Thema: lmu vs. tum
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  #16  
Alt 24.10.07, 21:42
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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Standard AW: Ein Plädoyer für die Physik

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Nun, ich wollte damit nur noch einmal unterstreichen, dass man als Physiker, wie Hamilton schon sagte, so ziemlich für alles* qualifiziert ist
In der Tat, ich pflichte Ihnen vollumfänglich bei!

Vom Radiobastler zum Physikingenieur:

Ich habe eine sog. "gebrochene Biografie" vorzuweisen. Ursprünglich wollte ich nach der Sekundar-Schule den Beruf des Radio- und Fernsehelektrikers erlernen. Später dann wäre die Meisterprüfung oder das Abendtechnikum angesagt gewesen. So in etwa stellte ich mir meine berufliche Laufbahn vor; doch es kam ganz anders, als ich dachte.

Bereits als Fünfzehnjähriger hatte ich mit Selbstbauradios (Detektor, Audion, Superhet) herumgespielt. Nachdem ich in einem Kleinbetrieb eine Lehrstelle gefunden hatte, brach ich diese aber nach bereits einem Jahr wegen unüberbrückbarer Differenzen mit dem Lehrmeister ab. Mehr oder weniger bestand meine Tätigkeit im Polieren der ausgestellten TV-Geräte (damals noch in edlem Holzgehäuse), dem Einbau von Autoradios (Blaupunkt) und der Montage von Empfangsantennen auf steilen Dächern. So aber hatte ich mir die Sache nicht vorgestellt; denn ich wollte Radios, Tonbandgeräte und Fernseher instandsetzen, Fehler suchen und Störungen beheben. Nach dem Lehrabbruch absolvierte ich spontan die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium (naturwissenschaftliche Richtung). Nach bestandener Maturitätsprüfung (adäquat zum Abitur) wollte ich mich aber praktisch betätigen und begann deshalb als bereits Zwanzigjähriger eine zweite Lehre als Physiklaborant. Unter den anwesenden Jünglingen kam ich mir bereits altweise und lebenserfahren vor (was ein paar Jährchen doch ausmachen) - ohne es allerdings zu sein. Doch zuvor musste ich in die Rekrutenschule, wo ich den Gerätemechanikern zugeteilt wurde. Davon konnte ich später in fachtechnischer Hinsicht (Sende- und Radaranlagen) viel profitieren und brachte es zum Fachoffizier, bevor ich wegen zunehmender gesundheitlicher Probleme (Gehör) ausgemustert wurde.

Im Verlauf der Ausbildung zum Physiklaboranten (mit Schwerpunkt Elektronik) kam ich erneut auf den Geschmack, so dass ich mich nach Abschluss der Lehrzeit an einer Univ. einschrieb, um zehn Semester Technische Physik zu studieren. Nach bestandenem Vordiplom kam es unglücklicherweise zum Eklat, weil ich einen Prof. im Plenum massiv kritisierte. Zu recht in meinen Augen, denn er erzählte allerlei Unsinn über die Telegrafengleichung. Gegenüber einer honorablen Autorität hatte das vorwitzige Studentlein jedoch keine Chance. Es musste beim Prorektor antraben und eine Strafpredigt über sich ergehen lassen. Dieser Vorfall verleidete mir das Studium dermassen, dass ich es in einer Anwandlung von Weltverdrossenheit abbrach.

In jener Zeit lernte ich zufälligerweise eine hübsche US-Amerikanerin kennen. So kam es, dass ich einer Einladung folgend für rund vier Jahre in die Nähe von Springfield (Missouri) zog. Die dortige Familie rekrutierte sich aus deutschen Imigranten, so dass die Sprache kein Problem war. In der heutigen Zeit und unter Bush würde man vermutlich nicht mehr so leicht eine Aufenthaltsbewilligung erhalten.

Nachdem ich im Greene-County Hühner- und Schweineställe ausgemistet und nebenbei Zimmermanns- und Schlosserarbeiten (learning bei doing) verrichtet hatte, zog es mich wieder ins alte Europa zurück. Mein leiblicher Vater in Kiel (wo ich die früheste Jugend verbracht hatte) war nun bereits recht betagt und sprach als alter Seebar des öfteren dem Aquavit zu, so dass ich mich für ihn verantwortlich fühlte. Eigentlicher Beweggrund jedoch war: Die einst Angebetete hatte sich in einer unberechenbaren Laune der weiblichen Natur einem anderen zugewandt.

Zurück in Europa wollte ich nun das abgebrochene Physikstudium wieder aufnehmen. Die eigentlich wirklich guten Erinnerungen an diese Zwischenzeit waren die lehrreichen Vorlesungen von Prof. Fließbach über die Allgemeine Relativitätstheorie (die ich als Gasthörer besuchte). Dazu fuhr ich mit der Eisenbahn viele Kilometer zwischen Kiel und Siegen hin und her. In Deutschland lief es aber wiederum nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Alte soff ordentlich, wenn er nicht gerade seine Briefmarken- und Münzensammlung erweiterte (Modellsegelschiffe baute er schon lange keine mehr), und ich fühlte mich ordentlich einsam, so dass ich endlich wieder in die Schweiz zurückkehrte (wo ich die spätere Jugend verbracht hatte). Bei den Grosseltern meiner Mutter (die früh verstorben war) konnte ich ein hübsches Zimmerchen beziehen, so dass wenigstens für Kost und Logis gesorgt war.

