer als die euklidische Erwartung von U/2pi (U mit Maßband gemessen) ist.
Also auch negative Krümmung. Aber wie drückt man das korrekt aus? Die Masse krümmt die Raumzeit. Wäre "gekrümmter Raum" dann das Resultat: radialer Abschnitt um soundsoviel größer als erwartet?

Bei dem angestellten Vergleich stolpere ich allerdings darüber, bei einer solchen Messung, "Radius eines Kreises in diesem Raum größer als U/2pi" nicht zwischen FRW (Massendichte homogen und isotrop)und Masse im Zentrum (die auch ein Schwarzes Loch sein könnte) unterscheiden kann. Ist das so?

Noch ein kleiner Ausflug in die von kugelförmigen Massen gekrümmte Raumzeit. Man kann ja die Krümmung auch nach dem Verhalten von zunächst parallelen Geodäten unterscheiden. Bei deren Zusammenlaufen ist die Krümmung positiv und bei Auseinanderlaufen negativ (schön anschaulich). Ich erinnere mich dunkel mal davon gelesen zu haben, daß die Krümmung von der Orientierung der Testpartikel abhängt. Bei tangentialer Anordnung laufen sie zusammen, Krümmung positiv, bei radialer Anordnung laufen sie auseinander (Abstand wächst), Krümmung negativ. Vielleicht finde ich den link wieder. Wenn das so stimmt (bitte andernfalls korrigieren), müßte doch eigentlich die richtungsabhängige Gezeitenbeschleunigung ein Maß für negative bzw. positive Krümmung der Raumzeit sein. Ob nun im Gravitationsfeld von Massen oder gleichermaßen in der transversalen Ebene von Gravitationswellen.
Kannst Du dem zustimmen?

Gruß, Timm

Ich 29.03.12 20:11

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Hi Timm,

Zitat:

Mein Eindruck ist, daß es für Peacock, Chodorowski und andere auch in kosmologischen Entfernungen, also für auch für große Abstände im "kinematischen Modell" keinen "expandierenden Raum" gibt. Wolltest Du das relativieren?
Nö; aber das globale kinematische Modell wird in bestimmten Fällen ziemlich blöd, z.B. in einem Raum mit sphärischer Topologie. Was genau eine Stärke der RW-Koordinaten ist. Dort kann man auch sowas wie das Volumen des Universums zur Zeit t definieren, und das wächst mit der Zeit. Ich gehe da eigentlich voll konform mit Peacock:
Zitat:

Zitat von Peacock
there are clearly cases where expansion is a legitimate global concept. This is most clear-cut in the case of closed universes, where the total volume is a well-defined quantity that increases with time, so undoubtedly space is expanding in that case.
But even if ‘expanding space’ is a correct global description of spacetime, boes the concept have a meaningful local counterpart? Is the space in my bedroom expanding, and what would this mean?

Expandierender Raum ist auch in solchen Fällen ein lokal völlig unbrauchbares Konzept. "and what would this mean?" ist genau die Frage, die man sich da stellen sollte.

Ich 29.03.12 21:00

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zur Krümmung. Erst mal wieder ein Erratum, ich werd auch immer unzuverlässiger:
Zitat:

Zitat von Ich
Bewegte Maßstäbe sind in Bewegungsrichtung kürzer und messen deswegen eine größere Länge

Sorry: die Messung erfolgt natürlich nach Gleichzeitigkeitsdefinition der Maßstäbe, sie messen deswegen eine kürzere Länge. Die kosmologische Zeit ist ja durch die mitbewegten Beobachter definiert.
Zitat:

Das wäre dann bei einer sphärisch symmetrischen Masse vergleichbar damit, daß ein mit einem Maßstab gemessener radialer Abschnitt größer als die euklidische Erwartung von U/2pi (U mit Maßband gemessen) ist.
Also auch negative Krümmung.
Es wäre also genau das Gegenteil: Masse krümmt den Raum positiv, Expansion negativ.
Zitat:

Aber wie drückt man das korrekt aus? Die Masse krümmt die Raumzeit. Wäre "gekrümmter Raum" dann das Resultat: radialer Abschnitt um soundsoviel größer als erwartet?
Da gibt's exakte Formeln, z.B. bei Wikipedia.
Das kannst du mal nachrechnen für Expansion: Der Umfang (nennen wir mal 2pi * r') bleibt gleich, die Radialkoordinate ist aber kontrahiert, in erster Näherung:
dr=dr'*(1-v²/2),
also wegen v=H*r
dr=dr'*(1-H²r²/2)
integriert also
r=r'*(1-H²r²/6).
Eingesetzt in die Krümmungsformel gibt das
K=-H².
Kannst dann mal vergleichen mit der Friedmanngleichung (K=k/a², c=1 bei mir)
K=8pi G rho/3 - H²,
also Raumkrümmung = positiv wegen Masse minus Krümmung wegen Expansion, also gleich Null für rho=rho(kritisch).
Zitat:

