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Alt 05.02.19, 19:33
kwrk kwrk ist offline
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Standard Teilchenmassen im SM

Hi allerseits,

wird etwas länger: meine Ansichten zu den QCD-Masseberechnungen des SM.
Einen Überblick bieten FLAG: http://flag.unibe.ch/Quark%20masses, PDG: http://pdg.lbl.gov/2018/reviews/rpp2...ark-masses.pdf und die von TomS in http://www.quanten.de/forum/showthread.php5?t=3504 #31 angegebenen Quellen.
Mir geht es im Folgenden nicht um die (L)QCD-Methodik. Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese solide ist + es auch sinnvoll ist, zu testen, was man damit anfangen kann. Mir geht es ausschließlich um die Relevanz der nach aktuellem Stand erzielten Ergebnisse.

I LQCD-Eckpunkte:
Typischerweise ist bei LQCD Genauigkeit in GO einiger Prozent, Anzahl berechneter Partikel ~ 10, Anzahl der Parameter ~4 (2-4 Quarkmassen (udsc), Kopplungskonstante, Referenzmasse-Hadron). Die im oben genannten Thread geäußerte Kritik an der Zählung der Inputparameter kann ich nicht nachvollziehen. Die Autoren der Rechnungen sprechen von “input parameters“ und erklären, wie sie die verwendeten Quarkmassen berechnen, indem sie diese z.B. an die Pionmasse anfitten. Die Ergebnisse differieren dann im Bereich mehrerer 10% von Arbeit zu Arbeit.

II Bewertung als Fit:
Es geht hier nicht um den Fit einer komplizierten Funktion sondern um ~10 einfache Datenpunkte (Hadronenmassen der uds-Quarks, exklusive der leichten Mesonen), die mit einem gegebenen Modell angepasst werden. Dafür reicht 1 Parameter (z.B. Modelle a la https://137alpha.org/), in meinem Modell 0 Parameter. Das es auch mit 4 geht, ist dann eigentlich trivial. Da passt der Klassiker: “With four parameters I can fit an elephant, and with five I can make him wiggle his trunk”.

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
In der QM sind die Massen des Elektrons und der Atomkerne freie Parameter. Daraus folgt dann aber das vollständige Spektrum aller Atome, Bindungszustände wie Moleküle, Kristalle, ... Phononen, elektromagnetische Eigenschaften von Leitern und Halbleitern, thermodynamische Eigenschaften, ... da würdest du auch nicht die QM kritisieren.
Das ist ein gutes Gegenbeispiel. Die QM kommt mit sehr wenigen Parametern aus. Um z.B. den grundsätzlichen Aufbau des PSE mit 100+ “Teilchen” + ihren diversen Eigenschaften zu verstehen, braucht man die Schrödingergl. des H-Atoms mit Elektronenmasse als einzigem Parameter !
=> QM-Grundlagen der Systematik chemischer Elemente vs Quarkmodell der Hadronen ist wie Bundesliga zu Kreisliga.

III Bewertung im Kontext:
a) Haben die errechneten Quarkmassen Relevanz für andere Hadroneneigenschaften ?
aa) Magnetische Momente: Nein
Die dabei (in QCD-Rechnungen!) verwendeten Quarkmassen sind in GO der Constituent Quarks, d.h. Faktor 10-100 größer.
https://en.wikipedia.org/wiki/Neutron_magnetic_moment (Beispiel dort aus den 80ern, hat sich aber anscheinend nicht viel geändert. Neuere Online-Artikel sind spärlich und verweisen in der Methodik z.T. wiederum auf Offline Artikel. In https://arxiv.org/abs/1506.05518, https://arxiv.org/pdf/1212.1963.pdf referenziert man zur Pionmasse (exptl.:139MeV) mit Werten zwischen 282 - 806 MeV).
ab) Zerfall:
Weak decay: benötigt zusätzlich 4 CKM Parameter
Strong decay: http://www.gauss-centre.eu/gauss-cen...tml?nn=1361054 “ it remained a great challenge to obtain meaningful results at realistically small quark masses”, angeblich die erste! Arbeit mit realistischen Current Quarkmassen (2018); Artikel nicht online;
ac) Streuung ??? http://pdg.lbl.gov/2010/reviews/rpp2010-rev-qcd.pdf ??? übersteigt definitiv mein Zeitbudget

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Mittels einer einzigen definierenden Gleichung, die nicht mal eine halbe Zeile lang ist, einer numerischen Lösungsmethode sowie einer Handvoll freier Parameter lässt sich prinzipiell die gesamte Niederenergiephysik im Hadronsektor mit zig experimentell überprüfbaren - und überprüften - Vorhersagen berechnen.
Die numerischen Verfahren sind nicht einheitlich, die Parameter grob inkonsistent.
Hast du konkrete Beispiele, wo sich mit Currentquarkmasse ohne exzessive Verwendung zusätzlicher Parameter Experimente beschreiben lassen?

b) Gibt es prinzipielle, systematische Erkenntnisse ?
ba) Aufgrund der Quarkstruktur sollte man z.B. systematische Trends in Bezug auf Isospin erwarten => geht anscheinend nicht.
bb) Größenordnung der Hadronenmasse:
https://arxiv.org/pdf/1605.08103.pdf: an intrinsic scale occurs .... Thus QCD sets a magnitude for the light hadron masses
Das wäre ein dicker Pluspunkt.

Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen “QCD-Rechnungen sind die einzig sinnvolle Methode Partikeleigenschaften zu berechnen + damit sind die entsprechenden Ergebnisse auch signifikant”. Ich habe den Eindruck, nicht wenige Physiker sehen das so.
Das QCD-Rechnungen zugrundeliegende Modell mit Valenzquarks, Seequarks, Gluonen hat seinen Ursprung in der Interpretation von Stoßprozessen, es gibt anscheinend keine rigorose Begründung für den Formalismus: https://en.wikipedia.org/wiki/Quantu...matical rigour - im Gegenteil: https://en.wikipedia.org/wiki/Haag%27s_theorem, ”While some physicists and philosophers of physics have repeatedly emphasized how seriously Haag's theorem is shaking the foundations of QFT, the majority of QFT practitioners simply dismiss the issue

Fazit: Die Argumente dafür, dass Current-Quarkmassen mehr als Fitparameter aus QCD-Masseberechnungen darstellen, sind mmn dünn. In der Gesamtbilanz der quantitativ berechenbaren Werte für Partikelmassen/-energien des SM ergibt sich dann:

Hadronen: trivialer Fit
geladene Leptonen + Quarks: keine Werte
Neutrinos: falsch (= Masse 0)

Wohlgemerkt, wir reden hier über das Standardmodell der Teilchenphysik, das mit der Entdeckung des Higgs-Bosons komplett ist und in dem nur noch kleinere Fragen, wie z.B. die 10. Stelle hinterm Komma beim magnetischen Moment des µ offen sind - Ironie off.

Grüße
kwrk
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