Einzelnen Beitrag anzeigen
  #6  
Alt 16.04.13, 21:46
nancy50 nancy50 ist offline
Profi-Benutzer
 
Registriert seit: 30.09.2007
Beitr?ge: 207
Standard AW: Kann Energie verschwinden ? mein Weltbild wackelt

WARUM ENERGIE ZU VERSCHWINDEN SCHEINT


auszug

Die Lage wird sogar noch komplizierter, wenn der Buchhalter die Dunkle Energie berücksichtigen will, welche die kosmische Expansion beschleunigt. Wesen und Eigenschaften der Dunklen Energie sind noch völlig rätselhaft, aber anscheinend verdünnt sie sich nicht im Lauf der Expansion. Somit wächst mit wachsendem Membranvolumen auch der Energiebetrag in diesem Volumen, wobei die zusätzliche Energie aus dem Nichts zu kommen scheint! Man könnte meinen, dass die Zunahme der Dunklen Energie die Verluste aller anderen Energieformen ausgleicht, aber das ist nicht der Fall. Selbst wenn wir die Dunkle Energie einkalkulieren, bleibt die Gesamtenergie innerhalb der Membran nicht erhalten.

Ein kosmologischer Buchhalter wird versuchen, die gesamte Energie im Universum zu bilanzieren

Wie vereinbart unser Buchhalter diese wechselnden Energien mit dem Noether-Theorem? Tatsächlich muss er bald einsehen, dass es keinen Grund gibt, warum es für unser wandelhaftes Universum gelten soll. Gemäß der allgemeinen Relativitätstheorie krümmen Materie und Energie den Raum, und je nachdem, wie Materie und Energie sich bewegen - oder sich in einem expandierenden Raum ausbreiten -, verändert sich entsprechend die Form des Raums. Im Alltag sind diese Effekte praktisch unmerklich klein, aber im kosmischen Maßstab können sie eine Rolle spielen.

Diese Formbarkeit des Raums hat zur Folge, dass das Universum nicht zeitsymmetrisch ist. Am einfachsten führt man sich diesen Umstand anhand der Billardkugeln vor Augen. Wenn wir mehrere Filme eines speziellen Stoßes betrachten, der auf einem Tisch mit veränderlicher Geometrie gespielt wird - zum Beispiel auf einem anfangs flachen Tisch, der sich mit der Zeit krümmt -, sieht jeder Film anders aus als die übrigen; man könnte angeben, wann und in welcher Reihenfolge die Filme gedreht wurden. Die Zeitsymmetrie wäre gebrochen (siehe Kasten S. 26/27).

ENERGIEERHALTUNG UND GEOMETRIE DER RAUMZEIT

Erhaltungssätze hängen eng mit natürlichen Symmetrien zusammen. Insbesondere bleibt die Energie erhalten, wenn die Naturgesetze zeitsymmetrisch sind. Man spricht von Zeitsymmetrie, falls das Resultat eines Experiments nicht davon abhängt, wann es durchgeführt wird. Wenn gleichartige Experimente zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausgehen, kann die Energieerhaltung verletzt sein. Ein Beispiel wäre ein Stoß über Bande auf einem Billardtisch, der während des Spiels seine Geometrie verändert. Da unser Universum in kosmologischem Maßstab eine veränderliche Geometrie hat, ist die universelle Energie vielleicht keine Erhaltungsgröße.

Gekrümmter Billardtisch
Um auf einem Tisch mit gekrümmter - nichteuklidischer - Geometrie zu spielen, muss man die Stöße der Geometrie anpassen. Falls die Geometrie zeitlich konstant bleibt, wird der exakt gleiche Stoß auch in Zukunft funktionieren. Wegen dieser Zeitsymmetrie bleibt die Energie in einem Universum mit fester Geometrie konstant.

Veränderliche Geometrie
Wenn die Geometrie des Billardtischs sich zeitlich ändert, gehen Stöße, die in der Vergangenheit funktionierten, beim nächsten Mal vielleicht daneben - die Zeitsymmetrie ist gebrochen. Etwas Ähnliches kann im Universum geschehen, denn nach der allgemeinen Relativitätstheorie verändert die Bewegung von Materie und Energie die Geometrie des Raums. Unter diesen Bedingungen muss die Energie nicht erhalten bleiben.

(Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)

Wir sind mit unserem ehrwürdigen Erhaltungsprinzip an eine Grenze gestoßen: Wenn Zeit und Raum selbst veränderlich sind, geht die Zeitsymmetrie verloren, und die Erhaltung der Energie muss nicht mehr gelten.

Aber auch wenn die Krümmung sich nicht ändert, ist der Versuch, die Energie des Universums zu bilanzieren, eine unnütze Übung: Die gottähnliche Perspektive unseres Buchhalters trifft auf keinen Beobachter im Universum zu. Insbesondere wird die Energie nicht berücksichtigt, die durch die Passivbewegung der Galaxien relativ zueinander entsteht; die Galaxien scheinen keine kinetische Energie zu haben. Ein weiteres Problem ist die Gravitationsenergie, die mit der gegenseitigen Anziehung der Galaxien verbunden ist. Die allgemeine Relativitätstheorie vermag Gravitationsenergie nicht immer eindeutig in einer Weise zu definieren, die für das Universum als Ganzes gilt.