Bei dem angestellten Vergleich stolpere ich allerdings darüber, bei einer solchen Messung, "Radius eines Kreises in diesem Raum größer als U/2pi" nicht zwischen FRW (Massendichte homogen und isotrop)und Masse im Zentrum (die auch ein Schwarzes Loch sein könnte) unterscheiden kann. Ist das so?
Ein großer Kreis integriert sozusagen über die ganze Masse im inneren. Da kommt dasselbe raus, wenn die Massen gleich sind, das ist ein Sonderfall des Birkhoff-Theorems. Die korrekte Definition mit dem Limes r->0 explodiert aber für eine Singularität in der Mitte.
Zitat:

Man kann ja die Krümmung auch nach dem Verhalten von zunächst parallelen Geodäten unterscheiden.
Das ist richtig, allerdings reden wir von Geodäten des irgendwie definierten Raums, und die sind logischerweise raumartig. Die Testteilchen haben zeitartige Geodäten, deren Verhalten misst also nicht die Krümmung des Raums.
Zitat:

Bei deren Zusammenlaufen ist die Krümmung positiv und bei Auseinanderlaufen negativ (schön anschaulich). Ich erinnere mich dunkel mal davon gelesen zu haben, daß die Krümmung von der Orientierung der Testpartikel abhängt. Bei tangentialer Anordnung laufen sie zusammen, Krümmung positiv, bei radialer Anordnung laufen sie auseinander (Abstand wächst), Krümmung negativ. Vielleicht finde ich den link wieder. Wenn das so stimmt (bitte andernfalls korrigieren), müßte doch eigentlich die richtungsabhängige Gezeitenbeschleunigung ein Maß für negative bzw. positive Krümmung der Raumzeit sein.
Leider eben nicht. Zum Beispiel ist der de-Sitter Raum positiv gekrümmt, Testteilchen laufen darin aber exponentiell auseinander. Aber im Prinzip stimmt es, die sog. Schnittkrümmung ist in deinem Beispiel tangential negativ und radial positiv. Wir haben das ja mal bei Joachim diskutiert.
Bei der transversalen Ebene von Gravitationswellen bin ich nicht 100% sicher. Die (durch die Koordinaten definierte) x-y Ebene ist sicher flach. Die Schnittkrümmung für die x,y Basisvektoren ist aber wohl negativ gekrümmt, wenn mich Maxima da nicht im Stich gelassen hat. Ich hab das aber nicht weiter verfolgt.
Zitat:

Kannst Du dem zustimmen?
Weder Testteilchen noch Lichtstrahlen messen Raumkrümmung. Das ist nur in bestimmten Ausnahmefällen so, zu denen auch der FRW-Raum gehört, wenn ich mich richtig erinnere, da bin ich aber nicht sicher.

Bauhof 30.03.12 13:36

AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum
 
Zitat:

Zitat von Ich (Beitrag 67540)
... das globale kinematische Modell wird in bestimmten Fällen ziemlich blöd, z.B. in einem Raum mit sphärischer Topologie. Was genau eine Stärke der RW-Koordinaten ist. Dort kann man auch sowas wie das Volumen des Universums zur Zeit t definieren, und das wächst mit der Zeit. Ich gehe da eigentlich voll konform mit Peacock:
Zitat:

Zitat von Peacock
there are clearly cases where expansion is a legitimate global concept. This is most clear-cut in the case of closed universes, where the total volume is a well-defined quantity that increases with time, so undoubtedly space is expanding in that case.
But even if 'expanding space' is a correct global description of spacetime, boes the concept have a meaningful local counterpart? Is the space in my bedroom expanding, and what would this mean?

Hallo Ich,

der "abacho"-Übersetzer übersetzt dieses Zitat ins Deutsche wie folgt:
Zitat:

... es gibt klar(offensichtlich) Fälle, wo Vergrößerung ein legitimes globales Konzept ist. Das ist im Fall vom geschlossenen Weltall am meisten klar(eindeutig), wo das Gesamtvolumen eine bestimmte Menge(Zahl) ist, die mit der Zeit zunimmt, so zweifellos breitet sich Raum in diesem Fall aus.
Aber selbst wenn 'Erweiterung des Raums' eine richtige globale Beschreibung der Raum-Zeit ist, boes das Konzept haben eine bedeutungsvolle(bedeutsame) lokale(örtliche) Kopie(Kollegen,Seitenstück)? Ist der Raum in meiner Schlafzimmer-Erweiterung, und was würde das bedeuten?
Das Volumen des Universums mit sphärischer Topologie ergibt sich zur Zeit t wie folgt:

V(t) = 2•(pi)²•[R(t)]³

R(t) ist dabei der vierdimensionale Radius einer 4-D-Kugel. Der Begrenzungsraum dieser 4-D-Kugel (die 'Hypersphäre') ist das dreidimensionale Universum mit dem zeitlich veränderlichen Volumen V(t). Von einem kinematischen Weltmodell könnte man hier nur dann sprechen, wenn man dem veränderlichen 4-D-Radius eine gewisse "Kinematik" zusprechen würde.

M.f.G. Eugen Bauhof

P.S.
Das Schlafzimmer von Peacock expandiert in diesem Model natürlich nicht mit; es wird von molekularen, atomaren und gravitativen Kräften zusammengehalten. Aus den gleichen Gründen expandiert der Raum innerhalb der Galaxien nicht mit den Hubble-Fluss.


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 00:23 Uhr.

Powered by vBulletin® Version 3.8.8 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
ScienceUp - Dr. Günter Sturm