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Wissenschaftstheorie und Interpretationen der Physik Runder Tisch für Physiker, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker

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  #1  
Alt 22.06.21, 10:37
Timm Timm ist offline
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Standard AW: Sind die Interpretationen der Quantenmechanik mehr als nur Geschichten?

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Warum? Ist eine umfassende und konsistente Beschreibung der Vorgänge einschließlich des Messprozesses nicht genug Ansporn?
Siehst du Anzeichen, dass man den Messprozess jemals verstehen wird oder die Existenz der VW jemals verifizieren kann?

Birgt die Bezeichnung "Interpretationen" nicht schon die vorausschauende Erkenntnis der Nicht-Beweisbarkeit in sich?

Nun könntest du mit dem Inneren von Schwarzer Löchern argumentieren und ja, man kann nicht nachschauen ob die t- und r-Koordinaten tatsächlich vertauscht sind. Doch kann man prinzipiell dort hin, was für die VW nicht zutrifft. Und das macht den Unterschied.
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Der Verstand schafft die Wahrheit nicht, sondern er findet sie vor - Aurelius Augustinus
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  #2  
Alt 22.06.21, 11:34
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TomS TomS ist offline
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Standard AW: Sind die Interpretationen der Quantenmechanik mehr als nur Geschichten?

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Siehst du Anzeichen, dass man den Messprozess jemals verstehen wird oder die Existenz der VW jemals verifizieren kann?

Birgt die Bezeichnung "Interpretationen" nicht schon die vorausschauende Erkenntnis der Nicht-Beweisbarkeit in sich?
Gegenfrage: siehst du Anzeichen, dass man den Messprozess niemals verstehen oder die Existenz der VW explizit falsifizieren kann?

Der Begriff der Interpretationen wurde geprägt, um eben diese „vorausschauende Erkenntnis“ der Nicht-Beweisbarkeit anzudeuten. Warum aber sollte man sich von diesem Vorurteil einengen lassen?

Ich denke, man wird den Messprozess auf Basis der VW mathematisch entweder vollumfänglich verstehen können, oder man wird zeigen können, wo dies fehlschlägt. Im Erfolgsfall wäre die tatsächliche physikalische Existenz der VW natürlich nicht verifiziert, die Hypothese der Existenz wäre dann jedoch mindestens so plausibel wie die der Nichtexistenz. Warum also sollte man vorzeitig aufgeben?

Man muss ja nicht an die VWI als Wahrheit glauben, aber man kann sie doch als Forschungsprogramm ernst nehmen. Warum sollte man nicht in diese Richtung arbeiten, nur weil nicht alle Physiker davon überzeugt sind?

Schau dir mal die Geschichte um die Arbeiten von Bell an. Wenn es nach den damals tonangebenden Köpfen gegangen wäre, hätte er daran niemals arbeiten dürfen.
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  #3  
Alt 22.06.21, 17:29
Timm Timm ist offline
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Standard AW: Sind die Interpretationen der Quantenmechanik mehr als nur Geschichten?

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Gegenfrage: siehst du Anzeichen, dass man den Messprozess niemals verstehen oder die Existenz der VW explizit falsifizieren kann?

Der Begriff der Interpretationen wurde geprägt, um eben diese „vorausschauende Erkenntnis“ der Nicht-Beweisbarkeit anzudeuten. Warum aber sollte man sich von diesem Vorurteil einengen lassen?
Solange Versuche scheitern die Quantenmechanik zu erweitern, verstehe ich die erste Frage als rein rhetorisch. Und solange sollte man denke ich nicht von einem Vorurteil sprechen.

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Ich denke, man wird den Messprozess auf Basis der VW mathematisch entweder vollumfänglich verstehen können, oder man wird zeigen können, wo dies fehlschlägt. Im Erfolgsfall wäre die tatsächliche physikalische Existenz der VW natürlich nicht verifiziert, die Hypothese der Existenz wäre dann jedoch mindestens so plausibel wie die der Nichtexistenz. Warum also sollte man vorzeitig aufgeben?
Ein "vollumfängliches" Verständnis des Messprozesses könnte genauso gut die VW ad absurdum führen. Aber die grundlegendere Frage ist doch, ob es da überhaupt etwas zu verstehen gibt. Verstehen wir die Nicht-Lokalität? Werden wir sie jemals verstehen?
In unserem Bemühen alles verstehen zu wollen, bürden wir uns sonderbare Krücken auf wie die, einer Rechenvorschrift ontische Eigenschaften zuzubilligen. Etwas, das mich zunehmend am meisten stört.

