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  #1  
Alt 05.07.07, 02:45
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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In lockerer Art und Weise wird das Thema "Differentialgleichungen" fortgesetzt. In einem Physikform soll auch über fundierte Dinge gesprochen werden (das als Gegengewicht zu den eher laienartigen Beiträgen, die manchmal auch ganz interessant sind). Selbst bin ich besonders an den Anwendungen interessiert. Reine Mathematik ist meine Sache nicht.

In der Beschleunigerphysik wie auch in der Nachrichtentechnik trifft man irgendwann auch auf Besselfunktionen (auch Zylinderfunktionen genannt). Diese sind Lösungen der Bessel'schen Dgl. (benannt nach dem Autodidakten und Astronomen Friedrich Wilhelm BESSEL, dessen Lebensweg eine Biografie wert ist):

Bessel'sche Dgl. der Ordnung n:

x^2 y´´+ xy´ + (x^2 - n^2)y = 0 ; n ist eine ganze Zahl

Lösungen obiger Dgl. treten in Systemen mit zylindrischer Symmetrie auf wie z.B. schwingende kreisförmige Platten oder Membranen. Diese Dgl. nimmt auch den radialen Anteil der Laplace-Gleichung (eine partielle Dgl.) bei zylindrischer Symmetrie in Anspruch, ist also auch für die Himmelsmechanik von grosser Bedeutung.

Besselfunktionen 1. Art (J_n) werden nachfolgend kurz skizziert. Eine Besselfunktion 2. Art (Y_n) wird als Neumannfunktion bezeichnet. Besselfunktionen 3. Art (H_n) sind die Hankelfunktionen. Die sphärische Besselfunktion lässt sich als Linearkombination der Hankelschen Funktionen schreiben. Das geht bereits tief in die Funktiontheorie hinein und übersteigt vermutlich den momentanen Diskussionslevel einiger Leser.

Technische Anwendungen der Besselfunktionen:

1) Klystron

Das Klystron (von griech. "klyzo" = brechen) wurde erstmals durch die Brüder Varian beschrieben in "A High Frequency Oscillator and Amplifier" (1939). Es handelt sich um einen HF-Generator (Laufzeitröhre) mit Verstärkungswirkung, wie er u.a. in der Beschleunigerphysik eingesetzt wird:

http://www.radiomuseum.org/forumdata...Klystron%2Epdf

Grundsätzlich besteht das Klystron aus min. zwei Cavities (Hohlraumresonatoren). In der Radartechnik findet man in Oszillatorschaltungen noch das Reflexklystron.

Ein grosses Klystron am SLAC hat bei 11,4 GHz eine Pulsleistung von 50 MW. Moderne XFEL-Klystrons erhöhen die Mikrowellen-Leistung um den Faktor 10^5. Am DESY ist eigens die Gruppe MHF für Betrieb und Entwicklung sämtlicher HF-Anlagen (darunter der Klystrons) zuständig.

Prinzip des Mehrkammer-Klystrons:



In der 1. Cavity wird ein aus einer Elektronenkanone kommender Elektronenstrahl dichtemoduliert. Während der Strahl zur 2. Cavity vorwärtsdringt, entstehen in der dazwischen befindlichen Driftstrecke sog. Elektronenbunches. Die im 1. Resonator beschleunigten Elektronen beginnen die vorauseilenden - aber langsameren - zu überholen. Dadurch bilden sich "Bunches" (Paktete), die von verdünnten Zwischenräumen abgelöst werden. Der Elektronenstrahl kann deswegen auch als DC-Strahl mit überlagerter nicht-sinusförmiger AC-Komponente verstanden werden. Der in der letzten Kammer induzierte Strom wird als HF-Leistung ausgekoppelt. Die Ausgangsleistung ist dabei grösser als der Input, so dass das Klystron als Verstärker arbeitet. Um den Strahldurchgang nicht zu behindern, werden beim Zweikammer-Klystron Teile der Oberfläche beider Resonatoren als Gitter ausgeführt.

