Warum eine agnostische Sicht der Physik Quatsch ist
Insbs. nach Entwicklung der Quantenmechanik und im Zuge der Entstehung der positivistischen Denkrichtung wurde die philosophische Haltung populär, die Physik liefere lediglich ein Instrument zur Berechnung von Vorhersagen und Messergebnissen. Damit einher geht sehr häufig ein Denkverbot, die Physik könne oder dürfe nicht darüber sprechen, wie sich die Natur tatsächlich verhält, sondern müsse sich darauf beschränken, diese Instrumente zu Anwendung zu bringen.
Dem möchte ich drei Argumente entgegen stellen: 1) Denkverbote u.ä. Dogmen sind offensichtlich Quatsch; insbs. in der Wissenschaft hemmen Denkverbote den Fortschritt 2) Die o.g. Haltung ist sicher einigermaßen verbreitet, deswegen noch lange nicht richtig; wir kennen unzählige historische Beispiele, die uns eines besseren belehren sollten 3) Der rein positivistische Standpunkt führt unmittelbar dazu, die Betrachtung unbeobachtbarer Konsequenzen einer Theorie als unwissenschaftlich abzulehnen; dann streichen wir diesen Wissenschaftlern sofort die Forschungsmittel, wenn sie sich mit Stringtheorie, Quantengravitation, dem Inneren von Schwarzen Löchern und ähnlichem befassen (oder sie dürfen weiter forschen, hören dann aber bitte auf, diesen Positivismus-Käse zu verbreiten) 4) Die angeblich so verbreitete Haltung führt zu absurden Konsequenz, die sich die Physiker, die sie vertreten, nie klar gemacht haben. Zu (4) eine kleine Geschichte: Gemäß der instrumentalistischen Haltung muss ich nicht wissen, warum ein mathematischer Werkzeugkasten = eine physikalische Theorie funktioniert; dies ist für den Wissenschaftler, der sich damit befasst, völlig irrelevant, solange die Berechnungen funktionieren und zutreffende Vorhersagen liefern. Geben wir einem derartigen Wissenschaftler eine Sammlung von diversen komischen Formeln, ein paar Computerprogramme sowie eine Bedienungslanleitung und fordern ihn auf, dieses Sammelsurium auf physikalische Situationen anzuwenden; das Sammelsurium sei offen und flexibel anpassbar, d.h. man kann damit alle möglichen Dinge berechnen: Bahnkurven von Planeten, Mischungstemperatur Flüssigkeiten, elektromagnetische Phänomene, Quark-Gluonen-Plasma, die Masse des Higgs, ... Hawkingstrahlung, ... Dummerweise ist das Sammelsurium jedoch völliges Kauderwelsch, d.h. die Formeln fallen vom Himmel, enthalten tausende von magischen Zahlenwerten,# die keiner erklären kann, der Code der Computerprogramme ist unverständlich usf. Der Wissenschaftler möchte dieses Sammelsurium verstehen. Dazu bieten wir eine Reihe von Seminaren an, die ihm jedoch eine große Enttäuschung bereiten: er erhält kein Warum, keine Herleitung der Formeln, kein Prinzip wie „actio = reactio“, kein „Prinzip der kleinsten Wirkung“, keine Symmetrie, keinen universellen Hamiltonoperator; er erhält lediglich das Wie, d.h. eine Anleitung zur Verwendung: Er muss z.B. ein Experiment am CERN in einem bestimmten Datenformat mit allen relevanten Angaben zu Detektoren, Stromversorgung, Schaltungen usf. in tausenden von Datenblättern und Zeichnungen in einem bestimmten Datenformat hinterlegen, dann ein paar Parameter wir die Beschleunigungerenergie eintippen, und er erhält als Belohnung hunderte von Diagrammen und Tabellen - die mit den Messungen sehr präzise übereinstimmen. Derartige Übungen sind der alleinige Gegenstand seiner Seminararbeit. Das Sammelsurium liefert ihm z.B. eine Kurve mit einem Peak bei 30 TeV - und tatsächlich - nachdem der LHC in 20 Jahren diesbzgl. ertüchtigt wurde, erscheint auf dem Monitor ein derartiger Peak. Auf die Frage des nun schon deutlich gealterten Physikers, ob dies nun endlich das solange gesuchte Signal bzgl. der Supersymmetrie sei, erklären wir ihm, dass diese Frage offensichtlich sinnlos ist, da es im streng positivistischen Sinne nicht darum gehe, was da draußen ist, sondern lediglich darum, dass man das korrekt vorhersagen könne - und das sei ja nun mal der Fall