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Man muss ja nicht an die VWI als Wahrheit glauben, aber man kann sie doch als Forschungsprogramm ernst nehmen. Warum sollte man nicht in diese Richtung arbeiten, nur weil nicht alle Physiker davon überzeugt sind?
Ich würde die VWI als Forschungsprogramm ernster nehmen, wenn es Fortschritte gäbe, die darauf hin deuten, dass es die VW tatsächlich gibt und das "I" somit entfallen kann.
Solange das nicht der Fall ist, scheint mir hier eine Verschwendung von Talenten stattzufinden, die anderswo dringend benötigt werden. Wie die Neutrino Forschung zeigt, ist das SM nicht in trockenen Tüchern und es gibt mehr, du weißt das besser.
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  #4  
Alt 22.06.21, 19:28
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TomS TomS ist offline
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Standard AW: Sind die Interpretationen der Quantenmechanik mehr als nur Geschichten?

Zitat:
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Solange Versuche scheitern die Quantenmechanik zu erweitern ...
Ich sprach nie davon, die Quantenmechanik zu erweitern. Meinst du z.B. GRW?

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Ein "vollumfängliches" Verständnis des Messprozesses könnte genauso gut die VW ad absurdum führen.
Nicht gleich "ad absurdum führen"; Gültigkeitsgrenzen aufzeigen, falsifizieren, ...

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Aber die grundlegendere Frage ist doch, ob es da überhaupt etwas zu verstehen gibt ...
In unserem Bemühen alles verstehen zu wollen, bürden wir uns sonderbare Krücken auf wie die, einer Rechenvorschrift ontische Eigenschaften zuzubilligen. Etwas, das mich zunehmend am meisten stört.
Ich weiß, dass dich das stört, aber ich verstehe das Problem nicht.

Es geht einfach nur darum, die Quantenmechanik so zu verstehen wie zum Beispiel die Gravitation oder den Elektromagnetismus. Da stört sich auch niemand daran, dass man die Selbstenergie des Elektrons verstehen möchte und dass dies mittels der Maxwellschen Theorie nicht sowie mittels der Quantenelektrodynamik nur eingeschränkt funktioniert. Niemand stellt das Dogma auf, man dürfe oder könne die Selbstenergie des Elektrons nicht verstehen; man erprobt verschiedene Ansätze, evaluiert deren Gültigkeitsbereich. So funktioniert Physik.

Es hat sich auch noch niemand daran gestört, wenn man denn Elektromagnetismus ontisch auffassen möchte. Erst mit der Quantenmechanik - ca. zeitgleich mit dem einflussreichen logischen Positivismus - wurde es schick, bestimmte Denkansätze verbieten zu wollen.

Wohlan, man muss sich an diesem Nachdenken nicht beteiligen, wenn man nicht möchte, aber man sollte akzeptieren, dass es eben Physiker gibt, die dies sehr wohl als relevant erachten (Einstein, Bohm, Bell, Penrose ...).

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Ich würde die VWI als Forschungsprogramm ernster nehmen, wenn es Fortschritte gäbe, die darauf hin deuten, dass es die VW tatsächlich gibt.
Die gibt es - mit jedem Phänomen, das mittels Selbstinterferenz eines Quantensystems innerhalb einer räumlich ausgedehnten Apparatur erklärt werden kann. Bei elektromagnetischen Wellen hast du damit evtl. kein Problem, obwohl man die auch nie direkt sieht, immer nur vermittelt durch die Verarbeitung einzelner elektrochemischer Signale im Gehirn. Bei Photonen kommst du ins Grübeln, bei Katzen magst du nicht mehr.

Entweder erklärst du, warum du hier eine Unterscheidung machst, oder du lehnst eine ontische Interpretation prinzipiell ab. Letzteres ist eine valide philosophische Postion, aber keine alternativlose.

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Solange das nicht der Fall ist, scheint mir hier eine Verschwendung von Talenten stattzufinden, die anderswo dringend benötigt werden. Wie die Neutrino Forschung zeigt, ist das SM nicht in trockenen Tüchern und es gibt mehr, du weißt das besser.
Das halte ich für eine ganz gefährliche Argumentation.

Wie gesagt, lies mal etwas über die Ansicht der Kopenhagener noch in den fünfziger Jahren insbs. zu den Bellschen Arbeiten; einige hielten dies auch für Verschwendung.

