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Alt 12.01.19, 10:38
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
Registriert seit: 04.10.2014
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Standard AW: Gedankenexperiment Heisenberg

Evtl. hilft es, die Argumentation aus moderner Sicht zu verstehen.

Tatsache ist, dass damals nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht wurden und dass dies in der Community um Bohr eher ein Dogma war. Man wehrte sich nicht nur sachlich gegen andere Ansichten (Einstein, ...) sondern man forderte eher schon einen Glauben an dieses Dogma ein.

Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job of interpreting quantum theory was done 50 years ago.
(Gell-Mann)

Hermann fordert ein, dass die Physiker diese Situation des scheinbaren Verlustes an Kausalität nicht als Faktum sondern als Aufgabe begreifen sollen. Heisenberg entgegnet ihr, man halte diese Kenntniss für vollständig und die Natur teile einem dies mit.

Hermanns Position ist zumindest konstruktiv. Heisenbergs erstes Statement entspricht Bohrs Dogma, letzteres war und ist objektiv falsch! Zu dieser Zeit hatte die Natur den Physikern noch herzlich wenig mitgeteilt, was auch an Bohrs Interdictum lag, sich damit zu befassen.

Erst später begannen kritische Geister sich mit den theoretischen Grundlagen und experimentellen Konsequenzen zu befassen (Bohm, Everett, Bell, ...). Daraus resultierte erstens der Versuch, die Kausalität zu retten - was bei Bohm und Everett in gewisser Weise gelingt - und zweitens die bis heute andauernden Anstrengungen, die Bestimmungslücke genauer zu verstehen.

Aus heutiger Sicht würde man mittels verborgender Variablen argumentieren. Bell zeigte 1964 für bestimmte Situation die theoretischen Konsequenzen verborgender Variablen auf, insbs. als Antwort auf Einstein, Podolsky und Rosen (1935).

Ab den Sechzigern wurden dann auch diesbzgl. Experimente durchgeführt, aus denen die Widerlegung der Existenz der Bestimmungslücke für eine große Klasse von Experimenten folgt, bzw. die weitreichende Einschränkungen für die prinzipielle Möglichkeit einer Bestimmungslücke nach sich ziehen (die Schlupflöcher).

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bell...Untersuchungen

Sämtliche spätere Bestrebungen, dieses Thema tatsächlich als naturwissenschaftliche Aufgabe zu begreifen und das Wesen der Bestimmungslücke zu verstehen fanden trotz - nicht wegen - der Kopenhagener Schule statt (zu Weizsäcker kann ich diesbzgl. nichts sagen). Die damals einzige „zulässige“ Interpretation der Quantenmechanik war nie an tieferem Verständnis orientiert, sondern am pragmatischen Fortschrittsdenken. Siehe dazu auch das

Kap. 8 - Atomphysik und pragmatische Denkweise (1929)

in dem Heisenbergs Erleichterung zu spüren ist, dass ihm in den USA keine derartigen Fragen gestellt werden und man mit dem Status Quo zufrieden war, solange er funktionierte.

Ich halte den Diskurs zwischen Physik und Philosophie in dieser Zeit im wesentlichen für eine Offenbarung des wenig kritischen Geistes in der Physik sowie für die Veranschaulichung eines naives Physik- und Metaphysikbild der Philosophie.

EDIT: Andersherum ist die Haltung vieler Physiker rein emotional verständlich. Man ist jahrzehntelang in einem mechanistischen Weltbild gefangen, in dem man sich - zusammen mit der Philosophie - schön eingerichtet hat. Leider gelingt es innerhalb dieses Kontextes nicht, wesentliche Phänomene zu verstehen; einige Bereiche der theoretischen Physik stehen vor ihrem jahrzehntelangen Scheitern. Da gelingt einer kleinen Gruppe junger Wissenschaftler durch einen radikalen Bruch - und gegen den Widerstand älterer Kollegen und „deutscher Physiker“ - innerhalb weniger Jahre eine unglaublichen Revolution. Man beachte: Heisenbergs erste Arbeiten stammen aus 1925, die QM war formal abgeschlossen mit Dirac 1926 und insbs. von Neumanns Mathematical Foundations of Quantum Mechanics 1932. 1927 arbeitet Dirac an seiner berühmten Gleichung zur relativistischen QM und ersten Ansätzen zur QED. 1932 publiziert Fermi zur QED, 1933 zum Neutrino und zur Theorie des β-Zerfalls. In diese produktive Phase hinein kommen nun „kritische Fragen“ zu dieser neuen Theorie, die natürlich auch und insbesondere reaktionär aufgefasst werden. Und derartige Fragen kommen nun auch noch von Philosophen, die naturgemäß nicht mal ansatzweise verstanden hatten - und in vielen Fällen bis heute nicht verstehen - um was es im Kern überhaupt geht. Insofern empfinde ich die Diskussion, so wie sie von Heisenberg nachgezeichnet wird, sogar noch für sehr sachlich und geduldig ;-)
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (12.01.19 um 13:11 Uhr)
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