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Alt 06.02.18, 11:00
Jan R. Jan R. ist offline
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Standard Vielleicht zur Positionsklärung geeignet

Hallo allerseits,

erst mal vielen Dank für Eure Beiträge! Ich brauchte mal ein paar Tage Zeit zum Nachdenken. Zur Klärung meiner Position möchte ich das Folgende sagen: ich habe mich ausführlich mit der SRT sowohl in den Darstellungen der Sekundärliteratur als auch mit Einstein (und,was das angeht, auch Lorentz) im Original befasst. Das garantiert nicht, das ich alles richtig verstanden habe. Aber es könnte ja zumindest die theoretische Möglichkeit bestehen. Das, was Du anführst, Ich, (und auch Ihr anderen), verstehe ich. Mir ist klar, was Du da sagst.

Das ist eine bestimmte (und heute allgemein, aber nicht durchgängig) akzeptierte Interpretation der SRT. Ich kennzeichne sie mal als die starke SRT-Interpretation. Sie steht auf der dritten Stufe des SRT-Diskurses. Einstein selbst vertritt sie jedenfalls ab 1917, wahrscheinlich auch schon früher, z.B. in dem 1914er-Zitat. Der frühe Einstein scheint mir eher eine andere Position zu vertreten, die ich als die "schwache" SRT-Interpretation kennzeichnen würde. Das ist Stufe 2 des SRT-Diskurses. Was ist Stufe 1? Klar: die Interpretation von Lorentz (1904) selbst. Der ja die Lorentz-Transformation schon vor Einstein (1905) abgeleitet hatte.


:::::::::Interpretationsebenen:::::::::::::

Das heißt, man kann die Lorentz-Transformation durchaus unter unterschiedlichen Gesichtspunkten interpretieren. Meiner Ansicht nach ist die "schwache" (frühe) Einstein-Position besonders geeignet, um die zugrundeliegenden physikalischen Sachverhalte widerspruchsfrei zu beschreiben. Um diese Position überhaupt zu verstehen, ist es aber notwendig, sich genau anzugucken, was Einstein voraussetzt (Prämissen) und was er mit den Prämissen anstellt, um die Lorentz-Transformation abzuleiten.

Im Übrigen ist es nicht mein Interesse, über die angemessene Interpretation zu philosophieren, da kann man sich lange streiten. Ich habe mir eine Reihe von Gedankenexperimenten überlegt, mit denen ich glaube, beweisen zu können, dass die schwache Position die richtige ist. Weil es möglich ist, die starke Position anhand empirischer Daten in theoretische Widersprüche zu bringen. Und weil die schwache Position beliebte Herausforderungen wie "das Zwillingsparadoxon" wesentlich schlanker und simpler erklärt als die starke Position.

Um diese Diskussion führen zu können, muss ich Euch davon überzeugen, dass Eure "starke" Position nicht die einzig mögliche Interpretation ist - und das es Fragestellungen gibt, in denen sie theoretisch unbefriedigend ist.

Das hätte jetzt eines behutsamen didaktischen Vorgehens bedurft. Leider hat Ich mit seinem Zugbeispiel mich dazu gebracht, gleich eins meiner stärksten Asse auszuspielen. Ohne vorher die gemeinsame Diskussionsbasis zu sichern. Dumm gelaufen. Aber seis drum. Hilft jetzt nix.