Ähnliches gilt für die Arbeiten von Zeh zur Dekohärenz, die heute als etabliert gilt. Sämtliche neuen mathematischen Erkenntnisse bleiben unabhängig von der jeweils angewandten Interpretation bestehen.

Wer entscheidet eigentlich, für welches Problem die paar Dutzend Physiker, die sich mit der Viele-Welten-Interpretation befassen, besser zu verwenden wären? Warum nimmt man nicht lieber einige tausend Stringtheoretiker?
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Ge?ndert von TomS (22.06.21 um 19:35 Uhr)
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  #5  
Alt 22.06.21, 21:40
Timm Timm ist offline
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Standard AW: Sind die Interpretationen der Quantenmechanik mehr als nur Geschichten?

Zitat:
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Ich weiß, dass dich das stört, aber ich verstehe das Problem nicht.

Es geht einfach nur darum, die Quantenmechanik so zu verstehen wie zum Beispiel die Gravitation oder den Elektromagnetismus. Da stört sich auch niemand daran, dass man die Selbstenergie des Elektrons verstehen möchte ...
Bei der Selbstenergie des Elektrons geht es im Ergebnis um Ladungsverteilung. Willst du sagen, wenn man die Ladungsverteilung eines Elektrons ontisch versteht (ein gutes Beispiel), dann sollte man die Wellenfunktion eines Elektrons, mit der man Wahrscheinlichkeiten ausrechnet ebenfalls ontisch verstehen? Dem kann ich nicht folgen.


Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Die gibt es - mit jedem Phänomen, das mittels Selbstinterferenz eines Quantensystems innerhalb einer räumlich ausgedehnten Apparatur erklärt werden kann....
"Die gibt es" bezieht sich auf "Fortschritte, die darauf hin deuten, dass es die VW tatsächlich gibt."
Was hat die Selbstinterferenz (Beispiel Doppelspalt) mit den akausal getrennten VW zu tun?



Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Entweder erklärst du, warum du hier eine Unterscheidung machst, oder du lehnst eine ontische Interpretation prinzipiell ab. Letzteres ist eine valide philosophische Postion, aber keine alternativlose.
Ich lehne eine ein ontische Interpretation nicht prinzipiell ab, s. oben. Aber weshalb sollte eine Rechenvorschrift, die die Wahrscheinlichkeit liefert, ein Quantenobjekt an einem bestimmten Ort zu finden, ontisch zu verstehen sein.

Zitat:
Zitat von TomS Beitrag anzeigen
Wer entscheidet eigentlich, für welches Problem die paar Dutzend Physiker, die sich mit der Viele-Welten-Interpretation befassen, besser zu verwenden wären? Warum nimmt man nicht lieber einige tausend Stringtheoretiker?
Das wäre mir auch recht.

Dass es nur ein paar Dutzend sind, wusste ich nicht. Verfolgst du deren Arbeiten? Denen sei ihr Hobby gegönnt.
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  #6  
Alt 22.06.21, 22:59
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Standard AW: Sind die Interpretationen der Quantenmechanik mehr als nur Geschichten?

Zitat:
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Ich lehne eine ein ontische Interpretation nicht prinzipiell ab, s. oben. Aber weshalb sollte eine Rechenvorschrift, die die Wahrscheinlichkeit liefert, ein Quantenobjekt an einem bestimmten Ort zu finden, ontisch zu verstehen sein.
Woraus folgt denn logisch zwingend, dass die Quantenmechanik ausschließlich stochastisch verstanden werden kann? Weshalb sollte eine Rechenvorschrift, die eine Wahrscheinlichkeit liefert, nicht fundamental ontisch interpretiert werden können? Die Hamiltonsche Mechanik mit der Phasenraumdichte und der Liouville-Gleichung zeigt, dass beides möglich ist; hier behauptet niemand, dieser Formalismus müsse zwingend stochastisch interpretiert werden. Dass der Formalismus der Quantenmechanik stochastisch interpretiert werden kann - OK. Dass er zwingend so interpretiert werden muss - ein Vorurteil.

Es geht darum, eine physikalische Fragestellung zu klären. Wie erklärt die QED die Selbstenergie des Elektrons? Wie erklärt die Quantenmechanik den Messprozess? Ich sehe keinen prinzipielle Unterschied.

