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Alt 15.09.07, 21:28
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Marco Polo Marco Polo ist offline
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Standard AW: Komplementarität

Hallo,

aus einer schon etwas länger zurückliegenden Ausgabe der Spektrum der Wissenschaft möchte ich folgendes zu diesem Thema zitieren:

Zur Frage "Ist das Problem des quantenmechanischen Messprozesses nun endlich gelöst?" hat Dieter Zeh folgende Stellungnahme abgegeben:

Ich zitiere: " Die Frage kann man ganz sicher nicht einfach mit "ja" beantworten. Die Ansicht von Nils Bohr, der Quantenmessprozess sei grundsätzlich nicht physikalisch analysierbar, darf aber heute wohl als widerlegt gelten.

Dekohärenz ist eine zwingende Konsequenz der Schrödinger-Gleichung unter realistischer Berücksichtigung der natürlichen Umgebung eines Systems - unabhängig von allen Interpretationsfragen.

Sie beruht auf einer sehr effizienten "Verschränkung" praktisch aller physikalischen Systeme, die lange Zeit einfach übersehen worden ist.

Der Dekohärenzprozess ist inzwischen auch experimentell - zuerst durch Serge Haroche (Paris) - direkt nachgewiesen worden. Zur theoretischen Untersuchung dieses Quantenphänomens haben nach Wojciech, Zurek (Los Alamos) vor allem Erich Joos (früher Heidelberg) und Claus Kiefer (Freiburg) beigetragen.

Max Tegmark, Koautor des vorliegenden Artikels, ist vornehmlich durch seine Anwendung der Dekohörenz auf Gehirnprozesse bekannt geworden; damit hat er den spekulativen Vorschlägen von Roger Penrose und Stuart Hameroff, wonach menschliches Denken auf kohärenten Quantenprozessen beruhe oder gar einen durch Gravitation induzierten "Kollaps der Wellenfunktion" einschliesse, den Boden entzogen.

Tegmarks Arbeit beschreibt somit das "letzte Stück" des von Einstein im Gespräch mit Heisenberg geforderten "ganzen langen Wegs vom Vorgang bis zur Fixierung in unserem Bewusstsein" in rein quantenmechanischen Begriffen.

Diese Erfolge erlauben es nach meiner Überzeugung, nunmehr auf unabhängig vorzugebene klassische Begriffe und auf Verlegenheitsvokabeln wie Komplementarität, Dualismus oder Quantenlogik ganz zu verzichten.

All diese "erstaunlichen" Experimente der letzten Jahrzehnte haben nur Konsequenzen der nichtlokalen Wellenfunktion bestätigt, wobei alle Messergebnisse durch Dekohärenz klasisch fixiert werden..

Scheinbare "Quantensprünge" sind demnach ebenso das Ergebnis von sehr schnellen, aber stetigen Dekohärenzvorgängen wie die Lokalisierung von Quantenobjekten als scheinbare Teilchen, sei es als Spuren in der Nebelkammer oder als Klicks in Zählern.

Andererseits dürfte die von Everett gezogene Konsequenz von "Mehrfachwelten" von den meisten Physikern weiterhin abgelehnt werden - vorwiegend aus emotionalen Gründen.

Diese pragmatische Haltung ist aber auch im Rahmen einer universell gültigen Schrödinger-Gleichung durchaus möglich, wenn man den Begriff der Realität "operationell" versteht:

Als real gilt jeweils nur das, was für die in jedem "Everett-Zweig" separat existierenden Beobachter noch beobachtbar ist. Die Everett´sche Quantenwelt definiert hingegen eine "hypothetische Realität", die der quantenphysikalischen Konsistenz zuliebe verlangt werden muss.

Demzufolge kann man nicht erwarten, jemals einen Kollaps der Wellenfunktion zu beobachten, der nicht als rein quantenmechanischer Dekohärenzprozess erklärbar wäre.

Der Kollaps auf ein bestimmtes Ergebnis beschreibt dagegen die sich stetig verändernde Situation der Beobachter in der Quantenwelt.

Der "große Nebel aus dem Norden", wie man die Kopenhagener Deutung gelegentlich genannt hat , beginnt sich zu lichten.

Die sichtbar werdende Landschaft zeigt eine unsere gewohnte Vorstellungskraft weit übersteigende Vielfalt, ergibt dafür aber erstmals ein konsistentes Bild."

Ich hoffe, das ging jetzt nicht am Thema vorbei.

Grüssle,

Marco Polo
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