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Alt 12.07.15, 14:06
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Bauhof Bauhof ist offline
Singularität
 
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Standard AW: Unterschied Raum und Zeit

Zitat:
Zitat von Philipp Wehrli Beitrag anzeigen
Was ich allerdings nicht verstehe: Sowohl von Weizsäcker, als auch Lyre setzen die Zeit voraus. Sie sagen (vermutlich zu recht), Wahrscheinlichkeiten können nur definiert werden, wenn wir die Zeit voraussetzen. Meiner Ansicht nach kann aber Information auch definiert werden, ohne die Zeit vorauszusetzen. Der Wert der Urtheorie besteht meiner Ansicht nach gerade darin, dass die Raumzeit aus ihr hervorgeht. Mir scheint es daher unverständlich, dass die Urtheoretiker die Zeit voraussetzen.
Hallo Philipp Wehrli,

Weizsäcker und Lyre setzen den Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft voraus. Was die Zeit selbst ist oder nicht ist, erhellt vielleicht durch das, was Holger Lyre auf Seite 34 seines Buches[1] schreibt:

Zitat:
Zur Ableitung des zweiten Hauptsatzes, der zeitlichen Anisotropie durch das Wachstum der Entropie in der Zeit, ist nach Weizsäcker der Unterschied zwischen faktischer Vergangenheit und möglicher Zukunft vorauszusetzen.

Die Analyse Weizsäckers hat bis heute bei den Physikern wenig Resonanz gefunden. Statt dessen ist es üblich, den Anstieg der Entropie und somit die Begründung des zweiten Hauptsatzes durch die Annahme extrem unwahrscheinlicher Anfangsbedingungen zu sichern. Auch dieser Grundgedanke stammt bereits von Boltzmann (Schwankungshypothese). Man sieht jedoch unmittelbar, dass dies nur eine Verschiebung des Problems bedeutet, denn wie begründet man dann die Anfangsbedingungen?

Die Weizsäckersche Lösung ist demgegenüber konsistent – enthält aber nach der gängigen Auffassung der Mehrheit der Physiker ein scheinbar subjektives Element: Den "nur subjektiv" bewussten Unterschied von Vergangenheit und Zukunft als Grund des objektiven Anwachsens der Entropie. Die Unterscheidung von subjektiv und objektiv sucht Weizsäcker jedoch durch seinen Ansatz an dieser Stelle gerade zu überwinden; denn tatsächlich verfolgt er ein sehr viel umfassenderes Ziel:

Nämlich die zeitliche Struktur als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung an die Spitze des Aufbaus jeglicher Erfahrungswissenschaft und mithin der Physik zu stellen. Erfahrung heißt für ihn, aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen. Wenn aber Erfahrung nur unter Bezug auf die Zeitstruktur definierbar ist, dann ist es – einer treffenden Formulierung Erhard Scheibes folgend – "geradezu analytisch wahr, dass so definierte Erfahrung diese Struktur der Zeit als Bedingung ihrer Möglichkeit hat". In Weizsäckers Worten:

Wer weiß, was Erfahrung ist, weiß unartikuliert auch schon, was Zeit im vollen Sinn ist. Wer Physik treibt, weiß, was Erfahrung ist. Die Ergebnisse der Physik können nicht dazu führen, nachträglich zu definieren, was Zeit oder Zeitrichtung ist, wenn unter Definition die Rückführung auf inhaltliche Begriffe der Physik (z.B. Entropie) verstanden wird; das wäre zirkelhaft.
M.f.G. Eugen Bauhof

[1] Lyre, Holger
Quantentheorie der Information.
Zur Naturphilosophie der Theorie der Ur-Alternativen und einer abstrakten Theorie der Information.
Wien 1998. ISBN=3-211-83204-1

P.S. Es gibt eine neue Auflage aus dem Jahr 2013.
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Ach der Einstein, der schwänzte immer die Vorlesungen –
ihm hatte ich das gar nicht zugetraut!

Hermann Minkowski
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