In beiden Fällen geht es darum, den vorliegenden Formalismus anzuwenden, um die jeweiligen Prozesse präzise zu beschreiben. Dabei stößt man selbstverständlich an gewisse Grenzen, die auf Probleme im jeweiligen Formalismus, dessen Unvollständigkeit oder gar Inkonsistenz hinweisen. in beiden Fällen sind wir uns einig, dass die Probleme heute nicht vollumfänglich verstanden sind. Während man im Falle des Selbstenergie davon ausgehen kann, dass die QED aufgrund mathematischer Unzulänglichkeiten tatsächlich nicht ausreichend ist, existiert im Rahmen der Quantenmechanik kein prinzipieller Grund oder gar ein Beweis, die Unmöglichkeit des Verständnisses der Messung zu behaupten.

Nun verfestigt sich jedoch seit Mitte der zwanziger Jahre die Meinung, dieses Problem sei prinzipiell unlösbar, man benötige zwingend eine durch den quantenmechanischen Formalismus nicht beschreibbare klassische Welt, die Fragestellung sei grundsätzlich unzulässig oder unphysikalisch usw.

Betrachtet man die spätere Entwicklung, insbs. die Dekohärenz, so zeigt sich jedoch, dass ein Teil genau der Fragestellungen explizit gelöst werden, die ein halbes Jahrhundert zuvor als unlösbar oder unzulässig deklariert wurden.

Offenbar war in den zwanziger Jahren nicht absehbar, wie leistungsfähig der Formalismus tatsächlich ist; das ist nicht schlimm. Schlimm ist jedoch, neue Erkenntnisse nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Born interpretierte die Wellenfunktion wahrscheinlichkeitstheoretisch; dass dies zulässig ist, bedeutet nicht logisch zwingend, dass dies die einzige zulässige Interpretation ist. Dass eine Rechenvorschrift eine Wahrscheinlichkeit liefert, bedeutet nicht logisch zwingend, dass nicht auch deterministische Deutungen möglich sind. Niemand behauptet ernsthaft, die Hamiltonsche Mechanik sei zwingend rein stochastisch, nur weil eine entsprechende Formulierung möglich ist.

Born postuliert ein spezielles Wahrscheinlichkeitsmaß; Gleason beweist jedoch, dass das Postulat in dieser Form unnötig ist. Was würdest zu einem Axiom sagen, das eine eindeutige Zerlegung der natürlichen Zahlen in Primfaktoren postuliert, wenn du später lernst, dass genau dies ein Theorem in einem schwächeren Axiomensystem darstellt? Ob du dies als Axiom oder Theorem betrachtest, spielt für die praktische Anwendung keine Rolle, da das Axiom mit dem Theorem verträglich bzw. sogar identisch. Dennoch würde niemand ignorieren, wenn ein Axiom überflüssig ist oder vereinfacht werden kann.

Du betrachtest alles durch die Brille der orthodoxen Interpretation nach Bohr, von Neumann et al., und dir entgeht dabei, dass nichts davon logisch zwingend ist, dass Alternativen existieren - auch wenn Bohr dies vehement bestritten hat - dass einiges explizit überholt ist, dass ggf. schwächere Postulate möglich sind.

Natürlich darfst du diese Sichtweise einnehmen, sie ist zulässig und man kann daraus eine zutreffende Interpretation basteln. Man darf jedoch nicht glauben, diese Sichtweise sei irgendwie alternativlos, logischer, stringenter, einfacher oder sonst irgendwas. Es ist einfach eine lose Ansammlung teilweise unpräziser Glaubenssätze, von denen keiner in Stein gemeißelt ist. Seither sind fast 100 Jahre vergangen, unser Wissen um die Fundamente der Quantenmechanik hat sich seither enorm entwickelt.

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Was hat die Selbstinterferenz (Beispiel Doppelspalt) mit den akausal getrennten VW zu tun?
Was meinst du mit akausal?

Die Selbstinterferenz hat enorm viel mit den Vielen Welten zu tun. Ob eine Superposition eines Photons entlang zweier Lichtwege oder einer Katze vorliegt, ist nur ein gradueller Unterschied, kein prinzipieller.

Wenn du H2O-Moleküle betrachtest, dann entspricht dies der fundamentalen Beschreibung; Wasserwellen, Dampf oder Eiskristalle sind daraus resultierende makroskopische Phänomene. Genauso verhält es sich gemäß der VWI: die Realität wird durch einen Quantenzustand vollständig und zutreffend beschrieben; es existieren verschiedene Ausprägungen, z.B. Katzen, jedoch kein fundamentaler Unterschied.

