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Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik Runder Tisch für Physiker, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker

 
 
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  #22  
Alt 01.12.22, 09:16
Benutzerbild von TomS
TomS TomS ist offline
Singularität
 
Registriert seit: 04.10.2014
Beitr?ge: 3.124
Standard AW: Axiome der Quantenmechanik - orthodoxe Interpretation

Zum Messprozess volle Zustimmung!

Ich sehe den Messprozess auch nicht als Teil der Axiome im engeren Sinne, jedoch benötigen wir eine Erklärung, was ein Messprozess denn bedeutet und wie er sich quantenmechanisch modellieren lässt. Das mag anders aussehen als in der orthodoxen Interpretation, aber da diese ja offensichtlich rein praktisch funktioniert, muss eine vernünftige Erklärung auch dafür eine Begründung liefern.

Bzgl. des Sprungs habe ich nun wohl verstanden, was du damit meinst.

Dabei hast du entweder die Möglichkeit, ihn per Axiom zu fordern - z.B. das von Neumannsche Projektionspostulat d.h. den sog. Kollaps - was unbefriedigend ist, da dies eben gerade im Widerspruch zur Schrödingergleichung steht, nichts erklärt, und in gewissen Fällen schlicht nicht anwendbar ist, siehe z.B. das bekannte Beispiel der Tröpfchen und Spuren in der Nebelkammer. Oder man hat die Möglichkeit, auf Basis der Schrödingergleichung d.h. ohne weitere Zutaten eine Lösung zu finden.

Dass die Schrödingergleichung nicht die ganze Wahrheit ist, ist m.E. nur ein Vorurteil, das uns über knapp ein Jahrhundert in die Köpfe eingehämmert wurde. Es gibt jedoch durchaus Physiker, die in die folgende Richtung denken:

Aus der linearen Schrödingergleichung für das Gesamtsystem "Quantenobjekt + Messgerät + Umgebung wie Luft, thermische Photonen etc." kann näherungsweise durch Eliminieren (Ausintegrieren, coarse graining ... welche mathematische Methode auch immer) eine nicht-lineare Gleichung in einem reduzierten Hilbertraum abgeleitet werden. Aus der Nichtlinearität folgen Effekte vergleichbar denen des klassischen Chaos, d.h.
1) Wahrscheinlichkeiten bzw. sind kein objektiver Bestandteil der Natur und der Axiome - d.h. kein Projektionspostulat, keine Bornsche Regel - sondern folgen insbs. aus nicht exakt bekannten Anfangsbedingungen
2) räumliche sowie zeitliche und insbs. eindeutige Lokalisierung von "teilchenartigen Effekten" sind dagegen ein objektiver quantenmechanischer Effekt jedoch kein Bestandteil der Axiome; sie folgen aus einer genügend genauen Lösung der o.g. Gleichungen

Das erklärt "Kollaps" und "Sprünge". Und es erklärt auch, was eine Messung ist, nämlich dass die Wechselwirkung zwischen einem zunächst isolierten Quantensystem mit dem Messgerät - beschrieben mittels Schrödingergleichung des Vielteilchensystems - zu einer stabilen Korrelation einer Eigenschaft des Quantensystem mit einer "makroskopischen" Eigenschaft des Messgerätes führt; kurz: es gibt einen eindeutigen ablesbaren Zeigerzustand. (In analoger Weise erklären wir z.B. auch, was ein Auto ist.)

Das ist natürlich eine Hypothese und heute keineswegs vollumfänglich verstanden, allenfalls für einige einfache Beispiele. Aber es ist eben eine wissenschaftliche Hypothese - kein Postulat ohne Erklärungskraft. Man kann diese Hypothese untersuchen, d.h.
A) mathematische Lösungsmethoden für das o.g. Problem entwickeln und die Ergebnisse mit Messergebnissen vergleichen, alternativ
B) versuchen, mathematisch zu beweisen , dass dieser Ansatz im Widerspruch zu einigen bekannten und bestätigten Konsequenzen der Quantenmechanik steht.

Interessanterweise konnte sich über 40 Jahre niemand vorstellen, dass sowas überhaupt funktionieren kann, bis Zeh 1969 / 70 die Dekohärenz entdeckt hat, die einige Teil dieses Puzzles tatsächlich löst. Insbs. resultiert eine Art "effektiver Kollaps", ausschließlich basierend auf der Schrödingergleichung plus Näherungen, mit einer für makroskopischen Systeme extrem kurzen Dekohärenzzeit. Leider führt die resultierende mathematische Struktur zwar zu den klassischen Zeigerzuständen, jedoch zu dekohärenten Überlagerungen verschiedener Zeigerzustände und damit zu der Many-Worlds-Interpretation. Das Problem des eindeutigen Zeigerzustandes - das in diesem Kontext einzige offene Problem - ist nach wie vor ungelöst.

Nur - dieser Ansatz ist wissenschaftlich, kann mathematisch bewiesen oder widerlegt werden und ist der experimentellen Überprüfung zugänglich. Solange diese Fragen zu einer derartigen Hypothese offen sind, interessieren mich andere Interpretationen, die in teilweise inkonsistenter Weise lediglich das postulieren, was wir beobachten, absolut nicht.
__________________
Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job (interpreting quantum theory) was done 50 years ago.

Ge?ndert von TomS (01.12.22 um 10:17 Uhr)
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