Die zylindrischen Hohlraumresonatoren des Klystrons werden bezüglich ihres Radius durch Besselfunktionen bestimmt. Wichtig dabei sind die Nullstellen. Liegt z.B. die 1. Nullstelle bei x = 2,405 und ersetzt man x durch omega*R/c, erhält man für den Resonatorradius in Abhängigkeit von der Resonanzfrequenz: R=2,405*c/ω


2) Funktechnik

Bei der Frequenzmodulation (FM) setzt sich das modulierte Signal zusammen aus:

u(t) = u_peak_carrier * sin(omega_carrier + M * sin omega_M)t

M = Modulationsindex := Trägerhub : max. Modulationsfrequenz ; z.B. M = 5 kHz/3 kHz = 1,67

Will man die Bandbreite eines frequenzmodulierten Signals untersuchen, ist ein normiertes Besseldiagramm sehr nützlich. Darin enthalten sind Besselfunktionen 1. Art, n-ter Ordnung. Die einzelnen Funktionen werden mit "J" bezeichnet:




J_n(x) = 1/(2pi * i^n) Int [0..2pi] e^(i(x * cos(y) + ny)) dy

J_o(x) ist somit die Besselfunktion 1. Art, 0-ter Ordnung und entspricht der örtlichen Verteilung des Carriersignal. Die übrigen, je nach Modulationsindex stark abklingenden Funktionen entsprechen den bei der FM auftretenden Seitenfrequenzen (streng genommen unendlich viele). Diese Seitenfrequenzen (bzw. -bänder im Amateurfunk) sind jeweils um die max. Modulationsfrequenz versetzt und erzeugen im Frequenzspektrum eine gegenüber dem HF-Träger (Carrier) symmetrische Verteilung. Als Bandbreite betrachtet man aber nur denjenigen Frequenzbereich, in welchem 99 % der abgestrahlten Leistung liegen. Amplituden < 0,1 müssen somit nicht berücksichtigt werden.

Aus einem Besseldiagramm lässt sich auch ablesen, dass bei einem Modulationsindex von 2,4 und 5,5 und 8,6 usw. J_o - also die Trägerfrequenz - eine Nullstelle besitzt. Mit einem Spektrumanalyzer ausgerüstet kann man mit diesem Wissen eine Hubkontrolle durchführen.

Soviel zu den technischen Anwendungen (es gibt noch viele weitere), die sich bezüglich der Besselfunktionen ergeben.

Gr. zg

Ge?ndert von zeitgenosse (05.07.07 um 18:24 Uhr)
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  #2  
Alt 05.07.07, 03:05
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richy richy ist offline
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Hi
Eine interessante Anwendung kennt jeder nicht nur vom FM Radio, sondern auch aus dem Radio. Was hat z.B. Whitney Housten mit der Besselfunktion zu tun ?
Mitte der 80 er Jahre brachte Yamaha einen digitalen Synthesizer auf den Markt, den man ohne Uebertreibung als revolutionaer bezeichnen darf.
Den Yamaha DX 7.
http://de.wikipedia.org/wiki/FM-Synthese

Die Klangerzeugung basiert auf FM Synthese Algorithmen. Jedoch nicht zur einem Traeger und Modulator, sondern gleich 6 Operatoren, die in Algorithmen miteinander verschaltet wurden. Eine dieser Besselfunktionen imitiert als Spektrum sehr gut ein Fender Rhodes. Das bis dahin uebliche E Piano, dass mit Klangstaeben arbeitete. Eine weitere Konsequenz der Besselfunktionen hier.
Der DX7 war in analytischer Weise nicht programmierbar. Das Ergenbis kaum vorhersehbar. Die Klaenge entstanden ueber die Trial und Error Methode.
Dennoch ist auf der DX7 auf jeder 2.ten Pop-produktion aus den 80 ern der DX7 zu hoeren.
Z.b. auch der Pianosound von Whitney Housten. Der aber eher von einem DX1,5 oder GSX1 stammt. Basieren allen auf der FM Synthese.
Erst die Sample ROM Player Technik und spaeter virtuelle physikal Modelling Synthese loesten ihn ab. Physikal Modelling ist uebrigends auch ein sehr interessantes Simulationsverfahren. Es basiert auf der Wave Guide Methode. Darin wird das Verhalten einer Welle durch Verzoegerungsglieder modelliert.
http://en.wikipedia.org/wiki/Karplus-Strong_algorithm
Im Prinzip eine Koordinatentransformation.