Ach ja, geheiratet habe ich auch noch, doch das ist eine andere Geschichte. Besuchen Sie mich doch einmal in Zürich und ich erzähle Ihnen bei einem Glas Weißbier mehr darüber.

Nach meiner Rückkehr in die Heimat klopfte ich zunächst an der Univ. Zürich an und schrieb mich für die Experimentalphysik ein; aber irgendwie kam ich dort auch nicht zurecht. Allmählich wurde mir nun doch etwas Bange ums Gemüt, denn ich zählte bereits um die dreissig Lenze und hatte noch immer keinen ordentlichen Job (abgesehen von meiner Zeit in Missouri) geleistet. Aufgrund einer glücklichen Fügung geriet ich in der Folge an die ETH Lausanne (EPFL), wo damals ein vierjähriger Studiengang zum Physikingenieur (nicht zu verwechseln mit dem Ing. für Physikalische Technik FH) angeboten wurde:

Zum (heutzutage aussterbenden) Studiengang des Dipl.-Phys.Ing. siehe den informativen Beitrag von Thorsten Siebenborn:

http://www.magplot.de/About.php

Einige der Kommilitonen benötigten jedoch merklich länger als nur acht Semster; denn die Ausbildung war sehr kompakt organisiert. Um mithalten zu können, musste ich zudem mein Schulfranzösisch gehörig aufpolieren, weil viele Vorleseungen in französischer Sprache stattfanden, einige in englisch, einige wenige in deutsch.

Dieses Studium - eine Kombination von experimenteller und technischer Physik - war genau das, wonach ich insgeheim gesucht hatte. Quantenmechanik gehörte ebenfalls zum regulären Stoff, aber nicht so tief, wie für theoretische Physiker sonst üblich (dafür gab es Atom- und Kernphysik). Anstelle dessen lagen die Schwerpunkte nebst den obligaten Inhalten Mechanik, Optik und Thermodynamik auf Fächern wie technischer Informatik, Elektrotechnik und Festkörperphysik. Nun lief ich zu meinem eigenen Erstaunen zur Höchstform auf und erarbeitete mir nach zweieinhalb Jahren das Abschlussdiplom (adäquat Regelstudium II). Das war aber nur möglich, weil ich bereits ein Vordiplom vorweisen konnte. Um mich etwas in die theoretische Physik einzulesen, besuchte ich nebenbei auch Vorlesungen über Funktionentheorie, die Theorie der Distributionen u.a.m.

Nach erfolgreich beendigtem Studium (eine wissenschaftliche Karriere mit Doktorierung hatte ich aufgrund meines vorgerückten Alters und einschlägiger Erlebnisse mit Autoritäten verworfen) war ich zunächst in verschiedenen Industrieunternehmungen tätig (Vakuumanlagen, Farbregelungen und Mittelfrequenzumrichter). Später kam ich ans PSI, wo sich die schweizerische Synchrotronquelle befindet. Gesucht wurde ein Physiker oder Ingenieur mit physikalischem Background für die Instandhaltung der Strahlrohrsysteme (Undulatoren, Wiggler, Klystrons etc.). Diese Tätigkeit bestand aus einer glücklichen Kombination physikalisch-technischer Fachbereiche. Mit dieser Anstellung verbunden waren aber auch lange Nachtschichten, so dass ich nach einigen Jahren (inzwischen zum Gruppenleiter befördert) einen neuen Job suchte.

In einem kurz "Institut" genannten Sektor eines internationalen Forschungszentrums - inzwischen etwas ergraut - bin ich noch immer tätig als Leiter der Versuchswerkstatt (Gerätebau) und bilde dazu auch Physiklaboranten aus. Zum sekundären Tagesgeschäft zählt ferner die Verwaltung der technischen Bibliothek, so dass ich mich über einen Mangel an Fachbüchern wahrlich nicht beklagen kann. Nebenamtlich verbringe ich zudem einen Teil meiner Zeit in einer FH, wo ich im Laborunterricht (Regelungstechnik) mein Erfahrungswissen an die Studenten weitergebe.

In Summe ist ein Physiker somit für viele Berufe zu gebrauchen, wenn er nicht gerade ein absoluter Theoretiker ist (auch diese gibt es bekanntlich). Ich bin mir zudem ziemlich sicher, dass ich auch als Taxichauffeur oder Alphirt durchkäme, sollte dies eines Tages erforderlich sein.

p.s. Was wäre geschehen, wenn ich mich damals nicht mit dem Prof. überworfen hätte? Nun, ich weiss es ehrlich gesagt auch nicht.

Gr. zg
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