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Alt 22.11.15, 21:17
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
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Standard AW: In-, nono-, para- ortho-determinismus

Gute Punkte!

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Wissenschaftstheoretische Kritik I:
Durch den Verzicht auf das Kollaps-Postulat befindet sich die VWT zwar axiomatisch in der besseren Position; sie kann die verbleibenden Postulate jedoch solange nicht durch empirische Erfolge rechtfertigen, weil sie die Bornsche Regel (nicht das Projektionspostulat!!) nicht aus den ersten drei Axiomen (zumindest als Näherung für makroskopische Systeme) ableiten kann.
Der momentane Status der VWT ist daher folgender: Es gibt drei Postulate, aus denen keine prüfbaren Vorhersagen über das Verhalten von Natur abgeleitet werden können.
Sie muss die verbleibenden Postulate nicht mehr rechtfertigen als jede andere Interpretation.

Der letzte Satz ist mir nicht klar. Warum soll es drei Postulate geben? Es gibt nur zwei - gemäß der VWI. Und natürlich können aus der VWI überprüfbare Vorhersagen abgeleitet werden: mikroskopisch können wir das seit ca. 90 Jahren, makroskopisch passt die Dekohärenz perfekt. Insofern ist die VWI in exakt derselben Situation wie die orthodoxe Interpretation. Das ist jetzt phänomenologisch kein Fortschritt, jedoch axiomatisch.

Ich würde sagen, hier steht es Unentschieden, mit leichten Vorteilen für die VWI.

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Erkenntnistheoretische Kritik I:
Wenn die VWT richtig ist, dann sind notwendigerweise alle anderen wissenschaftlichen Theorien falsch, da diese nicht davon ausgehen, dass sich Systeme in einem widersprüchlichen Überlagerungszustand wie z.B. |tot> und |lebendig> befinden können. Das ist eine weitreichende Konsequenz, die da zu akzeptieren wäre.
Das ist richtig (wenn die Prämisse der realistischen Interpretation akzeptiert wird).

Aber das ist im eigtl. Sinn keine Kritik, lediglich eine Feststellung. Willst du die VWI ablehnen, weil du die Konsequenzen nicht magst?

Lassen wir diesen Punkt besser weg.

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Wissenschaftstheoretische Kritik II:
Eine Konsequenz der VWT ist die Aufspaltung des Universums in eine "Vogel"-Perspektive und viele "Frosch"-Perspektiven. (Begriffe stammen von Max Tegmark). "Beobachter" (Everett versteht hierunter erinnerungsfähige Systeme) können prinzipell nur die "Frosch"-Perspektive einnehmen. Diese Konsequenz der VWT ist daher prinzipiell nicht falsifizierbar. Ferner werden dadurch alle bisherigen Plausibilitätskontrollen wie z.B. simple Abzähl-Bilanzen entwertet, womit sich die VWT gegen Kritik immunisiert und zu einem Dogmatismus mutiert.
Die VWI ist insofern nicht falsifizierbar, als sie die Existenz von etwas akzeptiert, das aus der Dekohärenz folgt und dieser zufolge unbeobachtbar ist.

Sämtliche Spielarten der Kollapsinterpretation sind insofern nicht falsifizierbar, als sie den Kollaps immer genau dann postulieren, wenn er beobachtet wird, und ihn dann negieren, wenn er nicht beobachtet wird. Sie können und werden den Heisenbergschen Schnitt nie präzise festlegen, sondern immer nach Vedarf verschieben.

Wenn ich mich zwischen diesen beiden Immunisierungsstrategien entscheiden muss, entscheide ich mich für die VWI und gegen den Kollaps.

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Durch simples Abzählen und Bilanzieren ergibt sich, dass das Elektron nicht noch zusätzlich in einer anderen "Frosch"-Perspektive sein kann.
Abzählen funktioniert nicht. Das behauptet die VWI auch nicht, obwohl das oft so dargestellt wird.

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Ontologische Kritik I:
Jede unitäre Zeitentwicklung setzt implizit eine unendliche Genauigkeit der Natur voraus. Dafür gibt es jedoch nicht den Hauch eines Beleges.
Die unitäre Zeitentwicklung ist ein Axiom praktisch aller Interpretationen.

Deine Kritik würde gelten, wenn du eine Gegenposition darstellen könntest. Kannst du das? Ansonsten ist das haltlos.

Du kannst auch nicht die Relativitätstheorie inklusive der Lorentzkovarianz kritisieren, weil du zur Verifizierung letzterer unendliche Präzision benötigst.

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Wissenschaftshistorische Kritik I:
Die QM basiert historisch auf der Quantenhypothese (E=h*v)von Max Planck. Diese Hypothese muss zwangsläufig zu Wahrscheinlichkeitsverhalten von Systemen führen. (Man versuche, 1 Cent auf zwei Sparbüchsen zu verteilen!). Die VWT negiert somit die Quantenhypothese und damit ihre eigene Voraussetzung.
Das halte ich für falsch!

Zunächst mal ist es egal, auf was die QM historisch beruht. Wichtig ist, auf was sie heute faktisch beruht. Und da existiert kein zwangsläufiges Erscheinen von Wahrscheinlichkeiten. Wenn es so wäre, würde man diese nicht per Postulat (Bornscher Regel) einführen müssen.

Es gibt außerdem in der QM keine Quantenhypothese. Diese existiert nicht als Axiom, sie folgt lediglich für bestimmte Systeme als Theorem.

Die VWI basiert auf einer Untermenge der Axiomen der von-Neumannschen QM.

Zitat:
Zitat von RoKo Beitrag anzeigen
Ontologische Kritik II:
Die VWT setzt (mit dem Dekohärenz-Mechanismus) implizit voraus, dass im Universum separierbare und individuierbare Systeme existieren; sie kann aber nicht erklären, wie sie entstanden sein könnten.
Das verstehe ich nicht so ganz. Kann es sein, dass du auf logische Zirkularität hinauswillst?

Zusammenfassend halte ich die Argumente für wenig stichhaltig. Es gibt aber tatsächlich einige sehr stichhaltige Argumente! Warum diskutieren wir nicht die?

Den Vorwurf der Zirkularität habe ich nie so ganz verstanden. Die nicht vorhandene bzw. nicht allgemein akzeptierte Ableitung der Bornschen Regel sowie die völlig offene Frage, warum relative Gewichte von Zweigen als Wahrscheinlichkeiten interpretiert werden sollen, halte ich für das zentrale Argument gegen die VWI.

Was ich nicht gelten lasse sind historische Prioritäten. Tatsächlich wurde die VWI als Antwort auf die orthodoxe Darstellung entwickelt. Aber die historische Abfolge sollte bei der Bewertung keine Rolle spielen.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (22.11.15 um 21:46 Uhr)
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