Hier eine anspruchsvolle mathematische Einfuehrung in Waveguide:
http://ccrma.stanford.edu/~jos/swgt/swgt.html

Der Karplus Stron Algo laesst sich auch mit einem Delay, Flanger auf einem modernen Syntheszer nachbilden. Hier habe ich mal damit den Klang eine Kreissaege programmiert:
http://home.arcor.de/richardon/2007/kreissaege.mp3
Es lassen sich damit nicht nur Kreissaegen sondern Musikinstrumente anhand ihres Physikalischen Modells sehr genau nachbilden :-) Fuer etwa 200 EUR gibt es zum Beispiel
Physical Modelling Algos fuer Blasinstrumente fuer den PC. Auch Streicher sind hervoragend damit zu reproduzieren.
Mitte der 90 er Jahre war die Rechnerleistung hierfuer dennoch noch etwas zu niedrig. Die Physikal Modelling Methode konnte das Sampling Verfahren daher noch nicht abloesen. Es wird aber wohl das Klangerzeugungsverfahren der Zukunft sein.
BTW
Auch die ersten PC Soundkarten waren mit einem FM Synthesizer, dem OPL 3 chip mit 4 Operatoren ausgestattet. Sound Blaster hies das damals und klang recht uebel.

ciao
richy

Ge?ndert von richy (05.07.07 um 05:14 Uhr)
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  #3  
Alt 05.07.07, 03:18
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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@richy

Imposant (hätte ich nur drei Leben)!

Keiner sage, dass Musik nichts mit Mathematik zu tun habe. Besselfunktionen ...

Bach wusste es intuitiv.

Gr. zg
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  #4  
Alt 05.07.07, 04:07
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Yepp schon erstaunlich. Und Bach voellig abgehoben.

ZITAT FM Synthese Wiki
> So kam es, dass der DX7 den Markt bis circa 1988 vollständig bestimmen sollte.

Und was kam 1988 auf den Markt ? Der Roland D50. Ein 28 Bit Rom Player mit 2 digitalen Effektprozessoren und virtueller Analogsynthesizer Einheit unter 10 000 DM.
Den musste ich natuerlich auch haben :-)
Auch hier etwas interessantes. Speicher war 1988 noch extrem teuer.
Der D50 hatte gerade mal 2 MByte Rom (Heutige Synthesizer bis zu halbem Gigabyte), arbeitete aber mit einem genialen psychoakustischen Trick. Der Mensch erkennt Instrumente vornehmlich an der recht kurzen Attack also Einschwingphase. Im Wave Rom des D50 waren daher lediglich kurze Attacksampels sowie Spektren abgelegt. Der eigentliche Ton wurde durch eine virtuelle Synthesizereinheit, also ohne Speicheraufwand, weitergefuehrt. Das Ergebnis ist verblueffend. (FM gabs natuerlich auch)
Klangbeispiele:
http://www.synthmania.com/d-50.htm

Weitere Elektronische Ausnahmemuskinstrument sind z.B. der Minimoog, die Hammondorgel, das Trautonium, das Mellotron, die Clavioline ... sowie das Theremin.
Letzteres kann verblueffend echt menschlichen Gesang immitieren.
Ist sehr schwer zu spielen aber erfreut sich wieder zunehmender Beliebtheit und wird daher wieder von verschiedenen Firmen angeboten.
http://www.youtube.com/watch?v=XwqLy...elated&search=
http://www.youtube.com/watch?v=Xn4TgYkqdi8

Zur Technik:
Superhet Prinzip. Zwei mal Zwei Schwingkreise.
(Schwebungssummer Prinzip. Mischen zweier sin Funktionen und gleichrichten des HF Anteils => Schwebungshuellenkurve als Nutzsignal).
Steuerung der Kapazitaet, Tonhoehe eines Schwingkreises ueber Abstand der Hand.
Ein Superhet Schwingkreis fuer die Tonhoehe.
Ein Superhet Schwingkreis fuer die Lautstaerke.

Die Ausdrucksstaerke erreicht kein anderes elektronisches Musikinstrument.
Unbedingt mal reinhoeren, es ist unglaublich.