An sich ist diese Aussage der VWI so unendlich viel einfacher als alle anderen Aussagen von Bohr et al.
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Ge?ndert von TomS (22.06.21 um 23:51 Uhr)
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  #7  
Alt 23.06.21, 19:58
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Zitat:
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Dass der Formalismus der Quantenmechanik stochastisch interpretiert werden kann - OK. Dass er zwingend so interpretiert werden muss - ein Vorurteil.
Wie müssen uns davon frei machen, im Rahmen von Interpretationen von "zwingend" oder von einem "Vorurteil" zu sprechen.

Zitat:
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Es geht darum, eine physikalische Fragestellung zu klären. Wie erklärt die QED die Selbstenergie des Elektrons? Wie erklärt die Quantenmechanik den Messprozess? Ich sehe keinen prinzipielle Unterschied.
Wir vergleichen die Selbstenergie mit der Wellenfunktion (nicht mit dem Messprozess), wenn es um die "ontische" Frage geht, s.o.

Zitat:
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Betrachtet man die spätere Entwicklung, insbs. die Dekohärenz, so zeigt sich jedoch, dass ein Teil genau der Fragestellungen explizit gelöst werden, die ein halbes Jahrhundert zuvor als unlösbar oder unzulässig deklariert wurden.
Stützt die Dekohärenz eine der Interpretationen hinsichtlich Beweisbarkeit? Ich sehe das nicht. Das war aber der Ausgangspunkt. Die Dekohärenz trägt auch nichts zum Verständnis des Messprozesses bei.

Zitat:
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Natürlich darfst du diese Sichtweise einnehmen, sie ist zulässig und man kann daraus eine zutreffende Interpretation basteln. Man darf jedoch nicht glauben, diese Sichtweise sei irgendwie alternativlos, logischer, stringenter, einfacher oder sonst irgendwas.
Ich bevorzuge die instrumentelle Interpretation, halte sie jedoch keineswegs für zwingend.

Aus dem Bisherigen sehe ich nicht, dass es Fortschritte gibt, die zur Beweisbarkeit einer der Interpretation führen könnten. Aus deinen Ausführungen erkenne ich das zumindest nicht.
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  #8  
Alt 23.06.21, 20:53
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Natürlich trägt die Dekohärenz maßgeblich zum Verständnis des Messprozesses bei; sie erklärt mittels der Schrödingergleichung, welche makroskopisch zulässigen Zeiger-Zustände entstehen können.

Beweisbarkeit kannst du von keiner physikalischen Theorie erwarten, lediglich von ihrem mathematischen Kern.

Es geht um Plausibilität; das war schon bei Newton vs. Kepler (Epizyklen) der Fall.
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Ge?ndert von TomS (23.06.21 um 20:56 Uhr)
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  #9  
Alt 24.06.21, 08:55
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Zitat:
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Natürlich trägt die Dekohärenz maßgeblich zum Verständnis des Messprozesses bei; sie erklärt mittels der Schrödingergleichung, welche makroskopisch zulässigen Zeiger-Zustände entstehen können.
Aber was trägt sie zum Verständnis der Reduktion des quantenmechanischen Zustands bei? Darum geht es doch beim Messproblem.


Hier wird Schlosshauer zitiert:

We have argued that, within the standard interpretation of quantum mechanics, decoherence cannot solve the problem of definite outcomes in quantum measurement

Nach meiner Auffassung erklärt das Dekohärenzkonzept das Zustandekommen quasi-klassischen Verhaltens. Ich sehe nicht, dass Dekohärenz eine der Interpretationen der QM stützt. Denn diese scheiden sich am Verständnis des Kollapses. Wenn du das anders siehst, würde ich dich um Referenzen bitten.
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  #10  
Alt 24.06.21, 12:58
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Zitat:
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Aber was trägt sie zum Verständnis der Reduktion des quantenmechanischen Zustands bei?
Sie liefert Argumente, warum dieser ontisch verzichtbar ist, zugleich jedoch epistemisch gültig bleibt. Siehe unten.

Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Darum geht es doch beim Messproblem.
Nur um den Kollaps? Nein, das ist zu eng gefasst.



Zum einen umfasst das Messproblem mehrere Teilprobleme:
1) welche Messergebnisse können auftreten?
2) wann, warum, mit welcher Wahrscheinlichkeit ... tritt ein konkretes Messergebnis auf?
3) wie wird das System während und nach der Messung beschrieben?