gewesen; er solle sich also endlich damit zufrieden geben und mit diesem kindischen Warum-Gefrage aufhören. Das Sammelsurium hat - im streng positivistischen Sinne - perfekt funktioniert. Hat es dem Physiker darüberhinaus irgendeine Erkenntnis geliefert? erklärt es irgendwas? ist die Suche nach der Theorie von allem vorerst beendet? nichts von alledem! Nach dem ggw. Verständnis der Physiker von ihrer Disziplin ist das Sammelsurium schlichtweg Schrott, solange es keine diesbzgl. Erklärungen liefert und niemand versteht, warum es funktioniert. Ein ernsthafter, überzeugter Positivist müsste diesen Schrott sowie das o.g. Seminar jedoch jubelnd begrüßen, da es ja exakt das liefert, was er sich wünscht - ein Instument, das alle Beobachtungen perfekt vorhersagt. Wer also diesen positivistischen Schrott glauben will, kann dies gerne tun. Wer jedoch an Physik interessiert ist, ist auch an Erklärungen interessiert. Diese liefern immer eine Antwort auf ein Warum - zwar nie die letztgültige und nie mit absoluter Sicherheit, jedoch nach bestem Wissen und Gewissen. Ich denke, das untermauert meine Aussage, dass die o.g. positivistischen Denkverbote und die angeblich agnostische Grundhaltung Quatsch sind. |
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Wir sind uns alle einig, daß Denkverbote "Quatsch" sind.
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Im übrigen ist für mich weder das eine noch das andere Quatsch, sondern Interpretation. |
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Kannst du folgender Aussage von Roger Bacon zustimmen? (Hervorhebung von mir) Zitat:
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Hast du Physik studiert, Fachbücher gelesen, Vorlesungen und Seminare besucht, selbst Vorträge vor Experten gehalten, in kleinen Gruppen strittige Fragen und Modelle diskutiert, ...? Erklärungen - präzise mathematische Erklärungen - sind fundamental in der theoretischen Physik und vermitteln essentielle Zusammenhänge. Und nur wenn diese Erklärungen in sich stimmig sind, wird dein Modell akzeptiert; andernfalls wirst du vom Auditorium und den anwesenden Experten zerlegt (dass deine Ansätze auch die Daten reproduzieren müssen versteht sich von selbst, das muss nicht extra erwähnt werden) Zitat:
Bacon argumentiert pro Erfahrung, jedoch nicht contra ein mathematisches Modell. Bacon wusste nicht mal, was das sein soll. Seine Aussage Zitat:
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Das Messproblem ist zunächst ein Problem, wie Theorie und Experiment zusammenpassen und wie wir dafür ein gemeinsames Verständnis entwickeln können. Eine positivistische Einstellung lautet, es gäbe kein Problem, weil Theorie und Experiment offenbar bzgl. der Daten zusammenpassen und weil jede weitere Diskussion nutzlos ist. Darüberhinaus kann und darf ich jedoch weitere Fragen stellen, z.B. möchte ich verstehen, wie ich ein quantenmechanisch konstruiertes Messgerät sowie die Messung vollständig und konsistent rein quantenmechanisch verstehen kann. Diese Fragestellung ist zunächst mal naheliegend, wird von der orthodoxen Quantenmechanik nicht beantwortet, und deswegen stellt das Messproblem tatsächlich ein zentrales Problem der Physik dar. Bohr et al. haben hier bzgl. des „und ...“ ein Denkverbot ausgesprochen, indem sie aufgrund einer positivistischen Grundeinstellung einen offensichtlich logischen Bruch als Scheinproblem ablehnten. Dem standen und stehen diverse Physiker wie Einstein, Schrödinger, de Broglie, Bohm, Everett, de Witt, Penrose, ... Zeh, Deutsch, Carroll, Saunders, ... zunehmend ablehnend gegenüber und haben alternative Erklärungen gesucht - beileibe nicht nur beschränkt auf Everett‘s Ideen sondern teilweise völlig unabhängig und anders geartet. Dass Bohr et al. sich dafür nicht interessierten ist nicht gleichbedeutend damit, dass kein physikalisches Problem existiert. Bohr war und ist nicht Vorsistzender der physikalischen Glaubenskongreation, hat nicht