Der DX7 arbeitete nach dem Phasenmoduationsprinzip. Echte FM Klaenge sind an fuer sich nicht spielbar. Ein genialer Trick dies zu realisieren besteht darin der Frequezmodulation eine Synchronmodulation nachzuschalten. Dabei wird der Slave Oszillator beim Nulldurchgang des Master Oszillators zurueckgesetzt. Die Technik wurde schon bei analogen ARP Synthesizer verwendet. Nun kann man den Slave Oszillator frequenzmodulieren. Es ergeben sich Spektren aehnlich den Besselfunktionen, wobei aufgrund der Synchronmodulation das Ergebnis spielbar bleibt. Yamaha An1x (1996) ist einer der wenigen Synthesizer mit dieser Technik. Gebrauchtpreis derzeit 250 EUR !
Damit lassen sich sogar menschliche Phoneme erzeugen. Der An1x kann tatsaechlich ohne Samples ! kurze Saetze sprechen. Um alle Klaenge zu erforschen braeuchte man allerdings 30 Leben :-) Ich ruehre das Teil selten an, denn es macht suechtig :-)
Hier mal eine Demo von meinen AN1x Sounds. Programmieraufwand pro Sound ueber die Jahre mehrere hundert Stunden :
http://home.arcor.de/richardon/2007/an1xdemo.mp3
Keine Sampels ! Saegezahn Puls und Rechteck entsprechend frequenz- synchron-, pulsweitenmoduliert. Herr Bessel laesst gruessen :-)
Mit Samples klingt ne Gitarre Floete Strings dann z.B so :
http://home.arcor.de/richardon/2007/besame_end.mp3
Uebrigends alles (bis auf Percussion) ohne Mehrspur oder Begleitautomatik mit einer speziellen Programmier/ Spielttechnik auf einem Mittelklassesynthesizer live single shot gespielt.
Ein moderner guenstiger Syntheszer fuer 600 EUR bietet Moeglichkeiten die man frueher fuer unmoeglich gehalten haette. In den 80 ern haetten vergleichbare Systeme (Fairlight) noch mehrere Millionen DM gekostet.

Ge?ndert von richy (05.07.07 um 15:10 Uhr)
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  #5  
Alt 05.07.07, 04:54
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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Das Theremin - unglaublich. Der Musiker als Magier! Als Büblein habe ich schon gestaunt, als Onkel Teddi auf der "singenden Säge" spielte. Aber das Theremin übertrifft alles. Ist es nicht auch in den USA sehr verbreitet?

Zitat:
"Ein Superhet Schwingkreis fuer die Tonhoehe."

Verstehe ich nicht ganz. Den Superhet kenn ich nur aus der Radiotechnik als Überlagerungsempfänger (Zwischenfrequenzstufe).

Anhang:

Die Bessel'sche Dgl. verdankt ihre Existenz historisch gesehen dem Problem der schwingenden Membran. Deren eindimensionales Analogon ist bekanntlich die schwingende Saite mit der sich d'Alembert (1746) intensiv auseinandergesetzt hatte. Euler (1759) fand die Eigenfunktionen der schwingenden Kreisscheibe. Ich denke dabei automatisch auch ans Trommelfell. Überhaupt ist das menschliche Ohr ein Wunderwerk, das durch Evolution allein nicht erklärbar ist (besonders das Innenohr mit der Chochlea). Hier findet sich komprimierte Physik und Mathematik als organische Einheit!

Bessel selbst (1824) kam auf diese nach ihm benannte Dgl., als er die Störungen der Plantenbahnen untersuchte. Was mich aber am Meisten erstaunt ist die Tatsache, dass sich Bessel als Autodidakt in dieses komplexe Gebiet einarbeitete (vergleichbar mit Herschel oder Lambert in ihren Gebieten), nachdem er zunachst eine "nur" kaufmännische Ausbildung genoss.

Die Bessel'sche Dgl. besitzt auch in der Potentialtheorie eine wichtige Bedeutung. Zylinderfunktionen der Ordnung n sind ihre möglichen Lösungen. Auch in der Elektrodynamik (Hohlleiter) sind Besselfunktionen verbreitet. Aber das wisst ihr ja.

Wichtig ist u.a. der Nullstellensatz. Die Funktion J_n hat abzählbar viele positive Nullstellen, die allesamt nur den einen Häufungspunkt oo haben. Das Thema ist ungeheuer breit. Watson (1958) hat viel dazu beigetragen, z.B. zur Frage, ob eine Besselreihe überhaupt konvergiert.