Anders gesprochen, zu begründen sind die Postulate
1) Eigenwerte a als mögliche Messwerte
2) Bornsche Regel p(a) = <ψ|a><a|ψ>
3) von Neumannschen Projektionspostulat d.h. Kollaps |ψ> → |a><a|ψ>

Die Dekohärenz besagt:
1) der spezifische Hamiltonoperator des Messgerätes selektiert die möglichen Zeiger-Zustände und Messwerte
2) die Norm je Komponente (Unterraum) liefert die Wahrscheinlichkeit
3) das Projektionspostulat wird zunächst weder postuliert oder abgeleitet noch ausgeschlossen

Damit löst die Dekohärenz den Punkt (1). Sie liefert zusammen mit Gleason's Theorem die eindeutige und phänomenologisch zutreffende mathematische Regel zur Berechnung der Wahrscheinlichkeiten in (2) - bzw. eine geeignete Erweiterung - jedoch keine Begründung, warum überhaupt Wahrscheinlichkeiten auftreten. Außerdem lässt sie einerseits das Kollapspostulat zu, andererseits erlaubt sie auch den Verzicht darauf; im ersten Fall liefert sie wie bei (2) die Unterräume, auf die zu projizieren ist und motiviert zusammen mit (1) die Form von (3); im zweiten Fall löst sie nach Meinung von Zeh, Carroll, Wallace et al. das Problem, warum man von einem epistemischen d.h. lediglich wahrgenommenen Kollaps ausgehen kann, obwohl tatsächlich kein ontischer Kollaps stattfindet.

Die Dekohärenz trägt demnach mittels des selben Formalismus in unterschiedlicher Weise zu verschiedenen Interpretationen bei. Es ist eine Frage der Interpretation, welchen Beitrag wir als natürlicher oder kohärenter empfinden. In den meisten Fällen löst die Dekohärenz jedoch einen Teil der Probleme - Ausnahme s.u.

Insofern Zustimmung zu diesem Statement

We have argued that, within the standard interpretation of quantum mechanics, decoherence cannot solve the problem of definite outcomes in quantum measurement.

bzgl. eines Teilproblems im Rahmen einer speziellen Interpretation. Auch Zeh betont mehrfach, dass die Dekohärenz das Messproblem nicht vollständig löst, in Teilen jedoch zu einer Lösung maßgebliche Beiträge liefert.

(soweit ich mich erinnere bleibt Schlossauer bzgl. der Interpretationen neutral)

Eine mögliche Lesart ist also, dass die Dekohärenz zur Erklärung beiträgt, warum der Kollaps verzichtbar ist. Das umfasst zwei Aspekte: der "ontische" Kollaps ist sicher verzichtbar - siehe unten; ein lediglich "epistemischer" Kollaps wird zumindest teilweise erklärt (Zeh, Carroll, Wallace et al.).



Zitat:
Zitat von Timm Beitrag anzeigen
Ich sehe nicht, dass Dekohärenz eine der Interpretationen der QM stützt. Denn diese scheiden sich am Verständnis des Kollapses.
Zunächst mal musst du verstehen, dass der Kollaps im Sinne von Neumanns nach Meinung vieler Physiker verzichtbar ist - über die MWI hinaus. Wenn man ausschließlich an der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten interessiert ist, dann sind (1) und (2) ausreichend, (3) ist überflüssig.

Ein explizites Beispiel ist das Mott-Problem, d.h. die Entstehung der Tröpfchenspuren in einer Blasenkammer:

https://en.wikipedia.org/wiki/Mott_problem

Wenn man die Wechselwirkungen des Elementarteilchens mit den Atomen und deren Ionisation als wiederholte Ortsmessung auffasst, dann fordert von Neumann einen Kollaps in einen Ortseigenzustand. Dieser ist bzgl. des Impulses isotrop, d.h. als Ergebnis folgt keine geradlinige Spur sondern ein isotroper Random Walk. In der o.g. Formulierung nach von Neumanns ist (1) demnach explizit falsch.

Mott (1929!) löst das Problem explizit ohne Kollaps. Er berechnet Korrelationen, d.h. letztlich bedingte Wahrscheinlichkeiten P(z | x, y), d.h. die Wsk. für z unter den Annahme x und y. Im Ergebnis ist die Wahrscheinlichkeit für mehrere nicht auf einer Linie liegende Tröpfchen sehr nahe Null.