die alleinige Deutungshoheit was Physik ist und vertritt nicht Gott auf Erden - in physikalischen Fragen. Heute existiert eine in weiten Bereichen logisch abgeschlossene, rein quantenmechanische Erklärung, wie das Messproblem tatsächlich gelöst wird. Es ist legitim, sich nicht dafür zu interessieren, aber es ist anmaßend, zu glauben, man könne diese Lösungsansätze als unphysikalisch ablehnen. Das Messproblem ist ein essentielles Problem der modernen Physik, und gerade weil keine allgemein akzeptierte Lösung existiert, wäre es völliger Käse, es als Scheinproblem abzutun oder gar Denkverbote auszusprechen. Gerade an solchen „großen“ Probleme kann und wird sich ein Fachgebiet weiterentwickeln. «Ich bin nicht damit zufrieden, daß man eine Maschinerie hat, die zwar zu prophezeien gestattet, der wir aber keinen klaren Sinn zu geben vermögen.» (Einstein) «Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job [interpreting quantum theory] was done 50 years ago.» (Gell-Mann, 1969) |
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Meiner Meinung nach besteht ein Hauptproblem in den Interpretation, das wir automatisch wenn wir über Quantenobjekte sprechen, in der Kategorie "Ding" denken. (Meiner Meinung nach gibt es kaum etwas undinglichers wie ein Photon) Dazu kommt das wir einfach nicht wissen, (aber immer annehmen das wir es exakt wissen) wie unser Bewusstsein überhaupt funktioniert. So versuchen wir mit einer Sprache die untauglich ist (einfach weil ein mathematisch/physikalisches "Objekt" Photon keinerlei Entsprechung in unseren Denkkategorien hat) Modelle zu verbalisieren, und uns dabei "nicht rausdenken" können aus unseren Modellen. Wir haben aber kein Modell "von unserem Geist an sich", der interpretiert, sich etwas "vorstellt". Das macht den Versuch die Welt aus der Sicht der Physiker zu beschreiben von vornherein anfällig, weil dazu müssten wir "das Denken an sich" aus dieser Beschreibung heraus extrahieren können, was so imho nicht geht. Wir als Menschen mit unserer Art zu denken sind aber integraler Bestandteil aller Erklärungen, die über das mathematische Modell an sich hinausgehen, weswegen ein solches Modell imho viel mehr noch als die Mathematik erklären muss. Macht die Sache scheinbar nicht einfach, aber ich bin überzeugt, das eine Erklärung der Quantenphysik als verständliches Modell, nur mit einer Erklärung von Dingen wie Wahrnehmung (eventuell auch Geist, Bewusstsein??) erfolgen kann. Die VWI zB impliziert das unser Geist Teil des phyikalischen Modells ist, welches mit der Quantenphysik beschrieben wird, was so nicht gesichert ist. Das Modell wird so lange nicht als "Erklärung" taugen, solange es nicht erklären kann, warum ich mit meiner Wahrnehmung eine (sich gemäß Wahrscheinlichkeiten) zufällige Abfolge von Ereignissen erlebe; ob sie nun als mathematisches Modell schlüssig ist, oder nicht. lg Theo |
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Und genau in diesem Pragmatismus liegt der Erfolg der Naturwissenschaft begründet. Zitat:
Sorry, ich kann in all den Sätzen, Wörtern und Namen keine konkrete Fragestellung finden. Meine konkrete Frage lautet: Wo findet beim Doppelspaltexperiment der nächste Einschlag auf dem Detektorschirm statt. Erkenntnis/Offenbarung : Eine Detailbetrachtung des Bereichs nach der Emission und vor der Detektion funktioniert nicht. Halte ich mich noch jahrzehntelang - wider besseren Wissens - damit auf? Nein, ich suche mir einen anderen Weg, um eine Antwort auf meine Frage zu finden. |
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Ich habe Physik studiert und später in der theoretischen Physik in der Forschung gearbeitet. Ich habe andere theoretische Modelle kritisiert, und meine Modelle und Erklärungen sind diskutiert und teilweise abgelehnt worden. Dass Modelle zuverlässige, experimentell überprüfbare Vorhersagen machen ist nicht das einzige Kriterium, sondern triviale Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt diskutiert werden. Darüberhinaus werden sie bzgl. ihrer internen Logik und Kohärenz bewertet und akzeptiert bzw. verworfen. Darüberhinaus werden viele Modelle und Ansätze diskutiert und verworfen, bevor sie soweit ausgearbeitet sind, um überhaupt experimentell überprüfbare Vorhersagen zu machen. Zitat:
