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Alt 27.09.15, 11:48
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BennyBunny BennyBunny ist offline
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Standard AW: von Reduktionismus und Holismus zum Kontextualismus

So schwingt die Diskussion um Reduktionismus und Holismus heute in wesentlich differenzierteren Tönen. Doch auch im 21. Jahrhundert werden die Diskussionen um die Erfassung der Natur kaum, wie noch in der Romantik gefordert, unter dem Primat von Empfindungen, Gefühlen und mystischer Intuition geführt. Und das „kalte und künstliche Experiment“ bleibt von Seiten der Wissenschaft das Mittel der Wahl, um zu tieferen Wahrheiten des Lebens und der Welt zu gelangen. Zugleich haben die Naturwissenschaftler erkannt, dass ihre Untersuchungsgegenstände Erscheinungen und Prozesse hervorrufen können, die eigengesetzliche Dynamiken zeigen, welche sich nicht mehr alleine aus den Eigenschaften ihrer Bestandteile erfassen lassen. Und einzelne Systeme wiederum weisen je nach ihrem Umfeld, in welchem sie sich befinden, ein sehr spezifisches und idiosynkratrisches Verhalten auf. So kann ein physikalisches System auf ganz nicht-mystische Art und Weise „Bestandteil eines grösseren Ganzen“ sein.

Doch noch immer können Anti-Reduktionisten auf so einige Felder verweisen, die noch nicht wissenschaftlich erfassbar sind und wohl selbst von denen, die sie als grundsätzlich wissenschaftlich erfassbar halten, kaum dahingehend charakterisiert werden, dass sie sich auf einfache Einheiten und Prinzipien reduzieren lassen. So wird das Bewusstsein bzw. der Geist oft als ein Phänomen angesehen, das sich grundsätzlich einer rein naturwissenschaftlichen oder gar reduktionistischen Beschreibung entzieht. Philosophen sehen den Grund dafür darin, dass mentale Zustände die Eigenschaft haben, „auf bestimmte Weisen erlebt zu werden“. Wenn man seine Hand in heisses Wasser hält, so laufen nicht nur bestimmte biologische Prozesse ab, sondern es tut schlicht auch weh. Die biologischen Prozesse alleine machen es kaum oder vielleicht gar nicht verständlich, warum wir so etwas wie Schmerzen erleben. Auf einer noch höheren Ebene wiederum lässt sich die moralische Bewertung von Handlung kaum naturwissenschaftlich beschreiben. Denn moralische Begriffe sind normativ, ganz im Gegensatz zur deskriptiven Natur naturwissenschaftlicher Beschreibungen. Gleiches gilt für ästhetische Eigenschaften.

So bleibt uns eine schon über 200 Jahre währende Diskussion erhalten. Doch wird derjenige, der die Argumente und Entwicklungen in dieser Diskussion sorgfältig verfolgt, erkennen, dass die Fronten nicht mehr ganz so klar definiert sind wie noch vor 200 oder gar 100 Jahren. Weder sollte die Wissenschaft als „imperialistisch-indoktrinativ“ polemisiert, noch jegliche antireduktionistische Intuition sogleich mit veralteten metaphysischen und theologischen Motiven identifiziert werden. Es lohnt sich für beide Seiten durchaus, die für eine sorgfältigere Differenzierung notwendigen Mühen auf sich zu nehmen.
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