Die drei Interpretationsstufen dessen, was die Lorentz-Transformation physikalisch tut, können nach meinem Verständnis folgendermaßen gekennzeichnet werden:

1. Stufe: Lorentz 1904: Licht bewegt sich objektiv in einem einzigen Koordinatensystem mit c - nämlich dem Koordinatensystem des absolut unbewegten elektromagnetischen Äthers. Das ist so, das bleibt so. Licht wird allerdings in allen beliebig zueinander bewegten Koordinatensystemen mit c gemessen. Die Lorentz-Transformation erklärt das: Objekte, die sich schnell im Koordinatensystem des Äthers bewegen, sind im Verhältnis zu Objekten, die im Äther ruhen, längendilatiert, ihre physikalischen Prozesse laufen langsamer ab (Zeitdilatation), und Uhren an unterschiedlichen Orten in Bewegungsrichtung zum Licht weisen eine systematische Differenz in der angezeigten Zeit auf (Uhren "vorne" im Koordinatensystem zeigen eine frühere Zeit als Uhren "hinten"). Der Umstand, dass Licht (und auch alle anderen elektrodynamischen Gesetzmäßigkeiten) in allen Koordinatensystemen gleich erscheint (=gleich gemessen wird), liegt an den physikalischen Veränderungen der Messapparaturen, die durch die Lorentz-Transformation mathematisch gefasst wird. Pointiert gesagt: es handelt sich um eine Form von "Licht-Tacho-Tuning". In einem Raumschiff, das mit 200.000 km/s durch das Äther-Koordinatensystem dübelt, bewegt sich das Licht von hinten nach vorne nur mit 100.000 km/s, zurück dagegen mit 500.000 km/s. Aufgrund der physikalisch veränderten Mess-Systeme (s.o.) wird mit einer Lichtmessapparatur im Raumschiff die Lichtgeschwindigkeit trotzdem mit c gemessen. Das ist aber nicht das echte c. Das echte c wird nur im Äther korrekt gemessen.

2. Stufe: Einstein früh: Im Prinzip ist das genau so wie Lorentz das darstellt. Licht bewegt sich in einem Koordinatensystem mit c. Aus dem Relativitätsprinzip folgt, dass es in allen KS mit c gemessen werden muss. Die Lorentz-Transformation leistet das. Die Lorentz-Transformation hat aber eine Rückseite (nicht das die Lorentz entgangen wäre): Es erscheinen nicht nur aus Sicht des "korrekten" Ätherkoordinatensystems schnell dazu bewegte Objekte relativistisch verändert. Aus Sicht von bewegten Systemen erscheinen auch das Objekte im "korrekten" ÄtherKS genauso relativistisch verändert. Es gibt also überhaupt keine Möglichkeit, anhand von empirischen Messungen das "Wahre" KS herauszufinden. Es ist auch nachgerade egal: Alle physikalischen Messungen, die in einem Koordinatensystem unter der Annahme gemacht werden, dass sich das Licht in diesem Koordinatensystem mit c bewegt, bleiben völlig identisch, wenn wir statt dessen annehmen, dass es sich in einem anderen Koordinatensystem mit c bewegt. Es ist nach wie vor irgendwie richtig, dass Licht sich nur in einem Koordinatensystem "wirklich" mit c bewegt. Aber jedes beliebige Koordinatensystem kommt dafür genauso gut in Frage wie jedes andere - jedes KS ist gleich "berechtigt". Für die Erklärung der physikalischen Messungen, die vorzufinden sind, ist der "wahre" Wert völlig unerheblich.

3. Stufe (Einstein spät): Realität ist das, was gemessen wird. Wenn Licht in allen KS mit c gemessen wird, dann heißt das, das es sich in allen KS mit c bewegt. Das zeigt auch Minkowski mit seinen quadrierten Raum-Zeit-Abständen, die für alle Koordinatensystem den gleichen Abstand aufweisen.

So, dies als Vorbereitung auf die Beantwortung Deiner beiden Fragen, Ich.

Du schreibst:
Zitat:
1. Unter "Geschwindigkeit in Bezug auf ein Koordinatensystem" oder "Geschwindigkeit in einem Koordinatensystem" oder ähnlichen Formulierungen versteht man dx/dt, also Weg durch Zeit, beide Größen im jeweiligen Koordinatensystem angegeben bzw. gemessen. Nichts anderes. Insbesondere auch nicht die in einem anderen Koordinatensystem gemessene Differenz der Geschwindigkeiten zweier Punkte.
Ok. Die Geschwindigkeit, mit der Licht sich bewegt, ist in jedem lokalen Koordinatensystem c. Punkt. c deswegen, weil es die Eigen-Strecke in dem lokalen Koordinatensystem genau in der richtigen Eigenzeit zurückgelegt hat. Einverstanden. Starke Position halt.

