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Alt 21.10.11, 16:59
Knut Hacker Knut Hacker ist offline
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Standard AW: Energie- und Impulserhaltung in der ART

Bevor ich im inzelnen antworte erst noch einmal Grundsätzliches zum wissenschatlichen Denken, also dem Überdenken gewohnter Denkstrukturen:

Den Aufstand der DDR-Bürger von 1953 kommentierte Bertolt Brecht so, dass sich nunmehr der Staat ein neues Volk suchen müsse.
Nach der Entdeckung des Welle-Teilchen- Dualismus Anfang des 20. Jahrhunderts meint nun Everett, dass sich die Physik neue Welten suchen müsse!

Der Nobelpreisträger für Physik (2005), Theodor Wolfgang Hänsch sagt zu dieser Vieleweltentheorie:

„Ich als Experimentalphysiker nehme nur Theorien ernst, die man durch Experimente überprüfen kann. Natürlich darf man auch spekulieren. Doch das ist dann nicht mehr als Science – Fiction.“ (Bild der Wissenschaft ,5/2011, Seite 43).

Was ist denn der Welle-Teilchen-Dualismus anders als das, was für die Philosophie (Erkenntnistheorie) schon seit 3000 Jahren selbstverständlich ist: Dass wir die Natur nur durch das Ordnungsmuster (Brille) unserer Vorstellungen erfassen können und nicht umgekehrt die Natur unseren Vorstellungen gehorcht ?

Allerdings vermag der homo sapiens – offenbar im Gegensatz zu Everett und der religiösen Intelligent-Design-Sekte, zu deren Papst er avanciert ist – das durchaus zu erkennen!

Man kann doch nicht daraus, dass unser Alltagsdenken keine Widersprüche zulässt, darauf schließen, dass dies auch für die Natur gilt!

Das wäre doch der in der Wissenschaft verpönte „gesunde Menschenverstand“!

Einstein :“Der gesunde Menschenverstand ist eigentlich nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat“,
Eberhard Zeidler. Director (retired) Max Planck Institute for Mathematics in the Sciences, schreibt dazu im Taschenbuch der Mathematik:
"Es ist eine wesentliche Erkenntnis der Physik und der Mathematik des 20. Jahrhunderts, dass der sogenannte gesunde Menschenverstand versagt, sobald wir in Erkenntnisbereiche vorstoßen, die weit von unserer täglichen Erfahrungswelt entfernt sind. Das betrifft die Quantentheorie (atomare Dimensionen), die Relativitätstheorie ( hohe Geschwindigkeiten und kosmische Maßstäbe) sowie die Mengentheorie (der Begriff des Unendlichen). "

Oder die Guck-guck-Perspektive:

Wie das Kleinkind seine Augen mit den Händen zuhält und fragt: „Guck-guck, wo bin ich?“, weil es von seinem Sichtmangel auf den der anderen schließt, so schließen die naiven Realisten von ihren Sinneseindrücken, Denk-und Gefühlsinhalten sowie ihren Wertungen nicht nur auf eine Außenwelt, die ihnen diese Bewusstseinsinhalte vermittelt, sondern sogar auf eine solche, die sich in ihren Bewusstseinsinhalten spiegelt!
Sie fühlen sich sogar geborgen dabei, dass die Welt so streng und trivial ist, wie es ihnen ihre Köpfe einreden.

Wir Menschen sind mit einem Bewusstsein unserer selbst (Überbewusstsein) ausgestattet und damit der Fähigkeit, über das Alltagsdenken in den Gegensätzen von Ja und Nein hinauszudenken. Der Wissenschaftler, der dies nicht vermag, sollte sich in die päpstliche Glaubenskongregation wählen lassen! Dort ist selbstentmündigtes Denken der „Krone der Schöpfung“ gefragt.

Was liegt denn näher? In der Widersprüchlichkeit von unumstößlichen experimentellen Ergebnissen ein Problem unserer Denkvorstellungen zu sehen ( so die Kopenhagener Deutung: das Behaftetsein in der aristotelischen Logik, wonach etwas nicht zugleich sein Gegenteil sein kann ) oder ein solches unserer Welt ( so die Vieleweltentheorie: Wenn unsere Welt widersprüchlich ist, dann schaffen wir uns eben andere Welten ) ?

