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Alt 11.04.12, 21:37
fossilium fossilium ist offline
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Standard AW: Frage zu "Bertlmanns Socken und die Natur der Realität" (J.S. Bell, 1980)

Hi Richy,

ich hoffe aufrichtig, dass es Dir wieder besser geht !

Ich hoffe, ich kann Dir meine Anteilnahme an Deinem Ungemach dadurch ausdrücken, dass ich mir in der Antwort auf Deinen Beitrag besondere Mühe gebe. Ich nehme es mir vor.

Warum kann ich mit Heim nichts anfangen ?

Als Kepler am Hand seiner Messungen die Planetenbewegungen erklären wollte, repräsentierte er die Abstände der Planeten durch ein System platonischer Körper, die um die Sonne herum ineinander geschachtelt sind. Dafür konstruierte er Dodekaeder, Würfel und Tetraeder um die Erdbahn herum und innerhalb der Erdbahn. Mit genialem Geist näherte er sich so schrittweise dem Erklärungserfolg - mit vielleicht etwas komplizierten Gleichungen, aber letzendlich mit guten Nährungen an die Beobachtungsdaten. Wenn nicht genauere Messungen des Tycho Brahe ihn auf eine einfachere Lösung gebracht hätten (elliptische Bahnen), wäre seine komplizierte Theorie vielleicht sehr lange massgeblich gewesen. Es war also schon immer möglich, die Natur mit mathematischen Modellen zu erklären, die sehr kompliziert waren, aber genaue Vorhersagen zuliessen – eben bis eine „bessere“ Theorie aufgestellt wurde.

Zitat:
Zitat von richy Beitrag anzeigen
Alles muss konsistent zu den Beobachtungen sein.
Die Übereinstimmung mit den Beobachtungen spricht für eine Theorie, aber entscheidet nicht über Ihre Qualität.

Eine gute Theorie muss, nach meiner Ansicht, eine einfache Struktur haben. Warum ?
Weil auch die kompliziertesten Prozesse sich immer aus sehr einfachen Regeln entwickeln.
Zitat:
Zitat von richy Beitrag anzeigen
Um diese Grundprinzipien zu erkennen benoetigt es der Abstraktion.
Sehr richtig, und die lassen sich auch ohne Mathematik beschreiben.

Die einfachsten Regeln lauten: Ursache (im Sinne einer Kraft) erzeugt Wirkung, Wirkung ändert den Zustand von Etwas, eine Folge solchermassen veränderter Zustände definiert einen Zeitablauf, mit ablaufender Zeit geht das Etwas in einen Zustand minimaler Energie über (Dissipation). Warum es Ursachen (Kräfte) mit einer Wirkung gibt und warum beim Durchlaufen von Wirkungsketten allem Geordneten ein Drang nach Dissipation aufgeprägt ist – das ist das grösste methaphysiche Rätsel überhaupt (die Mutter aller Fragen).

Aber diese wenigen Regeln sind für die Vielfalt aller Geschehnisse, die gesamte ungeheure Entfaltung des ganzen Universums, verantwortlich (Zufall ist übrigends nicht dabei, aber Unvorhersagbarkeit).

Es sieht nur so aus, dass bei zunehmend komplexer werdenden Systemen neue Qualitäten emergieren. In Wirklichkeit ändern sich bei Systemen mit vielen Milliarden x Milliarden Einzelteilen nur die Perspektiven und Begriffe zur Beschreibung und Erklärung. Wie mit neuen Begriffen auch grosse Vielteichensysteme sehr einfach beschrieben und erklärt werden können, hat die Thermodynamik gezeigt, oder auch die Perkolationstheorie oder die SOK-Theorie bei komplexen Systemen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass letzendlich alle Phänomene reduzierbar sind. Das heisst nicht, dass ich die Chemie oder Biologie allein auf physikalische Vorgänge zurückführen will. Es heisst nur, dass innerhalb der Einzelwissenschaften wieder eigene Begriffe, Gesetzmässigkeiten und Erklärungsmodelle gefunden werden, die selbst wieder eine einfache Struktur haben. Reduktion innerhalb der jeweiligen Perspektiven.
Zitat:
Zitat von richy Beitrag anzeigen
Die Welt ist im Innern hoeherdimensional. Das folgt geradezu zwingend aus dem EPR Experiment.
Da muss ich Dir widersprechen. Es gibt keinen Konsensus in der Physik über die Interpretation der ERP-Versuchsergebnisse – nicht mal eine schlüssige Erklärung. Um hier zu einer allseits anerkannten Interpretation zu kommen, bräuchte man eine „Theorie der Beobachtung“. Dies gibt es nicht.

Aber evident ist:
Wir Menschen können nichtlineare Vorgänge so gut wie nicht erfassen (von Ausnahmen abgesehen), unser Geist ist dafür nicht
gemacht, also müssen wir diese auf lineare zurückführen, wenn wir sie erklären wollen.
Daher führt an der Reduktion kein Weg vorbei. So wird auch die komplizierte Quantenfeldtheorie, bei der zur Erzeugung von linearen Zusammenhängen alle möglichen Tricks angewendet werden, nicht auf ewig Bestand haben. Und die Heimsche Theorie – so bewunderswert und umfassend die Theorie auch entwickelt ist – sie wird keinen Bestand haben.

Das ist alles sehr aus der Intuition gesprochen. Aber auch da ist Wissen gespeichert (s. Spiegel-Artikel von vergangener Woche).

Diese Intuition flüstert mir:

Hüte Dich vor komplizierten Erklärungen, denn sie lassen sich nicht durchschauen und bieten dem Irrtum ein gutes Versteck. Die Wahrheit aber ist rein und schön und bar von jedem Geschnörkel.Grüsse
Fossilium
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