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Alt 30.08.22, 07:40
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TomS TomS ist offline
Singularität
 
Registriert seit: 04.10.2014
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Standard AW: Auferstehung der Toten und Informationserhaltung

Das Informationsverlustparadoxon bezieht sich auf eine nicht vollständig verstandene Kombination von Quantenfeldtheorie und Gravitation, wodurch Ergebnisse resultieren, die dem Axiom der Erhaltung der Unitarität im Rahmen der Quantenmechanik widersprechen. Es hat also eher etwas mit dem Problem der gemeinsame Anwendung zu tun als mit einem echten physikalischen Phänomen, bei dem Information verloren ginge. Hinter dem Begriff der Erhaltung der Unitarität verbirgt sich letztlich die universelle Gültigkeit der Schrödingergleichung.

Auch interessant ist der sogenannte “Kollaps der Wellenfunktion”, der ebenfalls Information zu vernichten scheint. Dabei darf dieser Kollaps ebenfalls nicht als echtes physikalisches Phänomen verstanden werden - das würde wiederum die Unitarität verletzen - sondern allenfalls als Rechenregel, bei dem aufgrund aktualisierter Informationen nach einer Messung neue Anfangsbedingung gesetzt werden. Tatsache ist, dass viele Physiker heute eher sogenannten noon-collapse Interpretationen zuneigen, in deren Rahmen auf den Kollaps vollständig verzichtet wird. Es gibt einfache Beispiele, in denen eine naive Anwendung des Kollapses “gemäß Lehrbuch” zu nachweislich falschen Vorhersagen führt.

Nun zu ein paar einschränkenden Theoremen der Quantenmechanik, die du evtl. beachten solltest.

Zum einen ist da das no-cloning Theorem, das besagt, dass man einen Quantenzustand bzw. dessen Information nicht exakt kopieren kann. Man kann ihn “teleportieren”, d.h. Information exakt von A auf B übertragen, allerdings wird dabei die Information in A vollständig zerstört (nicht A selbst). Man kann jedoch nicht die Information aus A auslesen und so auf B übertragen, dass sie sowohl in A als auch B identisch vorliegt. D.h. z.B. dass das quantenmechanische Auslesen der in einem Quantencomputer gespeicherten Informationen diese Informationen zerstört.

Dann haben wir diverse Überlegungen im Umfeld des EPR-Paradoxons und der Bellschen Ungleichung. Letztere besagt, dass obwohl bei der Messung an räumlich getrennten, miteinander verschränkten Subsystem zwar perfekte Korrelation der Messergebnisse vorliegt, diese Information bzgl. der Korrelation nicht in den einzelnen Subsystemen “lokal am Ort der Messung” vorliegen kann; die Quantenmechanik und - aufgrund der experimentellen Bestätigung - auch die Natur sind sicher nicht-lokal. Trotz dieser Nichtlokalität können diese Experimente nicht zur instantanen Kommunikation verwendet werden.

Ein letztes Beispiel, in dem Information eine Rolle spielt, ist die sogenannte Dekohärenz. Sie löst in gewisser Weise das o.g. Problem des Kollapses und ist verträglich mit der Unitarität bzw. letztlich sogar eine Konsequenz derselben. Wenn im Zuge einer Messung an einem in Superposition befindlichen Quantensystem ein eindeutiges Messergebnis resultiert und der Superpositionszustand zu kollabieren scheint (!) dann kann dies verstanden werden als “Abwandern” der zugehörigen Information in die Verschränkung des Quantensystems mit der Umgebung, d.h. den notwendigerweise immer vorliegenden minimalen Störungen durch Photonen und Luftmoleküle etc. - auch im Ultrahochvakuum. Das Quantensystem liegt nach der Messung in dekohärenten Zweigen vor (auf die darauf aufbauende Viele-Welten-Interpretation gehe ich jetzt nicht ein), die Information über den ursprünglich “reichhaltigeren” Zustand steckt in der Verschränkung aus Quantensystem, Messgerät und Umgehung. Sie ist damit prinzipiell vorhanden, d.h. die Unitarität bleibt gewahrt, jedoch praktisch unzugänglich, denn um an sie heranzugelangen müsste man sie aus der Korrelation des Quantensystems mit Photonen, Luftmolekülen … extrahieren. Insofern geht Information praktisch verloren.

Wenn es überhaupt einen Feind der Information gibt, dann ist es die Dekohärenz. Deswegen glaube ich in der Praxis nicht an »Information ist unvergänglich … Wir sind nicht in der Lage, alle Information aus der Vergangenheit zu rekonstruieren.«

Und jetzt wünsche ich dir trotzdem viel Erfolg bei deinem Buch!
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Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (30.08.22 um 16:59 Uhr)
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