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Alt 18.01.22, 13:39
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
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Standard AW: Abweichungen und Möglichkeiten in einem Multiversum?

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Nun kommen wir mit den "bekannten Mechanismen" aber gerade nicht weiter.

Die "Intelligenz" des Ameisenstaates sehe ich als Gegenbeispiel, denn sie läßt sich im Prinzip modellieren, s. Modell Ameisenstaat. Für das Bewusstsein trifft dies aber - bis auf weiteres - nicht zu. Etwas modellieren zu wollen, das man nicht versteht, scheint eine unlösbare Aufgabe zu sein.
Jein.

Zum Nein:

Ich denke, wir können einiges über das Bewusstsein lernen und auch Modellierungsansätze entwickeln. Unter der plausiblen Annahme, dass Bewusstsein aus Biochemie entsteht, ist der Ansatz, das Modell des Bewusstseins auf ein Modell biochemischer Prozesse zurückzuführen, wiederum plausibel. Und unter der ebenfalls plausiblen Annahme, dass der Verstand auch algorithmische Funktionen aufweist, ist der Ansatz, das Modell des Verstandes auf ein algorithmisches Modell zurückzuführen, wiederum plausibel; schlussendlich scheint auf Basis bisher gesammelter Erkenntnisse der Ansatz mittels künstlicher neuronaler Netze am besten geeignet zu sein.

Das sind klare Hypothesen, daraus resultieren Forschungsprogramme. Damit prüfen wir sehr konkret, wie weit wir mit den "bekannten Mechanismen" kommen.

Ja, für bestimmte Aspekte des Bewusstseins haben wir bis auf weiteres wohl keinen vollständigen Ansatz zur Modellierung. Aber etwas modellieren zu wollen, das man nicht versteht, ist keine unlösbare Aufgabe; so etwas haben wir in der Vergangenheit schon öfters gelöst (QM: Festkörperphysik, Supraleitung, Suprafluidität …, QCD: Physik der Hadronen ...). Damit erzielt man natürlich nicht unbedingt einen vollständigen Ansatz.

Die "Intelligenz" des Ameisenstaates sehe ich auch nicht als Einwand. Die Idee emergenter Phänomene besteht ja gerade darin, die neuartige Funktionalität nicht eigenständig zu modellieren, sondern sie vollständig auf bekannte Funktionen zurückzuführen.

Wieder Beispiel QCD: heute würde niemand eine eigenständige QFT von Baryonen und Mesonen propagieren; es gibt zwar derartige effektive Theorien, aber sie sind durch die QCD „inspiriert“,d.h. noch nicht vollständig aus der QCD ableitbar jedoch zumindest bin Teilaspekten; umgekehrt gibt es reinrassige QCD-basierte Berechnungen, die gute jedoch nicht umfassende Ansätze für Baryonen und Mesonen liefern. So ähnlich kann man sich auch einen Weg hin zu einer emergenten Theorie des Bewusstseins vorstellen.

Zum Ja:

Es ist natürlich zu Beginn nicht klar, ob die o.g. Hypothese vollumfänglich trägt. Und es ist ziemlich sicher klar, dass selbst wenn sie funktional trägt, dennoch die rein introspektiv erfahrbaren Bewusstseinsphänomene wie mentale Zustände nicht oder nur teilweise erfassbar werden (siehe meine bisherigen Argumente).

D.h. es könnte die paradox anmutende Situation entstehen, dass man tatsächlich ein vollständig algorithmisches Modell des Verstandes entwickelt hat, das ohne weiteres Zutun (außer die Anzahl der Neuronen und der Verschaltungen zu erhöhen) von selbst Bewusstsein entwickelt. Dann kann man sich mit diesem künstlichen Bewusstsein auch diesbzgl. verbal austauschen. Allerdings fehlt immer noch unsere Einsicht in die mentalen Zustände dieses künstlichen Bewusstseins; wir erfahren darüber nur etwas durch Kommunikation, nicht durch Introspektion. Dies - zusammen mit dem algorithmisch beweisbar nicht erreichbaren Verständnis des hypothetischen "bewussten Algorithmus" - ist m.E. der entscheidende limitierende Faktor, bei dem mir tatsächlich die Phantasie fehlt, welcher Ansatz hier überhaupt helfen könnte; ich halte das für eine prinzipielle Grenze unserer Erkenntnis, Ich mag anderer Ansicht sein.

Allerdings halte ich bis auf weiteres wenig von einer neuen Zutat. Aktuell hat man die Ansätze auf Basis neuronaler Netze bei weitem nicht ausgereizt. M.E. ist es sinnvoll, hier auf maßgeschneiderte Hardware, massiv parallele Berechnungen, und größere NNs mit anderen Architekturen zu setzen (eine wesentliche Zutat, die sicher fehlt, ist eine genügend ausgeprägte Aktorik und Sensorik).

Zum Abschluss nochmal die QCD: die Theorie ist nach ca. 50 Jahren sehr gut verstanden, speziell das Color-Confinement jedoch nicht; trotzdem erscheint der Lösungsraum der QCD so groß, dass man erwartet, dort drinnen auch das Confinement zu finden.
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (18.01.22 um 13:43 Uhr)
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