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Alt 06.03.09, 06:12
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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Standard AW: Ausgangspunkt der SRT

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Zitat von EMI Beitrag anzeigen
was willst Du uns damit sagen?
Doch nicht etwa, das Einstein und sein Freund Großmann ihre mühsam erarbeitete ART nicht verstanden haben und ihnen erst durch abkupfern bei Hilbert die Erleuchtung kam?
Du musst den historischen Kontext besser studieren, um deine Frage angemessen zu beantworten!

Fangen wir somit von Vorne an:

Im Jahre 1907 - angeregt durch eine Eingebung - wurde Einstein bewusst, dass sich ein frei fallender Beobachter einem einwirkenden Gravitationsfeld nicht bewusst sein muss. Das führte in der Folge zum Aequivalenzprinzip, das für die ART befruchtend wirken sollte. Etwa ab 1910 - angestossen durch Minkowskis Raum-Zeit-Union und das von Ehrenfest aufgeworfene Paradoxon - begann sich Einstein ernsthaft mit einer Erweiterung der SRT zu befassen, d.h. eine Theorie, die auch die Gravitation berücksichtigte, zu entwickeln. Er erkannte ziemlich schnell, dass es mit seinen mathematischen Fertigkeiten nicht zum Besten stand und rief Grossmann um Hilfe an. Dieser war es denn auch, der ihn auf den Tensorkalkül von Ricci und Levi-Civita aufmerksam machte. In einem gigantischen Kraftakt machte sich Einstein diesen Calculus zu eigen, so dass er 1913 eine sog. Entwurftheorie der Gravitation veröffentlichen konnte. Grossmann zeichnete für den mathematischen Teil, Einstein für den physikalischen verantwortlich. Massgeblich am physikalischen Aspekt beteiligt war auch Einsteins Freund Besso, ein erfolgloser aber belesener Ingenieur. Es dauerte aber nochmals zwei volle Jahre, bis Einstein der Erfolg sicher war. Das Zürichernotizbuch, von Renn, Stahel und Norton durchforstet, legt beredtes Zeugnis über dieses jahrelangen Ringen im Dunkel und Licht des menschlichen Geistes ab, während dessen auch der erste Weltkrieg herauf zog, vor dem Einstein als Schweizer Bürger aber verschont blieb, obwohl er bereits in Berlin weilte.

Züricher Notizbuch (bitte sorgfältig durchlesen!):

http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/Prepr...eprint_28.html

So wie es scheint, war Einstein bereits 1913 auf die prinzipiell richtigen Tensorglieder gestossen, hatte diese aber wieder verworfen, um erst im November 1915 erneut darauf zurückzukommen.

Völlig unabhängig von Einstein hatte sich auch Hilbert (Princeps der Göttinger Schule) mit einer Theorie der Materie beschäftigt, in welcher Gravitation und Elektromagnetismus vereinigt werden sollten. Später wandte er sich folgerichtig der Theorie von Mie zu, die sich aber letztlich nicht aufrecht erhalten liess. Kurz vor Einstein stiess Hilbert - einem Variationsprinzip folgend - auf die richtigen Feldgleichungen der Gravitation, von denen heute aber nur noch die implizite Lösung erhalten geblieben ist.

Einstein - in der Mathematik immer wieder an seine Grenzen stossend - hielt aus nachvollziehbaren Gründen Kontakt mit Hilbert und tauschte diesbezügliche Gedanken aus. Somit war Hilbert auch über die Einsteinschen Fortschritte stets auf dem Laufenden.

Aus genannten Gründen muss im Kontext der Genealogie der ART deshalb die Frage aufgeworfen werden, weshalb Einstein so lange nicht zu den richtigen Feldgleichungen gelangte, dann aber - als Hilbert seinen eigenen Beitrag veröffenlichte - sozusagen über Nacht die richtigen Feldgleichungen fand. Nach meiner Meinung, hundertprozentig beweisen lässt sich dies nicht, erblickte Einstein zu seiner Bestürzung in Hilberts Papier diejenigen Lösungen, zu denen er im Ansatz bereits im Rahmen der Entwurftheorie gekommen war. Nun korrigierte er sich eilends und veröffentlichte wenige Tage nach Hilberts Publikation seine bahnbrechende Arbeit (Die Feldgleichungen der Gravitation). Er war zugleich aufgebracht, weil er zu unrecht vermutete, Hilbert habe seine Ideen nostrifiziert. Doch Hilbert hatte dies nicht nötig, weil er von der Mathematik viel mehr verstand als Einstein. Nicht lange danach beruhigte sich die Situation. Keiner der beiden war an einem langwierigen Konflikt interessiert (siehe dazu Daniela Wuensch, Zwei wirkliche Kerle).

Aus heutiger Sicht lässt sich dazu sagen, dass Hilbert vermutlich vor Einstein und auf rein mathematischem Wege zu den richtigen Feldgleichungen vorstiess, Einstein hingegen der Löwenanteil an der dann als ART bezeichneten Theorie gehört. Die ART besteht ja nicht nur aus den Feldgleichungen, sondern wie früher bereits erwähnt auch aus vier grundlegenden Prinzipien, die für die physikalische Motivation verantwortlich sind. Zu diesem Schluss gelangen sowohl Goenner (der mehrere Bücher zur Relativitätstheorie geschrieben hat) als auch Daniela Wuensch, die seriös recherchiert hat und als Physikerin auch die richtigen Voraussetzungen zur Beurteilung der komplexen Sachlage mitbringt. Renn hingegen (Auf den Schultern von Riesen) kommt zum gegenteiligen Schluss, der aber weniger überzeugend ist. Letztlich kann die müssige Streitfrage nicht restlos geklärt werden. Das wäre nur dann möglich, wenn der herausgerissen Teil der Fahnenabzüge wieder auftauchte; doch das wiederum erscheint nicht sehr wahrscheinlich.

In Summe: Einsteins Verdienst wird durch Hilberts Arbeit keineswegs geschmälert. Besser aber wäre es, fortan von den Hilbert-Einsteinschen-Feldgleichungen zu sprechen (wie dies in einigen Lehrmitteln inzwischen auch der Fall ist).

Gr. zg
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