Einer Vertiefung wert wären auch die von Laplace entdeckten Kugelfunktionen. Damit assoziiert sind das Dirichlet'sche und Neumann'sche Eigenwertproblem. Aus den Orthonormalitätseigenschaften der Besselfunktionen und denjenigen der Kugelfunktionen ergibt sich nämlich die Orthogonalität eines Fundamentalsystems. Aber genug für heute.

Gr. zg
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  #6  
Alt 05.07.07, 17:07
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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Eine weitere Anwendung der Besselfunktionen:

Jazzmusiker spielen am Liebsten auf Trompeten mit einem Besselhorn als Schalltrichter (deutsche Périnet-Trompeten besitzen eine andere Mensur). Bei den amerikanischen Trompeten ist auch die Bauart und Lage der Ventile eine andere. Auch bei den Klarinetten gibt es bezüglich der Griffigkeit Unterschiede (deutsches System und Böhm-System). Interessant ist, dass viele Ländler-Musiker (schweizerische Volksmusik) auf "deutschen" Klarinetten spielen. Jazzmusiker benutzen hingegen meist das Böhm-System. Das nur nebenbei.

Der Radius des Besselhorns ist gegeben mit:

r(x) = b * x^-eps : eps ist die Aufweitungskonstante

Aufgrund des starken Anstieges der Hornfunktunktion F gegen das Hornende ergibt sich eine hohe Cutoff-Frequenz. Somit können sich im Blaskanal auch stehende Wellen für hohe Frequenzen ausbilden.

In der Näherung für ebene Wellen ergibt sich als Lösung für stehende Wellen:

p(x) = A * x^(eps + 0.5) J_(eps + 0.5) (kx)

Dabei ist J_eps eine Besselfunktion 1. Art (woraus auch der Name dieses Horns verständlich wird).

Aus dem Besselhorn lassen sich Spezialfälle ableiten. Für eps = -1 ergibt sich ein konisches Horn, für eps = 0 ein Zylinder. Besselhörner mit 0,5 < eps < 1 werden für Schalltrichter verwendet, wie das auch vom Waldhorn geläufig ist. Neben dem Besselhorn ist in der Instrumentenlehre auch das Salmonhorn einschlägig bekannt.

Auch der Laie spürt intuitiv, dass zur exakten Beschreibung derart alltäglicher Dinge die höhere Mathematik zum Zuge kommt. Um das Anfangs-Randwertproblem zu meistern, bedient man sich gerne der Methode der Funktionaltransformation, darunter der Laplace-Transformation und der Sturm-Liouville-Transformation. Ohne Benutzung eines CAS werden die Berechnungen aber sehr umfangreich, so dass hier darauf verzichtet wird.

Der Instrumentenbauer ist deshalb vielfach auf die Empirie und seine Berufserfahrung angewiesen. Erstaunlich deshalb, dass auch ohne höhere Mathematik perfekte Musikinstrumente gebaut werden. Bezüglich der Holzblasinstrumente gelang es Mason (1927), ein Gleichungssystem zu entwickeln, das die Auswirkung mehrerer aufeinanderfolgender Grifflöcher berücksichtigt - im Gegensatz zu Richardson, der die Löcher einzeln behandelte und somit die wechselseitige Dämpfung nicht in Kauf nahm.

Das Horn ist seit jeher als "akustischer Transformator" bekannt. Denken wir nur an das "Schofar", ein Widderhorn der Hebräer. Mit den Auswirkungen der unterschiedlichen Bauformen befasst sich die Horntheorie. Zu diesem Thema gehören folglich auch die Hornlautsprecher, die zusammen mit dem Röhrenverstärker eine Renaissance erleben. Im Lautsprecherbau wird bezüglich der Hörner prinzipiell unterschieden zwischen "Frontloaded", "Backloaded" (Basshörner) und "Tractrix" (auch Kugelwellenhorn genannt). Insgesamt faszinierende Themen; aber nur, wenn man auch Zeit dafür hat.

