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Alt 21.03.12, 20:55
Ich Ich ist offline
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Standard AW: Raumdehnung vs. Bewegung durch den Raum

Hi Timm, Bauhof,

ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, Kanitscheiders Fehler gefunden zu haben. Kurzversion: Er verwechselt den Abstand zum Zeitpunkt der Lichtaussendung mit dem zum Zeitpunkt des Empfangs.
Vor der Langversion noch ein Erratum: in meinem Beitrag #10 muss es statt "Angular Size Distance" "transverse Comoving Distance" heißen, ich hab da ein Quadrat falsch gelesen.
Und noch was: Ich werde jetzt ungefähr alle Entfernungsdefinitionen der Kosmologie verwenden, das ist das Schöne an Kanitscheiders Fehler. Zur Referenz bitte dieses Paper anschauen.

Kanitscheiders erste Formel ergibt Sinn, so wie sie im MTW steht. Das R darin ist aber weder der Skalenfaktor noch der Abstand ("Comoving Distance"), sondern "the radius of curvature of the 2-sphere surrounding the emitter and passing through the receiver at the time of reception", aka "transverse Comoving Distance" Rt. Das ist der Umfang dieser Fläche geteilt durch 2pi, analog zu dem "r" in der Schwarzschildmetrik. Unter statischen Bedingungen verteilt sich das Licht genau auf diese Fläche, da hieße es einfach
S = L / (4(PI)R²) = L / (4(PI)Rt²).
Im dynamischen Fall ist dieses R aber definitionsgemäß die "Luminosity Distance" RL, wobei gilt
RL = Rt * (1+z),
daher also die Formel
S = L / [4(PI)Rt²(1+z)²].

Kanitscheider stellt dem gegenüber die Formel
S = L / [4(PI)r²(1+z)^4],
die im Falle eines "Geschwindigkeitseffekts" gelten soll. Eine entsprechende Formel findet sich laut Timm im MTW; ich behaupte, dass sie sich auf einen anderen Fall bezieht, dazu später mehr.

Als erstes muss man natürlich zeigen, dass das "R" gleich dem "r" ist, sonst könnte man keinen Widerspruch konstruieren. Das ist nach der MTW-Definition auch tatsächlich der Fall, weil auch in Minkowskikoordinaten gilt r=U/2pi. Nach Kanitscheiders Definitionen ginge das übrigens nicht.

Dann betrachten wir den Fall
"the radius of curvature of the 2-sphere surrounding the emitter and passing through the receiver at the time of reception"
in SRT-Koordinaten. Wir gehen also ins System des Emitters. Der schickt Licht aus, das den Beobachter im Abstand r erreicht. Ruhte der Beobachter, sähe er also
S = L / (4(PI)r²).
Da er sich aber wegbewegt, muss man zwei Effekte berücksichtigen:
Erstens sind die Photonen alle rotverschoben, haben also um 1/(1+z) geringere Energie.
Zweitens kommen die Photonen gemäß der Rotverschiebung auch in geringerer Rate 1/(1+z) an, also nochmal weniger Fluss.
Gibt in Summe
S = L / [4(PI)Rt²(1+z)²],
mithin dasselbe Ergebnis wie beim "Expansionseffekt".

Was macht Kanitscheider stattdessen? Ich tippe mal, das von ihm zitierte Szenario im MTW lautet sinngemäß "Eine wegfliegende Galaxie im Abstand r hat den Fluss S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]".

Wir gehen dazu ins System des Empfängers. Der sieht die Galaxie natürlich zu dem Zeitpunkt, da sie das Licht aussendet. Das "r" in diesem Fall ist also auch die "transverse Comoving Distance" zum Zeitpunkt der Emission, nicht Rezeption. Was im flachen Raum stimmigerweise die "Angular Size Distance" ist, entsprechend der tatsächlich beobachteten Winkelgröße der Galaxie.
Hier sind wieder die beiden oben beschriebenen Effekte zu berücksichtigen, die den Fluss um 1/(1+z)² schwächen.
Zusätzlich kommt aber noch der "Headlight Effect" ins Spiel: die Galaxie strahlt nur in ihrem Ruhesystem in alle Richtungen gleichmäßig. Wenn sie sich bewegt, erscheint das Licht, das entgegen der Bewegungsrichtung ausgesandt wird, wegen der Aberration für den ruhenden Beobachter auf einen größeren Winkel verteilt, also mit geringerem Fluss. (Kann man relativ einfach nachrechnen bei Bedarf.) Der entsprechende Faktor ist 1/(1+z)², womit wir auf die von Kanitscheider angegebenen
S = L / [4(PI)r²(1+z)^4]
kommen - allerdings bedeutet diesmal das r etwas anderes, die "Angular Size Distance" DA nämlich. Ein Blick ins Paper zeigt, dass es passt: Die Luminosity Distance ist tatsächlich
DL = DA*(1+z)².

Also, meine These: Kanitscheider verwendet im zweiten Fall ein Szenario, das nicht zum ersten Fall passt. Der Unterschied ist der Zeitpunkt, zu dem "r" gemessen wird: bei Emission oder bei Rezeption. Und das ist auch der einzige Unterschied zwischen den Formeln. Es kann da auch kein echter Widerspruch sein, weil ja beide Beschreibungen im leeren Raum durch eine Koordinatentrafo ineinander übergehen.

Ge?ndert von Ich (21.03.12 um 21:03 Uhr)
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