Anfang der 90iger, d.h. ca. 20 Jahre nach der ersten Formulierung der QCD, haben wir in diversen Arbeitsgruppen davon abgeleitete Modelle, theoretische Verbesserungen sowie neue Methoden diskutiert, die zu einem besseren Verständnis führen sollten. Lange bevor wir uns experimentell überprüfbaren Vorhersagen zugewandt haben, haben wir uns auf die interne Logik und die Erklärungskraft unserer Modelle konzentriert. Bitte glaube mir das, ich war dabei. Zitat:
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Allerdings benötigen wir natürlich einige Prämissen, insbs. die, dass unser Denken ein prinzipiell physikalisch und damit mathematisch beschreibbarer Vorgang ist. Zitat:
Wenn in der Literatur und in diversen Foren ein anderer Eindruck entsteht, dann ist das bedauernswert, aber nicht im Kern das Problem, denn die Physiker sind sich dieser Problematik bewusst. Sie begehen jedoch teilweise den (groben) Fehler, in der Diskussion mit Laien eine zu sorglose und unpräzise Ausdrucksweise zu verwenden, die dann zu derartigen Problemen führt. Zitat:
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Ich habe hier zig-fach den Versuch unternommen, bestimmte Themen mathematisch zu präzisieren; es will mir jedoch niemand dabei folgen. Die Diskussion dreht sich leider zu 99% um Begriffe und Interpretationen bzw. leider sogar Interpretationen von Interpretationen von Interpretationen. Zitat:
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Nehmen wir an, unser Universum wäre nichts weiter als ein Algorithmus. Dann wissen wir nach Gödel et al. sicher, dass dieser Algorithmus sich selbst nicht vollumfänglich erfassen, verstehen, konstruieren oder beweisen kann. Dies eröffnet die faszinierende Möglichkeit, dass die Natur und das Universum ein mathematisches System darstellen, das prinzipiell vollumfänglich mathematisch fassbar ist, jedoch nicht mittels dieses System - und damit erst recht nicht mittels eines Subsystems wie unseres Gehirns. Zitat:
Ich sehe die grundsätzlichen Probleme an einer anderen Stelle, aber das würde im Rahmen dieses Threads zu weit führen. |
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Ich folge mal der Argumentation, dass sich die Welt als solche mathematisch verhält, es hat ja auch den Anschein. Ich folge (zumindest für diesen Thread) auch dem Axiom dass unser Geist ein Teil dieser quantenmechanischen Welt ist, wie sie von der aktuellen Physik beschrieben wird. Mein Thema mit „Erklärung“ durch konkret die VWI, ist, das der Zufall, welcher bei der KI als weiteres Axiom einfach zu EINEM bestimmten Kollaps führt, in der VWI nicht mehr Teil des Modells ist. Die Frage „warum erlebe ich den Weltenlauf genauso wie ich ihm erlebe“- warum ist in meiner Erinnerung das Experiment „Spin Up“ ausgegangen, wird durch die VWI doch gar nicht mehr beantwortbar. Wenn alle Möglichkeiten realisiert werden, ist der große Zufall der, in welchem „Pfad“ ich mich befinde. Ist das dann noch eine „physikalische Frage“, oder bereits eine Meta- Ebene? Philosophisch ist dann die Frage wie die Welt beschaffen physikalisch erklärt, (weil eben alle möglichen Welten „erschaffen“ sind), aber es öffnet sich die philosophische Frage, warum ich mich in genau der Welt befinde, die nicht mehr physikalisch erklärt werden kann! Das finde ich als „Erklärungsmodell“ für die Welt nicht sehr befriedigend. Das meine ich, wenn ich schreibe, das für eine "Erklärung" das "ich" nicht einfach ausgelassen werden kann. Müsst man zumindest deutlicher herausheben, was dann mit "Welt" überhaupt erklärt wird. lg Theo |
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ScienceUp - Dr. Günter Sturm