Aber weshalb überhaupt Hörner? Nun, ein Hornlautsprecher ist ein Impedanzwandler und ermöglicht eine fast ideale Anpassung an die umgebende Luft. Das Horn besitzt zudem einen grossen Wirkungsgrad und erzeugt bei hohem Schalldruck beste Klangqualität (nur geringe Verzerrungen).

Gr. zg
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  #7  
Alt 06.07.07, 01:16
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Hi
Schon erstaunlich, wo die Besselfunktionen ueberall zu finden sind. Denke da werde ich auch noch bischen darueber recherchieren. So ein Tractrix hat sich unser Drummer mal gebaut. Ziehmlich imposantes ausseres. Und klar solche Hoerner sind Impedanzwandler. Genauso wie das Trommelfell, Hammer Amboss und Steigbeguel. In der Hoerschnecke soll sich der Schall in einer Fluessigkeit ausbreiten. Ohne Impedanzwandler ergaebe der Uebergag Luft Wasser lediglich eine Reflexion. Der Hinweis einmal von dir mt den drei Boegen des Gleichgewichtsorgans fand ich bemerkenswert. Wie die drei Dimensionen der beschreibenden Mathematik sich hier wiederfinden. Das ganze Gehoer ist tatsaechlcih ein Wunderwerk der Natur. Wie so vieles.

Ich meine das Theremin erfreut sich weltweit steigender Begeisterung. Vor allem junge Musiker kennen es auch und sind davon begeistert. Vintage ist in. Viele klassische elektronische Musikinstrumente werden wieder ist fast urspruenglicher Form gebaut.
Elektromagnetische Hammondorgel (Pari), Theremin, Fender Rhodes, Minimoog
Leslie Drehlautsprecher (Motionsound) ....

Zum Superhetprinzip. In der analogen Technik wurde dieses nicht nur im TV, Radioempfaenger angewendet. Sondern auch als Signalgenerator. Ich benutze selbst seit 30 Jahren einen Roehren Schwebungssummer, also Superhet Sinusgenerator. Geanu diesen hier:
http://biblio.zkm.de/heiss/03_Schwebungssummer.html
Die Daten auf der Seite sind aber falsch . Wohl ein Kuenstler :-)
Die Frequenz reicht stufenlos von 0 Hz bis 20 kHz. Feinabstimmung 100 Hz.

Das Theremin (1919) verwendet aber eine Doppelstrategie mit der Superhet Technik. Ich kann darueber nur staunen und sagen : Genial !

1) Zum einen erhaelt man so einen grossen ueberstreichbaren Frequenzbereich.

2) Dieser wird durch die Annaeherung an die Antenne (Besser eine Seite eines Kondensators) durchgestimmt. Im NF Bereich koennte man eine Kapazitaetsaenderung so nicht realisieren. Der Doppeloszillator ist auf vielleicht 1 Mhz abgestimmt. Damit funktioniert das Kondensator /Antennenprinzip. Dieses verstimmt den einen Oszillator.
Die Differenzfrequenz z.b 1.001 MHz-1.0 Mhz = 1 kHz ist das hoerbare Nutzsignal.
Es passt perfekt.

(Der Zweite Doppeloszillator + Antenne funktioniert genauso wird aber als Lautstaerkeregler verwendet. Frequenz => Steuerspannung

4 Fliegen mit einer Klappe. Ist das nicht tricky ? :-)
Und dazu klingt es aufgrund der feinen Nouancierungen, auch der Roehrentechnik noch wie ein natuerliches Instrument.

Viele Gruesse

Ge?ndert von richy (06.07.07 um 01:19 Uhr)
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  #8  
Alt 06.07.07, 14:46
zeitgenosse zeitgenosse ist offline
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Servus!

Ja, wirklich genial, diese verschiedenen Instrumente! Ohne Elektronik ginge da aber nicht viel.

Besselfunktionen - erstaunlich, dass sich aus einer einzigen Dgl. dermassen viele Anwendungen ergeben!

Schwebungssummer (BFO) - in der Tat scheint es die zu geben, die nach dem Superhet-Prinzip arbeiten. Dessen war ich mir bis heute nicht wirklich bewusst. Vermutlich werden dazu zwei Frequenzen miteinander gemischt. Ergebnis dürfte dann eine Schwebung mit f = f_const - f_var sein.