Zitat:
2. Aus den beiden Postulaten folgt unmittelbar ohne weitere Rechnung die Konstanz der LG in allen Bezugssystemen.
Das stimmt. Genauso wie Du es sagst: das folgt unmittelbar ohne weitere Rechnung. Daraus folgt insbesondere: jede weitere Rechnung ist völlig überflüssig. Wenn Licht 1. in jedem KS mit c gemessen wird, weil es sich 2. in jedem KS mit c bewegt, dann ist schon alles geklärt. Das ist halt so. Licht bewegt sich in Bezug zum Bahnsteig mit c, und Licht bewegt sich auch in Bezug zum Zug mit c. Kein Wunder, dass es dann überall mit c gemessen wird. WO IST DAS PROBLEM? Warum zum Teufel dann noch die Lorentztransformation ableiten? Die macht alles nur komplizierter. Es gibt überhaupt keinen Anlass dazu.

Mit diesen beiden Prämissen geht nicht nur der doofe Lorentzsche Äther über Bord, es geht auch die doofe Lorentztransformation über Bord - mit der der alte Knasterbart sich irgendwie rausreden wollte, das Licht sich in einem KS mit c bewegt, aber trotzdem in allen mit c gemessen wird. Totaler Quatsch. Zeitdilatation! Längenkontraktion! Wer glaubt denn sowas! Wenn wir statt dessen annehmen, das Licht sich nicht in einem komischen Äther-KS, sondern in allen KS mit c bewegt, geht dieser ganze Kladderadatsch den Bach runter. Um zwischen KS hin- und herzutransformieren, genügt die Galileo-Transformation. Und Licht macht irgendwie diese Galileo-Transformationen mit. Denn genau das bedeutet es, wenn wir sagen, dass Licht sich in Bezug zu jedem KS mit c bewegt. Licht kann offensichtlich chamäleonartig seine Geschwindigkeit auf diejenige einer beliebigen Messapparatur anpassen. Schick! Wie macht es das?

Ordentlicher formuliert: wenn ich Deine beiden "modernen Prämissen" akzeptiere, sehe ich überhaupt keinen Bedarf und Anlass, die Lorentz-Transformation abzuleiten. Bitte erkläre mir, weshalb und wozu die Deiner Ansicht nach notwendig ist und gebraucht wird.

Zitat:
Diese Tatsache wird von Einstein auch als Prämisse benutzt, um die SRT und die Lorentztrafos herzuleiten. Das steht explizit in den Zitaten, die ich dir in meinem Beitrag #13 rausgesucht hatte. Ich habe es dir auch in #15 nochmal ausführlich erklärt.
Sorry, ganz definitiv nicht. Der Ansatz, den Einstein findet, kann er nur durch Rückgriff auf seine Prämisse "Licht bewegt sich in einem KS mit C" finden. Entsprechende Zitate hatte ich auch schon geliefert und vertiefe diese Frage gerne noch mal im Detail.

So. Ich habe wie ich hoffe meine Position genauer dargestellt und eingeordnet. Ich habe Deine beiden Fragen beantwortet, Ich. Ich würde mich freuen, wenn Du mir meine Frage beantwortest. Und ansonsten würde ich gerne die drei verschiedenen Funktionen herausarbeiten, die Einsteins klassische Formulierung der KdL besitzt. Und dann können wir uns mit mehr Hintergrund darüber unterhalten, ob die moderne Fassung tatsächlich genau das Gleiche oder sogar mehr leistet als Einsteins ursprüngliche Fassung.

Viele Grüße allerseits
Jan
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