Kosmische Feinheiten

Demnach bleibt die Gesamtenergie des Alls weder erhalten noch geht sie verloren - sie ist einfach undefinierbar. Wenn wir andererseits den gottähnlichen Standpunkt aufgeben und uns stattdessen auf ein Teilchen zu einer Zeit konzentrieren, finden wir nach Meinung vieler Kosmologen einen natürlicheren Weg, die Reise eines Photons aus einer fernen Galaxie zu beschreiben. Nach dieser Interpretation büßt das Photon letztlich keine Energie ein. Das hat folgenden Grund. Unser Bild des expandierenden Luftballons veranschaulicht zwar die Expansion ganz gut, darf aber nicht allzu wörtlich genommen werden: Der leere Raum hat keine physikalische Realität. Wenn Galaxien sich voneinander entfernen, steht es uns darum frei, diese Relativbewegung wahlweise als »Expansion des Raums« oder als »Bewegung durch den Raum« zu betrachten.

WARUM DIE PHOTONENENERGIE ERHALTEN BLEIBT

Die Rotverschiebung, die wir an fernen Galaxien beobachten, wird gewöhnlich der Dehnung des Raums zugeschrieben; sie kann aber auch durch die Fluchtbewegung der Galaxien gegenüber dem Beobachter erklärt werden. Insofern gleicht sie dem bekannten Dopplereffekt, den man hört, wenn ein hupendes Auto vorbeifährt. Dabei wird zugleich auch die Wellenlänge der vom optischen Warnsignal ausgehenden Photonen beeinflusst (unten). Im Fall des Autos bleibt die Energie erhalten. Ebenso zeigt die Berechnung der galaktischen Rotverschiebung als Dopplereffekt (gegenüberliegende Seite), dass auch die von einer fernen Galaxie ausgehenden Photonen keine Energie verlieren.

Gewöhnliche Dopplerverschiebung
Der Dopplereffekt ist eine Folge der Relativbewegung. Die vom bewegten Lichtsignal ausgehenden Wellen erscheinen nach Blau oder Rot verschoben, wenn sich die Lichtquelle nähert oder entfernt. Der Effekt ist umso größer, je schneller sich die Quelle relativ zum Beobachter bewegt. Das bedeutet aber nicht, dass bei der Dopplerverschiebung die Photonen unterwegs die Farbe wechseln oder Energie verlieren. Sie haben nur vom Standpunkt des Beobachters aus gesehen andere Farben.

Galaktische Rotverschiebung als Dopplereffekt
Die Rotverschiebung einer Galaxie ist identisch mit der Dopplerverschiebung, die ein Beobachter sähe, wenn eine Lichtquelle sich mit derselben Relativgeschwindigkeit entfernte wie die Galaxie - wobei Relativgeschwindigkeit allerdings richtig definiert sein muss. Erstens muss man die Trajektorien der Galaxie und des Beobachters nicht im Raum, sondern in der Raumzeit verfolgen. In unserer schematischen Skizze ist der Raum eine zweidimensionale Fläche, durch welche die Raumzeit-Trajektorien hindurchstoßen. Zweitens muss man die Geschwindigkeit der Galaxie zu der Zeit, als sie das Photon emittierte (lila Pfeil), mit der Geschwindigkeit des Beobachters zu der Zeit vergleichen, als er das Photon empfing (grüner Pfeil). Daraus lässt sich mittels der allgemein-relativistischen Gleichungen die Relativgeschwindigkeit errechnen. Die so ermittelte Dopplerverschiebung stimmt mit der Rotverschiebung der Galaxie überein. Somit lässt sich die Rotverschiebung als Folge der Relativbewegung deuten statt als Raumdehnungseffekt. Darum geht keine Energie verloren.

(Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)

Die kosmische Rotverschiebung wird normalerweise als Folge der Expansion des Raums erklärt. Aber in Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ist der Raum relativ; was wirklich zählt, ist die Geschichte einer Galaxie - die Trajektorie, die sie in der Raumzeit beschreibt. Darum sollten wir, wenn wir die Relativgeschwindigkeit der fernen Galaxie in Bezug auf uns berechnen, deren Trajektorie und unsere vergleichen. Der Betrag der Rotverschiebung, den der irdische Beobachter an der Galaxie feststellt, erweist sich als identisch mit der Dopplerverschiebung, die er an einem Auto sähe, das sich mit derselben Relativgeschwindigkeit entfernt (siehe Kasten oben).

Das trifft zu, weil die Raumzeit des Universums in genügend kleinen Bereichen annähernd flach ist. Doch in einer flachen Raumzeit gibt es keine Gravitation und keine Dehnung von Wellen; jede Rotverschiebung muss einfach ein Dopplereffekt sein. Somit können wir uns vorstellen, dass das Licht auf seiner Trajektorie viele winzig kleine Dopplerverschiebungen erleidet. Und genau wie im Fall der vorbeibewegten Hupe - wo uns nicht einfiele, dass der Schall Energie gewinnt oder verliert - bewirkt auch hier die Relativbewegung von Sender und Beobachter bloß, dass die beiden die Photonen aus unterschiedlicher Perspektive sehen, und nicht, dass die Photonen unterwegs Energie verloren haben.

Letzten Endes umgibt also kein Rätsel den Energieverlust der Photonen: Die Energien werden von Galaxien aus gemessen, die sich voneinander entfernen, und die Energieabnahme ist nur eine Frage des Standpunkts und der Relativbewegung. Als wir zu klären versuchten, ob die Energie des ganzen Universums erhalten bleibt, stießen wir an eine fundamentale Grenze, denn wir können der Energie des Universums keinen eindeutigen Wert zuweisen. Darum verletzt das Universum den Energieerhaltungssatz nicht; vielmehr liegt es jenseits von dessen Geltung.

Tamara M. Davis promovierte 2004 an der University of New South Wales in Sidney (Australien). Sie forscht an der University of Queensland in Brisbane (Australien) und ist außerordentliche Professorin an der Universität Kopenhagen.

link dazu http://www.schattenblick.de/infopool.../npast132.html
Mit Zitat antworten