Heisenberg hat wohl in Richtung von "weak measurements" gedacht und die o.g. Kollapsregel entsprechend modifiziert (ich habe keinen Zugriff auf das Paper). Es sollte darauf hinauslaufen, dass lediglich auf einen Unterraum statt auf einen Ortseigenzustand projiziert wird, dieser Unterraum bzgl. des Impulses anisotrop bleibt und somit eine geradlinige Spur resultiert. Dies hat den Schönheitsfehler, dass die Vorhersagbarkeit leidet, da man unter Verwendung geeigneter Unterräume lediglich ex post eine Erklärung erhält, während Mott ohne weitere Annahmen vorgeht.

Anyway, das Mott-Problem ist ein Beispiel, das üblicherweise als Argument für den Kollaps im Falle aufeinanderfolgender Messungen am selben System angeführt wird, das jedoch in der Tat gegen einen Kollaps verwendet werden kann. Die Argumentation von Mott kommt natürlich ohne Dekohärenz aus.

Neben der MWI kommen insbs. die Consistent Histories sowie die Ensemble Interpretationen ohne Kollaps aus. Ballantine hat letztere maßgeblich entwickelt und zeigt anhand weiterer Beispiele, wie u.a. auch der Quanten-Zeno-Effekt gegen den Kollaps interpretiert werden kann (wiederum habe ich keinen Zugriff auf das Paper).



Wenn man also akzeptiert, dass der Kollaps als mathematische Regel nicht notwendig ist, um korrekte Messwerte und Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, dann bleibt darüberhinaus die Frage, ob der Kollaps im ontischen Sinne ebenfalls verzichtbar ist (er wäre dann jedoch logisch inkonsistent).

Dabei lautet die Argumentation der VWI, ausgehend von der Dekohärenz, dass die durch die environment-induced superselction (einselection, Zurek) ausgezeichneten Zweige genau die Eigenschaften haben, die man für einen "epistemischen" Kollaps benötigt. Im Falle der Nebelkammer würde die Dekohärenz die in der Projektion zu verwendende Unterräume liefern.

D.h. ich kann entweder
a) die Dekohärenz nutzen, um die Unterräume zu berechnen, auf die ich im Zuge eines Kollapses projiziere, oder
b) nicht projizieren
In beiden Fällen erhalte ich die selben Beobachtungen.

(betrachte zwei Wellenpakete - klassisches Licht - die sich in entgegengesetzter Richtung auseinander bewegen; ob du als Beobachter eines Wellenpaketes das andere wegpostulierst oder seine Existenz akzeptierst läuft bzgl. der Phänomenologie auf's selbe raus)

Die Aussage der MWI lautet also im wesentlichen, dass sich für die Quantenmechanik ohne (1) bis (3) sowie unter Einbeziehung der Dekohärenz ein axiomatisch einfacheres und insgs. schlüssigeres Bild ergibt, als für die Quantenmechanik mit (1) und (2); dem kann man zumindest in soweit folgen, als man schlecht Postulate wie (1) oder (2) ad hoc einführen kann, wenn man erst mittels komplizierter Berechnung die Entitäten erhält, die in (1) oder (2) zu verwenden sind. Die Dekohärenz verkompliziert die Argumentation an dieser Stelle maßgeblich - weil sie einen Teil der Probleme löst (klingt komisch, ist aber so).



Einige Dinge sollten klar sein: der Kollaps ist in praktisch jeder Form verzichtbar; er verbleibt lediglich als praktische Rechenregel, deren Anwendbarkeit aber je Einzelfall zu prüfen ist; die Dekohärenz sowie andere Effekte liefern dafür überzeugende Argumente; in einigen Fällen verkompliziert der Kollaps die Argumentation (nach Ballantine wird sie sogar inkonsistent oder falsch); einige nicht-ontische sowie die MWI als ontische Interpretation kommen explizit ohne Kollaps aus; keine Interpretation, die die Dekohärenz ignoriert, liefert einen Beitrag zu einer echten Erklärung des Messproblems; jeder Versuch einer Kollapsinterpretation erscheint heute doch sehr fragwürdig; jeder Erklärungsversuch, der die hier diskutieren Punkte nicht berücksichtigt, kann nicht ernstgenommen werden.
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Ge?ndert von TomS (24.06.21 um 15:16 Uhr)
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