Die Kognitionswissenschaften lehren uns, dass unser Denken „strukturdeterminiert“ ist, nicht etwa die Außenwelt, die ja nur gedacht wird (auch im Gefühl und im Werturteil).

Francisco J. Varela (Kognitionswissenschaftler,1946-2001):

Das Gehirn ist ein Organ, das Welten festlegt, keine Welt spiegelt.

Heinz von Foerster (Kognitionswissenschaftler,1911 – 2002 ):

Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.

Humberto Maturana (Kognitionswissenschaftler, * 1928):

… dass wir weder Unterscheidungen noch Erklärungen oder sonstige Aussagen auf eine unabhängige Außenwelt stützen können. Wir müssen uns also mit der Grundbedingung anfreunden, im Akt des Unterscheidens nicht gegebene Differenzen bloß festzustellen und zu bestätigen, sondern das Unterschiedene selber aktiv zu konstruieren, hervorzubringen oder zu erzeugen.


Die Fähigkeit zum mehrwertigen Denken unterscheidet doch gerade den homo sapiens vom Primaten. Für den Primaten gibt es nur die Alternative: „Futter ist da“ oder „Futter ist nicht da.“ Dagegen weiss der Mensch, dass er selbst ist und daher ER es ist, der denkt: „Nahrung ist da“ oder „Nahrung ist nicht da.“ Er weiß also: „Nahrung kann genauso gut da und zugleich nicht da oder weder da noch nicht da sein, ich nehme jedoch nur „da“ oder „nicht da“ wahr.“
Und Anfang des 20. Jahrhunderts ist er nun in Seinsbereiche vorgestoßen, die seinen Sinnen und seinem Denken nicht unmittelbar zugänglich sind, nämlich die atomare Welt. Auf einmal zeigt sich ihm, dass etwas ist (Welle) und zugleich sein Gegenteil (Teilchen) ist , also doch nicht ist (weder Welle noch Teilchen, sondern beides zugleich oder beides nicht).
Erstmals in der Menschheitsgeschichte ist so das mehrwertige Denken praktisch geworden!

Für die Philosophen (des Skeptizismus, des Idealismus und des kritischen Realismus) ist das keine Überraschung: Sie haben ohnehin nie geglaubt, dass etwas „ist“ oder „nicht ist“.

Pyrrhon hat schon im 3./4.Jahrhundert v. Chr. ausgedrückt, was heute die Superposition besagt:


Pyrrhon aus Elis ( 365/60-275 v.Chr. ):

περὶ ἑνὸς ἑκάστου λέγοντας ὅτι οὐ μᾶλλον ἔστιν ἢ οὐκ ἔστιν ἢ καὶ ἔστιν καὶ οὐκ ἔστιν ἢ οὔτε ἔστιν οὔτε οὐκ ἔστιν
über jeden einzelnen Gegenstand müsse man sagen, dass er nicht mehr “sei“ als „nicht sei“, oder: dass er sowohl „sei“ als „nicht sei“, oder: dass er weder „sei“ noch „nicht sei“ ( Aristokles bei Eusebius Praep. evang. 14.18.4 – Caizzi 53 )

Und Protagoras hat bereits im fünften Jahrhundert v.Chr. ausgedrückt, was die Superposition und die Unschärferelationen besagen:


Protagoras ( 481 – 411 v. Chr. ):

δύο λόγους εἶναι περὶ παντὸς πράγματος ἀντικειμένους ἀλλήλοις
Über jede Sache gibt es zwei einander entgegengesetzte Aussagen ( DK80 B6a ).

Von zwei denkbaren Auffassungen, die man zu jeglichem Problem haben kann, ist jede in gleicher Weise wahr.

Über jedes und alles können zwei einander widersprechende Urteile gefällt werden, die gleichermaßen wahrscheinlich sind, gleichermaßen glaubhaft gemacht werden können

Πάντων χρημάτων μέτρον ἐστὶν ἄωθρωπος.
Aller Dinge Maß ist der Mensch.
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