Schwebungssummer Fabr. "Siemens & Halske" (1937)

Hast du den Schwebungssummer wegen dem Theremin zugetan? Dieses wird bisweilen auch "Aeterophon" genannt (wohl wegen des Klanges). Erfunden wurde es von Lev Termen, einem Russen.

So wie ich es momentan erkenne, beruht die Klangerzeugung des Theremins auch auf dem Prinzip des Schwebungssummers. Ist das so? Miklos Rosza spielte übrigens auf dem Theremin für den Hitchcock-Film "Spellbound" (1945).

Ich hatte mich aus historischem Interessen bereits etwas mit diesen "exotischen Instrumenten" befasst. Kennst du das Trautonium (Trautwein, 1930)? Es kam u.a. im Krimi "Der Würger von Schloß Blackmore" (1963) zum Einsatz. Klangquelle ist ein Sägezahngenerator (ursprünglich wurden mittels Gasentladungsröhren Kippschwingungen erzeugt).

Eine Sägezahnschwingung (dir muss ich es nicht sagen) enthält alle Harmonischen:

A(t) = sin omega*t + (1/2) sin(2*omega*t) + ... + (1/n) sin(n*omega*t)

Der Klang solcher Töne ist gewissermassen "fett" und "scharf".

Das Manual bestand aus einer Metallschiene und einem darüber gespannten Draht. Wurde dieser gegen die Schiene gedrückt, entstand eine von der Position abhängige Schwingung bestimmter Frequenz. Vom Prinzip her genial einfach; aber nicht einfach zu spielen. Damit liessen sich fliessende Tonfolgen erzeugen.

Hindemith hat wohl als erster Komponist die Bedeutung des Trautoniums erkannt. Die Uraufführung "Triostücke für drei Trautonien" fand im selben Jahr (1930) statt. Bekannt wurde das Instrument durch den "Meisterspieler" Oskar Sala, welcher an der Univ. Berlin Physik studierte.

Sala hat dann das "Mixturtrautonium" erfunden. Dieses arbeitet mit einer subharmonischen Reihe. Damit liessen sich ganz eigenartige Stimmungen erzeugen. Meines Wissens erzeugt kein natürliches Instrument solche Subharmonische. Der "Vogelschrei" in Hitchcocks bekantem Film "Die Vögel" (1961) wurde von einem Trautonium erzeugt.

Fazit:
Die Welt ist bunt und vielfältig! Hätte ich nur mehr Leben, dann könnte ich alles erforschen, was die Welt im Innersten zusammenhält! Aber ich erkenne mit innerem Schmerz meine eigene Begrenztheit und ergebe mich in mein Geschick.

p.s.
Mein Onkel hat übrigens vor Jahren eine Glasharfe gebaut. Er spielt jetzt in Florida vor Pensionären (Pauls singende Gläser). Aus rund 40'000 Gläsern hat er die passenden einzeln ausgesucht.

p.s.
Inzwischen habe ich gesehen, dass der BFO auch in der Funktechnik benutzt wird, um aus einem SSB die Information zurückzugewinnen. Bei SSB-Betrieb wird der Träger bei der Abstrahlung ja unterdrückt, so dass er im Empfänger erst wieder hergestellt werden muss, damit man das restaurierte Signal im Demodulator weiter verarbeiten kann.

Gr. zg
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  #9  
Alt 06.07.07, 15:59
quick quick ist offline
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Hallo zeitgenosse,
hallo richy,

ich verfolge ein wenig Euer interessantes Thema, beim Recherchieren über das Theremin bin ich auf ein Programm gestossen, das durch Mauszeigerbewegungen ähnliche Klänge erzeugen kann. (Programm muss nicht mal installiert werden).

http://www.rollosonic.com/Pages/RolloSONIC_Intro.html

Beim Herumspielen damit kam gleich das Feeling, wie bei den alten Superhet-Empfängern auf.

mfg
quick
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  #10  
Alt 06.07.07, 16:24
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RolloSONIC- Nicht von schlechten Eltern!

Zitat:
Zitat von quick Beitrag anzeigen
Beim Herumspielen damit kam gleich das Feeling, wie bei den alten Superhet-Empfängern auf.
Etwa wie im 40 m Band der DX-ler (nachdem die Sonne untergegangen ist). :-)

Gr. zg
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