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Alt 11.12.09, 08:45
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Bauhof Bauhof ist offline
Singularität
 
Registriert seit: 07.12.2008
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Standard AW: Lorentzkontraktion und Luxonen

Hallo zusammen,

über das Problem der Interpretation des von Shapiro im Jahr 1964 vorgeschlagenen Experiments hab ich nun in meinen Büchern etwas nachgeforscht.

Torsten Fließbach beschreibt in Kapitel 28: "Radarechoverzögerungen" seines Buches [1] das Shapiro-Experiment. Er leitet die Radarechoverzögerung mathematisch her und stellt fest, dass die Messergebnisse in hoher Übereinstimmung mit der ART sind. Aber Fließbach erwähnt in diesem Kapitel mit keinem Wort, dass daraus ein Langsamerwerden des Lichts zu folgern sei.

Die Darstellung von Clifford M. Will in seinem Buch [2] erscheinen mir plausibel. Er beschreibt dort im Kapitel 6: "Die Zeitverzögerung des Lichts" die verschiedenen Messungen und das Interpretationsproblem beim Shapiro-Experiment sehr ausführlich von Seite 109 - 137. Auf Seite 114 schriebt er:

Zitat:
Die gleichen Bemerkungen gelten für die Zeitverzögerung. Die Lichtgeschwindigkeit ist wirklich in jedem frei fallenden Bezugssystem gleich, aber wir sind gezwungen, eine Reihe solcher Bezugssysteme entlang des Weges, den das Licht zurücklegt, zu betrachten. Wenn wir so vorgehen, finden wir heraus, dass der Beobachter am Ende des Weges feststellt, dass das Licht länger braucht, um eine vorgegebene Flugbahn zu beschreiben, wenn es nahe an der Sonne vorbeikommt, als es benötigt hätte, wenn es weiter weg von der Sonne geblieben wäre.

Ob der Beobachter die Worte "Licht breitet sich nahe der Sonne langsamer aus" gebraucht oder nicht, ist eine reine Frage der Semantik. Da er nie in die Nähe der Sonne geht, um die Messung durchzuführen, kann er sich eigentlich ein solches Urteil nicht erlauben. Hätte er eine Messung in einem frei fallenden Labor nahe der Sonne durchgeführt, dann hätte er den selben Wert für die Geschwindigkeit des Lichts erhalten, wie in einem von der Sonne weit entfernten frei fallenden Labor, und das hätte ihn vielleicht völlig durcheinander gebracht. Die einzige Aussage, die der Beobachter ohne Angst vor Widerspruch machen kann, ist die, dass er eine Zeitverzögerung festgestellt hat, die davon abhängig war, wie nahe der Lichtstrahl der Sonne kam.

Lediglich im mathematischen Sinn kann gesagt werden, dass das Licht langsamer wird. In einer besonderen mathematischen Darstellung der Gleichungen, die die Bewegung des Lichtstrahls beschreiben, von den Vertretern der Allgemeinen Relativitätstheorie als spezielles Koordinatensystem bezeichnet, hat das Licht scheinbar eine veränderliche Geschwindigkeit. Aber in einer anderen mathematischen Darstellung (ein anderes Koordinatensystem) ist diese Aussage unter Umständen falsch.

Trotzdem gilt, dass die beobachtbaren Größen wie etwa die tatsächliche Zeitverzögerung gleich sind, unabhängig davon, welche Darstellung benutzt wird. Das ist einer jener Fälle in der Relativitätslehre, wo der leichtsinnige Gebrauch von Worten und Sätzen, die nicht von beobachtbaren Größen abgeleitet wurden, zu Verwirrung und Unstimmigkeit führen können.
Auf Seite 120 zieht Clifford M. Will eine Art Fazit:

Zitat:
Nirgends in der vorhergegangenen Diskussion haben wir den Satz "Licht verlangsamt sich" verwendet. Unsere Auswertung hielt sich an beobachtbare Tatsachen wie Zeit- und Entfernungsmessungen. Shapiros Berechnung der Zeit Verzögerung basierte auf einer besonderen mathematischen Darstellung der Gleichungen, so dass es für ihn natürlich schien, von einem Langsamerwerden des Lichts zu sprechen. Solange man nicht mehr in solche Aussagen hineininterpretiert, als sie erlauben, kann das nicht schaden. Falls jemand hartnäckig bleibt und weiterfragt, was wirklich bei der Zeitverzögerung passiert, geben die vorangegangenen Erläuterungen eine eindeutige Antwort.
Und noch etwas: das Wort 'superluminal' wurde in keinem meiner Bücher verwendet, die das Shapiro-Experiment behandelten.

Mit freundlichen Grüßen
Eugen Bauhof

[1] Fließbach, Torsten
Allgemeine Relativitätstheorie. Zweite Auflage.
Heidelberg 1995. ISBN=3-86025-685-8
Fünfte Auflage: http://www.science-shop.de/artikel/843218

[2] Will, Clifford M.
... und Einstein hatte doch recht.
Berlin 1989. ISBN=3-540-50577-6
http://www.amazon.de/Einstein-hatte-...0520631&sr=1-1

P.S.
Clifford M. Will ist einer der führenden Theoretiker auf dem Gebiet der ART. Er promovierte 1971 in Physik am Caltech und ist heute Physikprofessor am McDonnel Zentrum für Weltraumphysik der George Washington-Universität in St. Louis.
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Ach der Einstein, der schwänzte immer die Vorlesungen –
ihm hatte ich das gar nicht zugetraut!

Hermann Minkowski
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