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Alt 10.04.12, 21:02
RoKo RoKo ist offline
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Standard AW: Konsequenze der Quantenmechanik

Hallo Mirko,

ich versuche mal, dein Problem zu klären.

Ich habe dein Problem so verstanden, dass du wissen willst, warum es einerseits in der Quantenmechanik einen objektiven Zufall gibt, unsere makroskopische Welt sich jedoch meist berechenbar verhält.

Die gängige Antwort hast du bereits erhalten: Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation ist so klein, dass sie makroskopisch keine Rolle spielt.

Man kann sich mit dieser Erklärung zufrieden geben; zum wirklichen Verständnis trägt es jedoch (m.E !!) nichts bei.

Um die wirklichen Vorgänge zu erklären, muss ich jedoch etwas weiter ausholen. Ferner muss ich dich darauf hinweisen, dass einige es als Tabubruch ansehen, Quantenmechanik verständlich zu machen.

1. Gedanke:
In der klassischen physikalischen Mechanik wird Alles auf seinen Schwerpunkt reduziert. Damit lässt sich erstens einfach rechnen und mit z.B. Stahlkugeln lässt sich auch experimentell nachweisen, dass es mit der klasischen Mechanik seine Richtigkeit hat. Ein klassischer Zustand ist dann schlicht durch Ort und Impuls des Schwerpunktes bestimmt.

Nun machen wir ein Doppelexperiment. Wir nehmen zwei Eimer Wasser und lassen sie von einem Balkon fallen; den ersten mit dem Boden nach unten, den zweiten mit der Öffnung nach unten. Beim ersten Eimer liegen wir einigermaßen richtig, wenn wir ihn auf seinen Schwerpunkt reduzieren. Um den zweiten Eimer richtig zu beschreiben, müssen wir jedoch den Standpunkt, dass es sich um ein einheitliches Objekt handelt, aufgeben und jedes Wassermolekül einzeln betrachten. Hier hat nun jedes Wassermolekül seinen eigenen durch Ort und Impuls gegeben Zustand.

1. Anmerkung
Doch Vorsicht! Gemäß der positivistischen Anschauung, die hier manchmal vertreten wird, dürfen wir dem einzelnen Wassermolekül keinen Zustand zusprechen, solange wir ihn nicht gemessen haben.

2. Gedanke:
Bis zum Dezember des Jahres 1900 ging man davon aus, dass alle physikalischen Größen beliebig klein sein könnten. Max Planck sah sich jedoch zur Erklärung der Temperaturstrahlung gezwungen, eine kleinste Wirkung anzunehmen. Die Quantenphysik wurde geboren.

3. Gedanke:
Über Einstein (Lichtquanten-Hypothese) und de Broglie (Materie-Wellen) kommt Schrödinger dann zu seiner Gleichung, deren Lösung eine komplexwertige Wellenfunktion ist. Ursprünglich war sie nur dazu gedacht, das Verhalten von Elektronen im Atom zu erklären, aber Born wendete sie auf seine Streuversuche an und schlussfolgert, dass das Absolutquadrat der Wellenfunktion ein Mass für die Wahrscheinlichkeit einer lokalen Wechselwirkung ("das Elektron zu finden" bzw. zu "messen") ist.

4. Gedanke:
Eine komplexwertige Wellenfunktion war damals (und heute?) ein Novum. In der Wechselstromlehre sind komplexwertige Wellenfunktionen üblich. Elektromagnetische Wellen lassen ebenso als komplexwertige Wellenfunktion darstellen. Andererseits lässt sich die quantenmechanische Wellenfunktion auch in Real- und Imaginarteil zerlegen. Tut man das, dann hat man erhält man in Analogie zur Elektrotechnik bzw. zum Licht die Vorstellung, dass eine Impulsänderung eine Ortsveränderung bewirkt und umgekehrt. (Achtung: der letzte Satz ist meine Vorstellung!)

5. Gedanke:
Bis zum Jahre 1963 bzw. bis zum Jahre 1980 war Lokalität in der Physik sakrosant. 1963 zeigte John Bell theoretisch, 1980 Allan Aspect auch empirisch, dass die Quantenmechanik nichtlokal ist.

Zusammenfassung/Auflösung:
A) Quantenmechanische Objekte sind ausgedehnte Objekte und können verschiedene Formen haben. Man betrachte beispielsweise die verschiedenen Formen von Elektronen im Atom bei unterschiedlichen Energieniveaus. Bei atomgebundenen Elektronen haben wir es jedoch mit shpärischen stehenden Wellen zu tun. Die Energie, die das Elektron als ganzes hat, kann man berechnen. Da das Ganze jedoch ein ausgehntes Objekt ist, also einen Raum einnimmt, muss man (sie Gedanke 1 - Eimer Wasser) jedem Raumpunkt etwas von dieser Energie zuordnen. Das Objekt hat also eine Dichte bzw. Energie-Intensität; diese ist gleich dem Absolutquadrat der Wellenfunktion an diesem Raumpunkt.
B) Im Atom ist alles schön geordnet. Doch sobald unser Elektron das Atom verlässt, was nur durch zusätzlichen Energieübertrag möglich ist, wird es zu einer sich ausbreitenden Welle, die auf Grund unterschiedlicher Frequenzanteile zerfliesst. Es wird also noch ausgedehnter. So kann es auch locker einen Doppelspalt passieren - es geht eben durch beide Spalte! Dahinter interferiert es mit sich selbst, wodurch es sich auch noch in verschiedene Räume aufteilt, wo es ist und wo es nicht ist. Alles kein Problem. Sofern die Wellenfunktion bekannt ist, kann man das alles exakt berechnen.
C) Das Problem beginnt dann, wenn man nun hinter dem Doppelspalt viele Detektoren aufstellt, um das Elektron zu messen. Jetzt müssen wir uns des Gedankens zwei erinnern - es gibt eine kleinste Wirkung. Und da unser Elektron ein Quantenobjekt ist, kann es nur einmal wirken. Dieses ausgedehnete Objekt trifft nun mehr oder weniger gleichzeitig auf viele Atome (wo alles schön geordnet = lokalisiert ist) , mit denen es in Wechselwirkung treten könnte. Und genau hier kommt nun der Zufall ins Spiel. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Quantenobjekt an einem Raumpunkt eine Wechselwirkung eingeht, ist proportional zur Dichte des Quantenobjektes an diesem Raumpunkt. Alles weitere Geschehen ergibt sich dann aus der bedingten Wellenfunktion; d.h. dem quantenmechanischen Zustand an diesem Raumpunkt.

Bei genauerer Betrachtung haben wir es also einerseits mit einem Zufall zu tun, der aber andererseits auch berechenbar ist.

D) Die Schwierigkeit, Quantenmechanik zu verstehen, ist im Grunde eine historische. Weil - siehe Gedanke 5 - ürsprünglich das Prinzip der Lokalität als sakrosant galt, war für die Gründerväter vieles unverständlich. Und auch heute noch ist das reale Geschehen deshalb strittig, weil die Theorie (= Schrödingergleichung) das Geschehen bei einer lokalen Wechselwirkung nicht beschreibt.
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mit freundlichem Gruß aus Hannover

Unendliche Genauigkeit ist eine Illusion
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